Liebe Freunde des OSM,

wir machen erneut eine Zeitreise zurück in meine frühen kreati­ven Tage. Diesmal stoppt der Zeiger im Frühjahr 1984. Ich zähl­te damals noch süße 17 Lenze und war ziemlicher Frischling im bundesdeutschen Fandom, in dem ich mich erst seit Ende 1982 tummelte. Die Ausarbeitung des Oki Stanwer Mythos (OSM) war noch recht schlicht, meine Hauptlesequellen waren zahllose Heftromanserien, von denen die meisten heutzutage längst nicht mehr existieren.

Ich ging noch zur Realschule und stand etwa ein Jahr vor dem Schulabschluss, ohne rechten Plan, wie es weitergehen sollte. Aber angeregt von meiner Romanlektüre und bis zum Scheitel voll von kreativer Energie fasste ich einen, wie ich heute weiß, recht wagemutigen Plan.

In Worte gefasst lautete er so: Ich kann schreiben. Ich liebe Phantastik. Ich liebe Heftromane – und Heftromane schreiben kann offenbar jeder, also probiere ich das einfach mal!

Ich hatte wenige Monate zuvor eine erste längere Novelle von ungefähr 40 Textseiten Umfang geschrieben und wusste durch meine Kontakte ins Horror-Fandom natürlich längst, wie ein Heftromanskript auszusehen hatte: 120 Norm-Textseiten, zwei­zeilig geschrieben … und mir war zwar klar, dass das eine ziem­liche Arbeit werden würde, solch eine Geschichte auch tatsäch­lich zu Papier zu bringen, aber erfüllt von Ehrgeiz und ausge­stattet mit einer gebrauchten mechanischen Schreibmaschine war ich zuversichtlich, die Aufgabe zu bewältigen.

Also nahm ich Kontakt zum damals noch existierenden Zauber­kreis-Verlag auf und erhielt grünes Licht für die Einreichung ei­nes Horror-Romanskripts. Das war der Startschuss dessen, was ich später mein „Romanarchiv“ nennen sollte, in dem inzwi­schen 86 Werke vorliegen und von denen ich im Rahmen dieser Artikelreihe nach und nach in den nächsten Jahren berichten werde.

Der Ausgangspunkt war also eine schon existente Novelle, die den Titel „Dämon mit tausend Gesichtern“ trug. Das Roman­skript, das ich nun entwarf und am 1. Juli 1984 mit 120 Textsei­ten wie geplant abschloss, erhielt folgerichtig denselben Titel. Die Ursprungsnovelle wurde nie publiziert und wanderte in mei­nen ersten Geschichtenordner, in dem sich die Skripte der Jahre 1983/84 befinden.

Die Geschichte, die ich anlässlich dieses Beitrags noch einmal las und die sich überraschend stürmisch voranpeitschend lesen ließ, was mich selbst verblüffte, beginnt in Schottland. Dort er­wacht in einem Quellgewässer eine namenlose Wesenheit und wird sich ihrer selbst bewusst. Sie ist amorph und gallertartig, fragt sich, wer sie ist und was ihr Existenzgrund sein soll.

Sie erhält Instruktionen von nebelhaften Wesen. Ihr wird signali­siert, dass sie einen Menschen namens Steve Swenna finden und töten soll. Warum und weshalb, ist unklar.

Als ein Mann aus der Quelle Wasser schöpft und trinkt, erwacht die erste Fähigkeit des „Dämons“: Er wird von dem Körper des Trinkenden aufgenommen und okkupiert umgehend seine Per­sönlichkeit und nimmt seinen Körper in Besitz … zu seinem nicht geringen Entzücken stellt er fest, dass der Trägerkörper der erfolglose Schriftsteller James Kerrol aus Oban ist. Und er ist freundschaftlich verbunden mit dem vermögenden Hank Swen­na und seiner Frau Christine, die er früher einmal begehrt hat. Sie sind auf Urlaub in Oban und stammen eigentlich aus Bristol.

Schon glaubt sich der „Dämon“ am Ziel und begibt sich, nun­mehr im Körper des Schriftstellers weilend, nach Oban in den Haushalt der Swennas, die natürlich nichts von seinen Zielen ahnen.

Doch die Aufgabe ist alles andere als simpel. Denn Hank Swen­na kennt keinen Steve Swenna. Während der „Dämon“ den Nei­gungen seines Schriftsteller-Gastkörpers nachkommt und Ge­danken über seine eigene Herkunft leichtsinnig verschriftlicht (diese Notizen machen nachher einen wesentlichen Faktor der Enttarnung aus), wird ihm zunehmend deutlicher, dass seine Okkupation die Trägerkörper immer stärker erschöpft und er deshalb gezwungen sein wird, alsbald seinen Gastkörper zu wechseln.

Der Vorteil dabei ist, dass er die Erfahrungen und das Wissen der Trägerkörper übernimmt und beibehält, womit sein Wissens­vorsprung in der Menschenwelt stetig wächst. Als Problem noch nicht erkannt wird von ihm dagegen, dass die „abgelegten“ Trä­gerkörper Charakteristika aufweisen, die den Kriminalisten, die ihm alsbald auf der Spur sind, verraten, dass es sich bei dem Täter nicht um einen Menschen handeln kann.

In seinem Bestreben, Steve Swenna, den er bald in Bristol ver­mutet, ausfindig zu machen, hinterlässt der „Dämon“ eine Spur von Leichen. Nebenbei erreicht er es, den psychisch ohnehin schon labilen Hank Swenna in einen psychopathischen Wahnsin­nigen zu verwandeln, der alsbald ebenfalls unter dämonischer Kontrolle steht, diesmal allerdings von Gegenkräften.

Während der Kommissar Alan Wylon und der Polizeiarzt Ben Wil­kins, die den Fall zu bearbeiten beginnen (eine gewisse Analo­gie zu Sherlock Holmes und Dr. John Watson ist zweifellos nicht zufällig, ich habe die Geschichten damals schon gelesen), die unheimliche Natur des fremdartigen Wesens anerkennen, ent­spinnt sich eine hektische Jagd nach dem „Dämon“, wobei die Natur, Misstrauen, ungläubige Fachkollegen und Ahnungslosig­keit immer stärker gegen die Verfolger arbeiten.

Das unheimliche Wesen scheint den Verfolgern immer einen Schritt voraus zu sein …

Ich war wirklich sehr verblüfft von dieser Geschichte, muss ich sagen, die ich seit Jahrzehnten nicht mehr gelesen hatte. Und während ich sie las, wuchs durchaus mein Respekt vor meinem jüngeren Ich. Zugegeben, die Geschichte beginnt ziemlich holp­rig und unbeholfen (und Korrekturmarken des Lektors des Verla­ges zeigen auch deutlich, dass sie ihn nicht überzeugt hat, was die nachmalige Ablehnung verständlich macht). Aber die zweite Hälfte des Romans, die in eine atemlose Verfolgungsjagd ausar­tet, hat durchaus Potenzial, das ist nicht zu leugnen. Ab einem bestimmten Punkt habe ich mehr als die Hälfte der Geschichte dann in einem Zug ausgelesen – was mir bei eigenen Texten, die so alt sind, sonst eher schwer fällt.

Es gibt zudem zwei Aspekte, die ich an dieser Stelle noch er­wähnen möchte und die ich wichtig finde. Der eine bezieht sich auf mögliche literarische und filmische Anleihen, die ich in der Geschichte verarbeitete bzw. Themen, die ich später in anderen Kontexten wieder aufgegriffen habe.

Die zweite hat mit der Öffentlichkeitswirkung zu tun. Ich sollte vielleicht damit anfangen, weil das einiges Befremden auslösen könnte. Immerhin handelt es sich bekanntlich um ein unveröf­fentlichtes Romanwerk. Wie kann das also eine Öffentlichkeits­wirkung haben? Nun, das ist eine witzige Geschichte für sich.

Ich erwähnte, dass ich noch zur Schule ging. Damals musste im Frühjahr 1985 im Rahmen unseres Deutschunterrichts jeder Schüler ein Buch vorstellen. Wenn ich mich recht erinnere, war das Werk, das ich vorstellte, ein Politthriller von Paul Erdman, „Die letzten Tage von Amerika“. Das müsste ich noch mal genauer erkunden, weil ich konkrete Lesestofflisten erst seit 1987 geführt habe.

Nun, wie dem auch sei … einer meiner Klassenkameraden kam in diesem Kontext auf die urige Idee, meinen Roman „Dämon mit tausend Gesichtern“ als Referatsthema zu wählen. Et­was, was nicht nur mich, sondern auch unseren Klassenlehrer und die Mitschüler ziemlich verblüffte. Das kann man durchaus als singuläre Buchvorstellung betrachten.

Die Notizen zu diesem Referat sind dem Romanskript vorgehef­tet. Da dort als schon vorhandene Romanskripte von mir auch „Baumsterben auf Lepsonias“ aufgeführt wird (von diesem Roman erzähle ich euch im Blogartikel 659, dessen Veröffentli­chung für den 22. März 2026 geplant ist), kann ich den Zeit­punkt dieses Referats relativ gut eingrenzen. Der genannte Ro­man wurde am 27. Mai 1985 vollendet, das Schuljahr hörte im Sommer 1985 auf, sodass das Referat wohl im Juni 1985 gehal­ten wurde.

Kommen wir zum anderen oben angesprochenen Punkt: Das rätselhafte gallertartige Wesen, das als „Dämon“ charakterisiert wird, nicht als Außerirdischer, hinterlässt bei seinem „Auszug“ aus den Trägerkörpern eine Leiche, der sämtliche Flüssigkeit entzogen worden ist. Die Methode wird nie konkret erläutert, aber diese eine Szene, als der Arzt Wilkins eine Leiche auf­schneidet und statt Blut roter Staub rieselt, ist ganz unverhoh­len eine Filmanleihe an Michael Crichtons Romanstoff „Andro­meda. Tödlicher Staub aus dem Weltall“.

Dann hat mich von Anfang an bei der Lektüre die Natur des rät­selhaften gallertartigen Wesens und die Übernahme der Gast­körper verdutzt. Ich dachte: Verdammt, das klingt so vertraut! Woher kenne ich das nur?

Es dauerte eine Weile, bis es mir einfiel: Ich habe im Juli 1999 den alten SF-Roman „Symbiose“ (OT: Needle) von Hal Clement gelesen. Und schon damals dachte ich frappiert – die Story ken­ne ich von irgendwoher! Aber ich konnte mir damals nicht erklä­ren, woher. Auch hier geht es um einen formlosen Gestaltwand­ler, der auf der Erde einen Trägerkörper übernimmt und seiner­seits einen Gestaltwandler jagt, der sich in menschlicher Tarn­gestalt auf der Erde aufhält.

Die Ähnlichkeiten mit der obigen Geschichte sind indes so schlagend, dass mir während der Lektüre des eigenen Romans deutlich wurde, was ich völlig vergessen hatte: Ich musste ohne Zweifel als Büchereibuch den Roman von Clement 1983 oder 1984 gelesen haben und verarbeitete diese Gedanken erst in meiner Novelle von 1984, wenn auch deutlich dramatisiert, und schließlich im obigen ersten Zauberkreis-Versuchsroman.

Auch ansonsten ließ mich das Thema des Körpertausches nicht wirklich los. Im Dezember 1992 griff ich das Thema erneut auf. In der – ebenfalls nie publizierten – Episode der Phantastikserie „The Shadow“ taucht ein bizarres Wesen auf, das „Der Verkör­perer“ genannt wird (so auch der Titel der bislang nie veröf­fentlichten Episode), das ebenfalls dadurch auffällt, dass es Menschen okkupiert und Leichen der vorherigen Gastkörper zu­rücklässt.

Die Verbindungslinie zum acht Jahre vorher geschriebenen Ro­man ist m. E. unübersehbar.

Vermutlich gibt es sogar noch weitere Hintergrundinspirationen. Da wäre etwa die Filmtrilogie um den Verbrecher Fantomas zu nennen, die ich damals schon kannte, auch ein Mann mit tausend Gesichtern. Sherlock Holmes und seine Maskierungskünste sind ebenso als Hintergrundfolie zu reflektieren (die später in Klivies Kleines im OSM noch deutlich weiterentwickelt wurden, das geht bis heute fort).

Alles in allem ist zwar damals mein Versuch, für den Zauber­kreis-Verlag gescheitert, weil dieses Romanskript abgelehnt wurde. Und ebenso enthält das Skript sehr viele Schreibfehler, holprige Stellen und holzschnittartige Charakterisierungen, die vielfach kaum über Klischees hinausgelangen. Dennoch ist die strukturelle Grundidee nach wie vor reizvoll.

Und wie ging es dann weiter? Nun, ich hatte den Roman beim Verlag eingereicht und machte mich umgehend daran, den nächsten zu schreiben. Denn der Zauberkreis-Verlag hatte ja auch eine SF-Reihe, und für die wollte ich den nächsten Roman verfassen.

Davon erzähle ich dann im nächsten Teil dieser Artikelserie. In der kommenden Woche berichte ich allerdings erst mal über meine kreativen Schreibfortschritte im Monat Oktober 2024.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Leave a Reply

XHTML: You can use these tags: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>