Liebe Freunde des OSM,

ja, ja, vielleicht ist es zu früh, diese Rezension zu bringen, aber ich hatte sie nun einmal in meinen Rezensionsplan aufgenommen und bin recht zuversichtlich, dass ihr, die ihr euch mit Arthur Conan Doyles legendärem Detektiv bestens aus­kennt, es mir nachsehen werdet, dass ich diese Rezension vor der Besprechung des „Hundes der Baskervilles“ bringe.

Warum dies? Nun, lest die Rezension und meine diesbezüglichen Worte, und ihr wisst Bescheid. Ich gehe indes davon aus, dass ihr die Kanon-Werke Doyles al­lesamt schon lange inhaliert habt, insofern entgeht euch also nichts Wesentliches in dieser unüblichen Publikationsreihenfolge.

An Rick Boyers Roman erinnere ich mich auch nach fast zehn Jahren immer noch sehr gern. Ich denke, ich muss ihn beizeiten mal wieder auf den Leseplan setzen… allerdings gibt es noch den einen oder anderen Epigonenroman zu Sher­lock Holmes, den ich noch nicht kenne und der folgerichtig vorzuziehen ist. Wer allerdings den unten rezensierten Roman noch nicht kennen sollte, der wird hier von mir mit Absicht und vergnügtem Lächeln auf einen richtigen Leckerbissen hingestoßen.

Lasst ihn euch nicht entgehen:

Sherlock Holmes und die Riesenratte von Sumatra

(OT: The Giant Rat of Sumatra)

von Rick Boyer

Bastei 15601, Dezember 2006

272 Seiten, TB, 7.95 Euro

Aus dem amerikanischen Englisch von Stefan Bauer

ISBN 3-404-15601-3

Das Jahr 1894 wird durch eine aufsehenerregende Entführung erschüttert – die junge Lady Alice Allistair, Tochter eines vermögenden und angesehenen briti­schen Politikers, ist auf einer Reise durch Indien in Bombay spurlos verschwun­den. Zehn Wochen liegt dies bereits zurück, und der völlig verzweifelte Vater weiß sich nun keinen besseren Rat mehr, als Sherlock Holmes zu Rate zu ziehen. Holmes nimmt den Auftrag eher missmutig an, denn er schätzt es nicht, weite Reisen zu unternehmen… indes muss er den britischen Boden gar nicht dazu ver­lassen, wie sich bald erweist.

Ein Auflauf von Sanitätsdroschken lenkt Holmes Aufmerksamkeit auf nähere Sensationen, und als sein Freund, Dr. John Watson, und er selbst dem Phänomen nachgehen, stoßen sie auf Inspektor Lestrade von Scotland Yard („Mr. Holmes, ich habe keine Ahnung, wie Sie es jedes Mal schaffen, scheinbar aus dem Nichts aufzutauchen, sobald ein Mord geschehen ist!“) – und auf eine Leiche, grässlich zugerichtet und offenbar von einem Hausdach gestürzt, mitten in die Baker Street.

Die Fährte des Toten, eines Seemannes, führt die beiden Freunde in den Londo­ner Hafen und zu einer schrecklichen Feuersbrunst, die nur der Auftakt zu schlimmeren und Unheil verkündenderen Entdeckungen sind. Denn mit der Ma­tilda Briggs ist ein Schiff aus Sumatra angekommen, das eine höllische und in hohem Maße unglaubwürdige Fracht eingeschleppt haben soll – eine Ratte von der Größe eines Menschen und dem Temperament eines höllischen Dämons.

Während der große Detektiv noch rätselt, ob es dieses Wesen tatsächlich gege­ben haben kann oder ob es sich – gleich dem Höllenhund der Baskervilles – da­bei eher um eine Art von übler Täuschung handelt, die sich ein verbrecherisches und betrügerisches Hirn ausgedacht hat, währenddessen melden sich die Entfüh­rer von Lady Allistair bei deren Vater.

Die Lösegeldforderung beläuft sich auf nicht weniger als hunderttausend Pfund, und die Übergabe soll in einem abgelegenen Anwesen der Allistairs in Shrewsbury, in den finsteren Wäldern nahe der Grenze zu Wales, erfolgen. Hol­mes schickt seinen Adlatus Watson als Beobachter und Berichterstatter mit den besorgten Eltern dorthin und verspricht, bald möglichst nachzukommen. Schließlich gibt es ja in London noch diese unheimliche Riesenratte zu berück­sichtigen, sagt er.

Doch das Anwesen Strathcombe in Shrewsbury, auf das sich Watson begibt, er­weist sich als ein heimtückischer Ort mit einer finsteren Aura, bevölkert von mancherlei seltsamen Personen, die sein Misstrauen wecken. Jahrhundertealte Eichenwälder bedrängen Strathcombe, und in den Wäldern wimmelt es von zwielichtigen Gestalten – von Zigeunern, vielleicht Schmugglern, Wilderern und, laut dem Wildhüter des Anwesens, neuerdings von einem riesigen Eber, der seltsamerweise ganz bizarre Hufspuren aufweist. Hufspuren, die eigentlich mehr zu einem Nagetier passten, wenn sie dafür nicht viel zu groß wären…

Der Leser merkt rasch, dass die beiden scheinbar so voneinander losgelösten Fälle eng miteinander verflochten sind. Rick Boyer versteht es insbesondere in der ersten Hälfte des bereits 1976 geschriebenen Romans (der sicherlich schon mal unter anderem Titel auf Deutsch publiziert worden ist), die Atmosphäre des viktorianischen England und der besonderen Form der Deduktion, wie sie nun einmal Sherlock Holmes zu eigen ist, reizvoll einzufangen.

Strukturell ist der Roman, der ein kleines bisschen zu lang für die Handlung ist – in der zweiten Hälfte wird er gelegentlich ein wenig zäh – , stark an den Doyle-Roman „Der Hund der Baskervilles“ angelehnt. Kenner des Holmes-Kanons merken das schnell. Dennoch ist er so eigenständig, dass man dieses Manko rasch verschmerzt und sich mit Feuereifer ans Grübeln und Überlegen macht, wie denn wohl die Lösung des Rätsels aussehen mag. Ich deute mal an: der Schluss ist in mancherlei Hinsicht dann doch eine ziemliche Überraschung. Mei­ne Gedanken waren nur sehr partiell auf der richtigen Fährte.

Die Riesenratte von Sumatra“, die ihren Titel eigentlich nicht völlig zu Recht trägt und zoologisch durchaus bedenklich ist (man vergleiche auch die Anmer­kungen im Roman selbst), gehört aller geringfügigen Schwächen zum Trotz zu den geschickteren Epigonenwerken Arthur Conan Doyles und zugleich zu der Sorte von Roman, die die Nacht zum Tag machen und die man, wenn man erst mal angefangen hat zu lesen, nicht mehr aus der Hand legen kann. Ich selbst brauchte (leider!) nur drei Tage, um das Buch regelrecht zu verschlingen. Ande­re Leser werden gewiss ähnliche Erfahrungen machen.

Uneingeschränkt empfehlenswert!

© by Uwe Lammers, 2007

Es gibt sie wirklich immer wieder, diese Sogromane, die den unvorbereiteten Leser schlicht strudelgleich hinabsaugen und alle Zeit ringsum verblassen las­sen. Das ist das Schöne am Lesen, was leider viele Zeitgenossen, zumeist jünge­ren Alters, wirklich nicht würdigen können. Unsere heutige Zeit ist auf bedau­ernswerte Weise schnelllebig geworden, vergesslich, ahistorisch… das gilt nicht nur für die Wissenschaft und die Politik, sondern eben leider auch für die Litera­tur.

Werke wie dieses hier versinken dann rasch im Vergessen, und wer sich nur an dem kurzsichtigen Mainstream dessen orientiert, was aktuell im Buchhandel verfügbar ist, dem entgeht unendlich viel an schönen Werken, die schon ein paar Jahre mehr auf dem Buckel haben.

Auch in der kommenden Woche kümmere ich mich um so ein kleines, aufregen­des Juwel der Science Fiction, das schon ziemlich alt ist – aber einen sehr ro­mantischen Charme ausstrahlt.

Was das für ein Buch ist? Wenn ihr’s wissen wollt, schaut einfach wieder herein!

Bis dann, meine Freunde!

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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