Rezensions-Blog 265: Unterbrich mich nicht, Gott

Posted April 22nd, 2020 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

Jugendbücher sind ein interessanter Teil der Gegenwartsliteratur, und wenn sie den phantastischen Bereich tangieren – was zunehmend häufiger der Fall ist – , dann kann es sich dabei tatsächlich um recht bemerkenswerte Werke handeln. Leider, leider, gibt es auch ausgesprochen seichte Vertreter dieses Genres, wie ich zumindest finde. Und die dann diplomatisch zu rezensieren, ist nicht wirk­lich einfach.

Als ich das vorliegende Werk 2006 geschenkt bekam (von einer enttäuschten Leserin, wie ich unten schreibe, die inzwischen leider verstorben ist), ließ ich mich, zur damaligen Zeit schon Harry Potter-gestählt, auf dieses verblüffende Leseabenteuer ein. Und ich machte die etwas ernüchternde Entdeckung, dass die Leseansprüche von amerikanischen Jugendlichen doch offenkundig von den meinen grundverschieden waren. Während die Autorin für dieses Buch in den Staaten ausgezeichnet wurde, fand ich es eher durchsichtig und schlicht. Es blieb denn auch nicht in meinen Bücherregalen … was der Grund ist, warum ich vergaß, die ISBN zu notieren.

Einen Aspekt, der das Buch dann vielleicht aber doch lesenswert machen mag und der mir eine gewisse Neugierde erhielt, war dieser: es geht formell um Le­ben nach dem Tod und die Konfrontation von Jugendlichen genau damit. Damit verbindet sich ein gewisser pädagogischer Anspruch, überzuckert von christlich-naiver Religionsüberzeugung, was fraglos auf US-amerikanisches Jugendpubli­kum zugeschnitten ist. Aber der Gedanke, durch diese inhaltliche Volte dieses an sich sehr ernste Thema Jugendlichen nahe zu bringen, hat schon etwas.

Und wie sieht das jetzt genau aus? Nun, dafür solltet ihr weiterlesen:

Unterbrich mich nicht, Gott

(OT: David v. God)

von Mary E. Pearson

Ravensburger Taschenbuch Band 58177

128 Seiten, TB, 2002

Deutsch von Mechtild Testroet

David James ist ein Teenager auf einem Klassenausflug, und eigentlich findet er das alles ziemlich uncool. Seine Mitschüler vom Biologie-Leistungskurs und ihre Lehrerin Mrs. Dunne, die sind ihm auch nicht so rasend sympathisch. Am liebs­ten würde er mit seinem Freund Jason – auch im Bio-Leistungskurs – eigentlich viel eher Mädchen aufreißen, wie das männliche Teenager halt so tun, und Ja­son kann das echt am besten. Aber nein, stattdessen ist er in diesem vermale­deiten Bus … und erlebt auf einmal das größte Abenteuer seines Lebens. Oder das letzte, je nachdem, wie man das sieht:

Der Bus kriegt nämlich während der Fahrt eine Kurve nicht, und das nächste, was David mitbekommt, ist, dass er irgendwie ziemlich tot aussieht, über und über mit Blut bedeckt … und dann erst realisiert er, dass er auf sich hinab­schaut!

Oh Gott! Ich mach dieses Schwebeding! Das ist nicht gut“, meint er erschro­cken und versucht, die Sache irgendwie in den Griff zu bekommen, zu seinem schlaffen Körper hinabzutauchen. Was nicht klappt. Ehe er begreift, was los ist, findet er sich mit seinen Schulkameraden in einem Bus wieder, der durch ein Wolkenmeer pflügt, mit so einem schrillen Busfahrer namens Leonardo, der in seinem Büchlein nachliest, ob er auch alle Seelen, die ins Jenseits sollen, so richtig eingesammelt sind.

Flugziel: Himmel! Und zwar für immer.

Tja, nur machen auch Engel Fehler, wie es scheint, denn Leonardo sollte eigent­lich einen „David Jones“ einsammeln. Er hat halt in der Tat einen Fehler ge­macht, auch bei der Super-Intelligenzbestie des Bio-LK, Marie Smythe, die man allgemein die Byte-Bitch oder Königliche Hoheit Prinzessin Pappnase nennt, weil sie sich so gar nichts aus Jungs und stattdessen eher auf Streberin und ul­tracool macht.

Egal, sagt Leonardo, erst mal hoch zum Bahnhof.

David will eine Aussprache mit Gott … und erfährt, dass er dafür einen Wett­kampf bestreiten muss. Befragt, worin er denn am besten sei (Boxen? Ring­kampf? Bogenschießen? Poker …?), ist David eine Weile recht ratlos, schließlich verfällt er darauf, dass er im Debattieren am besten sei – ist er doch (wie Marie) Mitglied im Rhetorikclub des Colleges. Dass das in seinem Fall eine Strafverset­zung war und er eigentlich im Wesentlichen nur eine große Klappe besitzt, das kristallisiert sich für den Leser schnell genug raus. Doch da ist das Kind schon in den Brunnen gefallen, und große Anzeigetafeln machen im Himmel bekannt: „Die große Debatte! David gegen Gott. Morgen um 9.00 Uhr. Jeder ist willkom­men.“

Und David bekommt Muffensausen. Nicht nur, weil die einzige Person, die ihm helfen darf und will, Marie Smythe heißt …

Bei diesem Werk handelt es sich um ein Jugendbuch, das ich vor ein paar Jah­ren geschenkt bekam von einer Philosophin, die sich davon deutlich mehr er­hofft hatte, als es hielt. Okay, dachte ich, warum nicht mal so etwas lesen? Vor­teil: Das Buch ist dünn, es liest sich extrem schnell, und es ist sehr schlicht ge­schrieben. Ein wenig nervig ist natürlich die auch in dieser Rezension anklingen­de und im Buch exzessiv verwendete Jugendsprache (da wimmelt es nur so von „cool“, „voll krass“, „hip“ usw.). Und wenn man sich erst mal ein wenig eingele­sen hat, ist die Struktur des Buches äußerst kristallklar und linear. Großartige Überraschungen hat man eigentlich nicht zu gewärtigen.

Zudem fällt einem informierten Leser eine interessante Parallele zwischen den Hauptpersonen dieses Buches und Joanne K. Rowlings „Harry Potter“ auf, ins­besondere bei der Gestalt der Marie (= Hermine Granger bei HP). Die in San Diego lebende Autorin Mary E. Pearson, deren erster Roman dies ist, hat also sichtbar die Lebenserfahrungen mit ihren zwei Töchtern und ihre eigenen Le­seerfahrungen bezüglich Harry Potter in dieses Buch gemixt und die Schicksals­katharsis von Marie und David, die – natürlich – letztlich zueinander finden über das Bindeglied des Ausflugs in den Himmel, miteinander verknüpft.

Nette Idee, zugegeben, aber nichts überragend Neues oder stilistisch Aufregen­des, wie ich finde. Mag sein, dass sie für das Buch in den Staaten schon mehre­re Auszeichnungen bekommen hat, aber ich halte es in vielerlei Belangen für durchschnittlich. Selbst für ein Jugendbuch hätte man erheblich mehr daraus machen können oder eben nicht nur als Leserempfehlung „Lesealter: Jugendli­che aufwärts“ hinten winzig drauf drucken sollen. Ab spätestens 30 Jahren, so meine Einschätzung, haut das Buch niemanden mehr vom Hocker. Ich kann die Enttäuschung der über 70jährigen Erstleserin also verstehen …

Dennoch: Vielleicht bin ich einfach ein garstiger Schrat oder ein zu anspruchs­voller Leser? Das sollte jeder Interessierte selbst nachprüfen.

© 2006 by Uwe Lammers

Ja, manchmal muss hier auch eher schlichtes Lesefutter geboten werden, es kann ja nicht immer so sein, dass die Köpfe rauchen, nicht wahr? Dafür wird es in der kommenden Woche umso unheimlicher. Wir landen dort nämlich in den monströsen Welten von Howard Phillips Lovecraft.

Bis dann, Freunde!

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Leave a Reply

XHTML: You can use these tags: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>