Rezensions-Blog 167: Packeis

Posted Juni 6th, 2018 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

wieder einmal ist es Clive Cussler-Time in meinem Rezensions-Blog, und wenn ihr weiterlest, werdet ihr sehen, dass ich anno 2013, als ich die unten wiederge­gebene Rezension nach Lektüre des Buches schrieb, doch ein wenig das Gefühl hatte, auf Zitronen gebissen zu haben oder an Zahnschmerzen zu leiden. Beides stimmte nicht. Ich war halt nur nicht wirklich überzeugt von dem Werk.

Nun wisst ihr ja, dass Cussler und seine Coautoren auch mal schwache Stunden haben – das ist einfach unabweislich, wenn man Jahr für Jahr unter dem Druck steht, einen Bestseller für die Literaturlisten zu verfassen. Das Cussler & Co. das immer noch schaffen, nötigt mir und vielleicht auch euch einigen Respekt ab. Aber der vorliegende Band führt doch titelmäßig arg in die Irre und ist wissen­schaftlich auf so dünnem Eis unterwegs, dass man das besser gedanklich aus­blenden sollte, wenn man ihn liest. Wer auf rasante Abenteuerromane mit leicht phantastischen Plots steht oder eben zu den „unverbesserlichen Cussler-Fans“ (schmunzel) zählt, für den mag das Buch ein Muss sein. Alle, die kritische­re Geister sind, mögen sich meine durchaus nachdenkliche Rezension zu Gemü­te führen und für sich selbst überlegen, ob das Werk etwas für sie ist.

Dennoch neugierig geworden? Okay, dann begeben wir uns mal in die Schluss­phase des Zweiten Weltkriegs und schauen, was dann geschah, jedenfalls laut Cussler und Paul Kemprecos:

Packeis

(OT: Polar Shift)

Von Clive Cussler & Paul Kemprecos

Blanvalet 36617, 2006

512 Seiten, TB

ISBN 3-442-36617-8

Aus dem Amerikanischen von Michael Kubiak

Die Spur der Katastrophe beginnt im Herbst 1944 in Ostpreußen: der von den Nazis entführte geniale ungarische Wissenschaftler Lazlo Kovacs wird in Ost­preußen aus seinem Labor durch einen hoch gewachsenen, jungen deutschen Soldaten in Sicherheit gebracht – in eine Sicherheit, die indes über die grässli­che Katastrophe der „Wilhelm Gustloff“ führt. Kovacs war gezwungenermaßen auf der Suche nach einer Endzeitwaffe für die Nazis, doch seine Spur verliert sich im Nebel der Wirren des untergehenden Dritten Reiches.

Seine Idee indes stirbt nicht.

Über sechzig Jahre später verschwindet das hochmoderne Frachtschiff „Southern Belle“ auf dem Atlantik spurlos, kurz nachdem es einen Notruf abge­setzt hat. Offensichtlich ist es einer so genannten „Monsterwelle“ zum Opfer gefallen, einer der legendären „Freak Waves“, die sich in den letzten Jahren im­mer mehr zu häufen scheinen. Ob das eine natürliche Entwicklung ist, etwa be­dingt durch den globalen Klimawandel, ist unklar.

Der NUMA-Mann Kurt Austin stolpert in all diese Geschehnisse eher durch einen Zufall hinein – während er ein Kajakrennen anführt, wird er beinahe von einem wild gewordenen Orca verspeist und kann nur knapp mit dem Leben davonkommen. Sein Lebensretter ist ein schrulliger Mann, auf dessen Kopf eine Spinne tätowiert ist – ein reicher Exzentriker namens Spider Barrett. Austin fällt auf dem Vorderschiff der Yacht, die Barrett fährt, ein seltsames technisches Ge­bilde auf, das er nicht einordnen kann, es scheint ihm aber nebensächlich zu sein.

Er könnte nicht falscher liegen.

Wenig später macht eine Anarchistenbewegung namens „Luzifers Legion“ von sich reden, die unter dem Kommando eines diabolisch aussehenden Mannes steht, der auf den Namen Tristan Margrave hört. Sein Ziel ist es, die bestehen­de kapitalistische Weltordnung umzustürzen und mit hochmoderner Technik Terror zu verbreiten. Spider Barrett hat sich, weil er fundamentale Kritik an der modernen Weltordnung übt, als Nerd-Idealist diesem Ziel angeschlossen und ein Erbe der Vergangenheit weiterentwickelt – die so genannten Kovacs-Glei­chungen. Mit Hilfe modernster Technologie, so scheint es, sind diese Gleichun­gen imstande, einen Polsprung künstlich auszulösen, also einen Austausch des Nord- und Südpols. Dies wird den Ausfall sämtlicher Kommunikationskanäle und aller Navigationssysteme zur Folge haben… kurzum: Chaos.

Und anschließend wollen Barrett und Margrave der Welt diktieren, dass sich die Wirtschaftsverhältnisse global grundsätzlich zu ändern haben. Um genügend Fi­nanzkraft für die Umsetzung der Pläne zu besitzen, haben sie zudem einen nach außen unbescholtenen Altruisten und Mäzen ins Boot geholt – Jordan Gant, der scheinbar entgegen gesetzte Ziele verfolgt wie die Neo-Anarchisten. Aber Gant treibt ein doppeltes Spiel, und dies auf eine durchweg mörderische Weise. Der erste, der das zu spüren bekommt, ist der idealistische Spider Barrett.

Gant und Margrave sind zudem der Auffassung, dass die Enkelin des verstorbe­nen Ungarn, Karla Janos, möglicherweise eine Gefahr für ihre Pläne darstellen kann. Sie ist inzwischen zu einer schönen, jungen Frau herangereift und eine kluge Forscherin, die nach den Gründen des Aussterbens der Mammuts sucht. Zu diesem Zweck befindet sie sich auf der vor Sibirien gelegenen Insel „Ivory Is­land“, wo sie Untersuchungen durchführen will. Forschungen, die von einem Kil­lerkommando der auf sie angesetzten russischen Mafia vereitelt werden sollen.

Während Kurt Austin und seine Freunde noch im Dunkeln tappen, was über­haupt los ist, schwebt die möglicherweise einzige Hoffnung der modernen Welt, Karla Janos, unvermittelt in Lebensgefahr – und ihr einziger Schutz ist of­fensichtlich ein steinalter Mann namens Karl Schroeder: jener deutsche Soldat der Hitler-Opposition, der schon Lazlo Kovacs das Leben rettete. Aber der Countdown für das Verhängnis läuft – und in den Berechnungen der Anarchis­ten steckt ein fundamentaler Fehler, der zum Untergang der Welt führen kann, wenn man den Plan nicht aufhält…

Mit „Packeis“ liegt der sechste Roman um das Team Kurt Austin und Joe Zavala vor, und wenngleich das Titelbild definitiv gut zum Inhalt passt und sich auch die erste Hälfte des Romans durchweg spannend liest, merkt man doch als Le­ser danach deutliche Ermüdungserscheinungen. Sieht man mal vom völlig un­passenden Titel ab (es geht nicht um Packeis), weckt die Handlung unschöne und mulmige Erinnerungen an einen früheren, desaströsen Cussler-Roman, nämlich an „Akte Atlantis“, in dem auf einer ähnlichen Basis eine recht haar­sträubende Handlung aufgebaut wurde.1

Natürlich, es GIBT Monsterwellen, das ist unbestreitbar. Und ja, auch die Sache mit dem Polsprung, der relativ eindeutig mehrmals in der Erdvergangenheit stattgefunden hat, der letzte vor rund hunderttausend Jahren, entspricht der Realität. Ebenso stimmt es, dass sich das Erdmagnetfeld seit gut 150 Jahren nach und nach abschwächt und ein erneuter Polsprung für die nahe Zukunft recht realistisch erscheint.

Darüber hinaus gibt es dann aber ein paar ziemlich abenteuerliche Bemerkun­gen in der Geschichte, die dem kenntnisreichen Leser die Laune gründlich ver­hageln können: So wird beispielsweise von wissenschaftlicher Seite her (!) kon­statiert, dass die Polsprünge sich durch die magnetischen Partikel in den Felsge­steinen nachweisen ließen, denn, so wird sinngemäß suggeriert, es lasse sich durch die Ausrichtung der Partikel in den Gesteinen etwa Nordamerikas nach­weisen, dass der Kontinent früher sehr viel näher am Äquator gelegen habe usw. Was natürlich prinzipiell richtig ist. Das hat aber weniger mit Polsprüngen als vielmehr mit der Kontinentaldrift zu tun – die im Roman keine Erwähnung findet. Hier wird viel mehr dem Katastrophismus gehuldigt und das Phantom ei­ner „rasanten geografischen Verschiebung“ von Kontinenten an die Wand gemalt. Dummerweise schließt sich sogar der Supercomputer Max im NUMA-Zentrum in Washington dieser Ansicht an, was dann wirklich vollkommen affig ist.

Auf diese Weise gerinnt der Haupthandlungsstrom leider zur Groteske, und auch nette kleine Einfälle am Rande wie etwa eine geheimnisvolle unterirdische Stadt oder die Sache mit den Zwergmammuts können nicht darüber hinwegtäu­schen, dass die wissenschaftliche Basis der Geschichte arg dünne Tünche dar­stellt. Das Resultat ist dann leider ein Werk, das hastig heruntergespult scheint, irgendwie halbherzig zusammengeschustert. Ich kann dem Roman deshalb lei­der kein gutes Urteil zubilligen.

Dieses Werk ist wirklich nur für eingefleischte Fans zu empfehlen. Schade. Kem­precos ist offensichtlich schreibmüde.

© 2013 by Uwe Lammers

Wie gesagt, nicht so wirklich eine Sternstunde für Cussler & Co., aber lange nicht so verheerend ausgefallen wie das oben erwähnte „Akte Atlantis“. Ihr habt euch dennoch was Besseres als nächste Lektüre verdient – und deshalb mache ich in der nächsten Woche mit euch eine Zeitreise über Millionen Jahre zurück, in eine Epoche, in der Menschen und Aliens zusammen auf der Erde lebten.

Verwirrt? Nun, schaut rein, und ich präsentiere euch einen faszinierenden er­sten Band eines bemerkenswerten und heute vermutlich völlig vergessenen Ro­manvierteilers.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe

 

1 Vgl. zu meiner eigenen Einschätzung dieses Romans den Rezensions-Blog 123 vom 2. August 2017.

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