Rezensions-Blog 431: Das Flammenzeichen

Posted November 22nd, 2023 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

die Menschheit wächst zu schnell, um langfristig noch auf kon­ventionelle Weise ernährt werden zu können – nicht zuletzt auf­grund der Tatsache, dass durch menschliches Handeln weite Flächen fruchtbaren Landes entweder überbaut, durch Stauseen überschwemmt oder durch den wesentlich vom Menschen ver­ursachten Klimawandel und ökologische Schäden unbrauchbar gemacht werden. Dennoch, und es ist James Rollins durchaus hoch anzurechnen, ist die Weltbevölkerungsentwicklung ein Thema, dem wir nicht ausweichen können. Und das Tabu, das darüber verhängt wird und stillschweigend von vielen Journalis­ten mit vervielfältigt wird, muss definitiv endlich einmal aufge­brochen werden.

Es ist eben kein „gottgewolltes Schicksal“, dass die Menschheit „einfach ständig weiter wachsen muss“ – es gibt weiß Gott seit Jahrzehnten (vermutlich viel eher seit Jahrhunderten) schon Mit­tel und Wege, das ungehemmte menschliche Wachstum einzu­dämmen.

Dennoch werden Menschen, die sich solche Ziele gesetzt ha­ben, sehr leicht auf Abwege gelenkt, und man muss da nur an den Milliardär Valentine (Samuel L. Jackson) im Kinofilm „Kings­man. The Secret Service“ denken, denen eine Menschheitsre­duktion durch Gewalt vorschwebt. Ähnlich läuft das auch – wenngleich auf sehr viel subtilere Weise – hier letztendlich ab. Und auch hier sind es wieder sinistre Ziele, die konsequent durchkreuzt werden müssen, diesmal von der Sigma Force.

Das Verhängnis beginnt historisch real im 11. Jahrhundert, aber James Rollins entwickelt daraus ein durchaus gegenwärtiges Alptraum-Szenario. Mutige sollten weiterlesen, das lohnt sich:

Das Flammenzeichen

(OT: The Doomsday Key)

Von James Rollins

Blanvalet 2011

548 Seiten, geb.

Übersetzt von Norbert Stöbe

ISBN 978-3-7645-0345-1

Man schreibt das Jahr 1086 in Großbritannien, als ein rätselhaf­tes Verhängnis die Regierung beunruhigt. Ganze Gemeinden sterben offenbar ohne Grund aus, bei gefüllten Kornspeichern. Es trifft buchstäblich jedes Lebewesen – Männer, Frauen und Kinder jeden Alters, Hoftiere wie Schädlinge. Sichtbar wird das Verhängnis, als König William das „Domesday Book“ anfertigen lässt, um eine statistische Grundlage für die Steuererhebung zu haben. Aber manche dieser „verwüsteten“ Gemeinden sind so entsetzlich und auf geradezu biblische Weise verheert, dass sie auf amtliche Anordnung vollkommen ausgelöscht werden.

Das Geheimnis wird so aber nicht tief genug begraben.

In der Gegenwart will sich der völlig verstörte Pater Marco Gio­vanni, ein vatikanischer Archäologe, mit seinem Mentor Vigor Verona treffen, um ihm ein furchtbares Geheimnis zu übermit­teln und ihn um Hilfe zu bitten. Aber das Treffen wird von feindlichen Kräften gestört. Pater Giovanni findet den Tod, Vigor Verona wird schwer verletzt und sinkt ins Koma.

Annähernd zeitgleich ereignet sich in Mali auf einer landwirt­schaftlichen Versuchsfarm ein Massaker, offensichtlich angerich­tet von fanatischen Gentechnik-Gegnern. Angelegt von der nor­wegischen Firma Viatus International, werden hier nämlich gen­technisch optimierte Maissaaten angepflanzt, die den Welthun­ger bekämpfen helfen sollen. Einer der Helfer ist Jason Gorman, der Sohn des amerikanischen Senators Gorman. Es gelingt ihm während des Überfalls gerade noch, Daten an das Büro seines Vaters zu senden, ehe er selbst ums Leben kommt. Die Pflan­zung wird vollständig niedergebrannt, es gibt keine Überleben­den. Als später Gormans Leiche gefunden wird, weist sie auf der Stirn ein eingebranntes Kreuz in einem Kreis auf – dasselbe To­deszeichen, das auch auf der Stirn des ermordeten Paters im Petersdom entdeckt wird. Und das alles ist erst der Anfang.

Über Vigor Veronas Tochter, die Polizistin Rachel Verona, erfährt die amerikanische Organisation Sigma Force, die militärisch ver­sierte Forschungsabteilung der DARPA unter Direktor Painter Crowe, von den Vorfällen in Rom. Und da Sigma-Agent Grayson Pierce mit Rachel Verona eng persönlich verbunden ist, soll er umgehend nach Italien fliegen. Während das in die Wege gelei­tet wird, findet Rachel am Schauplatz des Verbrechens das, was Pater Giovanni dort versteckt hat, ehe er starb – einen kleinen Beutel, der auf der einen Seite das Kreuz im Kreis aufweist und auf der anderen Seite eine seltsame Spiralzeichnung. Im Innern des Beutels ist zu ihrem Entsetzen ein mumifizierter menschli­cher Finger. Und er ist offensichtlich so gefährlich, dass Rachel schon vor Grays Ankunft kurzerhand eine Waffe gegen die Stirn gedrückt wird.

Derweil hat sich auch das Büro des Senators Gorman mit Pain­ter Crowe in Verbindung gesetzt – denn die von seinem Sohn übermittelten Daten sind so fachspezifisch, dass er sie nach Princeton zu Jason Gormans Doktorvater Dr. Henry Malloy wei­tergesandt hat. Nun soll der Sigma Force-Agent Monk Kokkalis sie sich in Begleitung mit dem Kollegen John Creed ansehen und sonst einfach nur eine Befragung durchführen – dass sie in ein Feuergefecht mit Agenten der Terrororganisation der „Gilde“ führt, kann er nicht ahnen. Sie überleben nur knapp.

Damit ist klar, dass die Gilde, mit der die Sigma Force schon seit Band 1 der Serie immer wieder auf blutige Weise zusammenge­stoßen ist, wieder im Spiel ist – und ganz offensichtlich geht es um ein hochgefährliches Geheimnis.

Die Spuren weisen nach Norwegen, wie sich alsbald heraus­stellt. Genau genommen zu Viatus International unter dem Milli­ardär Ivar Karlsen, der jüngst eine neue Gründung auf dem Sek­tor der Biotechnologie geschaffen hat. Sein Anliegen ist es, die Ernährungssicherheit der Menschheit zu gewährleisten, und in dieser Hinsicht arbeitet er eng mit dem Svalbard Global Seed Vault (SGSV) auf Spitzbergen zusammen sowie mit dem Club of Rome.

Dummerweise ist der Konzern von der Gilde unterwandert. Und so geraten alsbald sowohl Painter Crowe als auch Monk Kokkalis in seiner Begleitung in akute Lebensgefahr, während sie diverse dramatische Entdeckungen machen, die absolut nicht in Rich­tung weltweiter Ernährungssicherheit deuten. Dummerweise werden sie enttarnt und bekommen es mit Killerkommandos der Gilde zu tun.

Auf einer Parallelspur hat die wieder aufgetauchte intrigante Gilden-Agentin Seichan Grayson Pierce und Rachel Verona in die Hand bekommen und verfolgt nun ihrerseits die Spur des toten Mönches, die nach England weisen. Es wird alsbald deutlich, dass die verwüsteten Gemeinden, die im Domesday Book ver­zeichnet und besonders markiert waren, ein uraltes Geheimnis bergen, das eine Seuche unglaublichen Ausmaßes auszulösen imstande ist und das schon seit Jahrtausenden sorgsam gehütet wird. Denn es gibt – wenigstens der Legende nach – durchaus ein Gegenmittel. Aber es befindet sich augenscheinlich in einem Grab, das niemand mehr finden kann. Und ihnen läuft die Zeit davon, denn Rachel Verona ist gezielt vergiftet worden und hat nur noch drei Tage zu leben …

Nach dem enttäuschenden letzten Roman der Sigma Force, „Das Messias-Gen“, besinnt sich James Rollins wieder auf sei­ne wirklichen Stärken – auf vertraute Protagonisten mit wech­selnden Loyalitäten (Seichan), auf die historische Schatzsuche mit exotischen Locations und wirklich vertrackten Fallensyste­men, die den Suchenden fast zum Verhängnis werden. Man wähnt sich manchmal wirklich in einem Indiana Jones-Film, was bekanntlich kein Wunder ist (Rollins hat die Romane zu den Fil­men geschrieben und dabei unübersehbar viel gelernt).

Historisch erweist er sich einmal mehr als trittsicher, und die Einflechtung der Überbevölkerungsproblematik, die er auf sehr hellsichtige und realistische Weise betrachtet, macht die Ge­schichte bisweilen sehr beklemmend. Denn Ivar Karlsens scheinbar wahnsinnige Pläne haben logisch Hand und Fuß, auch wenn sie mit Recht durchaus in die Nähe der NS-Eugenik ge­rückt werden können. Es ist ein heißes Eisen, definitiv im öffent­lichen Diskurs strikt tabuisiert und genau deshalb umso proble­matischer. Und zwingend notwendiger, wie ich finde.

Auch die Einarbeitung des Global Seed Vault auf Spitzbergen wusste sehr zu gefallen – wenngleich Rollins den dortigen Sa­mentresor mit der üblichen Ruppigkeit behandelt. Ich bin, was ich dann biografisch sehr interessant fand, mit dieser Institution schon mal beruflich zusammengeprallt und kenne sie deshalb recht gut. Deshalb kann ich bestätigen, dass Rollins Lagebe­schreibung und Darstellung in allen wesentlichen Punkten der Realität entspricht. Ob sich Aerosolbomben dort so auswirken, wie er es beschreibt, wird hoffentlich in der Realität nie getes­tet!

Vor allen Dingen fand ich es schön, dass in diesem Roman wie­der einmal Gegner am Werk waren, die zu unterschätzen defini­tiv tödlich gewesen wäre. Der bisweilen intellektuell sehr an­spruchsvolle Wettlauf um informatorische Vorherrschaft, die zu­gleich die Welt schützen hilft, ist hier wieder so hochdramatisch ausgeprägt, dass man regelrecht als Leser durch die Seiten ge­peitscht wird – im Vergleich zu der weitgehend recht lahmen Vorstellung des Vorgängerbandes hat das definitiv Spaß ge­macht. Und man tut wirklich sehr gut daran, in diesem Band nicht allen Leuten zu trauen, die nett scheinen – die Paranoia, die sich Seichan angewöhnt hat, um zu überleben, die sollte sich der Leser zu einem guten Teil zu eigen machen.

Und nein, der Kampf gegen die Gilde ist mit diesem Band natür­lich noch nicht vorüber. Man bedenke, das Zellenprinzip macht eine restlose Zerschlagung schwer bis fast ganz unmöglich. Aber Crowe und seine Mannschaft kommen der Führungsriege der Gilde, dem so genannten „Echelon“, offensichtlich immer näher. Einer dieser Anführer tritt hier erstmals in Erscheinung, auf eine höchst hinterlistige Weise.

Für alle, die gentechnisch veränderten Organismen skeptisch gegenüberstehen und gern etwas mehr darüber erfahren wol­len, ist dieser Roman ebenso geeignet wie für die Freunde des historischen Rätselabenteuer a la Indiana Jones und all jene, die sich spannenden Spionagethrillern nicht verschließen. Ich wurde jedenfalls ein paar Tage lang äußerst angenehm und kurzweilig unterhalten und habe sogar noch ein paar Dinge über die briti­sche Historie gelernt. Darum gebe ich guten Gewissens eine klare Leseempfehlung.

© 2019 by Uwe Lammers

Ja, das war wieder ein Roman für schlaflose Nächte, unbestreit­bar. Darum ist wohl ein wenig Entspannung in der kommenden Woche eine willkommene Abwechslung. Schauen wir mal wieder vorbei in Edinburgh bei Samantha Young …

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

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