Liebe Freunde des OSM,

wenn ihr später diesen Eintrag in der Reihe dieser Artikel als eine Form von Bruch versteht, dann seid ihr damit durchaus nicht allein… es IST ein Bruch, und mir ist das nur zu bewusst. Denn in diesem Blogartikel müssen wir uns ein gutes Stück weit vom OSM entfernen, weil ich das zu beschreiben beginne, was ich schon einige Male als „erotische Gegenwelt des OSM“ angedeutet habe. Wir begeben uns in den Archipel.

Im vergangenen Teil dieser Artikelreihe, der am 23. März erschien (Wochen-Blog 55), erläuterte ich, ebenfalls etwas abschweifend, wie sich die vielen To­desfälle der Jahre 1996 und 1997 auf meine kreative Verfassung auswirkten und dass sie – wie ich vermute – eine Art von kreativer Gegenbewegung hervorrie­fen, in der ich mich deutlich stärker als jemals zuvor mit Erotik befasste. Und es blieb nicht bei einer rein theoretischen Beschäftigung, sondern ich drückte das in zahlreichen Werken, namentlich auch im OSM, deutlicher denn je aus.

Am 30. Oktober 1997 tauchte ich, zunächst mit einem seltsamen Planungs­skript, bald aber auch mit ersten Manuskriptseiten selbst, in eine neue Welt ein, die ich noch nie gesehen hatte. Nun ist das natürlich in Anbetracht der zahl­losen Universen, in denen ich mich herumtreibe, nicht wirklich etwas Überra­schendes, und wer dies lächelnd zu bedenken gäbe, dem müsste ich bestäti­gend zunicken. Wesentlich interessanter war dann schon, dass diese Geschich­te, an der ich zunehmend zu arbeiten begann und die bis Dezember die Dimen­sionen eines veritablen Romans entwickelte, so völlig ANDERS war als alles, was ich bis dahin geschrieben hatte.

Die drei Strandpiratinnen“, so der Titel des Werkes, an dem ich formell vom 10. November 1997 bis zum 28. Juli 1998 arbeitete, zeichnete sich durch eine selt­same Formlosigkeit aus. Zum Inhalt ist folgendes zu sagen: Wir befinden uns im Norden eines tropischen Kontinents, der einfach nur „Südkontinent“ genannt wird. Allgemeine Armut prägt die Region, und die Protagonistin ist eine verarm­te Adelige namens Vanessa von Lassinya, die seit kurzem verwitwet ist. Sie lebt nur noch mit ihrer Tochter Ariane und der fast gleichaltrigen Cousine Desiree auf einem verfallenden Landgut unter ärmlichen Verhältnissen und ersinnt, um wieder zu Geld zu kommen, einen riskanten Plan. Sie beginnen, als maskierte Räuberinnen Postkutschen zu überfallen. Als die Transporte bewaffnet werden, wird diese Form des „Broterwerbs“ zu riskant.

Von da an verfallen die drei Frauen darauf, eine andere, vermeintlich gefahrlo­sere Einnahmequelle zu suchen, und hier begann ich den Zipfel des Geheimnis­ses zu entdecken, der mich tiefer in diese Welt hineintrieb – ich erfuhr nun nämlich, als die Räuberinnen am Strand ihrer Küste einen Geldboten überfielen und sein Vermögen an sich brachten, verschiedenes Interessantes über diese Welt.

Es gibt südlich des Südkontinents eine ausgedehnte Inselwelt, den so genann­ten „Archipel“. Dorthin waren vor Jahrzehnten monarchistische Untertanen und Adelige geflüchtet und hatten enorme Reichtümer mitgenommen. Der Grund für diesen Exodus lag in einem Regierungsumsturz auf dem Südkontinent und der Abschaffung der Sklaverei. Seither waren die Exilanten dazu übergegangen, von einer neuen Metropole namens Asmaar-Len auf der großen Insel Coorin-Yaan aus eine Nation von Piraten zu etablieren, deren Fernziel darin bestand, dereinst die neuen Machthaber auf dem Südkontinent zu stürzen und zurückzu­kehren.

Diese Exilanten unterstützten nach wie vor monarchistische Untergrundbewe­gungen auf dem Südkontinent, und zu ihrer Finanzierung dienten die Geldtrans­fers… wie jener, den die „Strandpiratinnen“ nun unterbrochen hatten.

Damit bekam Vanessa von Lassinya ein ernstes Problem. Während ihre Tochter und die Cousine Desiree von dieser Art des Gelderwerbs fasziniert und erregt wurden, fand sie selbst das zunehmend gefährlich. Dennoch ließ sie sich zu ei­nem zweiten solchen Überfall am Strand überreden… doch hierbei liefen sie in einen Hinterhalt der Piraten aus dem Archipel und wurden schließlich überwäl­tigt und auf See entführt.

Je mehr ich auf diese Weise von dieser Welt mitbekam, desto fassungsloser wurde ich. Nicht nur, dass diese Menschen wirklich allseitig eine unglaubliche Sexualität hemmungslos auslebten, ich bekam auch vage Einblicke in die Tatsa­che, dass das nur die Spitze des Eisbergs sein konnte. Denn in der gewaltigen Inselwelt des Archipels, wurde rasch deutlich, gab es noch ganz andere Überra­schungen. So besaß diese Welt eigene Götterstrukturen, namentlich einen Lie­beskult um die vegetative Göttin Neeli und ihren Gemahl, den Sonnengott La­raykos, und in diesem Kult schien es sehr komplexe Rituale zu geben, die durch die Bank erotisch aufgeladen waren.

Ich bekam Andeutungen zu hören, nach denen es einstmals im Archipel eine hoch stehende Kultur gegeben haben sollte, die aus rätselhaften Gründen un­tergegangen war, aber Ruinenstädte hinterlassen hatte, überwuchert vom Ur­wald, erfüllt von Geheimnissen. Mir wurde zunehmend klar, als ich mit den ver­sklavten Strandpiratinnen durch die gleißende Schönheit der Stadt Asmaar-Len wanderte, dass Sklaverei in diesem Teil der Welt etwas völlig Normales war, ähnlich wie in der irdischen Antike – und ich war nicht wenig schockiert. Schließlich lehne ich so etwas ebenso wie Krieg und sexuelle Benachteiligung in jedweder Weise strikt ab.

Hier war das Normalität, abgesehen vom Krieg, der strikt geächtet war. Der Grund dafür lag in dem Bevölkerungsmangel der Archipelwelt (dass dies, eben „Archipel“ im Grunde der Name für diese Welt war, sollte mir erst ein, zwei Jah­re später klarer werden). Selbst große Metropolen wie Asmaar-Len besitzen kaum mehr als 50.000 Einwohner, üblicherweise sind Gemeinwesen von ein paar hundert bis maximal ein paar tausend Menschen der Normalfall. Ich schät­ze, dass diese ganze Welt vielleicht zehn oder fünfzehn Millionen Menschen als Gesamtbevölkerung aufweist.

Die Folge davon ist natürlich, dass der Archipel ein tropisches Paradies ist, in dem sich die Bevölkerung geradezu verliert. Die Technologie, wenn man das so nennen möchte, ist dem angepasst. Die fortschrittlichsten Bewegungsmittel sind Segelschiffe sehr kleiner Formate, selten mit mehr als 40 Mann Besatzung versehen. Zeitmessung erfolgt mehrheitlich über den Sonnenstand, navigiert wird im Grunde genommen über Stern- und Sonnenstand. Seereisen dauern nicht selten Wochen, manchmal Monate, Schiffbruch oder Piratenüberfälle sind an der Tagesordnung. Die weitaus meisten Archipelbewohner kommen im Leben kaum aus ihren Dörfern heraus, fast alle sind Analphabeten, und animis­tisch und abergläubisch veranlagt sind sie zudem.

Je mehr ich vom Archipel zu entdecken begann, desto fassungsloser wurde ich. Dies hier war fürwahr die absolute Gegenwelt zum übertechnisierten Oki Stan­wer Mythos. Es gab keine Spur von Baumeistern, Sternenvölkern, Hightech oder weit gestreckten kosmischen Plänen, die den OSM auszeichneten. Das hier war das vollständige Gegenteil, eine Welt, in der die Werte von Familie, von In­dividualismus, von striktem Götterglauben, Liebeserfüllung und Obrigkeitsge­horsam hochgehalten wurden. Eine kleine, man mag sagen: enge Welt, die manchem sicherlich als erschreckend erscheinen mag.

Warum erschreckend? Nun… sehen wir uns nur kurz den Punkt der Götter an. Es gibt durchaus in der Archipelbevölkerung – wir reden hier nicht von den Exilanten vom Südkontinent, diese Leute sind um einiges nüchterner (allerdings haben sie mit dem „Lichtgott“ ihre eigene Gottheit, auch das sollte ich entde­cken), und sie sehen üblicherweise ein wenig blasiert auf die Gottheiten des „Lustkultes“ der Göttin Neeli und ihres Gemahls Laraykos herab – so etwas wie Religiosität. Diese schlichten Gemüter (was nicht mit Dummheit verwechselt werden sollte) sind fest davon überzeugt, dass es Windgeister gibt, dass die Naturgewalten, denen sie ausgeliefert sind, von übernatürlichen Gottheiten dirigiert werden, die auch Leben und Tod bestimmen. Und die Priesterinnen dieser Kulte halten die Gläubigen in gezielter Unwissenheit und haben beispielsweise auch das Heilprivileg. Der Götterglauben, der bei genauer Betrachtung keine substanzielle Basis besitzt, ist ein Pfeiler des Machterhalts, und das kann man natürlich als Leser unserer Welt empörend finden.

Für diese Menschen ist das vollkommen normal, und das fand ich, als ich Ansätze davon zu Gesicht bekam, während ich den ersten Archipel-Roman schrieb, durchaus rätselhaft. Es kamen sowieso viele Fragen in mir auf, und wer mich als neugierigen Menschen kennt, versteht vermutlich nun, warum mich diese seltsame Welt so faszinierte, die ich hier entdeckt hatte. Als der Handlungsstrom des Romans „Die drei Strandpiratinnen“ Ende Juli 1998 abriss – und zwar, weil ich ihn beenden MUSSTE, weil ich wirklich ausgepowert war, durchaus nicht, weil die Geschichte fertig erzählt war, sie lief in einer Aporie aus, also in einer Handlungssackgasse, die eine Fortsetzung notwendig machte – , da hatte der Roman mit 318 Manuskriptseiten einen wirklich atemberauben­den Umfang erreicht.

Ich war im Zuge dieser Romanausarbeitung über eine weitere faszinierende Person gestolpert, die junge, blonde Bordsklavin Christina, die vor drei Jahren als erinnerungslose Schiffbrüchige aus dem Meer aufgefischt worden war und sich seither ganz der Lust gewidmet hatte. Und ich hatte auch sonst interessan­te Dinge entdeckt. Asmaar-Len beispielsweise: wie und wann war diese phan­tastische Stadt entstanden? Wie sah das nun genau mit dem rätselhaften Lie­beskult der Göttin Neeli aus? Wie war das mit dieser untergegangenen Kultur? Und, noch schlimmer: wie konnte es wohl sein, dass die Sklavinnen in dieser Welt ihre Rolle nicht nur akzeptierten, sondern mehrheitlich darin sogar so et­was wie eine Erfüllung sahen? Und wie funktionierte wohl eine Welt, in der das, was unsere Zivilisation eigentlich ausmacht, nämlich das Lesen und Schreiben in vielfältiger Form, quasi inexistent ist?

Außerdem: warum fand ich als nun wirklich Intellektueller, für den das Lesen und Schreiben zu den schönsten Fertigkeiten des Lebens gehört, diese Welt so unendlich faszinierend? Ich verstand es nicht recht, und das geht euch vielleicht sehr ähnlich.

Der Zauber des Archipels hatte mich eingefangen, und dass dort starker Schreibbedarf bestand und die Worte mühelos flossen, hatte ich in diesem ers­ten Roman deutlich gemerkt. Was mir noch nicht so klar wurde, war indes, dass ich mit der Abfassung dieses Romans einen Entwicklungssprung gemacht hatte, der sich noch auswirken würde. Ich sollte das 1998 noch merken, denn nur we­nige Tage nach der Fertigstellung dieses Romans tauchte ich ein weiteres Mal ein in die Wogen des Archipels. Am 2. August 1998 begann ich mit der Erkun­dung eines weiteren Teils dieser Welt, diesmal mit der Insel Fandan, wohin zwei junge Schwestern gerieten, nämlich „Evi und Petra“. Und so hieß dann auch der zweite Archipel-Roman, der aus meinen Fingern floss und in dem ich dem Mys­terium der Sklaverei ein bisschen auf die Spur kommen sollte.

Doch davon erzähle ich etwas später. Im kommenden Teil der Artikelreihe, der am 18. Mai 2014 erscheinen wird, erzähle ich erst mal wieder vom OSM und dem Jahr 1998. Nächste Woche erfahrt ihr, was ich so im Januar 2014 am OSM weiterschreiben konnte.

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

(Braunschweig, den 4. Dezember 2013)

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