Rezensions-Blog 141: Harem der Lust

Posted Dezember 6th, 2017 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

heute machen wir mal wieder einen kleinen Ausflug in ein vermutlich gewöh­nungsbedürftiges Segment der Literatur. Wir kommen zu dem, was man flapsig und chauvinistisch-herablassend „Weiberkram“ nennen könnte… aber völlig zu Unrecht, meiner Ansicht nach. Denn die emotionale Sphäre von Frauen ist mei­ner Überzeugung nach ein höchst komplexes Spielfeld schwieriger Elemente, die sich zumeist in einer sehr fragilen, vielleicht instabilen Lagerung befinden und durch leichteste Veränderungen in unberechenbarer Weise mal zum Guten, mal zum Schlechten ausschlagen können.

Ich finde das äußerst interessant – und ganz besonders aufregend ist es dann, wenn sich Autorinnen auf sehr handfeste Weise in diese Sphäre schreibend hin­einbewegen, indem sie nämlich die Gefühle und die Erotik ins Zentrum des Ge­schehens stellen. Oftmals ist dann relativ klar zu sehen, ob da ein Mann unter weiblichem Pseudonym seine lüsternen Phantasien ausgetobt hat oder ob es sich tatsächlich um eine Frau handelt, die ihren sinnlichen Emotionen freien Lauf lässt.

Noch interessanter wird die Sache dann, wenn es sich nicht um einen der klassi­schen Gegenwartsromane handelt, sondern ein historisch-exotisches Setting gewählt wird. Zum einen lässt dies die heißblütige Phantasie der Autorin beson­ders in Wallung geraten, zum anderen bietet die farbenprächtige Kulisse ver­gangener Zeiten mit mondäner Pracht besonders ausgiebige Möglichkeiten des Experimentierens.

Ein solches Setting ist notwendig der orientalische Harem, ein Ort, der jahr­hundertelang (und zum Teil noch heute) von schwülen Visionen umlodert wur­de. Jasmin Eden hat sich auf interessante Weise mit diesem Thema auseinan­dergesetzt und ein auch strukturell recht verblüffendes Werk geschaffen, das mich auf vielfältige Weise sehr ansprach. Lasst es mich euch vorstellen und lest weiter:

Harem der Lust

von Jasmin Eden

Bastei 17252

Köln 2015, 208 Seiten, TB

ISBN 978-3-404-17252-8

Tausendundeine Verführung verspricht der Klappentext, und mit der matt­goldenen Schrift, dem geheimnisvoll-dunklen Hintergrund und den erhabenen Ornamentmustern auf dem Cover macht das Buch in der Tat Lust darauf, es in die Hand zu nehmen, sich den taktilen Reizen hinzugeben und anschließend in dem Werk zu versinken. Wer dies raffiniert ausgetüftelte Abenteuer aber auf sich wirken lässt, wird eine Überraschung erleben, wie sie mir widerfuhr.

Bei Kurzgeschichtenbänden neige ich dazu, mich gewissermaßen qualitativ von hinten anzupirschen, d. h. die kürzeren Stories zuerst zu schmökern. Das hat da­mit zu tun, dass mir bewusst ist, wie schwer es ist, auf wenigen Seiten eine komplexe Storyline zu entwerfen. Ich begann also folgerichtig mit der letzten Story „Poojas Geschichte“, die nur sechs Seiten umfasste… und verstand rein gar nichts. Das war interessant und verwirrte mich. Was fange ich an mit einer jungen Frau und einem männlichen Begleiter, die durch eine Wüste laufen und ein kurzweiliges (und offensichtlich nicht erstes) Liebesabenteuer mitmachen? Was war mit all den Personen und Anspielungen, die in dieser Story durch­schimmerten?

Irgendetwas stimmte hier nicht.

Ich fing also von vorne an zu lesen, und schon nach wenigen Seiten verstand ich, was hier vom Klappentext geflissentlich verschwiegen wird – es handelt sich um eine durchaus inzwischen ungebräuchliche Form von Erzählung, nämlich um einen Episodenroman.

Man kennt so etwas etwa aus dem „Don Quixote“ von Cervantes, wo innerhalb des Romans zahlreiche Untergeschichten eingeschoben und eingewoben wer­den, oder eben auch – hier passt der Vergleich noch besser – in den Märchen aus „Tausendundeiner Nacht“. Aber wer darauf nicht vorbereitet ist und vor­geht, wie ich es getan habe, erleidet kläglich und ratlos Schiffbruch in einem durchaus sehr interessanten Roman.

Es wird nicht genau gesagt, wann die Geschichte spielt, und es dauert, bis sich die Rahmenparameter herauskristallisieren (dies geschieht etwa erst ab Seite 165). Dass wir uns in Indien befinden und durchaus nicht in der Gegenwart, das wird bereits auf Seite 1 des Werkes deutlich, als die junge und erotisch völlig unbedarfte Pooja, die Nichte des Maharadschas Kunai als künftige Gattin des Maharadschas Yash in dessen Palast eintrifft. Zu ihrer nicht geringen Bestür­zung muss sie entdecken, dass ihre Gemächer geradewegs an den Harem des Hausherrn grenzen und dieser bevölkert ist von einer ganzen Schar faszinieren­der Mädchen und Frauen, die allesamt schon jenes Vergnügen hatten, das nun – angeblich – Pooja allein zusteht: mit Yash ins Bett zu gehen.

Es ist wohl unvermeidlich, dass Pooja sie als Rivalinnen ansieht und sich ihnen gegenüber wegen der geringeren sexuellen Kenntnisse als minderwertig be­trachtet. Das steigert sich noch, als sie entdecken muss, dass sich ihr Gatte, mit dem sie auf Distanz vermählt wurde, ihr gegenüber verleugnen lässt, sich aber zudem munter mit einem der Haremmädchen vergnügt, was Pooja leider mit­bekommt.

Sie ist einigermaßen schockiert… aber die anderen Bewohnerinnen des Harems sind zumeist äußerst verständnisvoll und laden sie zu ihren täglichen Geschich­tenrunden ein, in denen sie reihum aufreizende erotische Geschichten zum Besten geben… teilweise solche, die sie gehört haben, teilweise sind sie erfun­den, zum guten Teil aber auch biografischer Natur. Auf diese Weise erfährt der Leser nach und nach den biografischen Background der Protagonistinnen und ihre Verbindung zu Yash und wie sie in den Palast kamen. Das gilt auch für die beiden Haremswächter, insbesondere für Tam, den „Falkenkrieger“, den ein be­sonderes Verhältnis mit dem Haremmädchen Naruda verbindet.

Und dummerweise fühlt Pooja auch gewisse Gefühle erwachen, die ihn betref­fen…

Der Roman – um einen solchen, eben unterteilt in Geschichtenepisoden, ganz in der oben erwähnten Tradition, handelt es sich also grundsätzlich – weist noch eine Besonderheit auf, die den unvorbereiteten Leser vielleicht verwirren mag, die ich aber als durchaus angenehm empfand: nach dem Erzählen einer Geschichte folgt ein Überleitungsteil, der manchmal beinahe so umfangreich ist wie die Story selbst, die aber weitere Elemente der Handlung vertieft, Dialoge und Konflikte einschließt und meist auf die nächste Geschichte hinleitet.

Was ebenfalls interessant an dem vorliegenden Werk ist, das ist die Tatsache, dass im Gegensatz zu zahlreichen anderen erotischen Romanen, die mir be­kannt sind, hier nicht eine Art von „Herunterbeten des Kamasutra“ betrieben wird, wenigstens nicht auf die offensichtliche Art und Weise. Viele Geschichten sind vielmehr sinnlich-subtil. Zu nennen wäre hier etwa die Geschichte um den Mehndi-Maler oder die um die Statue. Auch die Seidenhändler-Geschichte ver­meidet unziemlich Direktes und passt schön zu der schüchternen Pooja und der Intention der Erzählerinnen, ihr langsam Facetten der weiblichen Sexualität zu vermitteln.

Dann wieder gibt es natürlich auch heftige Stories und die eine, ich würde sa­gen, „unvermeidliche“ homoerotische Geschichte. Dass männliche Homosexua­lität Autorinnen besonders fasziniert, ist nichts Neues, das ist bereits von Mari­on Zimmer-Bradley und ihren Darkover-Romanen bekannt. Hier kommt es indes unaufdringlich daher und hat nicht die Penetranz, die solche Stories manchmal annehmen. Generell ist in dem Buch ein angenehmer Weichzeichner aktiv. Man kann nicht den Finger darauf legen, aber in irgendeiner Weise durchzieht er das gesamte Werk und erhöht die lesetechnische Geschmeidigkeit. Es lässt sich schwer anders formulieren.

Einen Kritikpunkt kann man aber leider nicht verschweigen. Es gibt einen Hand­lungsbruch gegen Ende, und es hat den Anschein, als habe der Verlag hier eine Story gezielt entfernt oder gekürzt, die für das Verständnis des Gesamtwerkes notwendig gewesen wäre, möglicherweise geschah das, um eine vorkalkulierte Seitenzahl zu erreichen. So aber hängt das Ende bedauernswert in der Luft, was das Gesamtwerk dann doch in seiner Wirksamkeit schmälert.

Ansonsten ist hier eine klare Leseempfehlung auszusprechen. Und ich bin schon neugierig auf ein weiteres Werk der Autorin, das unter dem Titel „Persische Nächte“ möglicherweise ein ähnliches Vergnügen erwarten lässt.

© 2016 by Uwe Lammers

Tja, wie ihr sicherlich gemerkt habt, ist das eine ungewöhnliche Geschichte, die aber aus verschiedensten Gründen eine Lektüre lohnt. Und vielleicht wünscht ihr euch daraufhin auch weitere Bücher der Autorin (übrigens: ihren „Zweitling“ habe ich inzwischen, er ist aber noch nicht gelesen).

In der kommenden Woche springen wir wieder in die Gegenwart oder die nahe Zukunft, das ist nicht so ganz klar zu sagen. Und dann geht es um wissenschaft­liche Visionen, die auf atemberaubende Weise aus dem Ruder laufen. Ich sage nur soviel: Wer Pilze mag und sich im Reich der Fungi einigermaßen auskennt, kommt hier voll auf seine Kosten.

Neugierig? Dann schaut nächste Woche wieder hier herein und lest weiter.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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