Rezensions-Blog 278: Tarnfahrt

Posted Juli 21st, 2020 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

es gibt das geflügelte Wort, dass man dann aufhören soll, wenn es am besten ist – die wenigsten Menschen halten sich freilich daran, wie wir wissen. Das ist insbesondere in der Politik der Fall, wo sich Dinosaurier an die Macht klammern, die schon deutlich bessere Tage gesehen haben. Glücklicherweise begeht Jack du Brul, Clive Cusslers Coautor, der Paul Kemprecos beerbt hat, diesen Fehler nicht.

Der vorliegende Roman, der, wie ich richtig erkannte, der letzte Kooperationsband zwischen Cussler und du Brul ist, haut noch mal richtig auf die Pauke – er ist ein klug durchdachtes Feuer­werk phantastischer Ideen, heimtückischer und raffinierter Geg­ner und gefährlicher Auseinandersetzungen. Und das Titelbild, das diesmal gut passt, hat ebenso wie der deutsche Titel seine Berechtigung. Auch das ist bekanntlich nicht selbstverständlich bei Clive Cusslers Bibliothek.

Ein Tarnschiff zu entwickeln, das dem gegnerischen Radarstrahl entkommen kann … wem kommt das doch gleich bekannt vor? Wer murmelt hier etwas von „Philadelphia-Projekt“? Recht hat er. Aber darin erschöpft sich das vorliegende Werk durchaus nicht, wie ihr schnell feststellen werdet.

Was euch noch erwartet? Verdammt rasante Action. Schaut es euch mal näher an:

Tarnfahrt

(OT: Mirage)

Von Clive Cussler & Jack du Brul

Blanvalet 38223

480 Seiten, TB, Oktober 2014

Aus dem Amerikanischen von Michael Kubiak

ISBN 978-3-442-38223-1

Vor der Küste von Delaware zeigen die Kalender den 1. August 1902 an, als der Frachter „Mohican“ unter Kapitän Charles Ur­quhart in ein Unwetter gerät und der Kommandant auf die Brü­cke gerufen wird, um den entfesselten Gewalten die Stirn zu bieten. Aber es sind nicht nur die üblichen Naturgewalten – viel­mehr breitet sich auf der See ein grässlicher, blauweißer Glanz aus, der offensichtlich alles an Bord magnetisiert … unter ande­rem auch einen Schrapnellsplitter im Körper eines Matrosen. Er findet unter furchtbaren, unbegreiflichen Umständen den Tod. Das Phänomen erlischt so rasch, wie es gekommen ist, aus dem Nichts offensichtlich. Dass wenige Meilen entfernt zur gleichen Zeit ein Schiff mit fünf Mann Besatzung spurlos verschwunden ist, ist Urquhart nicht bekannt. Er vertuscht den gesamten Vor­fall.

Viele Jahrzehnte später, im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhun­derts, wird ein Krimineller in ein nordsibirisches Gefängnis ein­geliefert – und verhält sich vom ersten Moment an höchst un­konventionell, verletzt mehrere schikanöse Gefangene schwer und landet in Einzelhaft. Das ist genau das, was der Mann möchte, der sich gründlich getarnt hat. Es handelt sich um kei­nen Geringeren als Juan Cabrillo, den Vorsitzenden der so ge­nannten „Corporation“ und zugleich Kommandant des Schiffes OREGON, der hier einen Gefangenen befreien möchte, einen al­ten Freund namens Yuri Borodin.

Doch Borodin hat gefährliche Feinde, allen voran einen Fanati­ker namens Pytor Kenin, der für seine Inhaftierung verantwort­lich zeichnete. Der Ausbruchsversuch endet in einem Fiasko, und am Schluss steht Cabrillo mit wenig mehr als Kenins Namen und ein paar wirr scheinenden Worten da: „Aral – Geisterschiff – Karl Petrowski – Tesla“.

Und von da an ist der „Chairman“ (wie im Buch der „Vorsitzen­de“ durchgängig neu übersetzt wird) auf einer Rachemission unterwegs. Rache an Pytor Kenin, um Yuris Tod zu ahnden. Die­se Rachemission führt ihn in gefährliche Gewässer und zurück in die Anfänge des 20. Jahrhunderts. Damals, so erfährt er auf seiner blutgetränkten Schnitzeljagd durch die Städte und Mee­resregionen des 21. Jahrhunderts, hat der Konkurrent von Tho­mas Alva Edison, Nikola Tesla, eine ganze Reihe unglaublicher Erfindungen gemacht. Es geht auch die Legende um, er habe ei­nen so genannten „Todesstrahler“ erfunden. Weitere Verschwö­rungstheorien bringen ihn in direkte Verbindung mit dem „Philadelphia-Experiment“, bei dem angeblich ein Schiff der US-Mari­ne über Hunderte von Seemeilen transmittiert worden sein soll, mit katastrophalen Nebenwirkungen.

Zutiefst skeptisch verfolgt Juan Cabrillo die Fährte seines toten Freundes Yuri und stößt tatsächlich im fast ausgetrockneten Aralsee auf das „Geisterschiff“ – und auf einen Scharfschützen, der ihn beinahe ins Jenseits befördert. Die Fährte führt zu sei­nem Unglauben weiter zu einer amerikanischen Werft und di­rekt zu Nikola Tesla und dessen Biografen … schließlich auch zu einem absichtlich versenkten Schiff. Und immerzu sind sie den Mördertrupps Kenins und ihren mal mehr, mal weniger listenrei­chen Attacken ausgesetzt.

Dennoch dauert es geraume Zeit, bis ihnen klar wird, dass sie buchstäblich ein unsichtbares Feindschiff mit einer monströsen Waffe suchen – deren Wirkung sie schließlich auch am eigenen Leib zu spüren bekommen.

Die OREGON gerät an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit – und letzten Endes sogar in „friendly fire“, mitten in einem Kriegsgebiet …

Der siebte OREGON-Roman von Jack du Brul, der unzweifelhaft den Löwenanteil dieses Romans geschrieben hat, ist im Ver­gleich zum thematisch eher durchwachsenen letzten Band, den ich vor ein paar Jahren las, wieder sehr viel stringenter. Man kann wirklich sagen, dass die Spannung niemals wirklich nach­lässt – mit dem sinistren Pytor Kenin (unschwer als Alias von Wladimir Putin zu entziffern, für den die Verfasser keinerlei Sym­pathien hegen) haben sie einen Schurken ersonnen, der sowohl körperlich wie auch in Bezug auf das planerische Vorausdenken die OREGON-Crew an den Rand ihrer Fähigkeiten bringt.

Die „Schnitzeljagd“ rund um den Globus, die solch unvergleich­liche Orte wie das Hinterland des US-Bundesstaates Vermont, den Meeresboden vor der Küste von Delaware, die grässliche Staubwüste des Aralsees und diverse chinesische Schauplätze sowie den Süden des Irak als Handlungsorte in Anschlag bringt, regelmäßige Lebensbedrohungen, außerdem ein Feind, der wie ein Chamäleon untertaucht und schließlich auch noch über ein Tarnschiff verfügt, das vom Radar und von den optischen Sinne nicht zu erfassen ist … das grenzt dann schon an Science Fic­tion. Fast jedenfalls.

Beinahe schon spielerisch werden die Grenzen des Möglichen in diesem Werk ausgereizt oder überschritten, ob es dabei um Na­notechnologie oder Raketenrucksäcke (!) geht – doch stets au­ßerordentlich spannend. Zudem gibt es eine ganze Reihe von Verbeugungen in Richtung der Verschwörungstheorien. Ich sage nur „USS Eldridge“ und Morris Jessup … raffiniert gesponnenes Garn, bis ganz zum Schluss.

Bedauerlicherweise scheint dies der letzte Roman ihrer Zusam­menarbeit zu sein – möglicherweise, weil Jack du Brul anschlie­ßend mit eigenen Romanen ins Rampenlicht trat und sich nicht mehr von den Cusslerschen Figuren einengen lassen wollte. Da­für aber ist ihm dieser Roman als Abschlussvorstellung solide gelungen.

Wie jetzt, es gibt keine OREGON-Romane mehr? Doch, meine Freunde, natürlich wird der Trampdampfer nicht eingemottet. Es gibt schon weitere Romane dieser Romanreihe, nur mit anderen Coautoren. Wir müssen schauen, wie sie sich schlagen werden. Ich halte euch da auf dem Laufenden. Für dieses Werk kann ich jedenfalls eine uneingeschränkte Leseempfehlung geben.

© 2016 by Uwe Lammers

Ja, Jack du Brul ist damit aus dem Rennen, wie gesagt. Aber die Abenteuer der OREGON gehen selbstverständlich weiter, auch wenn der Wind zunehmend rauher weht.

In der kommenden Woche reisen wir mal ein rundes Jahrhundert zurück in der Literaturgeschichte und besuchen ein finsteres Moor, auf dem ein Ungeheuer sein Unwesen treibt … so wird es zumindest erzählt. Aber wer Sherlock Holmes kennt, weiß natür­lich, dass er das für Mumpitz hält.

Wie es sich wirklich verhält, erfahrt ihr in der kommenden Wo­che hier.

Bis dann, Freunde, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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