Rezensions-Blog 312: Schattenfracht

Posted März 16th, 2021 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

wie ich schon vor ein paar Wochen an dieser Stelle schrieb – der vorliegende Roman sollte unbedingt direkt nach dem Cussler-Roman „Das Osiris-Komplott“ gelesen werden, da beide zeit­gleich spielen und eine personelle und temporale Schnittstelle auf Malta besitzen. Davor und danach teilen sich die Handlungs­ströme wieder, aber es spricht doch sehr dafür, dass die beiden Coautoren sich hier solide Kooperation geleistet haben, um nicht eine Irritation beim Leser der Cussler-Gesamtwerke her­vorzurufen.

Ich lehne mich heute sogar mal soweit aus dem Fenster, dass ich sage: solche Kooperationen über Romangrenzen hinweg dürfte es vermutlich in Zukunft noch öfter geben. Wenigstens eine solche (noch nicht übersetzte) Kooperation ist angedeutet: nämlich zwischen den Fargos einerseits und dem Detektiv Isaac Bell andererseits.

Dieser zweite Kooperationsroman zwischen Cussler und Boyd Morrison ist jedenfalls ein rasantes, intelligentes Abenteuer mit sehr ernsthaftem Gefahrenpotenzial für Juan Cabrillo und die OREGON-Crew, und es geht um weitaus mehr als nur die Jagd nach den Schätzen des korsischen Soldaten und späteren fran­zösischen Kaisers Napoleon Bonaparte.

Wenn ihr ohnehin schon nach meiner Andeutung vor ein paar Wochen, als ich „Das Osiris-Komplott“ vorstellte, neugierig geworden sein solltet, schlage ich vor – lest jetzt einfach mal weiter und erfahrt Näheres:

Schattenfracht

(OT: Emperor’s Revenge)

Von Clive Cussler & Boyd Morrison

Blanvalet 0517

2018, 9.99 Euro

512 Seiten, TB

Übersetzt von Michael Kubiak

ISBN 978-3-7341-0517-3

Am 28. April des Jahres 1821 beginnt ein Abenteuer, das knapp zweihundert Jahre später die Welt in eine beispiellose Krise füh­ren soll, aber niemand wird sehr lange Zeit auch nur das Min­deste davon erfahren: Nach Napoleons Flucht von der Insel Elba und seiner kurzen zweiten Regentschaft, die mit der Niederlage auf dem Schlachtfeld von Waterloo endete, ist der Kaiser der Franzosen auf die Atlantikinsel St. Helena verbannt und wird von einer Garnison streng bewacht. Dennoch gelingt an diesem Tag dem wagemutigen Leutnant Pierre Delacroix der Vorstoß auf die Insel – mittels eines zusammengezimmerten ersten Unter­seebootes der Welt. Der Kaiser wird befreit und durch ein Dou­ble ersetzt, doch dann verschwindet er spurlos aus der Weltge­schichte.

In der Gegenwart absolvieren Juan Cabrillo und seine Mitstreiter von der „Corporation“ einen riskanten Undercover-Einsatz in der algerischen Wüste, bei der es fanatischen arabischen Terroris­ten beinahe gelingt, in den Besitz einer Massenvernichtungs­waffe zu gelangen. Dies kann knapp vereitelt werden. Doch als Cabrillo dann zurück ist auf seinem Tarnschiff OREGON, wird er mit einer unerwarteten Hiobsbotschaft konfrontiert: Die „Corpo­ration“ ist überraschend nahezu pleite.

Wie konnte es dazu kommen?

Das hängt mit der Bank Crédit Condamine in Monaco zusam­men, wo ein Großteil der Vermögenswerte der „Corporation“ an­gelegt sind. Während des Einsatzes in Algerien hat offenbar der Direktor der Bank, Henri Munier, das Banksystem mit einem hochkomplexen Virus verseucht, der jeden Zugriff auf die Daten und damit die Guthaben unmöglich machte. Niemand kann sa­gen, ob sie überhaupt noch existieren oder illegal transferiert wurden. Und Munier kann niemand mehr fragen: er ist bei einer Verfolgungsjagd durch die Grand Prix-Rennstrecke von Monaco ums Leben gekommen.

So sieht es anfangs aus, aber Cabrillo und seine Leute zweifeln das rasch an – und sie haben völlig recht. Als sie, getarnt als Versicherungsagenten, die Ermittlungen in Monaco aufnehmen, stellen sie bald fest, dass hinter der Geschichte noch sehr viel mehr steckt. Es dauert allerdings, bis die Spuren, die sie entde­cken, zu den Verursachern führen: zu dem russischen Milliardär Maxim Antonowitsch und seiner faszinierenden Großraumyacht „Achilles“. Hier sind der ukrainische Kapitän Sergej Golow und die Privatsekretärin Ivana Semova federführend bei etwas, das „Operation Dynamo“ genannt wird und dessen Ziele anfangs noch vollkommen im Dunkeln liegen.

Die Person, die die Datenbestände der Bank offenbar tatsäch­lich verseucht hat, ist ein genialer Meisterhacker, der in Insider­kreisen nur als „Shadow Foe“ bekannt ist. Identität: unbekannt. Geschlecht: unbekannt. Selbst die Computercracks der „Corpo­ration“ sind ratlos, was das Virus angeht. Also nehmen sie die Suche nach „Shadow Foe“ auf – und die führen ausgerechnet zu einer Bergfestung der albanischen Mafia.

Doch als Cabrillo & Co. vor Ort sind, stellt sich heraus, dass ih­nen der unheimliche Gegner schon wieder voraus war. Die Fähr­te ist falsch … oder beinahe falsch, denn in der Tat finden sie dort jemanden, der „Shadow Foe“ mal geholfen hat. Bei etwas, das äußerst bizarr klang und auf den ersten Blick so überhaupt nichts mit dem Bankraub in Monaco zu tun hat.

Bei dem Projekt, das „Shadow Foe“ damals betrieb, ging es um die Suche nach Napoleons Tagebuch, das lange verschollen war und nun auf Malta versteigert werden soll. Angeblich, so heißt es, hat dieses Tagebuch irgendeine Bedeutung für die Schätze, die Napoleon bei seinem Russlandfeldzug erbeutet haben soll, die er aber nie zurück nach Frankreich bringen konnte.

Warum aber unterdessen ein Flugzeug über Gibraltar abstürzen und alle Insassen sterben müssen und weshalb außerdem ein Frachter mit Kurs auf Malta von einer ungeheuerlichen Waffe auf offener See versenkt wird, erschließt sich so gar nicht. Ja, geraume Zeit ahnen Cabrillo und seine Gefährten, deren Crew inzwischen um Cabrillos toughe Ex-Frau Gretchen Wagner er­gänzt wird, von diesen Vorfällen ebenso wenig wie von der Sa­botage eines großen Umspannwerkes nahe Frankfurt.

Doch alles das führt zusammen zu einer Katastrophe, deren Ver­ursacher der OREGON-Crew stets einen Schritt voraus zu sein scheinen – und noch schlimmer ist es, als sich die „Achilles“ als ein Gefährt entpuppt, das sehr viel kampfkräftiger ist als die OREGON. Bei einer ersten Konfrontation der beiden Schiffe ver­hindert nur ein unglaublicher Zufall die Versenkung des „Corpo­ration“-Schiffes, aber alle Beteiligten wissen genau: beim nächs­ten Waffengang ist die „Achilles“ nicht mehr so angreifbar.

Und dieser Waffengang kommt schneller, als sie alle wünschen.

Es geht längst nicht mehr nur (aber auch) um den Schatz Napo­leon Bonapartes, sondern auch darum, ob es den Verbrechern um Antonowitsch gelingt, buchstäblich einem ganzen Kontinent das Licht auszuknipsen …

In Anbetracht der Tatsache, dass ich diesen Roman binnen zwei Tagen unaufhaltsam verschlungen habe, kann ich schon jetzt sagen, dass er die hohe Messlatte, die sein Vorgänger „Piranha“ anlegte, mühelos genommen hat. Boyd Morrison versteht es wirklich, hochdramatische Geschichten zu erzählen, und vor al­len Dingen nimmt er seine Bösewichter ernst. Ich habe ja schon verschiedentlich gesagt, dass manche Coautoren von Clive Cussler und z. T. auch er selbst, es sich bei diesem Punkt in den Romanen mitunter sehr einfach gemacht haben. Da wurden dann schematische Dumpfbacken als Schurken aufgebaut, mit der Konsequenz, dass sie so dämlich und lahm handelten, bis man sie nicht mehr ernst nehmen konnte.

Das kann hier bei Golow & Co. nicht geschehen. Diese Leute sind hochintelligent, raffiniert, verschlagen und vorausschau­end. Kriminelle Perfektionisten bei der Arbeit, die zudem mit Waffensystemen ausgerüstet werden, die denen der „Corporati­on“ gleichwertig sind. Und die über einen Masterplan verfügen, der selbst für Cabrillos Leute undurchschaubar ist. Denn wie zum Henker soll man diese Mosaiksteine zusammensetzen? Ein digitaler Bankraub in Monaco, ein Ultimatum, dass den Banken in Europa binnen 10 Tagen der Zusammenbruch droht, dazu die Jagd nach einem alten Tagebuch Napoleon Bonapartes und die Suche nach einer ägyptischen, 30 Tonnen schweren Säule? Äh … wie soll das denn bitte zusammenhängen mit einem Superhacker und einem russischen Oligarchen, der eigentlich alles haben sollte, was er braucht? Das klingt einfach nur bizarr und unplausibel, wie das Hirngespinst eines Verrückten – was es dann auch unmöglich macht, die Verantwortlichen von notwendigen Sicherheitsmaßnahmen zu überzeugen. Mit der Konsequenz, dass die Katastrophe, die Cabrillo verhindern möchte, quasi sehenden Auges angesteuert wird.

Denn es gibt diesen Masterplan, und er führt in ein Beinahe-In­ferno, das selbst Juan Cabrillo kaum verhindern kann und das überall üble Kollateralschäden hinterlässt, zu denen unter ande­rem ein russischer Admiral und beinahe ein Kreuzfahrtschiff ge­hören.

Besonders apart fand ich aber, dass dieser Roman eine witzige Crossoverszene enthält, die auf Malta spielt. Ich erwähnte das schon in der Rezension zum Kurt Austin-Roman „Das Osiris-Komplott“ jüngst. In der Lagerhalle des Ozeanographischen Mu­seums von Malta treffen nämlich Kurt Austin und Joe Zavala überraschend auf Juan Cabrillo und seine Partnerin Gretchen Wagner. Und während dort auch Golow und seine Leute nach Napoleons Tagebuch suchen, fahnden die kriminellen Osiris-Leu­te nach Artefakten aus Napoleons Ägyptenfeldzug. Dieser Ro­man schildert die nämliche, durchaus bleihaltige Begegnung wortidentisch aus der Gegenrichtung und hebt so das Manko auf, dass Kurt Austin und sein Kollege es nicht auf die Gala im Museum geschafft haben. Das gelang nämlich Juan Cabrillo, der wiederum natürlich nichts von den Osiris-Gangstern wissen kann.

Wenn man also diese beiden Romane direkt hintereinander wegliest, wie ich es getan habe, hat man ein köstliches Gefühl einer sich vervollständigenden Szene. Ich habe das bei meinen E-Books schon mal auf ähnliche Weise gemacht, als ich das E-Book „Heiligtum der Shonta“ verfasste, das eine analoge Blick­verschiebung zu meinen E-Books „Abenteurerherz“ und „Zurück zu den Sargkolonnen“ brachte. Scheinen leider die wenigsten meiner Leser bisher begriffen zu haben, sodass ihnen ein gutes Stück des Lesevergnügens entging.

Schade an dem vorliegenden Roman ist freilich, dass das Cover ein bisschen sehr frei zum Inhalt ist, und dass der deutsche Titel wirklich völlig sinnfrei gewählt ist. Eine 1:1-Übersetzung des amerikanischen Titels hätte allerdings noch weiter von dem Ge­schehen weggeführt und für mehr als 200 Seiten wohl nur Stirn­runzeln ausgelöst, da es dort so gar nicht um Napoleon geht. Die Bedeutung dieses Titels erschließt sich tatsächlich erst auf den letzten rund 80 Seiten und ist dennoch irreführend.

Wer über solche Details aber gern und geflissentlich hinweg­sieht, wird mit einem rasanten, schlauen Leseabenteuer be­lohnt, das auch unter Cussler-Romanen seinesgleichen sucht und mit weitem Abstand zu den besten Abenteuern zählt. Das hat zum einen mit dem witzigen Crossover zu tun, zum anderen mit der geschickten Charakterdarstellung der Protagonisten und der windungsreichen Story, in der sich beide Seiten echt nichts schenken. Dass zudem Elemente der Schatzsucher-Artefaktjagd a la „Fargos“ integriert wird, macht die Geschichte noch interes­santer, als sie ohnehin schon ist.

Klare Leseempfehlung!

© 2020 by Uwe Lammers

Soviel zu den hochdramatischen Ereignissen in diesem wirklich streckenweise recht atemlosen Abenteuer. In der kommenden Woche werden wir uns dafür wieder ein wenig entspannen und uns stattdessen mit dem weiteren Lebensweg des „Calendar Girls“ wider Willen beschäftigen.

Mia Saunders wird natürlich weiterhin von Kunden gebucht und macht menschliche wie auch erotische Erfahrungen, derweil ihre familiären Probleme nie völlig vom Radar verschwinden. Was das für Konsequenzen nach sich zieht, davon lest ihr in der kommenden Woche hier.

Bis dahin dann, Freunde, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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