Rezensions-Blog 411: Sandsturm

Posted Juli 5th, 2023 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

unter diesem unscheinbaren Titel verbirgt sich ein unerwartet spannendes Abenteuer und zugleich der Auftakt einer vielbändi­gen Abenteuerroman-Reihe, in der sich nicht eben selten Ele­mente des traditionellen Politthrillers mit denen akribischer und komplexer Schatzsuchergeschichten vermischen. Zuweilen sind sie – wie im vorliegenden Band – auch noch mit ausgesproche­nen Science Fiction-Ideen verknüpft, sodass teilweise der Boden der strikten Naturwissenschaft verlassen wird und der Autor sich in das Feld der möglichen, spekulativen Ideen verlagert. Das sorgt für nicht eben wenige Überraschungen.

Ich schätze solche Romane und Autoren, die sich in Grenzberei­chen der Genres aufhalten und voraussehbare Handlungsstruk­turen gezielt aufbrechen, um das Unberechenbare in Szene zu setzen. Das macht Geschichten dann wirklich spannend, und sofern sie sich nicht in den Windungen der Story verirren und abheben – Rollins gelingt diese Gratwanderung souverän – , kommt am Ende ein Werk heraus, das den Leser wirklich nicht mehr in Ruhe lässt und ihn durch die Seiten jagen lässt, bis er endlich die letzten Zeilen gelesen hat.

Die geheimnisvolle, finanziell und wissenschaftlich hochpotente „Gilde“ als Geheimbund und Antagonist der „Sigma Force“ hat in etwa denselben Stellenwert wie in den James Bond-Filmen die Terrororganisation SPECTRE … nur damit ihr wisst, in welcher Liga diese Auseinandersetzung spielt. Und damit ist natürlich auch klar, dass dies nicht ein Einmal-Event ist, sondern lediglich der sehr spannende Auftakt einer ganzen Romanreihe.

Aber schaut euch erst mal an, wie das alles losgeht. Besuchen wir für den Anfang mal das Britische Museum in London und werden Zeuge einer beispiellosen Explosion …

Sandsturm

(OT: Sandstorm)

Von James Rollins

Blanvalet 36266

Juli 2005, 12.00 Euro

608 Seiten, TB

Übersetzt von Klaus Berr

ISBN 978-3-442-36266-0

Alles beginnt im Britischen Museum in London in einer gewittri­gen Nacht Mitte November eines nicht näher bezeichneten Jah­res, das aber einige Jahre nach den Anschlägen auf das World Trade Center handelt. Während eines Stromausfalls kommt es in dieser Nacht zu einem spektakulären Zwischenfall – mitten durch das Museum geistert offensichtlich ein Kugelblitz, und ein Wachmann wird Zeuge dieses seltsamen Vorkommnisses und verfolgt das Phänomen bis in die Antikensammlung, deren zen­trales Artefakt ein Gegenstand ist, der wie ein Kamel aus Eisen wirkt. Womit niemand rechnet, ist dies: Unvermittelt reagieren Kugelblitz und Eisenkamel miteinander, und letzteres explodiert mit unglaublicher Energieentfaltung.

Die Explosion und der schlagartige Tod des Wachmanns rufen verschiedene Personen auf den Plan. Zunächst die Mäzenatin der Sammlung, Kara Kensington, dann ihre enge Freundin, die Kuratorin Dr. Safia al-Maaz, die nach einem Terroranschlag im Nahen Osten hier in London mühsam einen sicheren Hafen ge­funden hat. Das hört im Gefolge dieser Geschehnisse alsbald auf, denn die Untersuchungen, die zunächst in Richtung eines Terroranschlags führen, fördern alsbald ungeheuerliche andere Dinge zutage: in einer teilweise zerstörten Sandsteinstatue ent­deckt Safia nichts Geringeres als ein metallenes Herz, das per­fekt dem eines Menschen nachgebildet ist, und die darauf zu findenden Schriftzeichen deuten auf ein uraltes Geheimnis.

Auf die Stadt Ubar, die in omanischen Legenden und auf Umwe­gen auch in Tausendundeiner Nacht, in der Bibel und als „Irem, die Stadt der Säulen“ sogar bei H. P. Lovecraft verewigt wurde. Auf der Suche nach Ubar ist vor vielen Jahren Karas Vater, Lord Reginald Kensington, im Oman ums Leben gekommen, in einem unheimlichen Phänomen, einem so genannten „Wüstenteufel“ (Nisnases).

Doch nun scheint die vor Jahren eigentlich gefundene Stadt Ubar offensichtlich weitere Geheimnisse zu bergen – und es sind absolut tödliche Geheimnisse, wie schnell offensichtlich wird, als Diebe ins Museum eindringen und das Herz zu rauben versu­chen.

Es ist das Glück Safias, dass zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Personen aus den USA in der Tarnidentität als Wissenschaftler eingetroffen sind. Sie sind allerdings keine Wissenschaftler, nicht streng genommen. Stattdessen sind Painter Crowe und Dr. Coral Novak Mitglieder der Geheimorganisation „Sigma Force“. Die Sigma Force ist der geheime Arm der DARPA, mithin im Kern Teil des militärischen Dienstes der Vereinigten Staaten. Unter dem Leiter Tony Rector ist es Aufgabe der Sigma Force, wissen­schaftlich-technische Gefahren und Entdeckungen für die Verei­nigten Staaten zu neutralisieren oder entsprechende Erfindun­gen sicherzustellen. Und die Detonation im Britischen Museum in London deutet einwandfrei auf eine Antimaterieexplosion hin. Auf instabile Antimaterie – wenn noch mehr davon existiert, muss sie unbedingt sichergestellt werden, um nicht in falsche Hände zu geraten.

Painter Crowe und Coral Novak kommen gerade noch rechtzei­tig, um den Diebstahl des Herzens zu verhindern und die Ermor­dung von Safia zu vereiteln. Doch die Hauptperson der Attacke entkommt. Und Painter Crowe hat sie erkannt: Es handelt sich um Cassandra Sanchez, seine vormalige Partnerin, die seit fünf Jahren in der Sigma Force als Doppelagentin aktiv war und von ihm kurz zuvor enttarnt worden ist.

Die Spur, die das metallene Herz weist, führt offenkundig in den Golfstaat Oman – dorthin, wo Safia al-Maaz, ihre enge Freundin und Gönnerin Kara Kensington und deren Vater gelebt haben. Kara ist dort eine prominente Person wegen der zahlreichen hu­manitären Projekte und Förderfonds, von denen der Oman profi­tiert hat. Painter Crowe und seine Kollegin schließen sich der Ex­pedition an, weil ihnen durch die wissenschaftliche Expertise in­zwischen klar geworden ist, dass die Antimaterie offensichtlich Teil der Eisenstatue war und ebenso Teil des metallenen Her­zens. Wenn es mehr von diesem Material gibt, kann es ebenso instabil werden wie im Britischen Museum – und das kann dann eine Katastrophe auslösen, die eine Nuklearexplosion bei wei­tem überschreitet (es wird nicht umsonst auf die Tunguska-Ka­tastrophe von 1908 verwiesen!).

Kara Kensington bestimmt außerdem etwas herrisch Dr. Omaha Dunn zum Expeditionsleiter, wohl wissend, dass das problema­tisch ist. Safia und Omaha waren verlobt und haben seit ihrer Trennung ein schwieriges Verhältnis zueinander. Außerdem ist Omaha (Dunn: „Mein Name ist nicht Indiana Jones!“ Kara: „Ach, ihr Amerikaner klingt für mich alle gleich, Indiana …“) ein Aben­teurer, der ziemlich unberechenbar ist. Und er ist immer noch in Safia verschossen – was ein neues Spannungsfeld aufbaut, als er entdeckt, dass sich Safia und der Halbindianer Crowe näher kommen.

Das ist aber nicht ihr größtes Problem. Es gibt drei weitere.

Zum einen wird schon vor Ankunft der Hauptgruppe im Oman versucht, Omaha und seinen Bruder Daniel zu entführen (was fehlschlägt). Offenbar besteht diese Entführergruppe aus Frau­en. Niemand versteht das.

Zum zweiten setzt sich Cassandra Sanchez auf Painter Crowes Fährte. Sie arbeitet für eine weltweite Untergrundgruppe, die „Gilde“, und sie hat ganz offensichtlich die Sigma Force unter­wandert, nutzt deren Technologie und horcht ihren Funkverkehr ab, so dass sie über jeden Schritt der Expedition vorab Bescheid weiß.

Und zum dritten braut sich über dem Land ein monströser Sand­sturm zusammen, der direkt über Ubar ziehen wird – und sie wissen alle, was elektrische Entladungen und die hierdurch möglichen Kugelblitze mit dem auf unbegreifliche Weise stabili­sierten Antimaterie-Artefakten anrichten können.

Dann gerät Safia al-Maaz in Cassandras Hände, und ein Wett­lauf gegen die Zeit beginnt, auf der Suche nach dem Mysterium von Ubar inmitten der omanischen Wüste … und auf grässliche Weise erwachen die uralten Legenden zu neuem Leben und bringen von neuem den Tod …

Also, ich muss schon sagen … ich wusste, dass Rollins (mit bür­gerlichem Namen heißt er Jim Czajkowski, aber der ist natürlich nicht so eingängig) packend schreiben kann, dennoch ist das hier etwas völlig anderes als seine Romane zu den Indiana Jo­nes-Filmen! Hier spult er ein dramatisches, wendungsreiches Geschichtengarn ab, das den Leser so gar nicht mehr in Frieden lässt. Ich kam infolgedessen auch binnen von nur zwei Tagen durch diesen wirklich textreichen Klotz Buch hindurch und habe mich absolut überhaupt nicht gelangweilt.

Es wimmelt von raffinierten Schatzsucherstrukturen, von plausi­bel erklärter Wissenschaft, von historischer Akkuratesse, kultu­rell schön dargestellten Schauplätzen, die bis in die feinsten Verästelungen hinein mit viel Liebe zum Detail dargestellt wer­den. Zum Teil extrem dramatische Kämpfe zu Land, zu Wasser, in der Luft und unter der Erde würzen die Geschichte auf enorm wirkungsvolle Weise. Starke Frauenfiguren prägen den Roman, wiewohl sie allesamt in sich gebrochen sind. Doch die Bewälti­gungsstrategien dieser biografischen Bruchstellen sind ganz un­terschiedlich.

Was solchen Romanen eine besondere Qualität verleiht, sind im­mer charismatische Villains. Stumpfsinnige Charaktere, wie sie – leider – manche Bücher von Clive Cussler bevölkern, sucht man hier wirklich vergebens. Immer dann, wenn man als Leser glaubt, dass Painter Crowe doch endlich mal die Oberhand ge­winnen müsste, erweist sich, dass seine intrigante Gegnerin Cassandra schlauer ist als er, und das gilt buchstäblich bis ganz zum Schluss. Dass Crowe dennoch am Schluss siegreich aus der Auseinandersetzung hervorgeht, liegt wesentlich an Faktoren, die er selbst nicht beeinflussen kann – an Safia al-Maaz etwa, an den Einheimischen des Oman und an den Naturgewalten, die eine beispiellose Katastrophe auslösen.

Besonders gefallen hat mir an dem Roman, dass selbst überall da, wo man eigentlich gar nicht erwartet, wissenschaftliches Knowhow vorzufinden, die Erklärungen so präzise sind. Ob es um Magnetfeldschwankungen der Erde geht, um Buckyballs, um die spezielle Struktur von Wasser, um die mitochondriale DNS … da gibt es z. T. richtige Science Fiction-Elemente, die aber so plausibel dargestellt werden, dass man tatsächlich meint: Ja, so könnte es vielleicht wirklich sein. Und dieser schmale Grat zwi­schen Fiktion einerseits und wissenschaftlich glaubwürdiger Darstellung von Fakten ist schwer zu erreichen, das ist wirkliche Meisterschaft.

Kein Wunder also, dass der Roman zum Bestseller wurde und zum Auftakt einer Reihe geworden ist, die inzwischen wenigs­tens 12 Bände umfasst. Ach ja … und natürlich ist die Sache mit der „Gilde“ noch nicht vorbei. Das sollte niemand glauben. Es wurde eine Schlacht gewonnen, aber wie der Krieg Gilde gegen Sigma Force ausgeht, steht noch in den Sternen.

Es bleibt spannend.

© 2019 by Uwe Lammers

Ja, ja, aufregend ist das gewesen. In der kommenden Woche könnt ihr euch ein wenig herunterkühlen. Wir machen einen Be­such in der schottischen Metropole Edinburgh und lernen ein paar interessante Persönlichkeiten kennen. Mehr sei hierzu heu­te noch nicht verraten.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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