Rezensions-Blog 273: Der Schatz des Piraten

Posted Juni 16th, 2020 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

allein der Titel ließ meine Augen schon leuchten, als ich von dem Buch vor ein paar Jahren erfuhr. Piratenschätze … Schatz­insel … vergrabenes Gold … karibische Sonne … Fallensysteme, Schatzkarten … das war, ungelogen, der Stoff, aus dem die Abenteuer sind, und zwar zu einer Zeit, als ich noch nicht ein­mal daran dachte, selbst Geschichten zu schreiben. Etwa so um das Jahr 1975 herum. Es ist also schon ziemlich lange her.

Gleichwohl hat mich das Schatzsucherfieber nie losgelassen. Meine lebenslange Leidenschaft für Archäologie, untergegange­ne Kulturen, verborgene Grabmäler und antike Mysterien lässt sich exakt hierauf zurückführen. Ein wichtiger Wegweiser, den ich auch im Rezensions-Blog schon besprochen habe, war vor langer Zeit „Götter, Gräber und Gelehrte“ von C. W. Ceram – ein Buch, das bis heute nur wenig von seinem Charme eingebüßt hat und das ich für die neunmalklugen Heranwachsenden zur früh­zeitigen und wiederholten Lektüre immer noch empfehlen kann. Am besten flankiert von Museumsbesuchen und zahlreichen an­deren Möglichkeiten, sich medial in untergegangene Kulturen und in die Lebensläufe von Forschern einzuklinken, die derlei Hinterlassenschaften untersuchen und heutzutage auswerten.

Als ich also las, dass der nächste Roman des Schatzsucherehe­paars Sam und Remi Fargo von Clive Cussler & Co. genau von so etwas handeln würde, da fand ich das toll. Ich ließ mir das Buch 2018 schenken und wartete dann ziemlich genau ein Jahr, ehe ich es binnen von nur drei Tagen heißhungrig verschlang.

Na ja … also, wenn ich genau bin, stellte sich eine gewisse Er­nüchterung schon sehr bald bei der Lektüre ein, und ich habe das in der Rezension auch unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Es geht im Grunde nicht WIRKLICH um einen Piraten­schatz, und der Pirat, der eher so nebenbei die Geschichte tan­giert, ist mehr Mittel zum Zweck als Ziel oder gar Zentrum der Geschichte.

Aber worum genau geht es denn dann in diesem Roman? Das herauszufinden, das könnte eure Aufgabe sein, wenn ihr neugie­rig genug geworden seid, um hier nun weiter lesen zu wollen:

Der Schatz des Piraten

(OT: Pirate)

Von Clive Cussler & Robin Burcell

Blanvalet 0510; 2018, 9.99 Euro

448 Seiten, TB

Übersetzt von Wulf Bergner

ISBN 978-3-7341-0510-4

Sam und Remi Fargo, freiberufliche Schatzsucher aus Leiden­schaft und finanziell unabhängig, wollen eigentlich nur eine ru­hige Urlaubswoche verleben, die Sam seiner Frau seit längerem versprochen hat. Sie haben wirklich ein paar stressige Monate hinter sich, und bei einem ihrer letzten Fälle wurde sogar ihr heimisches Nest in La Jolla übel zugerichtet und musste von Grund auf renoviert und neu gegen unbefugte Eindringlinge ge­sichert werden.

Höchste Zeit für einen Erholungsurlaub, eindeutig.

Um für das renovierte Büro ihres Mannes noch eine historische Preziose zu erwerben, fahren sie beide nach San Francisco und finden hier im Antiquariat von Gerald Pickering eine alte Ausga­be von Pyrates and Privateers. Bree Marshall, Pickerings Nichte und im Dienst der Fargos für Geldbeschaffung zuständig, hat ih­nen diesen Tipp gegeben.

Dummerweise rasseln sie mitten in einen Raubüberfall hinein. Sie bekommen zwar das Buch – nach Pickerings Angabe leider nur ein Nachdruck made in China, aber sehr gut gemacht – , doch es gelingt ihnen, den Räuber zu vertreiben. Remi schickt das Buch unverzüglich mit der Hotelpost nach La Jolla … dann soll ihre Erholungswoche beginnen.

Stattdessen beginnt sie am nächsten Tag mit dem Mord an dem Antiquar Pickering. Und während die Fargos noch von der Polizei verhört werden, durchwühlen Unbekannte ihr Hotelzimmer auf der Suche nach etwas, was „Schlüssel“ genannt wird. Auf diese Weise kreuzen sich unabsichtlich die Pfade der Fargos und des Besitzers der Avery Company, Charles Avery. Zugleich ist eine ganze Weile unklar, was eigentlich los ist. Ein chinesischer Nachdruck eines Piratenbuches aus dem 17. Jahrhundert ist doch sicherlich keinen Mord wert, oder etwa doch?

Als die Fargos überrascht daheim entdecken, dass sie das Origi­nal besitzen und zudem hinter einer der Karten ein rätselhafter Umschlag steckt, wird ihnen allmählich klar, dass ihr noch unbe­kannter Gegner offensichtlich auf einer Schatzsuche ist und sie ihm in die Quere kommen. Das wird noch deutlicher, als sie von zahlreichen Fällen erfahren, bei denen in Bibliotheken aus ande­ren alten Ausgaben dieses Buches die Karten gestohlen wurden.

Als auch noch Bree Marshall Ziel einer Entführung wird und ihre Cousine Larayne Pickering-Smith, die Tochter des ermordeten Antiquars, überfallen wird, entschließen sich die Fargos dazu, ihren Erholungsurlaub noch etwas aufzuschieben. Offensichtlich sucht Mr. Avery den direkten Krieg mit den Fargos. Na schön, denken sie sich, den kann er bekommen. Dieser brutalen Dumpfbacke gönnen sie jedenfalls nicht den Schatz, worin auch immer er bestehen mag.

In einer zunehmend dramatischer werdenden Konkurrenzjagd reisen die beiden Teams von Schatzjägern den verstreuten, höchst kümmerlichen Hinweisen nach, die dieses historische Mysterium hinterlassen hat, und die Fargos sind dabei lange Zeit im Nachteil. Denn überall dort, wo sie Fährten finden, ras­seln sie mit Averys Schergen zusammen, zum Teil auf fast tödli­che Weise. So beginnen sie allmählich zu argwöhnen, dass ir­gendwo in ihrem Team ein Leck sein muss, weil der Gegner viel zu schnell und mühelos ihre Schritte nachvollziehen und mit ei­ner ganzen Söldnercrew anrücken kann, die unter der Leitung von Averys Sicherheitschef Colin Fisk steht.

Aber worum, zum Teufel, geht es bei dieser Suche eigentlich, die von den USA zunächst zu einer schlangenverseuchten Insel vor Brasilien, dann nach Jamaika und schließlich nach England führt? Dort erst beginnen die Fargos sehr spät zu begreifen, dass es um einen legendären Schatz geht, der angeblich als für immer verschollen gilt und der seit achthundert Jahren von nie­mandem mehr gesehen worden ist – und bis sie soweit kom­men, pflastern Leichen ihren Weg …

Mit dem achten Roman um das Schatzsucher-Ehepaar Sam und Remi Fargo wird vieles anders, und der Leser wie Rezensent blinzelte doch einige Male überrascht. Wovon er sich weniger überrascht zeigte, war der erneute Wechsel des Coautors. Das ist man von den Fargo-Kooperationsromanen Clive Cusslers lei­der schon gewohnt. Kein Autor scheint hier länger als drei Ro­mane durchzuhalten, so dass vielfach „das Rad neu erfunden wird“, wie es scheint. Statt eine Kontinuität Einzug halten zu las­sen, wie es etwa bei den NUMA-Abenteuern oder den Romanen um Juan Cabrillo und seine „Corporation“ der Fall ist, muss sich jeder Autor wieder an die Figuren gewöhnen, die der Leser doch schon so lange kennt. Das führt zur mantrahaften Wiederholung von Bekanntem und ist ein wenig unschön.

Verblüffender gestaltete sich die Tatsache, dass mit Robin Bur­cell erstmals eine Co-Autorin (!) auftritt, und das machte dann schon neugierig. Würde der Roman so etwas wie eine typisch weibliche Note erhalten? Noch mehr überraschte, dass von dem traditionellen Übersetzer Michael Kubiak abgegangen wurde (möglicherweise war er von der Flut der Cussler-Publikationen überfordert und konnte nicht alle bewältigen). Ebenfalls schade fand ich, dass dieses Fargo-Abenteuer fast 100 Seiten kürzer war als der vergangene Band. So war das Lesevergnügen nach drei Tagen bereits wieder vorbei. Der geringere Umfang war, wie das meist so ist, ein schlechtes Zeichen.

Lesevergnügen dagegen ist ein gutes Stichwort. Denn natürlich ist das ein wesentlicher Punkt für eine Rezension. Das Setting – Fargos, Schatzsuche – ist vertraut. Also fragt man sich dann schon, wie viel Spaß bereitet die Lektüre? Und hat der Verlag wenigstens diesmal halbwegs sinnvoll die Veröffentlichung reali­siert? Letzteres muss leider negativ beschieden werden. War­um?

Nun, ein Blick auf das Cover zeigt ein in tropischem Setting ge­strandetes Schiff des 20. Jahrhunderts, augenscheinlich ein Frachter. Hat mit dem Inhalt rein gar nichts zu tun. Das war also schon mal nichts. Dann der Titel: Geht es um den „Schatz eines Piraten“ oder generell – englischer Titel – um einen „Piraten“? Nicht wirklich. Captain Bridgeman, so der Deckname des Piraten Henry Every (!), nach dessen Hinterlassenschaft gefahndet wird, taucht weder im Prolog des Romans (der im 13. Jahrhun­dert spielt!) auf noch sonst irgendwo im Roman. Letzteres wäre auch ohne Reinkarnation schwer möglich, da das ja alles im 21. Jahrhundert handelt. Man stellt schlussendlich fest, dass der Pi­rat, um den es da angeblich gehen soll und von dem man nur recht wenig erfährt, lediglich ein Bindeglied ist. Das eigentliche Zentrum des Romans liegt vollkommen woanders. Da kann man doch schon, wenn man halbwegs auf „Fluch der Karibik 2“ ein­gestellt ist oder vielleicht auf so etwas wie „Die Schatzinsel“, das Gefühl bekommen, man sei verschaukelt worden. Wer auf so etwas also hofft, sollte sich den Roman lieber nicht kaufen. Da sind lange Mienen zu erwarten.

Was allerdings geboten wird und, meiner Ansicht nach, durch die Knappheit der Darbietung und vielleicht auch die ungewohn­te Übersetzung, leider ein wenig zu kurz kommt, ist eine an­sonsten recht vergnügliche Schnitzeljagd über unterschiedlichs­te Ziele, unterbrochen durch Verfolgungsjagden und Entführun­gen a la Doc Savage. Sie wird auch durchaus launig und mit hu­morvollen Intermezzi in Szene gesetzt, unbestreitbar. Wenn die Autoren den Protagonisten mehr Raum gegeben hätten, sich zu entfalten und Persönlichkeit zu entwickeln, wäre die Geschichte allerdings deutlich lebhafter geworden. Ein komplexes psycholo­gisches Setting und eine ausführliche Charakterzeichnung, wie sie sich etwa in vielen Romanen von James Rollins ausdrücklich zeigt, fehlen hier leider zur Gänze. Wir bekommen viele sche­matische Protagonisten zu sehen, zahlreiche schlicht gezeichne­te Bösewichte, die zwar nicht zu unterschätzen sind, aber doch auch nicht die großen Geistesleuchten sind. Über „böse Scher­gen“ geht deren Charakterisierung in den seltensten Fällen hin­aus, und das ist schlicht ungenügend.

Sehr bedauerlich fand ich in der zweiten Hälfte der Geschichte, dass die Intervention von Averys in Scheidung befindlicher Frau Alexandra nicht besser eingearbeitet wird (so ziemlich das einzi­ge Element, das auf eine weibliche Autorenbeteiligung hin­weist). Das hätte so interessant werden können, etwa auf fol­gende Weise: Bekanntlich liefern sich Colin Fisk und sein Team mit den Fargos einen Wettlauf um die Auffindung des Schatzes. Alexandra, die ihren Mann verlassen will und Zugriff auf seine Konten hat und sie sperren lässt, taucht überraschend bei Fisk auf und beschließt, mit ihm gemeinsame Sache zu machen. Wäre es am Ende des Romans nicht faszinierend gewesen, wenn Avery davon Wind bekommt und daraufhin argwöhnt, dass Alexandra und Fisk gemeinsame Sache gegen ihn ma­chen? Das hätte eine interessante Dramatisierung der Schluss­kapitel ermöglicht. Diese Chance wird vollständig verschenkt wie auch viele andere.

Ja, der Roman liest sich durchweg flüssig, aber ich würde jetzt nicht sagen, er wäre im Vergleich zu den vorherigen Coautoren und deren Werken der große Wurf. Viele der vertrauten Perso­nen fungieren nur als Stichwortgeber am Rand und bekommen kein Eigenleben, und daran kann auch das erstaunliche Perso­nenverzeichnis am Anfang des Romans (5 Seiten!!), das man gar nicht gewohnt ist, nichts ändern. Der Übersetzer hielt das wohl für notwendig, damit die Leser wissen, wer wer ist (ange­sichts der Austauschbarkeit vieler Figuren schätzungsweise sinnvoll). Das hat dann aber auch dazu verführt, die Personen nur flüchtig zu charakterisieren, was ein eindeutiger Verlust für das Buch ist.

Beim nächsten Roman wünsche ich mir dann doch etwas mehr Charaktertiefe und weniger Schematismus. Dieses Werk erhält darum nur ein „Akzeptabel“ als Wertung. Für bessere Wertung müssen sich die beiden dann doch mehr anstrengen.

© 2019 by Uwe Lammers

Ihr merkt, ich war dann nach der Lektüre doch ziemlich ernüch­tert. Üblicherweise nehme ich ja an – und werde darin in der Re­gel bestätigt – , dass ein neuer Coautor sich erst mal mit einem besonders beeindruckenden Einstieg etablieren möchte. Das Gefühl hatte ich hier leider nicht.

Im Vergleich dazu komme ich in der kommenden Woche auf ei­nen Roman zu sprechen, der rund 25 Jahre älter ist als dieser, deutlich kürzer und dennoch mehr Gehalt aufweist. Alter, merkt man daran, ist nicht immer gleich „veraltet“, und Menge nicht automatisch gleich mehr Gehalt.

Worum es genau geht? Das erfahrt ihr in einer Woche genau hier.

Bis dann, Freunde, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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