Rezensions-Blog 115: Schockwelle

Posted Juni 7th, 2017 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

es ist vermutlich nicht übertrieben, zu sagen, dass Clive Cussler und seine Coau­toren zu meinen Leib- und Magenautoren gehören und ich ihre Bücher gewöhnlich äußerst gern verschlinge. Ebenso naturgemäß gibt es aber bei solch einer Form einer sehr produktiven „Schreibfabrik“ schwache Werke, das ist einfach ganz natürlich. Den vorliegenden Roman würde ich als einen solchen bezeichnen, der zwar spannende Grundideen hat, aber zwischendrin gewisse Längen aufweist. Ich habe das unten thematisiert.

Dennoch gefällt mir das Buch nach wie vor durchaus so gut, dass ich es im Rah­men meiner Rezensions-Blogs für empfehlenswert halte. Wir kommen noch zu den wirklich anstrengenden Romanen von Cussler, wo sich mir die Haare sträubten. Der hier gehört definitiv nicht dazu.

Wer ihn noch nicht kennen sollte, hat jetzt Gelegenheit für einen ersten Schnupperkurs:

Schockwelle

(OT: Shock Wave)

Von Clive Cussler

Blanvalet 35201

München 1999

608 Seiten, TB

ISBN 3-442-35201-0

Aus dem Amerikanischen von Oswald Olms

Das 19. Jahrhundert war nicht gut zur britischen Weltmacht. Einige Jahrzehnte zuvor hatten die Briten ihre bedeutendste Kolonialfläche in Nordamerika verlo­ren, in Hinterindien rangen sie mit den aufstrebenden Russen, in Fernost er­starkten ganz langsam China und Japan, und zugleich quollen die englischen Gefängnisse über vor sozial Deklassierten, die aus nichtigsten Gründen inhaftiert wurden und deportiert werden sollten. Es gab nur noch einen einzigen Ort, wohin man sie schaffen konnte – nach Australien.1

Diese Fahrt trat auch die GLADIATOR unter ihrem herrischen Kommandanten Charles „Bully“ Scaggs an im Januar des Jahres 1876. Doch die GLADIATOR kam nie an ihrem Ziel an, sondern verschwand spurlos. Erst mehrere Jahre danach trafen zwei Mitglieder der Besatzung wieder in der Heimat ein, darunter der sichtlich gealterte Charles Scaggs. Auf seinem Totenbett machte er gegenüber einem alten Freund ein Geständnis und übergab ihm zu treuen Händen ein paar der phantastischsten Diamanten, die jemals gefunden worden waren. Sie wur­den bei einer angesehenen jüdischen Diamantenhändlerfamilie geschätzt und bildeten schließlich den Grundstein eines neuen Unternehmens, das man „House of Dorsett“ nennen sollte.

Im Januar des Jahres 2000 – also dicht jenseits der Schreibzeit (1996 wurde der Roman erstmals veröffentlicht) – befindet sich die junge Maeve Fletcher als Bio­login an Bord des Kreuzfahrtschiffs „Polar Queen“ vor der Küste der Antarktis und begleitet eine Gruppe von Senioren bei ihrem Landgang auf die verlassene Insel Seymour Island. Während sie noch an Land sind, schlägt eine unheimliche, mörderische Gefahr zu, tötet mehrere der Landgänger und lässt den Kontakt zur Außenwelt vollständig abreißen. Das unheimliche Phänomen, das als „akus­tischer Tod“ in die Geschichte eingehen soll, löscht zugleich ganze Populationen von Landtieren aus. Es ist ein schier unglaublicher Zufall, dass während des her­einbrechenden Schneesturms die Gestrandeten schließlich von Mitgliedern ei­ner NUMA-Expedition unter Dirk Pitt gefunden und gerettet werden können.

Kurz darauf machen sie sich auf die Suche nach der verschollenen „Polar Queen“, und hier stößt Pitt nicht nur auf jede Menge weiterer Leichen, sondern auch auf eine Überlebende namens Deirdre Dorsett. Und ohne es zu wissen, sind Deirdre und Maeve Schwestern – wobei Maeve mit ihrer Familie, dem Dia­mantenmogul Arthur Dorsett, gebrochen hat.

Dirk Pitt, der nach Washington zurückbeordert wird, ahnt jedoch nicht, dass er inzwischen schon in eine mörderische Geschichte verwickelt ist, die weltweite Konsequenzen zeitigen soll.

In Washington angekommen, erweist es sich, dass es im Pazifik zu weiteren To­desfällen gekommen ist. Und augenscheinlich gibt es jemanden, der zielgerich­tet verhindern will, dass die Ursache ans Tageslicht kommt. Es bedarf indes eini­ger unkonventioneller Aktionen seitens Pitts, um zu verstehen, dass offenbar ein Zusammenhang mit Diamantenminen des Moguls Arthur Dorsett besteht.

Er entschließt sich, die Förderanlage auf einer Insel vor British Columbia aufzu­suchen. Um ein Haar wird es zum letzten Ausflug seines Lebens. Nur äußerst knapp kommt er mit dem Leben davon. Doch dann ist unzweideutig klar: Dor­sett fördert mit einem modernen System von Schallwellenzertrümmerung, und deren Schockwellen breiten sich untermeerisch aus. Dort, wo sie konvergieren, töten sie jedes Leben im Wasser und auf Land ab.

Schlagartig wird erkennbar, dass eine Katastrophe droht, die dringend vereitelt werden muss – aber die Politiker trauen Admiral James Sandeckers Behauptun­gen und den Berechnungen der NUMA-Fachleute nicht. Und Dorsett schmiert mit seinen Milliardengeldern mühelos jede Polizeitruppe, jeden Lokalpolitiker von Bedeutung… und schließlich finden sich Dirk Pitt, sein Freund Albert Giordi­no und Maeve Fletcher in derselben grässlichen Lage, in der vor über hundert Jahren die Schiffbrüchigen der GLADIATOR waren – ausgesetzt mitten im Pazi­fik, Hunderte von Seemeilen vom nächsten Land entfernt.

Und der Countdown der Auslöschung für Millionen von Menschen hat längst begonnen, zu ticken. Schlimmer noch: dies alles ist nur das Vorbeben für eine wirtschaftliche Krise, die Dorsett mit kalter Berechnung planmäßig auslösen will. Und es scheint niemanden zu geben, der dies verhindern kann…

Mit „Schockwelle“ liegt das nächste Abenteuer von Clive Cusslers Helden Dirk Pitt vor, einem Pitt, der durchaus schon in die Jahre gekommen ist und von sich selbst sagt, er werde „allmählich zu alt für so etwas“. Das hält freilich weder ihn noch Cussler davon ab, wieder übermenschliche Taten zu vollbringen. Schon an dem fünfzigseitigen Prolog ist deutlich zu erkennen, dass die Geschichte relativ langsam Geschwindigkeit aufnimmt. So hat der Roman denn auch tatsächlich einige Längen, wo der Leser gelegentlich das Gefühl nicht ablegen kann, dass Cussler die Handlung mittels Details etwas sehr aufgebläht hat.

Gewiss, der Roman liest sich auch beim zweiten Mal (Erstlektüre 2005, Zweit­lektüre 2015) geschwind und geschmeidig, aber man kann ihn zwischendurch auch mal ein paar Tage aus der Hand legen – ein Indiz dafür, dass die Spannung nicht durchgängig vorhanden ist. Und es gibt außerdem Passagen, wo man das Gefühl empfindet, die Protagonisten würden ferngesteuert, und zwar durch Interessengruppen, die durchaus nicht zu den positiven Kräften gerechnet werden können.

Erotik kommt nahezu überhaupt keine vor, was für einen Cussler-Roman schon eigentümlich ist, und am Ende wird es dann durchaus übermenschlich. Letzten Endes stufe ich diesen Roman darum als einen eher mäßigen Band der Serie ein. Ganz nett, aber nicht wirklich überzeugend oder überragend.

Na ja, und was die Seeschlange angeht… da lasst euch dann mal überraschen, Freunde.

© 2015 by Uwe Lammers

Soviel zum vorliegenden, dickleibigen Abenteuerroman von Cussler. In der kom­menden Woche schwenken wir wieder auf das reine SF-Terrain um, und ich freue mich darauf, euch einen weiteren meiner Lieblings-Literaten vorstellen zu können, einen virtuosen Meister auf der Klaviatur des Stils und der surrealis­tischen Ideen. Von wem ich spreche? Von James Graham Ballard. Aber welches Werk mag ich meinen…? Nun, lasst euch überraschen, das lohnt sich diesmal ganz besonders.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Vgl. dazu auch das Sachbuch „Das Freudenschiff“ von Sîan Rees (für den Rezensions-Blog in Vorbereitung).

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