Rezensions-Blog 398: Leben am Nil

Posted April 5th, 2023 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

wie in der letzten Woche versprochen, machen wir dieses Mal eine ordentlich weit zurück reichende Zeitreise. Wohin? Nach Ägypten, das Land am Nil. Es ist, leider, muss man konstatieren, ein sehr, SEHR kurzweiliges Vergnügen … aber wer sich auf die Details fokussiert, die hier prachtvoll in Szene gesetzt sind und mit Witz und Intelligenz dargestellt werden, der kommt fraglos voll auf seine Kosten.

Denn wie ich das anno 2020 tat, als ich dieses Buch im Hand­umdrehen verschlang – dafür eignet es sich wirklich bestens, und das ist durchaus altersunabhängig – , so verläuft man sich schnell in den unzähligen kleinen Einzelheiten. Man sollte zum einen natürlich auf den magischen Pelikan achten, der die Jahr­tausende als Zeit-Scout durchfliegt und jede Menge Ärger verur­sacht.

Aber auf der anderen Seite sollte man sich auch fasziniert in das Alltagsleben auf diesen farbenprächtigen, großformatigen Seiten vertiefen und Sinn für die vielen kleinen Einzelheiten ha­ben, die das Alltagsleben der damaligen Zeitepochen akribisch und bisweilen schon fast garstig indiskret in Szene setzen.

Werfen wir mal einen Blick hinein:

Leben am Nil

Die Geschichte des längsten Flusses der Welt

(OT: Story of the Nile)

von Anne Millard, illustriert von Steve Noon

Dorling-Kindersley, München 2003

36 Seiten, gebunden

Großformat, Querformat

Übersetzt von Cornelia Panzacchi

ISBN 3-8310-0509-5

Ohne Magie geht es nicht – und das ist denn auch der Grund, warum ich diese Rezension schreibe. Sie ist gewissermaßen un­vermeidbar. Ich möchte euch eine faszinierende Zufallsentde­ckung vorstellen, die mir gestern in die Hände fiel, als ich den 5. Braunschweiger Antiquariatsmarkt besuchte. Eine gute Freundin reichte mir dazu kürzlich eine Einladungskarte. Auf dem Event im Braunschweigischen Landesmuseum traf ich ein paar Antiquare, die ich seit Jahren kenne und plauderte ange­nehm, und dann fiel mein Blick auf dieses farbenprächtige, un­gewöhnlich im Format daliegende Buch. Als Querformat, deut­lich doppelt A4-groß (die genauen Maße sind 27 x 35 cm) ent­zückte es mich auf den ersten Blick, und ich wusste, ohne es aufschlagen zu müssen: Das ist meins, das nehme ich jetzt mit!

Warum dies? Nun, auf dem Cover sieht man eine feierliche Sze­ne aus dem alten Ägypten abgebildet – eine Barke nähert sich dem Taltempel des Cheops, und als jahrzehntelanger Fan des al­ten Ägypten packte mich sofort das alte, niemals erlöschende Pharaonen-Fieber. Das ist ein bisschen wie mit dem Archiv-Virus. Hat man sich den einmal eingefangen, bleibt das eine lebens­lange Leidenschaft.

Der Kauf war also unvermeidlich.

Das großformatige Album überbrückt in seinen 14 großformati­gen, doppelseitigen Bildtafeln die atemberaubende Zeitspanne von nicht weniger als 4.470 Jahren Zivilisation am Nil, vom Jahre 2500 vor Christus bis zum Jahre 1970 nach Christus. Aber, und das macht den Charme und das Magische an der Geschichte aus, das ist nicht einfach nur so eine zusammenhanglose Anein­anderreihung von Bildern, sondern es gibt ein verbindendes Ele­ment, gewissermaßen einen Zeit-Scout, der uns durch die Jahr­tausende begleitet. Es handelt sich um einen offenbar verzau­berten Pelikan, der sich durch die Zeit bewegt und irgendwo auf jedem dieser neckischen, farbenprächtigen Bilder in Erschei­nung tritt.

Wie auf klassischen Wimmelbildern verlockt die Fülle an Details, die zahllose Beschriftungen aufweisen, unweigerlich den Be­trachter dazu, die kleinsten Einzelheiten ausfindig zu machen. Originell ist auch, dass der sonst frei gelassene Rand von um­laufenden Schriftzügen eingenommen wird, üblicherweise Erläu­terungen zu Bildelementen, aber auch Fragen an das kindliche Publikum. So heißt es etwa zu dem Bild „Die Quellen des Nils“, das auf 1862 nach Christus datiert ist und den Nilforscher John Speke bei den Ripon-Fällen zeigt: „Einer der Fischer ist wütend auf den Pelikan. Weißt du, warum?“

Solche amüsanten kleinen Gimmicks finden sich auf jedem der farbenprächtigen, detailreichen Bilder. Ob da ein römischer Le­gionär hastig vor einem zuschnappenden Krokodil in sein Boot springt, ein Forschungsreisender in einen Dungfladen tritt, durchgehende Pferde fast einen Teppichhändler niederreiten, Touristen Hüte wegfliegen, Männer von Getreidebarken ins Was­ser fallen oder betrunkene Männer an der Tempelwand in The­ben beim Opet-Fest anno 1180 vor Christus von einer zornigen Frau ausgeschimpft werden …

Es gibt sagenhaft viel zu entdecken auf diesen phantasievoll entwickelten Darstellungen. Manche davon erinnern mit ihrem Massenaufmarsch von detailverliebt gezeichneten Komparsen an klassische Historienfilme aus Hollywood, und nicht wenige erzählen eigenständige kleine Geschichten in den Bildelemen­ten. Es macht deshalb einfach Spaß, ausgiebig in den Bildern selbst nach kleinsten Einzelheiten zu forschen – stete Neugierde ist natürlich vorauszusetzen.

Zweifellos richtet sich das Buch mehrheitlich an kindliches Pu­blikum, das gerade erst die Leidenschaft für die Historie entde­cken soll. Aber ich bin selbst das beste Beispiel dafür, dass man sich dieses opulente grafische Werk auch als erwachsener Fan des alten Ägypten guten Gewissens ins Regal stellen kann.

Wer also meine Leidenschaft teilt oder sonst einfach neugierig auf das Buch geworden sein sollte, dem sei ans Herz gelegt, es zu suchen. Ich vermute freilich, dass es nur noch antiquarisch zu entdecken sein wird – und wahrscheinlich wird der Neugieri­ge mehr als 8 Euro in die Hand nehmen müssen, die es mich gekostet hat.

Aber das ist es zweifellos wert.

© 2020 by Uwe Lammers

Da spricht der wahre Fan aus den Zeilen? Well, das kann und will ich gar nicht abstreiten. Es ist ein schönes Buch, das ich seither in Ehren halte wie so viele ähnliche dieser Art. Und es ist durchaus denkbar, dass es davon noch mehr zu entdecken gibt. Ich halte jedenfalls die Augen offen.

Soviel für heute. In der kommenden Woche reisen wir wieder mal in das Setting der erotischen Romane, diesmal aber nicht als Teil eines langen Zyklus. Versprochen.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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