Rezensions-Blog 233: Höllensturm

Posted September 11th, 2019 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

Clive Cussler und sein Coautoren bilden in der Gegenwart eine erstaunlich pro­duktive Schreibfabrik und erzeugen gewissermaßen New York Times-Bestseller am laufenden Band… dass sie primär in den USA erfolgreich sind, liegt wahr­scheinlich wesentlich in der Natur der Sache: der Autor ist Amerikaner, und die meisten amerikanischen Leser scheinen eher niedrigschwellig veranlagt zu sein. Das bedeutet: sie schauen munter über flache Stellen der Handlung hinweg, ha­ben ein eher schlicht bis dürftig ausgeprägtes historisches Kontinuums-Vorstel­lungsvermögen, und damit liegt ihre Messlatte natürlich deutlich niedriger als beispielsweise einem studierten Historiker wie mir.

Gleichwohl wisst ihr, dass ich Cussler & Co. wegen der interessanten und meist nicht unspannenden Vermischung historischer Rätsel einerseits und Bond-liker Action andererseits schätze. Ich scheue aber auch vor klaren und manchmal harten Worten nicht zurück, wenn ich etwas denkbar missraten fand.

Wie schaut das mit dem vorliegenden Roman aus dem Jahre 2014 aus, den ich zwei Jahre später endlich auf die Leseagenda setzte? Nun, verblüffend gut. Er enthält eine interessant gewundene und schwer durchschaubare Plotstruktur und spielt in unterschiedlichsten Weltgegenden, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Wie bei Cussler allerdings üblich fügen sich die Mo­saiksteine der Prologe am Ende zusammen und ergeben ein abgerundetes Gan­zes. Und bis es soweit kommt, eskaliert ein geradezu unglaubliches chaotisches Geschehen, das, wie jüngst schon angedeutet, ein sehr massives Science Fic­tion-Element enthält.

Wie sieht das im Detail aus? Schaut selbst:

Höllensturm

(OT: The Storm)

Von Clive Cussler & Graham Brown

Blanvalet 38297

April 2014, 9.99 Euro

512 Seiten, TB

Übersetzt von Michael Kubiak

ISBN 978-3-442-38297-2

Man schreibt den September 1943, als im Indischen Ozean die letzten Stunden der S. S. John Bury schlagen – der amerikanische „Schnellfrachter“ unter dem Kommando von Captain Alan Pickett befindet sich auf der Flucht vor japani­schen Sturzkampfbombern und U-Booten. Der Rest des Konvois, zu dem die John Bury gehörte, wurde schon weitgehend zerstört, und auch das Schiff selbst ist schwer angeschlagen. Mit einer geheimen, kriegswichtigen Fracht kann es im allerletzten Moment in einer Sturmfront entschwinden und wird von da an nicht mehr gesehen.

Im August 1967, so der zweite Prolog, wenn man so will, wird der jemenitische Clan von Tariq al-Khalif von Banditen überfallen und weitgehend niedergemet­zelt. Doch der kleine Sohn Jinn, der das Gemetzel übersteht, lernt aus diesem Grauen eine erbarmungslose Lektion, die ihn in den kommenden Jahrzehnten zu einem hartherzigen Warlord macht.

Im Juni 2012, und damit beginnt die eigentliche Handlung, ist eine kleine Crew der NUMA mit einem Katamaran im Indischen Ozean unterwegs, um ein ge­heimnisvolles Wetterphänomen zu untersuchen, das eine ungewöhnliche Ab­kühlung der Meerestemperatur zur Folge hat. Während sie das tun, werden sie von einer ungeheuerlichen Bedrohung attackiert und umgebracht. Als ihr Kata­maran bald danach besatzungslos aufgefunden wird, ruft dies die NUMA-Ver­waltung in Washington auf den Plan, und Direktor Dirk Pitt entsendet Kurt Austin und seinen Kollegen Joe Zavala in den Indischen Ozean, um zusammen mit Paul und Gamay Trout, ebenfalls von der NUMA, den rätselhaften Vorfall zu entschleiern.

Sie geraten mitten in ein konfuses Geschehen hinein. Zunächst machen sie die Bekanntschaft mit einer verlockenden Schönheit, die sich als Leilani A’koma vorstellt, die Schwester eines der verschwundenen NUMA-Mitarbeiter. Austin kann auf der Insel Malé gerade noch verhindern, dass sie von Unbekannten kur­zerhand entführt wird. Spätestens jetzt ist unübersehbar, dass die verscholle­nen NUMA-Angehörigen keinem Unglück, sondern einem Verbrechen zum Opfer gefallen sind.

Während sie nun zu fünft dem Geheimnis der verschwundenen Bootscrew nachgehen und dabei auf bizarre Mikromaschinen stoßen, die sich in Brandrückständen an Bord des Katamarans befinden, zeigt eine Blende in den Jemen die aktuelle Verschwörung des Warlords Jinn al-Khalif, der mit modernster Technologie und Milliardeninvestitionen einen uralten Menschheitstraum wahrmachen möchte – die Kontrolle des weltweiten Wetters. Und beginnen will er damit in der gegenwärtigen Monsunregion. Es gibt nur ein zentrales Problem – einer der Verschwörer hat sich aus dem Projekt zurückgezogen, ein ägyptischer General. Der jähzornige Jinn sinnt auf Rache und plant ein Jahrhundertverbrechen, das schier unaufhaltbar scheint.

Derweil führt die Fährte der Mikroroboter Kurt Austin und seine Gefährten zu einem technischen Wunderwerk, nämlich Aqua-Terra – eine künstliche, schwimmende Insel, die entfernt einem Flugzeugträger gleicht, aber eine autar­ke Welt für sich sein soll. Eigentümer ist der exzentrische Milliardär Elwood Marchetti, der zunächst für den Übeltäter gehalten wird … aber die Dinge liegen sehr viel schlimmer.

Inwiefern diese Ereigniskette dann dazu führt, dass sich Kurt Austin und sein Kompagnon Joe Zavala in einem ausgetrockneten Brunnen wieder finden, fast mit einem Flugzeug vom Himmel gefegt werden und schließlich auf getrennten Pfaden blinde Passagiere in einem Lastwagenkonvoi mit tödlicher Fracht bzw. Schiffbrüchige auf einem Atoll werden, wo sie den „achtzehnten Roosevelt“ treffen … also, das muss man wirklich dann im Detail nachlesen…

Der zweite Streich von Graham Brown ist leider entschieden kürzer als der Erst­ling „Teufelstor“, und er liest sich annähernd ebenso geschwind – ich brauchte, allerdings durch andere Dinge gründlich abgelenkt, sechs Tage, sonst hätte ich ihn auch in drei verschlingen können. Gleich zu Beginn konfrontiert er den Leser mit einer faszinierenden und sehr beunruhigenden Entdeckung, nämlich mit wasserkompatiblen Nanomaschinen. Das war schon sehr raffiniert gemacht und faszinierend beschrieben, auch die Insel Aqua-Terra vermag sehr zu beeindru­cken, und Jinns Mörderplan, der Millionen Menschen zu wehrlosen Opfern ge­macht hätte, ist ebenfalls haarsträubend.

Nachteilig fand ich mehrere andere Dinge: zum einen merkt man SEHR deutlich, dass es ein moderner amerikanischer Roman ist (er könnte vom erotischen Standpunkt her auch aus der viktorianischen Zeit stammen – keinerlei Sex, kaum amouröse Verwicklungen, da ist Brown schon wirklich puritanisch drauf). Zweitens kann man den Titel des Romans munter vergessen, denn der angekün­digte Sturm kommt gar nicht zustande. Wer – inspiriert durch das ebenfalls lei­der recht unpassende Titelbild – annimmt, es gehe da um einen Sturm, kauft das Buch unter völlig falschen Voraussetzungen. Und drittens fand ich dann, dass Brown es doch etwas sehr mit den Cliff-hangern übertrieben hat. Nahezu JEDES Kapitel endet mit einer ausweglos scheinenden Situation. Ein wenig so, als hätte er das I Ging befragt und stets die schlechteste Lösung gewählt. Das kann man mehrfach machen, aber STÄNDIG? Das nervt dann ziemlich rasch. Dass der Roman schlussendlich doch gut ausgeht, erinnert dann schon an ein ziemliches Wunder.

Was mir indes sehr gut gefallen hat, war die Sache mit dem Cargo-Kult (auch wenn man solche Cargo-Kulte eigentlich mehr östlich findet, aber das ist hier schriftstellerische Freiheit). Goldig etwa die Frage: „Sind Sie Angehörige der Achsenmächte oder nicht?“ Da denkt man schon, man steckt in einer Zeitma­schine… aber es wird noch witziger, als Kurt Austin seinen Namen nennt und beteuert, Amerikaner zu sein, und die Ankläger sich beraten, wobei es zu fol­gendem Dialog kommt:

Wie können wir sicher sein, dass er Amerikaner ist?“, fragte der zweite Richter.

Er sieht Pickett sehr ähnlich“, stellte der achtzehnte Roosevelt fest.

Er könnte Deutscher sein. Sein Name lautet Kurt.“

Ich dachte, ich sterbe vor Lachen!

Wirklich, solche Momente kompensieren die Schwächen des vorliegenden Ro­mans gründlich. Köstlich, wirklich köstlich gemacht. Da – und an sehr vielen an­deren Stellen des Buches – merkt man, dass jemand mit historischem Gespür und viel Liebe zum Detail an der Geschichte gearbeitet hat. Es ist zwar schade, dass daraus nicht noch deutlich mehr gemacht wurde, und an vielen Stellen kommt die Geschichte flüchtig herüber… dennoch ist es eine solide, unterhalt­same Story, die zu gefallen wusste. Und inzwischen hat Graham Brown ja noch mindestens zwei weitere Kurt Austin-Abenteuer verfasst, er scheint sich also in die Herzen der Leser geschrieben zu haben.

Also dann – die nächsten Rezensionen der erwähnten Werke werden gewiss nicht sehr lange auf sich warten lassen. Zu diesem Buch gebe ich jedenfalls gu­ten Gewissens eine Leseempfehlung aus.

© 2016 by Uwe Lammers

Genug Clive Cussler für heute? Okay, Freunde. Im Blogbeitrag der kommenden Woche berichte ich euch über die Lektüre eines phantastischen Klassikers, der aus der Feder eines Autoren stammt, den ihr eigentlich als den Schöpfer des le­gendären Detektivs aus der Baker Street kennt… ganz genau, Arthur Conan Doyle. Er hat ja noch sehr viel mehr als nur Sherlock Holmes geschrieben. Und eines der Werke stelle ich euch nächstes Mal vor. Bleibt neugierig!

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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