Rezensions-Blog 387: Pakt der Liebe

Posted Januar 18th, 2023 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

die Geschäftswelt ist manchmal das reinste Minenfeld, eine Mördergrube voller Rivalen und Konkurrentinnen, voller Tücken und Fangstricke. Gerade wenn man sich – auf welchem Sektor auch immer – behaupten, Karriere machen und gute Deals an Land ziehen möchte, bleibt es kaum aus, sich auch mal unbe­liebt zu machen, Gegnerschaften heranwachsen zu sehen und bisweilen mit unsoliden Mitteln und harten Bandagen zu arbei­ten.

Was hat das mit einem im Kern erotischen Roman zu tun? Nun, mit Lucinda Carringtons heute beleuchtetem Werk geht es ge­nau in die Geschäftswelt und hinein in die britische High Socie­ty. Zwei Agenturen kämpfen um die Gunst eines schwerreichen Briten, und ehe man sich versieht, befinden sich zwei Frauen von verschiedenen Werbeagenturen im privaten bis intimen Kampf mit- und gegeneinander.

Wie das konkret aussieht? So:

Pakt der Liebe

(OT: The Ninety Days of Genevieve)

Von Lucinda Carrington

Pavillon 328

München 2004

368 Seiten, TB

Aus dem Englischen von Anita Magg

ISBN 3-453-87113-8

Die Werbebranche ist hart umkämpft, und gerade neue, junge und innovative Agenturen haben es da schwer, in diese Liga aufzusteigen, in der die lukrativen Aufträge locken. So ist es auch bei der Londoner Agentur „Barringtons“, die sich darum bemüht, den schwerreichen James Sinclair von Sinclair Associa­tes in ihre Arbeit einzubinden. Die Verantwortlichen bei „Bar­ringtons“ wissen, dass sich Sinclair von seiner bisherigen Agen­tur Randle-Mayne lösen möchte … oder sagen wir, sie haben davon gehört. Bestätigt wird das von keiner Seite. Aber neben „Barringtons“ ist auch die Agentur „Lucci’s“ zur Stelle, um sich den Vertrag mit Sinclair zu sichern.

Im Nu ist also der schönste Konkurrenzkampf im Gange.

Komischerweise sucht Sinclair dennoch den Kontakt mit der jun­gen und kleinen Agentur „Barringtons“ … nein, korrekterweise müsste man sagen, er sucht ihn mit der dortigen Kundenbetreuerin Genevieve Loften, einer ungebundenen, energischen Geschäftsfrau. Und im 4-Augen-Gespräch macht er ihr klar, dass er durchaus interessiert sei, mit ihrer Agentur einen Ver­trag über Werbemaßnahmen abzuschließen. Das hinge aber von einem privaten Arrangement unter ihnen beiden ab. Und ihr wird, obwohl er das nicht explizit ausspricht, sofort klar, dass es sich hier um ein sexuelles Arrangement zwischen ihnen beiden handelt.

Da Sinclair ein überaus attraktiver Mann ist, wenn auch einer mit einem durchaus zwielichtigen Ruf, was Frauenbekanntschaf­ten angeht, kann sich Genevieve durchaus vorstellen, mit ihm ins Bett zu gehen, wenn das dazu nötig ist, den Vertrag an Land zu ziehen … sie kommt ihm auch soweit entgegen, dass sie ihm auf seine unverschämte Aufforderung hin ihre Brüste enthüllt, damit er „sehen kann, was er im Gegenzug für den Vertrag be­kommt“, wie er es nennt (womit der Roman schon auf Seite 12 überrumpelnd schnell Fahrt aufnimmt). Er ist also dreist, direkt und durchaus unverschämt. Dennoch: es ist rein geschäftlich, und dafür würde sie alles tun, da ist sie toughe Geschäftsfrau!

Dennoch unterschätzt sie James Sinclairs Arrangement vollstän­dig. Im Gegensatz zu ihrer anfänglichen Vermutung soll sie eben nicht einfach mal eben mit ihm in die Kiste springen, die Ange­legenheit ist sehr viel diffiziler.

Er macht ihr sehr rasch klar, dass er an ein sehr viel weiterge­hendes Unternehmen denkt: sie soll sich ihm für neunzig Tage ausliefern und stets bereit stehen, alles für ihn zu tun, wenn er nach ihr verlangt. Am Ende dieser Frist wird er, abhängig von ih­rer „Leistung“, entscheiden, ob er bei „Barringtons“ unter­schreibt oder nicht.

Da ihr Chef Genevieve Druck macht, Sinclair als Kunden zu ge­winnen, „koste es, was es wolle“, und auch aufgrund ihrer eige­nen Neugierde auf Sinclair, stimmt sie schließlich dieser Art von stillschweigender, nicht niedergeschriebener Vereinbarung zu. Und die Abenteuer beginnen.

James Sinclair ist, insofern sind die Gerüchte durchaus korrekt, ein Mann mit einer regen sinnlichen Phantasie, der außerdem Gefallen daran findet, die Frauen, mit denen er erotischen Um­gang hat, vorzuführen, in heikle Lagen zu bringen und dem Risi­ko der Entdeckung auszusetzen. Außerdem liebt er das Aben­teuer und ist im Umgang durchaus unkalkulierbar.

Genevieve entdeckt im Zuge der kommenden Monate mehr und mehr, dass Sinclair nicht nur ein harter Geschäftspartner ist, sondern auch imstande, in ihrem Herzen verborgene Sehnsüch­te, deren sie sich teilweise selbst gar nicht bewusst war, hervor­zulocken. Dazu gehören etwa die Atem beschleunigende Wir­kung des Exhibitionismus, der prickelnde Reiz des Entdecktwer­dens beim öffentlichen Liebesspiel und eine erstaunliche Nei­gung zu gewagter Bekleidung.

Aber wo es Vorteile, insbesondere lustvolle, für beide Seiten zu entdecken gibt, gibt es auch Schattenseiten. In diesem Fall er­fährt Genevieve von verschiedenen Seiten, dass Sinclair gewis­se „verdorbene“ Seiten besitzen soll und sinistren Leidenschaf­ten frönt. Außerdem lernt sie die charismatische Jade Chalfont kennen und hassen, die für die Konkurrenzagentur „Lucci’s“ ar­beitet und sich gleichermaßen mit vollem Einsatz darum be­müht, ihrerseits Sinclair für ihre Agentur zu gewinnen.

Und es scheint aussichtslos zu sein, gegen Jade anzukämpfen – sie, die toughe, kühn-durchtrainierte Kendo-Kämpferin, eine stolze, aufregend schöne und groß gewachsene Frau, die per­fekt Japanisch kann, scheint Genevieve ständig auszustechen. Genevieve beginnt an Sinclairs Methoden und Zielen zu zwei­feln: hat er mit Jade ebenfalls eine Vereinbarung gleich der ihren abgeschlossen? Gibt er ihr vielleicht gar schon den Vor­zug? Ist er ein treuloser Gesell, der mit ihr einfach nur sein ge­meines Spiel treibt?

Sie weiß, ihr Herz, das sich immer stärker für ihn erwärmt, wird das nicht ertragen, wenn er sie nach den 90 Tagen wie eine hei­ße Kartoffel fallen lässt, um sich dann mit Jade oder einer ande­ren Frau zu amüsieren … wobei es doch einfach lächerlich ist, dass es sich wie Eifersucht anfühlt. Es geht doch nur ums Ge­schäft, nicht wahr?

Zu dumm, dass Genevieve Loften das schon nach wenigen Ta­gen ihres Arrangements nicht mehr glauben kann. Die Vereinba­rung zieht sie vollständig in ihren Bann, und das bezieht ausdrü­cklich ihr Herz mit ein, ob sie es will oder nicht …

Mit Lucinda Carringtons vorliegendem Roman frischte ich eine Autorenerinnerung auf, die ich bereits anno 2000 mit dem Buch „Exotik“ gemacht hatte, und zwar auf durchaus positive Wei­se. Damals war das Lesevergnügen sehr viel kürzer, aber ge­nauso schnell vorbei wie heute, nämlich binnen von 3 Tagen. Der weite Zeithorizont des vorliegenden Buches ermöglicht es, zahlreiche Nebenpersonen in die Handlung zu integrieren und variantenreiche Schauplätze und erotische Vergnügungen in Szene zu setzen, was grundsätzlich als gelungen betrachtet werden muss.

Die Geschichte liest sich flüssig und ist aufgrund der lange völ­lig undurchschaubar bleibenden Intentionen James Sinclairs ge­schickt balancierend. So wird das Leserinteresse wach gehalten, das zugleich durch die Vielzahl uneinschätzbarer Nebenperso­nen immer wieder abdriftet, wodurch den Spekulationen über den Handlungsfortgang Tür und Tor geöffnet sind.

Wer erwartet, dass sich nur Genevieve im Unklaren befindet über das, was schlussendlich bei dem Arrangement heraus­kommt, der irrt sich auf interessante Art und Weise. Insbesonde­re der Konkurrenzkampf zwischen Genevieve und Jade Chalfont zieht eine Menge Aufmerksamkeit auf sich. Auf zwei „Neben­kriegsschauplätzen“, nämlich einmal bei Genevieves jüngerem Bruder Philip und seinen Liebesnöten wie zum anderen bei dem brotlosen Zeichner Ricky Croft, gibt es ebenfalls interferierende Entwicklungen, die zur Verwirrung der Situation beitragen.

Ein wenig schade fand ich, dass bei diesen ganzen Aktionen die Glaubwürdigkeit der Hauptperson etwas litt. So kommt eigent­lich nicht richtig heraus, was Genevieve innerhalb von „Barring­tons“ noch so tut, als sich ausschließlich um die Akquise des Sinclair-Auftrags zu kümmern. Das mag für ein paar Tage oder Wochen funktionieren, aber über drei Monate? Bei allem Re­spekt, das hörte sich nicht realistisch an und war dann doch et­was gestellt und unglaubwürdig.

Das ist aber sonst eigentlich schon, wenn man vom viel zu ver­räterischen deutschen Titel absieht, im Grunde auch der einzige zentrale Kritikpunkt, den ich anzubringen hätte. Der Rest des Romans liest sich, wenn man diesen Aspekt unter „ferner liefen“ rubriziert, ausgesprochen flüssig und aufreizend. Dass Genevie­ve generell nicht weiß, was Sinclair für sie vorbereitet und sie notwendig immer wieder überrascht, führt zu sehr einfallsrei­chen Situationen. Und schlussendlich kam die Autorin auch mit dem finalen Problem gut zurecht, an dem viele Verfasserinnen scheitern: wie überwindet man das zentrale Misstrauen und stellt sicher, dass man im Gegenüber nichts sieht, was dort nicht vorhanden ist?

Der Roman lohnt definitiv eine Entdeckung – klare Leseempfeh­lung!

© 2018 by Uwe Lammers

Ich würde sagen, wer solche Art von Romanen schätzen gelernt hat und den hier – er ist ja schon ein paar Jährchen älter – nicht oder noch nicht auf dem Schirm haben sollte, kann sich, so er sich von dem Inhalt der Rezension animiert fühlt, danach umgehend antiquarisch auf die Suche machen.

In der nächsten Woche kehren wir zu einem meiner ganz per­sönlichen Lieblings-Steckenpferde zurück, nämlich zu Sherlock Holmes. Und diesmal kreuzt er den Pfad eines weiteren Lieb­lingsthemas von mir.

Welches das ist? Ah nein, da würde ich jetzt schon zu viel verra­ten. Schaut einfach in der nächsten Woche wieder rein. Ich freue mich darüber!

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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