Rezensions-Blog 243: Todesrennen

Posted November 20th, 2019 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

ja, was könnte an einem Roman über ein Flugzeugrennen quer über den ameri­kanischen Kontinent anno 1910 wohl großartig interessant sein? Was für eine Story kann man daraus entwickeln, und weshalb das Endresultat auch noch theatralisch „Todesrennen“ taufen (zugegeben, der englische Titel war arg nichtssagend, aber das Problem haben alle Isaac Bell-Romane im angelsächsi­schen Raum… ohne dass sich das signifikant negativ auf den Verkauf auszuwir­ken scheint)? Nun, selbst ich wurde von der vielschichtigen Story durchaus posi­tiv überrascht und fand eine enorm spannende, packende Geschichte vor.

Ich kritisierte zwar schon anno 2016, als ich den Roman durchschmökerte und rezensierte, eine gewisse Flüchtigkeit bei der Charakterisierung der zentralen Nebenpersonen, doch dass sich Justin Scott Mühe gibt, jede Menge Verdächtige aufzubauen, daran kann definitiv kein Zweifel bestehen.

Wer Romane schätzt, in denen man nicht dummdreiste und sich allein auf phy­sische Kraft oder finanziellen Verschwörerreichtum verlassende Villains vorfin­det, also solche Feinde, die den positiven Gestalten in der Geschichte ernsthaf­ten Widerstand entgegensetzen und deren Pläne durchkreuzen, der ist hier de­finitiv richtig.

Ich denke, allein das sollte schon neugierig auf das Folgende machen. Einfach weiterlesen …

Todesrennen

(OT: The Race)

Von Clive Cussler & Justin Scott

Blanvalet 38167

512 Seiten, TB, 2013

Übersetzt von Michael Kubiak

ISBN 978-3-442-38167-8

Der Fall scheint ganz simpel zu sein, in den Isaac Bell und seine Kollegen von der Van Dorn Agency dieses Mal geraten. Der Verleger Preston Whiteway – be­kannt aus den vorherigen Romanen – erteilt ihnen den Auftrag, Personenschutz zu geben. Grundsätzlich nichts Problematisches … diesmal aber schon, aus meh­reren Gründen.

Die zu schützende Person ist eine zierliche, kleine Frau namens Josephine Josephs, die eigentlich Frost mit Nachnamen heißt, nach ihrem Mann Harry Frost. Und der hat seiner Frau angedroht, er werde sie umbringen. Was natür­lich ein Grund für den Personenschutz ist, keine Frage. Aber auch das ist nicht das eigentliche Problem, sondern die Umstände, die damit zusammenhängen.

Frost, der mit seiner Frau auf einem festungsähnlichen Landsitz in den Adi­rondacks lebte und hier das teure Hobby seiner Gattin finanzierte – das Fliegen von motorisierten Eindeckerflugzeugen, was im Jahre 1910, in dem der Roman spielt, noch ein echtes Abenteuer darstellt, insbesondere für weibliche Flieger – hatte den Argwohn, sie könne mit dem italienischen, schneidigen Flugzeugkon­strukteur Marco Celere eine Affäre haben. Was ihn dazu bewog, Celere zur Bä­renjagd einzuladen und bei dieser Gelegenheit kurzerhand ins Jenseits zu beför­dern.

Zu dumm, dass Josephine aus dem Flugzeug heraus Zeugin der Tat wird und an­schließend von Harry Frost ebenfalls beschossen wird. Nach diesem Mordver­such ist Frost auf der Flucht. Josephine wendet sich Hilfe suchend an den Medi­enmogul Whiteway, mit einem Hintergedanken: Whiteway plant ein Coast-to-Coast-Rennen von der Ostküste der Vereinigten Staaten zur Westküste. Sie bie­tet sich als Fliegerin an und bittet bei der Gelegenheit um Personenschutz.

So kommen die Van Dorns ins Spiel.

Chefermittler Isaac Bell, der Harry Frost 1899 (siehe Prolog des Buches) in mör­derischer Aktion erlebt hat, hat noch eine ganz persönliche Rechnung mit die­sem Ellenbogenmann offen, der nach einer Zeit in einer Irrenanstalt wieder frei­kam und sich danach ein mächtiges Presseimperium in den USA aufgebaut hat. Er war gewissermaßen Whiteways Vorbild und Konkurrent zugleich. Doch nun ist er ein Nobody, geflüchtet, um nicht für den Rest seines Lebens wieder in die Anstalt eingewiesen zu werden. Aber er ist eben auch ein gerissener, unkalku­lierbarer und machtvoller Nobody, dem unzählige wichtige Personen des öffent­lichen Lebens in den Vereinigten Staaten Gefallen schulden: Bankiers, Polizis­ten, Gangsterbosse und so weiter.

Indem er sich darauf versteift, seine Frau vom Leben zum Tode zu befördern, wird dieser Personenschutz, der sich über Tausende von Kilometern ausdehnt, zu einem haarsträubenden Unterfangen, das die Van Dorn Agency an den Rand ihrer Ressourcen bringt, personell und finanziell.

Und dann gibt es ein ganz spezielles Problem dabei: Wie bewacht man eine Per­son, die in der Regel weit oben am Himmel ihre Kreise zieht, unerreichbar für die Bodyguards, aber eben nicht etwa für die Maschinengewehre, die Harry Frost stiehlt und irgendwo entlang der Rennstrecke aufstellen lässt, um sie aus einer Meile Entfernung kurzerhand vom Himmel zu holen? Außerdem ist Harry Frost ein exzellenter Jagdschütze, der auch mit Scharfschützengewehren umzu­gehen versteht.

Ganz offensichtlich ist Josephine auch in ihrer „flying machine“ in Lebensgefahr, dem Feuer ihres Gatten ausgeliefert, und keiner der Detektive am Boden kann sie dann mehr schützen. Es gibt nur eine Möglichkeit für Isaac Bell: Er muss selbst lernen, ein Flugzeug zu lenken und so nah am Ziel zu bleiben.

Doch auch das erweist sich als nicht hinreichend – denn es gibt am Boden Sabo­teure, die das Rennen manipulieren und stören. Das hat wohl auch mit dem Preisgeld von 50.000 Dollar zu tun, für das manch einer über Leichen gehen würde. Maschinen explodieren oder stürzen ab. Es kommt zu Morden. Perma­nente Aufmerksamkeit, ständiges Misstrauen gegen jedermann ist zwingend er­forderlich und kostet unendlich viele Nerven.

Und dann ist da noch das Rätsel um Marco Celere, dessen Leiche nie gefunden wurde. Wahrscheinlich ist sie in dem Fluss, in den sie stürzte, weggetrieben worden. Aber Morde ohne Leichen machen Isaac Bell immer nervös, und ver­schiedene Gelegenheiten, zu denen Harry Frost tot geglaubt wird, bestärken ihn in seiner Skepsis. Er beginnt auch in diesem Punkt zu recherchieren und stößt auf rätselhafte Dinge. Warum etwa bezeichnet eine in einer Irrenanstalt einsit­zende, bildhübsche Italienerin Celere als „Dieb“? Gibt es hier noch ein Geheim­nis, und geht es bei diesem atemberaubenden Rennen durchaus nicht nur um einen durchgedrehten Ehemann, der seine Gattin ins Jenseits befördern möch­te, sondern noch um weitaus mehr?

Als Isaac Bell die weit verstreuten Puzzleteile zusammenfügen kann, ist es fast zu spät, um eine beispiellose Katastrophe zu verhindern …

Ich habe mich auf diesen Roman gefreut. Das zu leugnen, wäre vollkommen sinnlos. Dafür spricht auch, dass ich ihn mir gleich nach Erscheinen 2013 zum Normalpreis kaufte, was in der Regel bei mir eher selten ist. Dass ich ihn den­noch drei Jahre im Schrank stehen ließ, hatte mit einem Effekt zu tun, den Gourmets vielleicht auch kennen – wenn man sich die Vorfreude möglichst lan­ge erhält, mundet die Speise noch besser, als wenn man sie sofort verzehrt, nachdem man sie sich leisten kann. Das ist mit diesem Buch ähnlich. Ich habe mir denn auch Zeit gelassen, es zu lesen … was bedeutet, dass ich sechs Tage da­für brauchte und jede Minute der Lektüre genossen habe.

Sicherlich, es hörte sich schon etwas kurios an, wenn ich manchen Leuten er­zählte „Ich lese gerade einen Roman über ein Flugzeugrennen im Jahre 1910“. Das hört sich wirklich nicht so spektakulär an, zumal wenn man weiß, wie wenig ich mit Technik üblicherweise anzufangen weiß. Und ja, wenn es allein um den rasenden Ehemann gegangen wäre oder um das Flugrennen, dann wäre das si­cherlich nur halb so unterhaltsam gewesen … aber das ist ja eben nicht die gan­ze Geschichte, sondern vielleicht nur ein Viertel.

Es gibt da beispielsweise noch das Rätsel um Marco Celere, sein rätselhaftes Verschwinden, um sein Leben und seine Taten. Es geht um die Frage, was Harry Frost noch vereiteln will, abgesehen vom Weiterleben seiner Gemahlin. Es gibt zahlreiche kleinere Geschichten, die in die Story verwoben sind, wir erleben Sa­botage, Attacken, raffinierte Gegenangriffe und merken sehr schnell, dass Bell hier wieder einem Feind gegenübersteht – genau genommen sind es mehrere – , der über schier unbegrenzte Mittel und Verbündete verfügt und, ganz wie ein unfassbarer Terrorist, aus dem Hinterhalt zuschlägt. Dagegen sind die Mittel Van Dorns und seiner Detektive durchaus begrenzt, und die Technik ist hier so­wohl Hilfsmittel wie Teil des Problems.

Am gefährlichsten ist aber wohl die allgemeine Meinung, die in einem Gespräch Bells mit einem Buchmacher zum Ausdruck kommt. Als Bell ihm sagt, er solle ihm Informationen über Harry Frost geben, läuft das Gespräch anders, als er­wartet:

Hören Sie auf, Johnny. Sie sind kein Anfänger. Sie wissen genau, dass die Van Dorns Leute beschützen, die ihnen behilflich sind.“

Vor Harry Frost? Dass ich nicht lache.“

Die Buchmacher scheinen ganz der Ansicht zu sein, dass die Paarung Van Dorn-Detektive gegen Harry Bell eine unausgeglichene Partie ist, bei der der Sieger von vornherein feststeht – und es sind nicht die Van Dorns!

Und in der Tat: Geraume Zeit sieht es ganz so aus, als seien Bell und seine Man­nen dem Gegner unterlegen, dessen Attacken immer raffinierter und perfider werden. Harry Frost scheint einer Katze ähnlich, neun oder mehr Leben zu be­sitzen, und während er gleich einer Amok laufenden Lokomotive für Chaos und Tod sorgt, wirkt er nahezu unangreifbar.

Es wird weiß Gott nicht langweilig in dem Roman, der leider deutlich kürzer als der letzte ist und ein wenig den Eindruck erweckte, er sei ebenso rasant ge­schrieben worden, wie das Rennen selbst abläuft. Hatte ich übrigens die ande­ren Feinde schon erwähnt, die das Buch zu einem Abenteuer machen, ebenso wie das Rennen selbst? Nun, da wäre noch das widrige Wetter zu nennen, das mit unberechenbaren Böen, Tornados, Nebel und Stürmen die Flieger vom Him­mel holen kann, und die Technik, die 1910 natürlich noch, was die Fliegerei an­geht, in den Kinderschuhen steckt. Stress gibt es für die Flieger also genug, und Nervenkitzel für den Leser dito.

Aber was ich sagen wollte … es fällt schon auf, dass die Personencharakterisie­rung manchmal auf der Strecke bleibt. Manche Flieger werden nur äußerst blass und en passant charakterisiert, auch hätte ich mir am Schluss deutlich mehr Aufklärung über ein paar Dinge gewünscht. Da wurde etwas zu hastig ge­arbeitet. Doch wer den Roman verschlingt oder ein wahrer Fan ist, der wird der­lei kleine Schrammen am Gesamtwerk kaum der Rede wert finden.

Ein solider, sehr empfehlenswerter dritter Gemeinschaftsroman von Cussler und Scott, wobei anzunehmen ist, dass Cussler kaum viel mehr als nur die Idee beigesteuert hat. Auf den nächsten Roman kann ich mich durchaus schon freu­en … und es liegen ja schon mehrere auf Deutsch vor. Vertraut mir – die Lektüre wird nicht sehr lange auf sich warten lassen.

© 2016 by Uwe Lammers

Auch in der kommenden Woche folgen wir dem modernen Vermischungspfad der Genres. Hatten wir es eben mit einem historischen Krimi zu tun, so geht es dann um die Rivalität zwischen zwei Dieben verschiedenerlei Geschlechts, die sich dann auch erotisch näher kommen.

Mehr in sieben Tagen an dieser Stelle.

Bis dann, Freunde, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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