Rezensions-Blog 217: Der Pandora-Pakt

Posted Mai 21st, 2019 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

heute geht es mal um ein Buch, das auf einem schmalen Grat zwischen „inter­essant“, „faszinierend“ und „total nervig“ balanciert und das es irgendwie schafft, ständig zwischen diesen Kategorien hin und her zu springen. Das klingt nicht witzig? Nein, ist es auch nicht. Vielleicht bin ich auch drei Jahre nach der Lektüre des Buches und seiner Rezension zu empfindsam, aber ich muss ganz offen sagen, dass ich meine unten geäußerte Grundüberzeugung bislang nicht geändert habe.

Steve Berry schreibt unstrittig rasant, und er baut auch interessante, komplexe Plotgeschichten, das ist nicht zu leugnen. Und ebenso wie Clive Cussler (an dem er sich höchstwahrscheinlich ein Vorbild nahm) vermag er auf bemerkenswerte Weise historische Themen mit packender Thrillerhandlung der Gegenwart zu kombinieren. Dennoch hat er meinen Lektürenerv nicht wirklich getroffen, und das fand ich des Themas wegen ganz besonders bedauerlich.

Es ist faszinierend, in Parallelwelten einzutauchen, in denen die Geschichte ab 1991 anders abgelaufen ist – und eine solche haben wir hier vor uns. Und ich mag es außerordentlich, in Indiana Jones-Manier auf Schatzsuche zu gehen. Lei­der machte es mir Berry schwer, mich mit dem Personal anzufreunden, und meine Rezension geriet darum einigermaßen durchwachsen.

Mag sein, dass ich zu kritisch war. Wer immer weniger hohe Genusshürden an seine Lektüre anlegt, mag hier für Tage gut unterhalten werden. Wollt ihr also den Spuren Alexanders des Großen in der Gegenwart folgen und in eine drama­tische Verschwörungsgeschichte hineingezogen werden? Dann lest einfach mal weiter:

Der Pandora-Pakt

(OT: The Venetian Betrayal)

Von Steve Berry

Blanvalet 37334

576 Seiten, TB

12.00 Euro

November 2009

Übersetzt von Barbara Ostrop

ISBN 978-442-37334-5

Die Geschichte beginnt im Jahre 323 vor unserer Zeitrechnung in Babylon. Alex­ander der Große, zu jener Zeit einer der größten Feldherrn aller Zeiten, längst im Status eines Quasi-Gottes, ist erbittert, weil sein bester Freund und mögli­cherweise Geliebter, ein Mann namens Hephaistion, kurz zuvor gestorben ist. Der Arzt Glaukias konnte ihm nicht helfen… doch dieser Geschichte zufolge hät­te er ihm helfen können, wenn ein bestimmtes Medikament zur Verfügung ge­standen hätte. Dieses Medikament hätte auch dem inzwischen selbst fiebrigen Alexander helfen können… aber es ist nicht da. Der Monarch lässt den Arzt hin­richten und wird wenig später vom Fieber dahingerafft. Der Wunschtraum von der Weltherrschaft ist dahin.

Soweit die Historie.

Mehr als zweitausenddreihundert Jahre später stoßen wir dann in Kopenhagen recht unvermittelt auf einen Mann namens Cotton Malone, der zu sich kommt in einem kleinen Museum, niedergeschlagen, um sich herum einen eigenarti­gen, beißenden Geruch wahrnehmend. Malone, Agent im Ruhestand und einst­mals Angehöriger einer Geheimeinheit des amerikanischen Justizministeriums, „Magellan Billet“ genannt. Jetzt ist er im Ruhestand, lebt als Buchantiquar in Kopenhagen und wollte sich eigentlich im Museum mit einer alten Bekannten, Cassiopeia Vitt, treffen.

Stattdessen wird er erst Zeuge eines Einbruchs, dann niedergeschlagen und an­schließend von bizarren robotischen Schildkröten, die das ganze Museum abfa­ckeln, nahezu eingeäschert. Im letzten Moment gelingt ihm die Flucht. Cassio­peia bringt ihn mit einer weiteren Person zusammen, die Malone ebenfalls kennt, Henrik Thorvaldsen. Thorvaldsen, ebenfalls Buchantiquar, bringt den reichlich genervten Malone allmählich auf den Stand der Kenntnisse, den er ha­ben muss. Aber zugegeben, am Anfang versteht man nur Bahnhof.

Es geht um Elefantenmedaillons aus dem 4. Jahrhundert vor Christus. Es geht um Alexander den Großen. Und es geht um die Zentralasiatische Föderation und ihr charismatisches wie rücksichtsloses Oberhaupt, die Ministerin Irina Zovastina.

Bitte was für ein Ding?, mögt ihr euch da jetzt fragen… tja, das kommt daher, dass wir uns in einer Parallelwelt aufhalten. Hier sind die historischen Abläufe nach dem Ende des Warschauer Paktes und des Zerbrechens des Sowjetreiches anders als bei uns abgelaufen. In dieser Welt ist eine mächtige neue staatliche Struktur aus den Staaten Kasachstan, Usbekistan, Karakalpakstan, Tadschikistan und Turkmenistan entstanden. Diese Nationen schlossen sich 1994 zur genann­ten Zentralasiatischen Föderation zusammen. Inzwischen lenkt Ministerin Zo­vastina rücksichtslos die Geschäfte dieser neuen Föderation, und sie hat weit reichende Pläne. Dabei scheut sie auch vor Mord nicht zurück und stößt bei­spielsweise höchst eigenhändig Menschen in großer Höhe bei vollem Bewusst­sein aus ihrem Flugzeug. Auch sonst hat sie sehr wenig Skrupel dabei, Dinge zu beschaffen oder Personen aus dem Weg räumen zu lassen. So ist inzwischen in Geheimdienstkreisen bekannt, dass Zovastina Mitglieder ihres Kabinetts kurzer­hand vergiften lässt und mit einem Mann namens Enrico Vincenti zusammenar­beitet, der von Venedig aus einen internationalen Pharmakonzern leitet.

Zovastina sieht sich, die homerischen Epen vergötternd, in der Nachfolge Alexanders des Großen, und ein Spleen von ihr, wenn man das so nennen möchte, besteht in dem Drang, ihn zum einen nachahmen zu wollen, was seine Welter­oberungspläne angeht, zum anderen aber auch – und das noch inniger – sein verschollenes Grab zu finden. Dort nämlich, davon ist sie überzeugt, befindet sich jenes Wunderheilmittel, das bei Alexander selbst zu spät kam, angeblich aber alle Krankheiten der Welt zu heilen verstehen soll.

Und was hat das mit Elefantenmedaillons zu tun? Was hat das mit abfackelnden Museen zu tun (es gibt noch mehr solche Vorfälle, wie Cotton Malone bald er­fahren soll). Nun, Henrik Thorvaldsen bringt ihn ein wenig aufs Laufende: als Alexander der Große starb, waren seine letzten Worte auf dem Totenbett un­klar. Jeder der ihn umstehenden Feldherrn interpretierte sie anders, was zur Folge hatte, dass sie sich zerstritten und das geeinte Alexanderreich zerbrach. Die so genannten Diadochenkriege führten zur Bildung zahlreicher neuer Staa­tengebilde im Vorderen Orient, von denen das mächtigste von Ptolemaios be­herrscht wurde, dessen Hauptstadt Alexandria bald das Herz der antiken Welt darstellte. Ptolemaios wurde Gründer einer eigenen Dynastie, die in die Fuß­stapfen der Pharaonen trat. Hier in Alexandria fand auch Alexanders Leichnam seine letzte Ruhestätte, im so genannten „Soma“ um das Jahr 215 vor Christus. Mehrere Jahrhunderte lang ist dies der Normalzustand, auch als das Römische Reich die Macht am Nil erringt und Ägypten als Kornkammer des Reiches Teil des Imperiums wird.

Im Jahre 391 nach Christus wird das „Soma“ allerdings zerstört. Der Leichnam des Alexander verschwindet spurlos. Und das Mysterium beginnt. Die einen meinen, der Leichnam wurde damals zerstört. Andere behaupten, er wurde stattdessen an einen sicheren Ort gebracht, der seither verborgen ist. Und hier beginnt dann der Mythos, dem Irina Zovastina auf der Spur ist und der sich im Laufe des Romans immer deutlicher herauskristallisiert. Anfangs hört er sich an wie eine Wahnidee, und die geht folgendermaßen:

Im vierten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung wurden Alexander und sein geliebter Hephaistion auf dieselbe Weise als Tote konserviert. Und da Streitig­keiten seiner Feldherrn nach dem Ableben erwartet wurden und der Besitz von Alexanders Leiche später zweifellos als Indiz für die Führerschaft angesehen werden würde, wurden zwei Leichenzüge losgesandt. Eine Leiche brachte Ptole­maios an sich und brachte sie später im „Soma“ in Alexandria unter. Diese ver­schwand bekanntlich im 4. Jahrhundert nach Christus. Aber zwischendurch hat­te in Alexandria ein christlicher Heiliger gelebt, nämlich der so genannte Heilige Markus, dessen Leichnam ebenfalls einbalsamiert worden war. Er war etwa im Jahr 100 nach Christus verstorben. Und interessanterweise wurde seine Leiche damals auch in Alexandria versteckt. Das ging – den Legenden zufolge – bis ins Jahr 828 nach Christus gut, dann raubten venezianische Kaufleute den Leich­nam und brachten ihn in ihre Heimatstadt. Seither ist der Heilige Markus Schutzpatron der Stadt.

Irina Zovastina geht nun davon aus, dass die Toten ausgetauscht wurden und stattdessen niemand Geringeres als Alexander der Große in Venedig in der Krypta der Basilika von Venedig liegt.

Abenteuerlich? Oh ja, aber das ist nicht mal die Hälfte der ganzen Geschichte.

Und wie passen diese seltsamen Elefantenmedaillons in die Sache hinein? Davon gäbe es mehrere, erklärt Thorvaldsen, und sie stehen in direktem Zu­sammenhang mit Alexander dem Großen. Sie sind über Museen in ganz Europa verteilt, eins davon befindet sich auch auf einer Insel vor Venedig. Und angeb­lich sind diese Medaillons (oder wenigstens eins davon) Teil einer verschlüssel­ten Schatzkarte, die im Zusammenhang mit Alexander steht. Zovastina will die­se Medaillons und alle Spuren verwischen.

Was anfangs allerdings noch nicht so klar ist, ist der Zusammenhang mit der so genannten Venezianischen Liga – einer geheimen, Milliarden Dollar schweren Organisation, die wie ihr früheres historisches Vorbild daran interessiert ist, die Geschicke Venedigs zu lenken und inzwischen international operiert. Sie finan­ziert auch Zovastinas Vorbereitungen für einen mit Biowaffen zu führenden Krieg, der China, Russland und den Iran unterwerfen soll. Vorsitzender dieses Gremiums ist Enrico Vincenti, Zovastinas Verhandlungspartner in Venedig. Doch er hat eigene Pläne mit der Zentralasiatischen Föderation und mit der Welt.

Und genau diesen Plänen kommen Cotton Malone, die rachsüchtige Cassiopeia Vitt und Henrik Thorvaldsen nun in die Quere… und so geraten sie in Lebensge­fahr…

Wer bis hierher gelesen hat, wird vermutlich fasziniert sagen können: ein span­nendes Garn. Eine Art Clive Cussler-Roman, ein Actionthriller mit historischem Bezug, kombiniert mit einer Schatzsuche. Das ist durchaus präzise, und ich gebe zu, ich habe den Roman binnen acht Tagen durchgelesen. Er ist nicht uninteres­sant, insbesondere wegen der historischen Strukturen dieser Parallelwelt, die sich – abgesehen davon – völlig wie die unsrige anfühlt. Es gibt leider ein paar Pferdefüße darin, die mich veranlassten, mich dann sowohl vom Roman wie vom Autor wieder zu trennen. Das muss aber nicht auf jeden interessierten Le­ser zutreffen, insofern halte ich mich mit der Bewertung hier etwas zurück.

Worin besteht das zentrale Problem? Darin, dass dieser Roman, der einen recht bescheuerten deutschen Titel trägt (es geht nicht einmal entfernt um Pandora, sie hätten die Geschichte lieber „Der Venezianische Betrug“ oder so nennen sollen, das wäre deutlich inhaltsnäher gewesen), kann man es nicht suchen. Nein, der Roman ist Teil 5 eines Zyklus. Das wusste ich nicht, als ich ihn antiqua­risch kaufte. Vorangegangen sind „Die Romanow-Prophezeiung“, „Urbi et Orbi“, „Alpha et Omega“ und „Patria“. Das wäre nicht mal so schlimm, aber der Autor behandelt die ganzen Handlungspersonen und ihre biografischen Bezüge so, als wären sie muntere alte Vertraute. Für ihn sind sie das, für die Leser, die sich mit den Vorgängerromanen auskennen, zweifellos auch. Aber wenn man so als Neuleser mitten in die Bezüge hineingeworfen wird, ist das deutlich weniger witzig.

Die Charakterisierung der Einzelpersonen bleibt flüchtig und eher oberflächlich. Selbst Personen, die neu in diesem Roman hinzugefügt werden, sind irgendwie schlicht zusammengezimmert. Nur wenige von ihnen bekommen tatsächlich Charaktertiefe – glücklicherweise gilt das für Irina Zovastina und Vincenti, die als Bösewichte der Story tatsächlich rigoros sind und raffiniert dazu. Auch die Doppelagentenschiene in der Geschichte macht Laune, weil sie durchaus un­konventionell aufgezogen wird.

Tja, aber ansonsten? Der Roman ist klar auf Tempo geschrieben, und das merkt man bedauerlicherweise. Die Personen werden entsprechend wie Bauern auf einem Schachbrett hin und her geschoben (und der kritische Leser argwöhnt, dass die Handlung deshalb so rasant ist, damit der Leser nicht nachdenken kann… aber dieser garstige Gedanke mag täuschen). Da taucht dann etwa mun­ter der Präsident der Vereinigten Staaten (!) in einer Hotelsuite auf und plau­dert gelassen mit den Protagonisten, und zwar ohne einen Schwarm von Sicher­heitsleuten… und so weiter und so fort. Man hat das dumpfe Gefühl, die Leute sind irgendwie alle austauschbar, nette Menschen von nebenan, ungeachtet ih­rer politischen Macht, und die privaten Animositäten zwischen den Charak­teren, die zumeist aus Ereignissen vor diesem Roman stammen und wirklich ständig vorkommen, die ruinieren an vielen Stellen die Spannung, die aus der Handlung resultieren könnte. Ist ja schön, wenn es „menschelt“ zwischen den Handlungsträgern, aber das hier war definitiv viel zuviel. Manchmal haben mich die Dialoge zwischen den Freunden (!) einfach nur unendlich genervt.

Am Ende habe ich mir gedacht: Schön, dass der Roman endlich ausgelesen ist. Von den Leuten möchte ich nichts mehr hören! Das sollte man von einem Ro­man, den man gern gelesen hat, eigentlich nicht sagen, und wie ich erwähnte, das war dann der Grund, warum ich mir sagte – mit dem Autor möchte ich nichts mehr zu tun haben. Dann doch lieber Clive Cussler, der etwas mehr Wert auf sympathischere Charakterzeichnung legt. Sorry, Steve Berry, aber ich werde kein Fan deiner Werke. Euch mag das vielleicht anders gehen, aber das ist mein Standpunkt.

© 2015 by Uwe Lammers

Tja, ihr merkt, wirklich berauschend fand ich die Umsetzung des prinzipiell sehr interessanten Stoffes nicht. Sehr schade? Ja, ganz meine Meinung. Aber ich er­wähnte schon verschiedentlich, dass ich keinen reinen Schönwetter-Blog schrei­be. Da wird auch schon mal ausgeteilt, wie oben geschehen.

Es gibt aber auch immer wieder nette Abwechslung und gelungene Geschich­ten. Eine solche stelle ich euch in der kommenden Woche vor. Worum es gehen wird? Na, auf alle Fälle landen wir im Anfang des 20. Jahrhunderts. Näheres er­fahrt ihr in sieben Tagen hier.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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