Rezensions-Blog 34: Cyclop

Posted November 18th, 2015 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

heute folgt mir einfach mal in eine Rezension zum Werk jenes Mannes, der bis­lang schon viermal direkt bzw. indirekt in dieser Rezensionsreihe zum Vorschein kam (Blogeinträge 8, 11 und 14 indirekt – bei den Fargo-Abenteuern, einmal im Blogeintrag 23 direkt): Clive Cussler. Den Mann vorzustellen, scheint mir kaum mehr erforderlich. Er ist nach wie vor reichlich in den deutschen Buchhandlun­gen vertreten und in den internationalen Bestsellercharts sowieso.

Dieser Roman, „Cyclop“, wurde von mir nach 22 Jahren ein zweites Mal gele­sen, was beweist, dass das Aufheben mancher Bücher tatsächlich zu einer Zweit- oder Drittlektüre im Laufe der Zeit führen kann. Wiewohl ich mal jeman­den kannte, der jedes gelesene Buch nach der Lektüre weggeworfen hat (!), so ist eine derartige Form der absurden Verschwendung mit mir nicht zu realisie­ren.

Vermutlich hätte ich die Rezensionen in der Reihenfolge publizieren sollen, in der ich sie geschrieben habe, und üblicherweise – etwa bei Peter F. Hamilton – mache ich das zyklusintern natürlich auch. Aber da ich früher keine Cussler-Re­zensionen verfasst habe, das ist etwa ein Phänomen der vergangenen zehn Jah­re, kann es euch öfters passieren, dass ich „alte“ Romane wie diesen hier gewis­sermaßen zwischen den „neueren“ Kooperationsromanen (Fargo usw.) veröf­fentliche. Stoßt euch nicht dran, Freunde.

In diesem Fall war die Neulektüre besonders interessant, weil ich gerade paral­lel Sachbücher las (ebenfalls auch nach Jahrzehnten zum zweiten Mal), weil ich mich mit dem Bermuda-Dreieck beschäftigte. Und da stolperte ich über den Na­men „Cyclops“ – in der deutschen Version etwas unglücklich in „Cyclop“ einge­deutscht, was keinen rechten Sinn ergibt, denn korrekt hätte es dann „Zyklop“ heißen müssen. Leider geht es weder um Zyklopen noch um „Cyclop“, sondern um ein Schiff namens U. S. S. CYCLOPS. Da geriet der Verlag augenscheinlich in Formulierungsprobleme. Konkret, Freunde, geht es also um folgendes:

Cyclop

(OT: Cyclops)

von Clive Cussler

Blanvalet Hardcover 1988

Aus dem Amerikanischen von Michael Görden und W. M. Riegel

520 Seiten, geb.

ISBN 3-442-06235-4

Die See ist voll von unheimlichen Geschichten, und jeder belesene Mensch, der ein wenig Kenntnis von den zahllosen Erzählungen hat, die sich um das Meer ranken, weiß zur Genüge, dass die dunkle, kalte Fläche des Ozeans Myriaden von Geheimnissen gut und manchmal ewig hütet. Dem Zauber und den Myste­rien des Meeres kann man sogar – wie in meinem Falle – dann verfallen, wenn man Nichtschwimmer ist. Bücher ersetzen zu einem Gutteil die eigenen physi­schen Erfahrungen, und dies ist besonders dann der Fall, wenn man jung ist, über eine äußerst rege Phantasie verfügt und sich in der Geschichte, die man liest, Wahres mit Fiktivem paart.

So erging es mir etwa 1983, als ich das Buch „Geisterschiffe“ von Vincent Gad­dis las und, etwa zur gleichen Zeit, das Buch „Das Rätsel des Bermuda-Drei­ecks“ von Martin Ebon.1 Hier begegnete mir eines dieser verwunschenen Schif­fe, und es trug den Namen U. S. S. Cyclops.

Die U. S. S. Cyclops war ein betagter, robuster Kohlenfrachter unter dem Kom­mando des etwas exzentrischen und vielleicht leichtsinnigen Kapitäns George Worley. Im Februar 1918 lief das Schiff mit mehr als 300 Mann Besatzung und einer großen Ladung Manganerz von Rio de Janeiro in Richtung Baltimore aus. Mit an Bord war der amerikanische Generalkonsul Alfred Gottschalk.

Die Cyclops wurde nie wieder gesehen. Nach den gängigen Vermutungen wurde sie wenige Wochen später eines der zahlreichen Opfer des berüchtigten Bermu­da-Dreiecks. Allgemein wird angenommen, dass sie überladen war, in schwerer See durch ungünstige Verlagerung der Ladung umschlug und mit Mann und Maus unterging. Andere Lesarten gehen davon aus, dass eine der monströsen „Freak Waves“, also der Monsterwellen, sie schlicht in die Tiefen des Ozeans gestampft hat. Heute sind solche Wellen gut dokumentiert, und zweifellos gehen viele der früher als mysteriös angesehenen Havarien von Schiffen auf das Konto solcher Erscheinungen.

Nun stieß ich wenige Jahre nach der Lektüre der oben genannten Bücher auf den Schriftsteller Clive Cussler, dessen abenteuerliche Schreibe mir gut gefiel, und noch mehr fand ich es packend, dass Cussler stets reale Schiffsunglücke und ähnliche Mysterien der See zum Aufhänger nahm, um daran eine Abenteu­ergeschichte aufzuhängen.

Im Herbst 1990 entdeckte ich dann dieses Buch, und sofort war die Erinnerung an das verschollene Schiff, an das Bermuda-Dreieck und so weiter wieder da. Was, so überlegte ich mir, hat Cussler wohl daraus gemacht? Jetzt, da ich knapp 22 Jahre später das Buch noch ein weiteres Mal gelesen habe (das erste Mal im November 1990), kann ich die Frage im Rahmen der vielen Cussler-Rezensio­nen, die ich in den letzten Monaten schrieb, beantworten. Das also macht Cuss­ler aus dem Mythos der verschollenen „Cyclops“:

In der Tat bricht der Frachter im Februar 1918 aus Brasilien auf, aber an Bord ist eben nicht nur das Manganerz und der Generalkonsul, sondern auch eine große Truhe und ein ausgezehrter, kranker, von Fieber geschüttelter Mann, den Gott­schalk mit an Bord gebracht hat. In der Truhe befindet sich ein legendärer Schatz, und leider ist das Verhängnis ebenfalls mitgereist. Am Ende des Prologs schließen sich die Wogen über dem unglücklichen Schiff und seinen Passagie­ren.

Dann wird in die Gegenwart umgeblendet, in der die ganze restliche Handlung spielt… oder das, was in Cusslers Romanen Gegenwart ist. In diesem Buch be­ginnt die am 20. Oktober 1989 in Florida. Da der Roman selbst aber 1986 ge­schrieben und 1988 in Amerika publiziert wurde, erlebt der Leser das inter­essante Phänomen, quasi sehr nahe Science Fiction zu lesen (was freilich durch die Zeitspanne zwischen Ersterscheinung und Übersetzung, in der die temporä­re Kluft mehr als überwunden wird, zunichte gemacht wird – doch das nur ne­benbei).

Die Welt befindet sich noch immer im Kalten Krieg. Die USA bauen im Orbit die Raumstation „Columbus“, die Russen sind dabei, eine Reihe von Mondsonden zum Erdtrabanten zu lenken, die „Selenos“-Sonden. Seltsamerweise sind drei davon schon abgestürzt. Dessen unverdrossen bereiten die Russen den Start der nächsten Selenos-Sonde, Selenos-8, vor. Derweil ist Kuba in der Karibik im­mer noch von Fidel Castro beherrscht, stöhnt unter dem amerikanischen Wirt­schaftsembargo seit über 30 Jahren, und dann stürzt auch noch eine der ge­scheiterten Selenos-Sonden in die Karibik.

Offiziell haben die Russen und Kubaner die Sonde gefunden und geborgen, aber die CIA berichtet Gegenteiliges, also offensichtlich eine gute Gelegenheit, sich die sowjetische Raumfahrttechnik einmal genauer anzusehen. Außerdem gärt es zudem auf Kuba – es hat den sehr vagen Anschein, als suche Fidel Castro An­schluss an die USA und versuche, die Russen gewissermaßen von der Insel zu werfen. Die Lage ist einigermaßen kribbelig, niemand weiß Genaues. Unter die­sen Ausgangsvoraussetzungen startet der reiche amerikanische Verleger Ray­mond LeBaron eine Reise mit seinem fast schon antiken Luftschiff „Prosperteer“ (benannt nach seiner Zeitschrift). Nach außen lässt er verlauten, er suche nach dem Wrack der verschollenen „Cyclop“, auf der er einen Schatz vermutet. Er startet, verschwindet von den Radarschirmen und wird nicht mehr gesehen.

Kurze Zeit später taucht beim Präsidenten der Vereinigten Staaten ein Mann auf, der ihm einen ungeheuerlichen Plan enthüllt, den der Präsident nicht glau­ben kann: innerhalb der Regierungsstellen gibt es eine geheime Parallelstruktur, und diese Parallelstruktur hat es viele Jahre zuvor geschafft, quasi innerhalb der Weltraumbehörden eine weitere Mondlandung zu initiieren – mit dem Ziel, auf dem Mond eine amerikanische Kolonie zu gründen, „Jersey Colony“. Und nach diesen Informationen besteht die Kolonie tatsächlich schon seit sechs Jahren höchst erfolgreich, bemannt mit einer kleinen Gruppe von Wissenschaftlern. Nur leider ist dieses Projekt nun in Gefahr durch die russischen Selenos-Sonden.

Naturgemäß glaubt der Präsident kein Wort davon – bis kurz darauf das ver­schollene Luftschiff „Prosperteer“ wieder in der Karibik auftaucht und bei einer Notlandung beinahe einen Hotelkomplex rammt und um ein Haar explodiert. Nur ein tollkühner Surfer verhindert mit seiner Geistesgegenwart das Schlimms­te – ein Mann namens Dirk Pitt.

Leider gibt es bei all diesen Dingen ein Problem: die stark verwesten Leichen im Cockpit des Luftschiffs sind nicht Raymond LeBaron und seine Crew, sondern drei sowjetische Kosmonauten, und der Pathologe, der sie untersucht, schwört Stein und Bein darauf, dass die drei erfroren sind, und zwar schon vor über ei­nem Jahr!

Ehe sich der Leser versieht, befindet er sich in einem Strudel anfangs sehr bizar­rer, rasch aber immer klarer sich herauskristallisierender Ereignisse, bei denen – was für Cussler-Romane der jüngeren Vergangenheit eher unüblich ist – viele verschiedene Schauplätze und Protagonisten dem wagemutigen Dirk Pitt den Rang streitig machen. Wir haben einen dicklichen Privatdetektiv, der sich auf die Suche nach dem „Harten Kern“, der Patriotengruppe hinter „Jersey Colony“ macht; wir haben den Präsidenten selbst, der sonst als Akteur eher nicht in Er­scheinung tritt, wir haben die Crew von „Jersey Colony“ auf dem Mond (und da­mit eine klare SF-Struktur innerhalb dieses Romans), russische Militärs, einen sadistischen Folterer, eine höchst energische wie undurchsichtige Frau… ach ja, und dann wäre da auch noch Fidel Castro himself…, alles garniert als Sahne­häubchen mit dem Plan, Havanna buchstäblich dem Erdboden gleich zu ma­chen, um den Dritten Weltkrieg auszulösen…

Herauskommt bei dieser Mischung ein sehr unterhaltsamer Roman, wenn man jedenfalls seine Ansprüche etwas herabschraubt. Ich sage mal: so zwischen den besseren Doc Savage-Romanen und einem soliden Terra-Taschenbuch gelegen. Für Cussler-Werke nicht übermäßig brillant, aber auch nicht grottenschlecht wie beispielsweise sein „Akte Atlantis“, wo er ja die Handlungslogik mit jeder Seite beerdigt hat. Hier geschieht alles im Schnelldurchlauf, was ein bisschen schade ist, insbesondere die Suche und das Auffinden der „Cyclop“ geschieht fast ein wenig beiläufig, so dass beim Rezensenten der Verdacht keimte, dass der Kern des Romans die Agentengeschichte um „Jersey Colony“ war und Cuss­ler anschließend ein wenig gezwungen noch nach einem passenden Schatzschiff suchen musste, um dem Roman einen „Cussler-typischen“ Anstrich zu geben. Man ist geneigt, an eine stillschweigende Coproduktion mit einem nicht ge­nannten weiteren Verfasser zu denken.

Nun, vielleicht erfahren wir irgendwann, ob das stimmt. Bis dahin kann man das Buch durchaus schmökern. Wer es also auf dem Flohmarkt oder im Antiquariat entdecken sollte, könnte durchaus schlimmere Griffe machen. Es gibt eigentlich nur einen einzigen wirklichen Wermutstropfen nach der Lektüre: zu schade, dass Dirk Pitt sich später nie auf die Suche nach Eldorado gemacht hat… und wer die Anspielung nicht begreift, muss einfach mal den Roman lesen. So viel schönes Gold…

© by Uwe Lammers, 2012

Es ist natürlich nicht auszuschließen, möchte ich ergänzen, dass es irgendwann in einem Epigonenroman durchaus noch um das Geheimnis von Eldorado ge­hen wird, zumal die Coautoren ja schon ganz andere interessante Rätsel der Vergangenheit auf Cussler-Art aus dem Dunst des Vergessens auftauchen lie­ßen. Aber bislang ist das in den Romanen, die ich kenne, noch nicht geschehen. Geben wir also die Hoffnung nicht auf…

In der kommenden Woche kehren wir, vielleicht zur allgemeinen Freude, in die Baker Street 221B zurück. Ich brauche nicht sehr viel mehr Worte zu machen – wer mit der Andeutung was anzufangen weiß, wird schon von sich aus in sieben Tagen zur Stelle sein.

Ich freue mich auf eure neugierigen Blicke.

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Vgl. dazu bei Interesse die genannten Bücher: Vicent Gaddis, „Geisterschiffe“ (OT: Invisible Horizons), dt. München 1976, und Martin Ebon, „Das Rätsel des Bermuda-Dreiecks“ (OT: The Riddle of the Bermuda Triangle), dt. München 1977.

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