Rezensions-Blog 373: The Club (1) – Flirt

Posted Oktober 12th, 2022 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

Partnervermittlungen sind entgegen der allgemeinen landläufi­gen Vorstellung schon uralt, das gab es im Grunde schon seit der Antike … allerdings haben sich die Parameter und die Erwar­tungen der Betroffenen in der Zwischenzeit gründlich geändert. Während es in der Frühzeit mehr darum ging, dynastische Ver­bindungen zu arrangieren, durch Mitgift Geländegewinne zu ar­rondieren und Machtzuwachs zu erlangen – zum Teufel mit der Idee der Liebe! – , ist die Partnervermittlung der Gegenwart gründlich anders strukturiert. Hier wird schon auf passende Chemie, zusammengehörige Interessenlage und dergleichen geachtet. Und ja, im Idealfall findet man den Mann respektive die Frau fürs Leben.

Und in diese Welt taucht der vorliegende Roman die Leserschaft ein. Der namengebende „Club“ dieses siebenteiligen Romanzy­klus verfolgt (wenigstens vordergründig) das Ziel, primär sexu­elle Begegnungen zwischen passenden Partnern (matches) zu organisieren. Und das mit allem denkbaren Luxus. Was natürlich bedeutet, dass das nicht eine Vermittlungsagentur der Feld-, Wald- und Wiesenart ist, sondern ein ziemlich elitäres Unterfan­gen.

Dennoch denkt sich der Millionär Jonas Faraday dabei nicht, er könne hier die Frau fürs Leben finden, allenfalls auf angenehme Weise Geld verbrennen und seine Libido munter austoben.

Aber es kommt völlig anders …

The Club 1: Flirt

(OT: The Club)

Von Lauren Rowe

Piper (ohne Verlagsnummer), 2016

400 Seiten, TB, 12.99 Euro

Aus dem Amerikanischen von Lene Kubis

ISBN 978-3-492-06041-7

Es ist schon eine seltsame Sache mit den Irrungen des Herzens. Der griechische Philosoph Platon nannte die Liebe – in moder­nen Übersetzungen – eine Form von Geisteskrankheit, von der man nie wieder vollständig genesen könne. Und ja, in der Tat hat Liebesbesessenheit, zumal wenn sie von sehr obsessiver Art ist, einiges mit Wahnsinn gemeinsam und kann zu den eigenar­tigsten Ereignissen führen.

Schwierig ist ebenso die Erwartungshaltung oder, sagen wir, die Messlatte, die er an diesen emotionalen Ausnahmezustand an­legt. Für den einen ist das etwas geradezu Selbstverständliches, für andere eine vollkommen irreale Vorstellung, eine Art von Fe­tisch und Besessenheit. Noch schlimmer ist es, wenn man Sex und Liebe miteinander vermengt und nicht klar trennen kann. Auch erzeugt es stets Komplikationen, wenn die Partner voll­kommen unterschiedlichen sozialen Schichten entspringen. Üb­licherweise ist es in erotischen Romanen der Gegenwart dann so, dass der männliche Teil einer solchen Beziehung sehr reich ist (und üblicherweise emotional eher arm), während die Frau aus eher bescheidenen Verhältnissen kommt, aber ungeahnte innere Reichtümer und Herzenswärme ihr eigen nennt.

Der insgesamt sieben Bände umfassende Zyklus „The Club“, dessen Auftaktband hier vorliegt, spielt mit solchen Topoi, aber auf interessante und vor allen Dingen unglaublich humorvolle Weise – ich fühlte mich bei der Lektüre diesbezüglich wirklich sehr an E. L. James´ „Fifty Shades of Grey“ erinnert, die hier eindeutig als Lesehintergrund durchschimmert, auch wenn es definitiv überhaupt nicht um Sadomaso, BDSM oder dergleichen geht. Die Geschichte ist deutlich interessanter.

Jonas Faraday und sein Zwillingsbruder Joshua sind nach dem Tode ihres Vaters die wohlhabenden Erben des Unternehmens Faraday & Sons, das sie gemeinsam mit ihrem Onkel führen. So­mit haben sie sprichwörtlich Geld wie Heu. Jonas hat außerdem, das kann man nicht anders nennen, einen echten Schlag bei Frauen. Sie laufen ihm geradezu hinterher und die Bude ein, und er brüstet sich unverhohlen damit, jede, wirklich jede ein­zelne Frau zum phänomenalen Orgasmus zu bringen. Er sei ge­wissermaßen der Sexexperte schlechthin, und unverschämt gut aussehen tut er auch noch.

Als sein Bruder Josh ihm vom „Club“ erzählt, einem elitären Un­ternehmen, das sich auf die Fahnen geschrieben hat, für jedes Mitglied überall auf der Welt die idealen Sexpartner ausfindig zu machen, da lässt sich Jonas dazu überreden, ebenfalls ein On­line-Aufnahmeformular auszufüllen und eine Mitgliedschaft zu beantragen. Er hat weiß Gott genug Geld, und wenn diese Leute 30.000 Dollar für eine Monatsmitgliedschaft verlangen, müssen sie ja wirklich eine Menge bieten. Klingt für jemanden mit einer überdurchschnittlich aktiven Libido und unmöglich viel Geld nach einer zumindest interessanten Abwechslung.

So weit, so brav und vorhersehbar.

Als Jonas aber das Formular ausfüllt, was ihm durchaus schwer fällt, malt er sich aus, wer wohl auf der anderen Seite seine Da­ten ausliest und beurteilt, um ihn als „clubwürdig“ einzustufen. Und da ihn ein wenig der Teufel reitet, endet sein Antragsbogen mit einer höchst provokanten Direktansprache an „seine bezau­bernde Antragsassistentin“.

Womit er nicht rechnet, ist die Reaktion.

Auf der anderen Seite sitzt nämlich die 23jährige Jurastudentin Sarah Cruz, die aus einfachen Verhältnissen stammt und in Se­attle mühsam ihr Studium zu finanzieren sucht. Sie fühlt sich auf geradezu arrogante Weise von diesem egozentrischen Mist­kerl herausgefordert – aus mehreren Gründen. Zum einen emp­findet sie Jonas Faraday als wirklich arroganten, hochnäsigen Mistkerl, der sich als hemmungsloser und grässlich von sich ein­genommener Playboy und Egozentriker outet. Zum zweiten aber gehöre sie zu „den 10 Prozent der Frauen, die niemals in den Genuss eines Orgasmus kämen“, ganz egal, wie sehr sie sich darum bemühten. Auch ein Sexgott wie Jonas könne daran nichts ändern. Außerdem sei der Orgasmus sowieso völlig über­bewertet, und vermutlich hätten die meisten Frauen, mit denen er im Bett gewesen sei, ihn sowieso vorgetäuscht …

Jonas Faraday ist vollständig perplex, als er diese Antwortmail erhält – und er ist sofort unglaublich erregt. Eine Frau, die noch nie in ihrem Leben einen Orgasmus hatte? Gott, was hat dieses Mädel doch nur versäumt! Eine Herausforderung, wie er sie noch nie erlebt hat! Phantastisch! Er ist schon beim Lesen ihrer scharfzüngigen Antwortmail scharf. Das ist ihm so noch nie passiert. Und dann diese freche, kluge Provokation in ihrer Mail. Diese Raffinesse und die Intelligenz, die daraus spricht.

Sein Entschluss steht sofort fest: er muss diese Frau finden. Er muss wissen, wie die namenlose „Antragsassistentin“ heißt, wo sie wohnt, was sie macht, wie er sie treffen kann. Aber er weiß weder, wie sie heißt, noch wo sie lebt, wie alt sie ist oder gar, wie sie aussieht. Aber seine Phantasie läuft bereits auf Hochtou­ren.

Sie hingegen hat den Fehler begangen, die angehängten und verlangten Fotos zu öffnen. Sarahs erster Gedanke: die Bilder hat er aus einem Modejournal hochgeladen. Das MUSS einfach so sein! Der Kerl kann doch nicht wirklich so toll aussehen.

Zu dumm: Er sieht so toll aus. Und er ist unglaublich hartnäckig, was die Verfolgung seines Zieles angeht, hartnäckig und erfin­derisch … und es gelingt ihm tatsächlich, Sarah ausfindig zu machen und sie anzurufen, nachdem sie vorher einen längeren – sehr lesenswerten! – Mailverkehr hatten. Aber sie verweigert ihm lange ein gemeinsames Abendessen, von weitergehenden Annäherungen ganz zu schweigen.

Sex sei vielleicht ganz nett, daran hält sie strikt fest, aber halt völlig überbewertet. Sarah sieht keinen Sinn darin, das anzu­streben, was Jonas als den „Mount Everest“ der Weiblichkeit be­trachtet – eben ihren Orgasmus. Seine Obsession oder „Mission“ ihr gegenüber erscheint ihr doch etwas crazy. Und es braucht wirklich sehr lange, bis der samthäutigen Latina Sarah klar wird, dass es dieses erschütternde Seelenbeben tatsächlich gibt und sie sehr wohl dazu imstande ist … den richtigen Partner voraus­gesetzt.

Dummerweise aber haben beide auf diese Weise eigentlich die Regeln des „Clubs“ gebrochen. Sex mit Angestellten der Peri­pherie, wie Sarah eine ist, ist eigentlich nicht Teil des Vertrages. Und Jonas entdeckt sehr schnell, als er ein entsprechendes „Match“ hat, also eine angeblich passgenaue Zusammenkunft mit einer tollen Frau namens Stacy, dass ihn das überhaupt nicht interessiert, was er im Fragebogen aus tiefster Überzeu­gung ursprünglich als seine Vorlieben angegeben hat – er will inzwischen nur noch Sarah, und er will seine Mission durchfüh­ren und sie mittels Durchbruch zu ihrem sexuellen, ekstatischen Gipfelerlebnis zu einer vollkommenen Frau machen.

Aber, wie gesagt, da gibt es auch noch den „Club“ … und es kristallisiert sich allmählich heraus, dass da Dinge ablaufen, die irgendwie überhaupt nicht zu der Außenrepräsentation der Or­ganisation passen …

Wer in diesem ersten Band des „Club“-Zyklus erwartet, allzu viel über den titelgebenden Club zu erfahren, über seine Ge­schichte, seine Organisation oder seine Hintermänner, der wird kategorisch enttäuscht, das sollte man vielleicht zuvor sagen, um die langen Gesichter abzumildern. Das geschieht höchst­wahrscheinlich, damit sich die Club-Strukturen in den Folgero­manen des noch mehrere tausend Seiten umfassenden Zyklus herauskristallisieren. Und es ist absolut klug, nicht im ersten Band schon zu viel Pulver zu verschießen. Dass der Roman in­des langweilig ist, kann ich dennoch in keiner Weise behaupten, es ist eher das genaue Gegenteil der Fall. Wie kommt das zu­stande?

Einmal trägt dazu die solide Charakterisierung der Hauptperso­nen bei. Zwar ist die Geschichte spürbar durch eine Tunnelper­spektive strukturiert (jenseits von Sarah, Jonas, Joshua, Stacy und Sarahs Freundin Kat gibt es quasi keine Personen), aber durch die wirklich sehr schnippischen, klugen und witzigen Dia­loge, die sich erst via Mail entfalten, dann am Telefon und schließlich im direkten Kontakt, fällt das irgendwie gar nicht auf. Durch die ständigen personalisierten Sarah- und Jonas-Kapitel, die sich mehr oder minder abwechseln, bekommt man als Leser nach und nach tiefe Einblicke in beide Vitae, so dass einem so­wohl die kesse, selbstbewusste und durchaus störrische Sarah ebenso ans Herz wächst wie der problembeladene Jonas mit sei­ner komplizierten Kindheit.

Absolut beeindruckend flechtet die Autorin dann aber in der zweiten Hälfte des Buches allen Ernstes altgriechische Philoso­phie in die Handlung ein. Jonas hat nämlich mit Platon einen ab­soluten Lieblingsphilosophen (was mir ungemein zusagte, da ich Platons Dialoge alle vor langer Zeit mit großem Genuss und Gewinn gelesen habe), und besonders versucht er Sarah zu ih­rer inneren Erleuchtung zu führen, indem er gewissermaßen das platonische Höhlengleichnis nachstellt … auf eine Weise, die sehr beeindruckend und zudem höchst wirkungsvoll ist.

Die Übersetzerin (und der Verlag) haben nur einen winzigen Übersetzungsfehler begangen, den aber wirklich wieder und im­mer wieder, sicherlich ein Dutzend Male in diesem Roman (im Folgeroman, von derselben Übersetzerin übertragen, kehrt der Fehler notorisch wieder): Sarah neigt dazu, immer wieder „Man­nometer!“ hervorzustoßen, wenn sie überrumpelt oder faszi­niert ist. Dummerweise wird es ständig als „Manometer“ falsch geschrieben. Allerdings ist ein Manometer eine Vorrichtung zum Messen des Druckes von Gasen oder Flüssigkeiten – wenngleich dieses Wort also von der Rechtschreibprüfung zweifellos nicht kritisch unterringelt worden ist (und deshalb vermutlich gewählt wurde), ist es doch als Ausruf an allen verwendeten Stellen defi­nitiv falsch.

Tja, man sollte wirklich mit Fremdworten und Ausrufen umge­hen können … bei mir sorgte das jedenfalls für fortwährendes Amüsement. Mal sehen, wann Übersetzerin und Verlag den Feh­ler bemerken. In den ersten beiden Bänden jedenfalls nicht.

Abgesehen von diesem kleinen Fauxpas und dem – wie gesagt, kaum auffallenden – Tunnelblick, den ich von diversen eroti­schen Romanen schon gewohnt bin, ist der erste Band des Zy­klus absolut mitreißend geschrieben und darum höchst empfeh­lenswert.

Ich bin mal sehr neugierig auf die Fortsetzung.

© 2018 by Uwe Lammers

Inzwischen habe ich ja sogar schon Lauren Rowes Folgezyklus „True Lovers“ gelesen und rezensiert und kann versichern, dass Jonas, Josh, Sarah, Kat und zahlreiche andere Personen sich dar­in wiederfinden werden. Wer also nach den sieben Rezensions­bänden dieser Serie gern mehr Lesefutter haben möchte, das in derselben Welt spielt, der braucht nur ein wenig Geduld, die kommen auch hier in den Rezensions-Blog … das kann aber noch dauern.

Soviel für heute. Bis bald, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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