Rezensions-Blog 219: Sweet Sins (3/E): Fesselnde Blicke

Posted Juni 5th, 2019 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

erotische Romane zu schreiben, ist alles andere als simpel, selbst wenn man sich dies vielleicht als Leser manchmal so vorstellt. Gar zu leicht verengt sich der Autorenfokus zu einer Art von Tunnelblick, mit der Konsequenz, dass zwar abwechslungsreiche, prickelnde Liebesbegegnungen dargestellt werden, aber jenseits davon alles auf der Strecke bleibt. Mitunter passiert es sogar, dass selbst wichtige zentrale Aspekte von Romanen stiefmütterlich behandelt wer­den.

So geschah das in den ersten beiden Bänden der Sweet Sins-Trilogie (die genau besehen ein Vierteiler ist; allerdings ist „Opalherz“ gewissermaßen ein Sequel, weswegen ich oben schon das „E“ für den Schlussband der Trilogie aufgenom­men habe). Wer wirklich Details über Renee Maurice, die Betreiberin der Ero­tik-Agentur „Sweet Sins“ erfahren wollte, der wurde in den ersten beiden Bän­den bedauernswert karg abgespeist.

Es ist schön, dass sich das – in gewisser Weise zumindest – im dritten Band ge­ändert hat. Hier erfährt man recht viel über Renees Vergangenheit und wird so­lide und aufreizend unterhalten. Dennoch bleibt der Personenbestand sehr übersichtlich, und allzu sehr in die Tiefe geht die Geschichte im Bereich der Protagonisten-Biografien nicht.

Einerlei – ich wurde durchaus gut unterhalten und empfand den vorliegenden dritten Band als nette Ergänzung zu den ersten beiden Romanen. Außerdem wurden sogar schon Fährten für den Folgeband „Opalherz“ gelegt.

Neugierig geworden? Dann schaut einfach mal weiter:

Sweet Sins 3 – Fesselnde Blicke

Von Ivy Paul

Plaisir d’Amour

308 Seiten, TB (2015)

ISBN 978-3-86495-209-8

Preis: 12,90 Euro

Sweet Sins ist eine Erotik-Agentur in Sydney, die unter der Leitung der energi­schen wie phantastisch aussehenden Leiterin Renee Maurice allein stehende Männer und Frauen mit ausgefallenen sexuellen Bedürfnissen einander näher­bringt. Präzise gesagt: sie ermöglicht es ihnen auf diskrete Weise, ihre Neigun­gen zu Dominanz, Sadismus, Devotismus und dergleichen mit Gleichgesinnten auszuleben, und dies in reizvoller Umgebung mit allem erdenklichen Luxus. In den ersten beiden Teilen dieser Trilogie konnte man auf diese Weise schon mit­erleben, wie sich die Opernsängerin Kristin Manzetti mit einem dominanten Rocksänger verband1 bzw. wie die Parfümdesignerin Monique Heillecourt bei ei­nem Besuch in Australien, als sie einer Einladung ihrer alten Freundin Renee folgte, von zwei dominanten Kerlen verwechselt und kurzerhand für einen BDSM-Kurzurlaub entführt wurde – wobei sie den Mann fürs Leben kennen lernte.2

Wir befinden uns eben im Dunstkreis der romantischen BDSM-Romane, und dies hier ist wieder einer davon. Die Autorin Ivy Paul wurde offensichtlich dar­auf aufmerksam gemacht, dass zwar vergleichsweise oft von der Agentur und dem angeschlossenen Nachtclub die Rede war, aber die Initiatorin, Renee Mau­rice, vergleichsweise eine Randrolle spielte. Das habe wohl nicht nur ich bedau­ert. Folgerichtig steht diesmal im Roman Renee im Zentrum der Darstellung.

Die Geschichte startet mit einer Erinnerungsblende Renees: man schreibt den Juli des Jahres 2000. Renee ist noch in ihrem Heimatland und lebt mit ihrer Freundin Monique (siehe „Sweet Sins 2“) in einer Wohngemeinschaft beisam­men, als sich ihr die Gelegenheit bietet, ein prickelndes erotisches Abenteuer zu erleben. Ein herrischer junger Mann namens Pascal Folly, dem offenkundig eine steile Karriere als Jungpolitiker bevorsteht, macht Renee mit der Welt der Dominanz und Unterwerfung vertraut. Er gehört einem Bund an, der sich „Freundeskreis der O.“ nennt, und hier werden ähnlich heftige Praktiken an Frauen vollzogen, wie sie in dem Erotik-Klassiker von Pauline Reage beschrieben wurden.

Das ist der jungen und einigermaßen verschreckten Renee dann doch zuviel, erst recht, als sie Zeugin wird, wie eine Frau einem Gangbanging mit ange­schlossener Bestrafungsaktion unterworfen wird. Pascal droht ihr allerdings, dass sie über all diese Dinge nie etwas erzählen soll. Falls doch, werde er sie überall finden… voller Schrecken entschließt sich Renee daraufhin, Frankreich den Rücken zu kehren und all diese Dinge tief in ihrer Seele zu vergraben.

Sehr begreiflich.

Doch dann – und hierfür ist es essentiell, dass man die ersten beiden Bände des Zyklus gelesen hat, sonst versteht man die Anschlusspassagen kaum – kommt sie über 15 Jahre später in Kontakt mit dem Journalisten Nicholas Brady. Auf­grund der Ereignisse von Band 1 hat er etwas gegen Renee in der Hand und zwingt sie zu einem Interview… doch das Interview läuft gründlich aus dem Ru­der. Insbesondere deshalb, weil Nick von Renee geradezu magnetisch angezo­gen wird und sie selbst ihn zwar für einen arroganten Mistkerl hält… aber zu­gleich schwach wird.

Ihre Hingabe und bereitwillige Unterwerfung unter seinen Willen ist für Nick ei­nigermaßen überraschend. Er hat keine Ahnung davon, dass Renee eine starke devote Neigung tief in sich verbirgt und insgeheim davor fürchtet, an einen do­minanten Liebespartner zu geraten – jemanden wie ihn selbst. Aber Nicholas hat auch so seine Probleme. Er besitzt zwar eine dominante Ader, zugleich je­doch ist er einigermaßen unerfahren darin und hat eine traumatische BDSM-Beziehung hinter sich. Er ist von Selbstzweifeln zernagt und traut seiner eigenen Dominanzfähigkeit nicht.

Und doch… und doch… so sehr es ihn zu Renee hinzieht, so sehr er sie begehrt, so verlockend erscheint es doch einer dunklen Sehnsucht in seinem Herzen ebenfalls, diese wunderschöne Frau zu beherrschen und seine wildesten Phan­tasien mit ihr auszuleben. Sie zu dominieren und vollkommen seinem Willen zu unterwerfen.

Renee nimmt Reißaus. Wieder einmal.

Sie kann ihm allerdings nicht sehr lange entfliehen – denn ein paar Monate spä­ter sucht Nick ihre Hilfe. Er hat einem Freund versprochen, seine Verlobte wie­der zu finden, Kathy Sullivan. Sie soll angeblich davongelaufen sein, um mit je­mandem durchzubrennen und sich ihm in einer BDSM-Partnerschaft als Sklavin hinzugeben.

Renee sieht darin nur ein bedingtes Problem – beide Partner scheinen erwach­sen zu sein, und wie sie ihre sexuellen Beziehungen gestalten, obliege allein ih­nen… aber dann rückt Nick mit den Details heraus: Kathy und ihr „Freund“, ein Mann namens Wayne Durham3, sollen sich in Frankreich aufhalten. Er sei die rechte Hand eines gewissen Pascal Folly, und dummerweise kann Nick nun mal kein Französisch. Er braucht also eine Dolmetscherin… und denkt daran, Renee mitzunehmen.

Die Angelegenheit wird noch pikanter: denn Nicholas will versuchen, Kontakt mit Kathy während eines BDSM-Urlaubs in einem exklusiven und sehr elitären Resorts aufzunehmen, zu dem quasi niemand Zutritt erhält. Um dort hinein zu gelangen, müssen sich die beiden als Ehepaar mit BDSM-Neigung ausgeben, und das hat dann einen ganz eigenen prickelnden Reiz. Ein Abenteuer der be­sonderen Art, das sie beide schließlich ins Naturschutzgebiet Cinque Terre führt – und in eine abgeschiedene Ortschaft namens Malcesi, in dem sich das Zen­trum des „Freundeskreises der O.“ unter Pascal Folly befindet. Und dessen frü­herer Stellvertreter ist Renee längst als ein geschasster Provinzpolitiker be­kannt, der einstmals eine Lebensgefährtin vergewaltigt und umgebracht hat. Sie dringt also in ein Umfeld ein, das alte Alpträume wieder zu neuem Leben er­weckt.

Und schließlich stoßen die beiden, die ohnehin schon Schwierigkeiten haben, gegenseitig ihre Grenzen abzustecken, auch noch auf einen finster dreinblicken­den Schweden namens Isak Söderblom, der durchschimmern lässt, dass er durchaus nicht aus erotischem Interesse an dieser Reise ins Cinque Terre teilge­nommen hat – auf einmal entpuppt sich das Abenteuer als durchaus gefährli­che Reise in den Abgrund von Renees Vergangenheit…

Nach den beiden ersten „Sweet Sins“-Romanen und erst recht, nachdem ich dann vorzeitig „Opalherz“ gelesen hatte, der dummerweise NACH dem vorlie­genden Roman spielt4, war ich natürlich neugierig auf dieses Buch und hoffte, hierin ein paar noch offene Fragen beantwortet zu finden… darin wurde ich mehrheitlich enttäuscht, leider. Da außerdem in „Opalherz“ Isak Söderblom die männliche Hauptrolle spielt, war mir schon einiges klar, was all jenen Leserin­nen und Lesern, die die Bücher in der richtigen Erscheinungsfolge lasen, natür­lich nebelhaft bleiben musste. Gleichwohl nahm dieses Werk nicht allzu viel vorweg. Das lag daran, dass Isak in diesem Roman ja nur eine Nebenrolle spiel­te und Renee in „Opalherz“ umgekehrt den Nebenpersonenpart ausfüllte.

Dafür gab sich Ivy Paul jede erdenkliche Mühe, die emotionalen Tiefen von Re­nee Maurice auszuloten und zugleich die des bislang auch nur am Rande er­wähnten Reporters Nicholas. Das ist ihr solide gelungen, und es gibt eine wirk­lich beachtliche Menge verwegener, erfinderischer Liebes- und Dominanzsze­nen in dem Werk. Das ist nicht zu leugnen. In anderer Hinsicht fand ich ihn dann allerdings ein wenig schal – wenn man nämlich nun wirklich mehr über Renees familiären und beruflichen Hintergrund erfahren wollte, stocherte man weiterhin als Leser im Nebel. Denn da war eigentlich nichts weiter.

Der biografische Hintergrund, der beispielsweise im Falle von Christian Grey und Anastasia Steele doch bemerkenswert weit ausgeforscht wird5, glänzt hier auch weiterhin völlig durch Abwesenheit. Wie sieht es mit Renees Familienge­schichte aus? Wie hat sie ihre Freundin Monique kennen gelernt? Was genau hat sie studiert? Wieso hat sie gerade Australien als neues Lebensumfeld ge­wählt, und woher hat sie die Finanz, „Sweet Sins“ zu etablieren? Gähnende Lee­re.

Natürlich ist es amüsant, von ihren Katzen „Kirk“ und „Spock“ zu erfahren und von ihrer enormen Star Trek-Leidenschaft, das hat sie sehr für mich eingenom­men (ah, süß war dieses Pizzarad in Form der U. S. S. ENTERPRISE!). Dass sich Nick dann auch als Trekkie outet, war ein wenig zuviel des Guten, fand ich, aber es gab den Personen schon eine charmante Note. Das weitgehende Zerstreuen des Gefahrenplots zum Schluss war ein wenig enttäuschend… aber wenn man von diesen Kritikpunkten absieht, ist „Sweet Sins 3: Fesselnde Blicke“ ungeachtet des etwas irreführenden Titels eine sehr unterhaltsame Weiterung der ersten beiden Romane der Reihe. Ein gut lesbarer Band, der Liebende sicherlich auf den einen oder anderen anregenden Gedanken zu bringen versteht… wenn man entsprechend veranlagt ist, versteht sich.

Ich bin auf weitere Romane der Verfasserin definitiv gespannt.

© 2017 by Uwe Lammers

Nach all diesen erotischen Irrungen und Wirrungen des vorliegenden Romans und den historischen Krimis und Clive Cussler-artigen Mäandern vor zwei Wo­chen ist es mal wieder an der Zeit, einen SF-Klassiker unter die Lupe zu neh­men. Das geschieht in der nächsten Woche an dieser Stelle.

Welches Buch ich mir vornehme? Na, da lasst euch mal überraschen, meine lie­ben Freunde. Schaut einfach wieder herein.

Bis demnächst, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Vgl. dazu Ivy Paul: „Sweet Sins 1: Arie der Unterwerfung“. Siehe auch den Rezensions-Blog 211 (10. April 2019).

2 Vgl. dazu Ivy Paul: „Sweet Sins 2: Essenz der Hingabe“. Siehe auch den Rezensions-Blog 215 (8. Mai 2019).

3 Leser, die wie ich „Opalherz“ schon gelesen haben, werden bei dieser Namensnennung zweifellos zusam­mengefahren sein. Auch wenn Wayne im genannten Roman nur eine Schattengestalt ist, erzählt doch sein Todfeind Isak Söderblom genug über ihn, um klar zu skizzieren, dass er ein sexistisches, sadistisch veranlag­tes Ungeheuer ist…

4 Der Roman wird demnächst im Rezensions-Blog besprochen werden.

5 Vgl. dazu die Romane von E. L. James: „Fifty Shades of Grey“ ff. Auch diese Werke sind für den Rezensions-Blog in Vorbereitung.

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