Rezensions-Blog 439: Mission Ewigkeit

Posted Januar 16th, 2024 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

wer den Abenteuern der Sigma Force durch die sieben vergan­genen Abenteuer gefolgt ist, hat sich fraglos schon seit länge­rem Gedanken gemacht, wie James Rollins wohl die Geheim­struktur der sinistren Untergrundorganisation der Gilde auflösen würde. Traditionell ist das immer schwierig – man denke in dem Kontext nur etwa mal an SPECTRE bei den James Bond-Verfil­mungen.

In diesem Roman ist es also soweit, die Gilde greift nach der Weltherrschaft auf eine höchst beunruhigende Art und Weise, und die Sigma Force versucht nach besten Kräften dagegenzu­halten, ehe sie als Organisation kurzerhand eingestampft wird. Denn diese Gefahr besteht und wird in dem vorliegenden Band akut.

Schockeffekte, turbulente Action, Kämpfe auf Leben und Tod, finstere Geheimnisse, pointierte Dialoge und raffinierte Schur­ken wie wagemutige Helden – alles ist im Paket enthalten, um das es dieses Mal geht. Im Detail sieht das dann folgenderma­ßen aus:

Mission Ewigkeit

(OT: Bloodline)

Von James Rollins

Blanvalet 0145

608 Seiten, TB

März 2016

Übersetzt von Norbert Stöbe

ISBN 978-3-7341-0145-8

Attentate haben eine lange Tradition, die durch die Jahrtausen­de zurückreicht. Es gibt prominente Bücher über ebenso promi­nente Opfer und Attentäter, zahlreiche Untersuchungen, Ab­handlungen und romanhafte wie filmische Nacherzählungen der dramatischen Taten und ihrer Hintergründe. Dennoch ist es eine Sache, beispielsweise von Attentaten auf die amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy oder Ronald Reagan zu lesen oder dann den zweiten Prolog dieses Romans zu lesen, der nur eine halbe, dramaturgisch äußerst geschickte Seite lang ist.

Denn hier schreibt man den 4. Juli, den amerikanischen Natio­nalfeiertag, und aus einem sicheren Unterstand legt ein Scharf­schütze auf den amerikanischen Präsidenten James T. Gant an. Der Attentäter? Der Sigma Force-Agent Grayson Pierce, den man seit mehreren Romanen als eine absolut positive Gestalt kennen- und lieben gelernt hat, wenn man als Leser der Serie um die Sigma Force schon länger gefolgt ist. Wie, um alles in der Welt, fragt man sich verstört, kann es sein, dass ausgerech­net Gray Pierce nun zum Mörder an seinem eigenen Staatsober­haupt wird?

Dann blendet der Roman fünf Tage zurück und rollt die Vorge­schichte auf.

Vor den Seychellen wird nachts am 30. Juni auf brutale Weise eine schwangere Amerikanerin von ihrem Segelboot durch of­fenbar somalische Piraten entführt. Alle anderen Besatzungs­mitglieder, ihren Mann eingeschlossen, werden brutal niederge­metzelt. Sie selbst verschwindet offensichtlich spurlos.

Eigentlich ist das ein Fall für das Außenministerium und die re­gulären Dienste der USA – aber Präsident Gant bittet in dem Fall überraschend Sigma Force-Direktor Painter Crowe um Hilfe. Der Grund? Es handelt sich bei der Entführten um seine Tochter Amanda Gant, die sich mit falschen Papieren heimlich aus dem Land geschlichen hat. Der Grund dafür ist unbekannt.

Crowe, der gerade seinen besten Mann Monk Kokkalis auf des­sen eigenen Wunsch aus dem Dienst hat ausscheiden lassen – er wollte sich so besser um seine Frau Kat und die beiden klei­nen Mädchen kümmern, die sie ihm geboren hat – , entschließt sich schweren Herzens, Grayson Pierce auf den Fall anzusetzen. Ihn und die abtrünnige Gilden-Agentin Seichan, die ihn beglei­ten soll. Vielleicht, so rechnet sich Crowe aus, gelingt es Gray auf diese Weise, ein wenig den Schmerz zu betäuben, den der Tod seiner Mutter ausgelöst hat. Sie ist im vergangenen Roman einem Bombenanschlag der Terrororganisation Gilde, der Gray galt, zum Opfer gefallen.

Sie haben alle noch keine Ahnung, in was für ein haarsträuben­des Abenteuer sie hineinschlittern, das noch sehr viel schreckli­cher werden soll, als sie sich das vorzustellen wagen.

In der Tat führt die Spur der Entführer nach Somalia, in ein weit­gehend gesetzloses Land voller Flüchtlinge, Warlords, Kindersol­daten, Entführungen und zügelloser Gewalt. Sie werden hier also Hilfe brauchen und engagieren den Ex-Soldaten Wayne Tucker und seinen militärisch exzellent dressierten Kampfhund Kane, mit dem er das Weite gesucht hat. Es gelingt Gray, Seich­an und ihrem Gefährten, dem Sigma-Agenten Joe Kowalski, Kon­takt mit Tucker aufzunehmen, der sich anfangs einer Zusam­menarbeit widersetzt, aber schließlich, als sie mit britischen Spezialkräften und einheimischen Banden unschön zusammen­gerasselt sind, doch zur Kooperation entschließt.

Die Fährte führt zu einem Flüchtlingslager des Roten Kreuzes im Hinterland von Somalia und von hier in die Wildnis – aber zu­gleich machen sie die hässliche Entdeckung, dass ihre Tarnung keinen Schuss Pulver wert ist und der Gegner ihnen auf beunru­higende Weise voraus ist. Nicht nur Grayson Pierce denkt auf unschöne Weise an die Terrororganisation der Gilde, denn bei al­len Einsätzen gegen die Gilde in den zurückliegenden Jahren war das Muster sehr ähnlich. Leider liegt der Führungsstab der Gilde immer noch im Dunkel.

Während sich leider rasch bestätigt, dass er es mit der Gilde zu tun hat, irrt sich Pierce, was den zweiten Punkt angeht – Painter Crowe hat nach den Schlussrecherchen des vergangenen Aben­teuer (siehe dazu Rollins: „Feuerflut“1) den schwerwiegenden Verdacht, dass niemand Geringeres als Präsident Gant der Kopf der Gilde sein könnte. Dieses Geheimnis hütet er ganz allein und lässt selbst seine Agenten im Unklaren darüber, wohl wis­send, wie gefährlich das ist. Er lässt seither die biologischen Fährten und den Stammbaum der Gant-Familie verfolgen. Der Verdacht verfestigt sich immer mehr, dass irgendjemand aus der Gant-Familie das Zentrum der Gilde darstellt. Aber wer? Vielleicht ist es nicht der Präsident, aber vielleicht sein Bruder Robert Gant, der Außenminister?

Das alles kann er natürlich seinen Agenten nicht sagen – die Ge­fahr, dass wie bei früheren Gelegenheiten Informationen an die Gilde durchsickern, ist viel zu hoch. Vielleicht wird Amanda Gant dann kurzerhand ermordet.

Doch Amanda droht ein viel schrecklicheres Schicksal, wenn es nach ihren Entführern geht. Ihnen geht es weniger um sie selbst als vielmehr um ihr ungeborenes Kind, und das wird ihr klarer, als sie mit einem Arzt der Gilde im Dschungel von Somalia zu­sammentrifft. Wenn das Kind auf der Welt ist, scheint es, wird ihr Leben keinen Schuss Pulver mehr wert sein.

Die Vermutung, dass es vielleicht eher um das Kind geht, treibt inzwischen auch Painter Crowe um. Als deutlicher zutage tritt, dass das Kind künstlich durch Samentransfer in einer amerikani­schen Klinik gezeugt wurde, entschließt er sich dazu, seine Le­bensgefährtin Dr. Lisa Cummings und Monks Frau, Captain Ka­thryn Bryant, zu einer Spähmission in die Klinik einzusetzen. Sie sollen dabei keinerlei Risiken eingehen und möglichst rasch wie­der das Gebäude verlassen.

Es wird eine Operation, die auf grässliche Weise fehlschlägt. Zu spät kommt zutage, dass die Klinik zum Eigentum der Gant-Fa­milie gehört, und die eingeschleusten Frauen entdecken auf brutale Weise, dass die vermeintlich karitative Hülle der Klinik ein monströses Geheimnis birgt, das auch ihr Leben kosten soll. So beginnt ein so nicht geplanter Kampf auf Leben und Tod.

Während sich so die Ereignisse in den USA zuspitzen, gesche­hen auch in Afrika haarsträubende Dinge. Scheinbar schlägt Grays Mission dort fehl, und als der Präsident, sein Bruder und die First Lady den Leichnam Amandas zu Gesicht bekommen, wird angeordnet, dass Sigma die Schuld an dieser Tragödie trägt. Und die Schließung der Sigma Force wird von ganz oben angeordnet.

Offensichtlich hat die Gilde auf ganzer Linie gesiegt.

Aber Gray Pierce verfolgt eine weitere Spur, die auf eine un­glaubliche künstliche Insel vor der Küste von Dubai führt. Und im Wettlauf mit der Zeit macht er sich daran, die „Mission Ewig­keit“, die die Gilde zur Allmacht führen soll, zu vereiteln …

Spätestens seit dem vergangenen Band war überdeutlich, dass die Fährte zu der lange Jahre völlig anonymen Gilden-Führung in höchste politische Kreise der USA führt. Aber was sich konkret dahinter verbirgt und wie nervenaufreibend und ungeheuerlich das ist, was sich hinter der „Mission Ewigkeit“ verbirgt, die die Führung der Gilde, der „Stammbaum“, letzten Endes verfolgt, das ist so atemberaubend, dass wenigstens ich als Leser aus dem Buch nicht mehr herauskam und es binnen drei Tagen aus­las.

Ich deute nur mal an, dass hier sehr viele bisher wohl gehütete Geheimnisse ans Tageslicht gelangen. Es geht nicht nur um die Gilden-Führung, sondern auch um die Historie der Gilde, um die Geheimnisse, die die Meister-Attentäterin Seichan umwabern, und wir lernen eine Menge über Hundepsychologie, Kindersol­daten und unethische Medizinexperimente an Menschen.

Manches davon ist ausgesprochen widerwärtig, aber Rollins ist, zumal bei seinem medizinischen Hintergrund, nicht eben je­mand, der unappetitliche Themen ausgrenzt, nur weil sie ver­meintlich nicht in die Öffentlichkeit gehören. Das hat er in ver­schiedenen Romanen schon bewiesen, in denen er beispielswei­se auf die Überbevölkerung der Welt hingewiesen hat. Er packt auch unbequeme Themen an, und das kann er sich wohl inzwi­schen erlauben, weil er einen entsprechenden Ruf als Bestsel­lerautor errungen hat.

Augenscheinlich wird mit diesem Band die Gilde als bedrohliche Untergrundorganisation zerschlagen. So scheint es wenigstens. Aber der Autor deutet schon an, dass das vielleicht nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Wenn man liest, wie die Gilden-Obe­ren schlussendlich reagierten, dann wird klar, dass dieses in un­abhängigen Zellen organisierte Terrornetzwerk vermutlich noch weiter bestehen und in der Welt weiterhin Chaos anrichten wird. Man darf gespannt sein, wie sich das in den Folgeromanen ent­wickelt.

Die genetischen Pfade des Romans sind dagegen durchaus Furcht erregend. Gut, im Vorspann taucht jemand auf, der an­geblich 500 Jahre alt ist … und es gibt die Prognose, dass es Me­dizinern durchaus gelingen könnte, bis 2045 die menschliche Lebenserwartung zu verdoppeln. Aber es stellt sich doch in An­betracht der Bevölkerungsexplosion ernsthaft die Frage, ob das in irgendeiner Weise erstrebenswert ist. Ich sehe das nicht so. Und auch nicht für eine selbst ernannte genetische Elite. Das ist eine furchtbare Vorstellung, die sehr viel mehr mit einem Alp­traum gemein hat als mit „Utopia“, wie die theatralische neue Gilden-Burg genannt wird.

Was es damit genau auf sich hat und wie spektakulär schließlich der Fall der Gilde ist, das muss man nachlesen, das ist äußerst lesenswert, wie ich fand. Und es hilft außerordentlich, sich vor­her ein paar Marvel-Filme angeschaut zu haben – um die spek­takulären Explosionen und Zerstörungsorgien, die den Leser in diesem Roman erwarten, hübsch visualisieren zu können.

Atemberaubende Action, definitiv witzige Dialoge, faszinierende Handlungspersonen und rasante Handlung sind auf alle Fälle ga­rantiert – für mich Grund, eine klare Leseempfehlung auszuge­ben für all die Leute, die so etwas mögen. Langeweile ist hier definitiv ausgeschlossen!

© 2019 by Uwe Lammers

So, genug angetriggert und neugierig gemacht? Wie ich schon vor fünf Jahren so passend sagte: Langeweile ist definitiv ausge­schlossen.

In der nächsten Woche geht es sehr viel behäbiger zu, da glei­ten wir zurück ins warme Fahrwasser erotischer Unterhaltungsli­teratur. Ob das weniger aufregend ist? Nun, das müsst ihr ab­warten und dann wieder reinschauen.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

1 Vgl. dazu den Rezensions-Blog 435 vom 20. Dezember 2023.

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