Liebe Freunde des OSM,

nein, ich habe nicht den vollen Titel gewählt, sondern nur die Kurzform – und zwar mit Bedacht. Schaut weiter unten nach, wie lang der Titel tatsächlich ist. Da fühlt man sich irgendwo im 17. Jahrhundert daheim, wo Romane in Europa auch solch abenteuerlich wurmartig mäandernde Titelzeilen erhielten, in denen die Verfasser sich darum mühten, das Wesentliche des Textes zu fassen. Wie banal dagegen die heutige Neigung des Buchmarktes zu plakativen Einwort- oder Zweiwort-Titeln. Schaut euch nur das Buch an, das ich vor zwei Wochen präsentierte. „Teufelstor“ – Für Autoren des 17. Jahrhunderts wäre das über­haupt kein aussagekräftiger Titel gewesen.

Wie viel anders ist es dann doch mit dem des heute vorgestellten Werkes! Nicht nur weiß man durch den Titel sogleich, wo es spielt, sondern man kennt auch die vorgebliche Verfasserin, ihren sozialen Status, und dass es sich um ein amüsantes Werk handelt, ist ebenfalls offensichtlich.

Gleichwohl bereitete mich nichts auf die Lektüre vor, als ich dieses Buch anti­quarisch entdeckte… und aus dem ich mich alsbald nicht mehr lösen konnte, weil ich unbedingt wissen wollte, auf was für verrückte Dinge diese kleine, le­benslustige und masochistische Sklavin nun als nächstes kommen würde.

Um es kurz zu machen: es ist ein äußerst amüsantes Lesevergnügen, das nicht nur Bücherliebhabern, die eine gewisse Neigung zu modernen romantischen BDSM-Romanen hegen, zum Vorteil gereichen wird. Ich bin überzeugt, das Buch lohnt absolut eine Wiederentdeckung.

Warum? Nun, lest einfach weiter und erfahrt mehr dazu…

Das vergnügliche Leben der Lieblingssklavin

Innifer von Theben

Beschrieben von ihr selbst

unter unermüdlicher Anleitung

ihres wahren Herrn und Gebieters

Senufer

1. Geheimschreiber

Seiner Majestät Pharao

von Judy Sonntag

Gala Verlag, Hamburg 1970

268 Seiten, gebunden

Keine ISBN, nur noch antiquarisch

Gibt es so etwas wie eine süße Masochistin? Vermag man über einen ganz of­fensichtlichen BDSM-Roman herzhaft zu kichern, in dem ständig die Rede von Sklaventum ist und Frauen eifrig und ausgiebig mit Seilen gefesselt und ausge­peitscht werden? Zu meiner nicht eben geringen Überraschung ist das durchaus möglich. Und es ist nicht mal eine Erfindung der Neuzeit, wie man vielleicht an­gesichts der Romanzyklen einer Sara-Maria Lukas aus dem Hause Plaisir d’Amour denken könnte… nein, das gab es alles schon vor sehr langer Zeit und ist zweifellos ziemlich in Vergessenheit geraten.

Der hier vorliegende Band ist nun wirklich schon ziemlich alt, fast so alt wie der Rezensent selbst, und doch fand ich ihn gerade jüngst erst in einem Antiquariat und kam alsbald aus dem Kichern echt nicht mehr heraus… es ist eine wirklich zu süße Schnurre, und wenn man sich darauf mal einlässt, kommt man nicht umhin, den Titel als äußerst treffend zu bezeichnen.

Wir begeben uns mit dem Roman, der genau genommen ein Tagebuch sein soll, in das alte Ägypten der Pharaonen. Wann genau das spielt, ist schwierig zu sa­gen. Der Berichterstatterin Innifer, der Lieblingssklavin des Geheimschreibers Senufer von Theben, ist das nicht so wichtig. Als er sie beispielsweise fragt: „Warum, Schmetterling, schreibst du das Datum nicht über deinen krausen Text, den Stand der Sonne und – soweit ich ihn exakt berechnen kann – den Ort des Mondes?“, da fällt Innifers Antwort fast philosophisch aus: „Weiß eine Blume das Datum, wenn sie zur richtigen Zeit blüht? Weiß der Löwe das Datum, wenn er vor Liebeslust gegen die Erde brüllt, und es ist die richtige Zeit? Und wissen deine Augen das Datum, wenn sie mir Sonne und Mond zugleich sind? Was ist das – ein Datum? Für unsere kleinen Ewigkeiten – es war nie, es ist immer.“

Ja, an der süßen Innifer ist eine kleine Philosophin verloren gegangen, keine Frage. Aber das ist nur eine Seite dieses verspielten Sklavenmädchens, das sei­nen Gebieter Senufer so innig liebt. An Innifer gibt es noch weitaus mehr zu entdecken. Während Senufer sich gegen die Intrigen bei Hof durchzusetzen hat, langatmige Dichter und Denker zu Gast hat und von einem Steinmetz sein Grab­mal einrichten lässt, vertändelt Innifer mit ihren Sklavengefährtinnen die Tage… und man sollte es wirklich nicht fassen, was ihr so alles einfällt. Und vor allen Dingen, was sie als vergnüglich auffasst.

Ausgiebigen Raum etwa nimmt eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen ein: äußerst phantasievolle Fesselspiele. Nicht nur lässt sie sich von Senufer höchst bereit­willig verschnüren und so auf Stühle fesseln, dass sie gerade mal die Hände frei hat zum Schreiben ihres Tagebuchs. Nein, sie beide machen sich auch einen Spaß daraus, Houdinis Fähigkeiten in den Schatten zu stellen, und zwar derge­stalt: Senufer – oder jemand anderes aus dem Haushalt, aber Senufer ist ihr na­türlich am liebsten – verschnürt sie ausgiebig, und alsdann hat Innifer die Auf­gabe, sich aus den Fesselungen wieder herauszuwinden.

Gleiches vollführt sie mit ihren Mitsklavinnen, umgekehrt genauso, da gibt es sogar köstliche Szenen von gegenseitigem „Wettfesseln“, optimiert dadurch, dass die Mädchen einander die Augen verbinden und sich dann gegenseitig ver­schnüren… abenteuerlicher geht’s kaum. Ob es sich dann um Sisaltaue handelt, um Hanf oder Lederstreifen, womit gebunden wird, ist wirklich einerlei. Ob In­nifer und eine Mitsklavin aneinander gefesselt werden und sich dann gegensei­tig mit Ruten zu züchtigen haben, ob Senufer seine Lieblingssklavin gebunden und geknebelt an einen Pendelholm hängt und zu Innifers wunderbarem Ge­nuss ausgiebig „fliegen“ lässt… es gibt wirklich höchst verblüffende Szenarien in diesem Roman.

Wahrlich, Spielen ist für Innifer eine leidenschaftliche Beschäftigung, und sie ist eine süße Masochistin, die immer wieder die köstliche Bestrafung sucht und… genießt, ohne Frage. Indes, eines Tages ist es aus mit diesem Spiel, und ernst wird es… beinahe tragischer Ernst…

Das 1970 erschienene Buch, später noch einmal bei Heyne neu aufgelegt, wo es insgesamt sechs Auflagen erlebte, ist eine niedliche und schnurrige Geschichte, die der Neugierige, wenn er Innifer lieb gewonnen hat, binnen weniger Tage wegschmökern kann. Schade eigentlich, weil hier einmal mehr mein Credo greift, dem gemäß gute und unterhaltsame Bücher stets zu kurz sind. Ist hier wieder einmal bestätigt worden.

Ich denke, man muss bei allem Respekt vor den vergnüglich-masochistischen Fesselspielen darüber hinwegsehen, dass die Form der Geschichte ein wogen­des Auf und Ab ist, das letzten Endes dem Anfang nicht wirklich entspricht. Dort wird schließlich angedeutet, dass Innifer noch nicht so sehr des Schreibens mächtig ist… dafür ist ihr hier vorgelegtes „Tagebuch“ aber doch äußerst wort­gewaltig. Auch gerät es an vielen Stellen erstaunlich sozialkritisch und politisch. Nun könnte man sagen, dies spräche für Innifers politischen Instinkt (den sie aber gern dementiert), doch es ist unübersehbar, dass die Autorin hier etwas aus der Rolle fiel und zu deutlich ihre eigenen Anschauungen in Innifers Mund legte.

Sei’s drum… und es mag auch gleichgültig sein, dass die Autorin, über die ich leider selbst in der Deutschen Nationalbibliothek nichts Näheres in Erfahrung bringen konnte, scheinbar keine weiteren Bücher mehr verfasst hat (ich hätte sie gern gelesen): Es ist jedenfalls offenkundig, dass sie sich mit Bondage gut auskannte und sicherlich so manches Spiel der Innifer höchstpersönlich auspro­biert haben dürfte. Der autobiografische Aspekt des Buches will mir deshalb sehr intensiv scheinen. Vielleicht hat ihr Gebieter der Lieblingssklavin Judy Sonntag nicht gestattet, ein weiteres solches Werk zu verfassen, sondern ihr mit einem feuchten Lederknebel höchst lustvoll und zu ihrem Vorteil den Mund versiegelt und ihre Hände an den Leib geschnürt.

Wer mag das schon mit Gewissheit zu sagen? Innifer, soviel ist sicher, hätte dies sehr genossen, soviel steht fest. Und unter dem Knebel hätte sie zu kichern ver­sucht oder, mit der Gerte versohlt, lustvoll geseufzt…

Allen, die bei modernen romantischen BDSM-Romanen behagliche und wohlige Leseschauer verspüren, sollten hier mal hineinschnuppern. Und kichern und la­chen und ungläubig staunen, was schon 1970 in erotischen Romanen in Deutschland so möglich war.

Ihr werdet Augen machen – versprochen!

© 2017 by Uwe Lammers

Ich muss immer noch breit grinsen, wiewohl die Rezension selbst bereits mehr als anderthalb Jahre alt ist… das Buch habe ich sicherlich nicht zum letzten Mal gelesen, davon könnt ihr ausgehen. Es gehört definitiv in die Kategorie von Ro­manen, die ich in gewissen Abständen immer wieder mal lesen werde – wie Ro­mane von Peter F. Hamilton, Diana Gabaldon, Richard Adams, Keith Laumer und Co.

In der kommenden Woche machen wir einen massiven Zeitsprung ins 20. Jahr­hundert und wechseln dann auch das Genre und kümmern uns um die jüngste Zeitgeschichte. Da schlägt dann die Kompassnadel in Richtung meiner histori­schen Profession aus.

Nähere Details in einer Woche.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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