Rezensions-Blog 179: Der Widersacher (4/E)

Posted August 29th, 2018 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

tja, ich habe es in meinen Rezensionen schon verschiedentlich betont… ich fin­de es bedauerlich, wenn man zu spüren beginnt, dass den Verfassern die Ener­gie ausgeht und ein an und für sich interessanter Stoff zu schematischem Sei­tenwust degeneriert. Als ich 2002 das zweite Mal Julian Mays Pliozän-Zyklus las, war ich gegen Ende, also im vierten Band, doch an vielen Stellen rechtschaffen enttäuscht. An vielen Stellen dieses Romans hatte ich damals den Eindruck ge­wonnen, dass die Verfasserin, vielleicht auch die Übersetzerin, zu schwächeln begonnen hatten.

So viel Potenzial, das hier verschenkt wurde. So viele Seiten, die man mit inter­essanteren Dingen hätte füllen können. So viel Charaktere, die zu Hülsen zu­sammenschrumpften und quasi bedeutungslos wurden. Das war doch sehr bedauerlich. Natürlich steuert dieser Roman das Finale des Zyklus bei, aber ihr ahnt schon an diesen Vorbemerkungen, dass die Rezension einiges Konfliktpo­tenzial in sich birgt und nicht so positiv ausgefallen ist wie die Besprechung der vorherigen drei Bände.

Vielleicht bin ich ja zu hyperkritisch. Julian May-Fans werden das sicherlich fin­den. Aber wenn ihr euch besser eine eigene Meinung bilden möchtet, dann schaut einfach weiter:

Der Widersacher

(OT: The Adversary)

von Julian May

Heyne 4303

608 Seiten, TB

Übersetzt von Rosemarie Hundertmarck

Das Machtkarussell im Vielfarbenen Land geht weiter. Nachdem sich der Usur­pator Aiken Drum aus der Schar der einstigen „Gruppe Grün“ zum Herrscher über die außerirdischen Tanu aufgeschwungen hat, ist Widerstand gegen ihn erwachsen, insbesondere durch den totgeglaubten Nodonn Schlachtenmeister und seine menschliche Geliebte, Lady Mercy-Rosmar. Indem sie sich Aiken hingab und Loyalität vortäuschte, schmiedete sie in Wahrheit Ränke gegen ihn und unterlag schließlich in einem fulminanten Kampf gegen ihn. Ebenso wie ihr Mann Nodonn wurde sie vampiristisch ausgesogen und ihre mentale Essenz von Aiken einverleibt.

Doch diese Tat hat ihre Nachteile, wie Aiken Drum rasch herausfinden muss: er kann diese mentalen Fähigkeiten nicht kontrollieren, außerdem entwickeln sie in ihm selbst ein unangenehmes, um nicht zu sagen: monströses Eigenleben, da die beiden Persönlichkeiten der Absorbierten noch existieren. Infolgedessen ge­rät er, als es schließlich in den Kampf gegen die ungeheuerlich mental begabte und vollkommen wahnsinnige Felice Landry geht, beinahe zugrunde. Das liegt auch an der Person, die ihm zu Hilfe eilt: Marc Remillard, der einstige Anführer der Metapsychischen Rebellion, der im Galaktischen Milieu der Zukunft mehre­re Milliarden Tote auf dem Gewissen hat.

Skrupellos, wie Marc ist, legt er es darauf an, sowohl die bedrohende Felice als auch Aiken bei dieser Aktion umzubringen. Glücklicherweise macht ihm das Schicksal einen Strich durch die Rechnung.

Nach dieser Konfrontation ist die Lage nach wie vor bedrohlich. Felice ist ausge­schaltet, doch Marc Remillard, dem die Kinder seiner geflohenen Getreuen nach Europa entwichen sind, weil sie nichts Geringeres vorhaben als das ge­schlossene Zeitportal von der Vergangenheitsseite her wieder zu öffnen, be­schließt, sich selbst in die Intrigen und Kämpfe auf dem alten Kontinent einzu­mischen.

Verheerenderweise rüsten nun auch die missgestalteten Firvulag, das Ge­schwistervolk der außerirdischen Tanu, zum so genannten „Letzten Krieg“, der in ihrer Kriegsmythologie zum Untergang beider Völker führen wird. Die Anfüh­rer der Firvulag rechnen sich aus, dass dieser Letzte Krieg vielleicht mit dem Sieg ihrer Seite enden wird.

Aiken Drum ist sich dessen durchaus bewusst. Ein Drahtseilakt nach dem ande­ren findet statt: er muss sich zunächst gegen die jugendlichen Rebellen unter der Führung von Marc Remillards Sohn Hagen behaupten und sie vor seinen Karren zu spannen verstehen. Gleichzeitig darf er aber auch die Herrschaft über die Tanu nicht vernachlässigen, die aufsässigen Firvulag in Schach halten und muss zudem versuchen, den Zeitportalplan zu realisieren.

Besonders letzteres wirft ungeahnte Probleme auf, die schließlich von einem an sich völlig unbedeutenden Mann, dem Metallurgen Tony Wayland, entschieden werden. Doch der wird zunächst von den Firvulag durch halb Europa entführt, als „Lebendration“ mitgeschleppt, umschmeichelt, vergewaltigt und so weiter… Und eigentlich möchte doch Toniiie nur zu seiner geliebten Heuler-Frau Rowane zurück, die er so schmählich im Stich gelassen hat, weil sie ihn sexuell völlig aus­saugte. Was ihm dabei alles zustößt, reicht für einen eigenen Roman.

Aiken versucht unterdessen, seine Machtbasis auszubauen. Dafür braucht er die Tanu-Beiboote, die die menschlichen Rebellen vor kurzem auf dem höchs­ten Gipfel des Pliozän-Europa, dem Monte Rosa, in Sicherheit brachten. Aber wer ist schon fähig, einen neuntausend Meter hohen Berg zu bezwingen? Und wie wehrt man dort oben eine Attacke der gebirgsgewohnten Firvulag ab? Wie, vor allen Dingen, kann Aiken sicher sein, dass die Bergsteiger sich nicht einfach mit den Flugzeugen aus dem Staub machen…?

Probleme en masse. Und es kommt noch schlimmer, als sich Marc Remillard von der Überladung durch Felice Landry erholt und die Fähigkeit des D-Springens vervollkommnet, die es ihm beispiellos ermöglicht, bald überall auf der Welt aufzutauchen. Erst alleine, ohne Lasten, dann mit Edelweiß, einer einzelnen Person, schließlich mit mehreren Tonnen Gewicht. Sein Ziel ist es, die eigenen Kinder und die der anderen Rebellen wieder einzufangen – und zu verhindern, dass das Zeitportal geöffnet wird. Dabei ist dem Widersacher Marc Remillard auch recht, von den Firvulag für den Letzten Krieg eingespannt zu werden, des­sen Ziel die Vernichtung aller Tanu – und der gesamten Menschen im Pliozän-Exil sein soll…

Der Roman birgt den Showdown des Pliozän-Zyklus und bringt ungemein Bewe­gung in die ganze Geschichte. Soviel ist man durchaus bereit, einzugestehen. Aiken Drums allmähliche Heilung, die subtilen und manchmal auch brachialen Arten der „Diplomatie“, die hier und da angewandt werden, sie schaffen Span­nung verschiedenster Art. Die allmähliche Wandlung mancher Charaktere, ins­besondere der Großmeisterin Elizabeth Orme, ist beachtlich. Doch man merkt dem Buch auch deutlich Längen an, Seiten, die dem Roman eigentlich hätten erspart werden können. Langwierige Umwege, unnötige Ausdehnung von Dialogen und beschreibenden Passagen – z. B. das Monte-Rosa-Abenteuer – , signalisieren allmähliche Arbeitsmüdigkeit der Autorin. Insbesondere zum Schluss, wo breit das große Turnier zwischen Menschen, Tanu und Firvulag ausgewalzt wird, verschenkt jede Menge an dramatischer Interaktion, die Personen verkümmern hier zu Schemata und zu Schablonen. Das ist ausgesprochen schade.

Was beispielsweise aus der schön aufgebauten Geschichte um Tony Wayland und seiner Heulerfrau Rowane wird, ist einfach nur traurig. Die zwanghafte Pro­blemlösung – z. B. für die Schwarzringe – wirkt dahergestoppelt und eigentlich unnötig. Das Schicksal des Bergsteigers Basil ist an Realitätsferne schwerlich zu übertreffen. Aber May muss um jeden Preis ein irgendwie glattes Ende herbei­zaubern, wissend, dass „glatte Enden“ die Künstlichkeit einer Geschichte eher betonen als verbergen.

Die Charakterwandlungen des „Widersacher“ Marc Remillard und Elizabeths kommen so überhastet und sprunghaft daher, als wäre diese Lösung ganz zum Schluss einfach so improvisiert worden. Viele Leute werden einfach zu Statisten degradiert, es stauen sich in Europa am Ende alle wichtigen Hauptpersonen und werden wie Schachfiguren auf dem Brett hin- und hergeschoben, manche Dut­zende von Seiten schlicht vergessen. Und so weiter und so fort.

Zum Ende bleibt der Lesespaß – etwa auf den hundert Schlussseiten – fast kom­plett auf der Strecke.

Das heißt nun nicht, dass der Roman überflüssig wäre. Keineswegs. Ohne die hier geschilderten Verwicklungen und Verbindungen hätte man noch weit weni­ger machen können. Aber es fragt sich ernstlich, ob es mancher Windungen der Storyline bedurft hätte. Und die von mir schon im vergangenen Band beklagte, extreme High-Tech-Inflation, die nun zum Schluss zwingend notwendig wird (weil mit immer stärkeren, bombastischeren Kalibern geballert wird), aber kaum hinterfragt wird, kommt so „deus ex machina“-haft daher, dass es beina­he lächerlich wirkt.

Statt schließlich einen Anhang über die Hyperraum-Translation zu bringen, wäre es in meinen Augen weit besser gewesen, zu schildern, was passiert, als die ers­ten Flüchtlinge aus dem Exil wieder im Galaktischen Milieu auftauchen. Aber nein, nein, genau DAS passiert nicht. Und Folgebände gibt es nicht. Mit diesem Band hat Julian May ihr Universum um das Pliozän-Exil verlassen und, soweit ich weiß, nie wieder aufgesucht. Und, wie erwähnt, sind die ersten drei Bände, die in diesem Kosmos spielen, „Jack the Bodyless“, „Diamond Mask“ und „Fury“ niemals ins Deutsche übersetzt worden. Der Leser hängt also zum Schluss bedauerlicherweise ziemlich in der Luft. Genauso, wie er auch zu Beginn in der Luft hing.

Schlussendlich lässt sich über den Zyklus vom Pliozän-Exil sagen, dass er sich mit wenigen Ausnahmen an Seiten sehr gut und flüssig lesen ließ und an vielen Stellen Personen mit unwahrscheinlicher Liebe und Intensität geschildert wur­den, ganz zu schweigen vom exotischen Ambiente der Völker und Städte und Landschaften des irdischen Pliozän. Sobald aber die herrschende Ordnung durch die Sprengung von Gibraltar erst einmal zerstört war und der Macht­kampf um die Rangfolge im Tanu-Reich entschieden war, begann die Handlung zu lahmen und konnte nur durch den „Widersacher“, seine Mitstreiter und de­ren Kinder wieder in Gang gesetzt werden. Wobei dann aus unwahrscheinlichs­ten Ecken die unwahrscheinlichsten Waffen und High-Tech-Gerätschaften ge­zaubert werden mussten, nur um die Geschichte letztlich zu einem leidlich plausiblen Ende zu bringen.

Fazit? Gute Idee, anfangs gute Umsetzung, später nachlassender Elan und am Ende eine eher peinliche, überhastete Aktion, um endlich einen Schlussstrich zu ziehen. Der Zyklus hätte ein weit besseres Ende verdient. Doch lesenswert ist er allemal, mindestens, um auf kreative Gedanken zu bringen…

© 2002/2012 by Uwe Lammers

Tja, wie eingangs schon angedeutet – eine begeisterte Rezension sieht deutlich anders aus. Da braucht ihr nur an den Roman der letzten Woche zu denken… oder vielleicht auch an den der kommenden. Dort werde ich von einer faszinie­renden Leseerfahrung berichten, die mich in direkten Kontakt mit der Nacher­zählung einer Sage brachte – eine wirklich bezaubernde Erfahrung. Näheres in sieben Tagen hier.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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