Rezensions-Blog 419: Der Genesis-Plan

Posted August 29th, 2023 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

das dritte Abenteuer der „Sigma Force“, das James Rollins ver­fasste, setzt die wilde Actionserie fort, in der diesmal eher am Rande die sinistre „Gilde“ mitmischt. Das soll sich in weiteren Romanen noch ändern. In diesem Band fußt das Grauen, das sich in diesen Seiten verbirgt, mal wieder in den Endtagen des Dritten Reiches … die seltsame Faszination der amerikanischen Leserschaft bezüglich der Nazis manifestiert sich hier einmal mehr. Wir kennen das hinreichend aus den Indiana Jones-Fil­men: Bringt Nazis in Stellung, und schon ist der nächste Block­buster geboren. Wir sehen das im aktuellen Jahr im jüngsten und fünften Indiana Jones-Kinoabenteuer.

Gleichwohl, Rollins hetzt seine Protagonisten in einem ziemlich gnadenlosen Countdown über die Kontinente der Welt und bringt dieses Mal Quantenphysik, Genetik und Evolution zusam­men, auf eine bisweilen wirklich schaurige und eindeutig phan­tastische Weise.

Wie das im Detail ausschaut? Na, seht es euch mal an:

Der Genesis-Plan

(OT: Black Order)

Von James Rollins

Blanvalet 36795

November 2007, 12.00 Euro

544 Seiten, TB

Übersetzt von Norbert Stöbe

ISBN 978-3-442-36795-5

Deutschland anno 1945: Das Dritte Reich büßt für die Sünden des Hitler-Regimes, Mord, Chaos und Zerstörung breiten sich aus. Und die alliierten Armeen sind auf der gnadenlosen Suche nach den Wissenschaftlern der Nazis, um die technologischen Schätze für ihre Seite im beginnenden Kalten Krieg zu sichern. Aber ein Schatz entgeht ihnen – aus der Festungsstadt Breslau kann SS-Obergruppenführer Sporrenberg die „Glocke“ in Sicher­heit bringen. Mit der letzten Überlebenden der Wissenschaftler­mannschaft, Tola Hirszfeld, gelingt das nicht. Sie stirbt auf dem letzten Wegabschnitt. Die Spur Sporrenbergs und der „Glocke“ verliert sich in der Zeit.

Gegenwart: Dr. Lisa Cummings befindet sich im Basislager des Mount Everest, um hier medizinische Untersuchungen in der To­deszone durchzuführen. Ein Notfall ruft sie aber talwärts zu ei­nem buddhistischen Kloster, wo eine Krankheit – vielleicht eine Seuche – zu grassieren scheint. Als sie dort ankommt, läuft sie in eine Falle. Nicht nur sind fast alle Mönche und Tiere des Klos­ters tot, auch scheinen sie alle von kollektivem Wahnsinn befal­len worden zu sein. Und während Lisa noch rätselt, was vorge­fallen ist, wird ihr Hubschrauber in die Luft gesprengt, und ein Scharfschütze trachtet ihr nach dem Leben. Auf der Flucht ins Innere des Klosters stolpert sie über einen verwahrlosten, halb­nackten Mann, der auf die Frage, wer er sei, bereitwillig Antwort gibt: Painter Crowe. Und er ist selbst von der Seuche oder was immer es ist, angesteckt.

Der Leser ist natürlich sofort am Rätseln, denn Painter Crowe ist der Chef der Sigma Force, des quasi-militärischen Arms der DARPA, der Wissenschaftssektion der amerikanischen Geheim­dienste. Aus den vorangegangenen Abenteuern „Sandsturm“ und „Feuermönche“ sind sowohl Crowe als auch die Sigma Force bestens bekannt.1 Aber was hat Painter Crowe nach Nepal in das Kloster und in diese desaströse Situation befördert? Das bleibt zunächst ein Geheimnis.

Der nächste Schauplatz, nicht minder rätselhaft, ist Kopenhagen in Dänemark, und es geht um Darwins Bibel. Commander Gray­son Pierce von der Sigma Force, gut bekannt aus dem vorange­gangenen Roman, ist hier vor Ort, um herauszufinden, warum Geld aus terroristischen Quellen in den Kauf von fünf antiquari­schen Büchern fließen, die aus dem 19. und frühen 20. Jahrhun­dert stammen. Als jetzt als letztes die Darwin-Bibel auf diese Liste kommt, entschließt sich Pierce, der Besitzerin, die in Ko­penhagen wohnt, einen Besuch abzustatten.

Das ist beinahe das letzte Unternehmen, das er realisiert.

Am Ziel wartet nämlich nicht nur die betagte Grette Neal, son­dern auch ihre „Enkelin“ Fiona (die ihr überhaupt nicht ähnlich sieht, dafür gibt es natürlich Gründe) … und ein Killerkomman­do, das kurzerhand die Buchhandlung in Brand steckt. Ehe sie sich versehen, ist die alte Dame tot und die flinke Taschendiebin Fiona und Grayson auf der Flucht vor den Mördern. Während das Mädchen voller Zorn ist und nun dringend die Bibel vom Aukti­onshaus zurückbekommen will, möchte Grayson den Auftrag zu Ende bringen, auch wenn er sich als sehr viel gefährlicher er­weist als angenommen.

Aber die Gegner sind noch nicht am Ende, sondern haben durchaus vor, jeden Zeugen mundtot zu machen. Zwei davon sind offenbar Geschwister, weißhaarig und blass, mit einer selt­samen identischen Tätowierung auf dem Handrücken, eine Art Kleeblatt oder so. Gray merkt es sich, und nachdem sie unter Zurücklassung einer Leiche und einiger Zerstörung das Weite suchen können, erfahren sie, dass ihr Chef in Nepal vermisst wird. Dort wütet unterdessen ein Schneesturm.

Auch sonst haben sich die Ereignisse in Nepal inzwischen zuge­spitzt. Painter Crowe konnte die Ärztin vor der Attacke vorläufig in Sicherheit bringen, aber alsbald geraten sie in Gefangen­schaft der Leute, die für das Massaker an den Mönchen ursäch­lich verantwortlich sind. Leiterin der Operation ist eine betagte Frau, die ihren Namen mit Dr. Anna Sporrenberg angibt und sie in eine unheimliche Bergfestung mitten in Nepal entführt, die augenscheinlich noch von der Organisation Ahnenerbe Heinrich Himmlers eingerichtet wurde.

Sie sind bei Nazis gelandet … oder jedenfalls fast. Und hier wird ihnen auch erklärt, dass sowohl Anna als auch Painter Crowe durch die Quantenstrahlung der „Glocke“ unheilbar biochemisch geschädigt wurden. Ihnen bleiben noch etwa drei Tage bis zum unabwendbaren Wahnsinn und darauf folgenden Tod. Und dann wird, während Crowe und die Ärztin in der Burg weilen, die „Glo­cke“ gesprengt. Reparatur unmöglich, weil der Betriebsstoff fehlt, eine geheimnisvolle Substanz namens Xerum 525, deren Rezeptur im Krieg verloren ging.

Painter Crowe scheint dem Tode geweiht zu sein.

Auch in Europa entwickeln sich die Dinge unschön weiter. Um das Mysterium um die Attentäter und die mysteriösen fünf Bü­cher zu entschlüsseln – in der Darwin-Bibel haben sie altnordi­sche Runen entdeckt und brauchen nun einen Experten – leitet die wie eine Klette an Grayson klebende Fiona die sich verstärk­te Gruppe, zu der auch Monk Kokkalis von der Sigma Force ge­stoßen ist, zu dem ursprünglichen Besitzer der Bibel nach Deutschland, zu einem Mann namens Johann Hirszfeld.

Allein an den Namen merkt man als Leser allmählich, wie die Dinge zusammenführen. Aber die haarsträubenden Ereignisse führen die beiden Gruppen schließlich erst in Südafrika zusam­men, wo das Anwesen der Familie Waalenberg liegt. Und hier ist auch der Keim für etwas Ungeheuerliches, das die ganze Welt in existenzielle Gefahr bringt. Und während Painter Crowe zuneh­mend dem Tode nahe ist und als Akteur ausfällt, hängt das Schicksal der Welt an einer fingerfertigen Taschendiebin, einem einhändigen Sigma Force-Agenten und einer durch Zufall ins le­bensgefährliche Abenteuer ihres Lebens hineingestolperten Ärz­tin, die mit Ungeheuerlichem konfrontiert wird …

Der dritte Sigma Force-Roman von James Rollins nimmt nicht nur einige Protagonistenspuren des zweiten Romans auf, wes­wegen es sich nach wie vor empfiehlt, die Romane in genau die­ser Reihenfolge zu lesen. Er vertieft auch auf interessante Wei­se, die an klassische Bond-Verfilmungen erinnert, die in Band 2 bereits angedeutete Nazi-Fährte. Etwas unpassend erschien mir freilich die Installation jüdischer Wissenschaftler in Nazi-Diens­ten. Rollins postuliert, dass einige von ihnen durch ausdrückli­che Weisung Hitlers gerettet wurden und einige von ihnen auch mit amtlicher Erlaubnis im Heer dienen – hier bringt er das mei­ner Meinung nach durcheinander mit Ausnahmeerlassen für deutsche Juden im Ersten Weltkrieg. Dort gab es dieses Phäno­men durchaus. Im Zweiten Weltkrieg fielen allerdings meines Wissens auch solcherart 1914-1918 freigestellte und dekorierte jüdische Weltkriegssoldaten dem Vernichtungsverdikt zum Op­fer. Infolgedessen ist die Hirszfeld-Spur zwar nicht völlig un­denkbar, aber doch recht unwahrscheinlich. Ohne sie funktio­niert freilich der Roman nicht.

Besonders interessant ist in dem Zusammenhang eine diskrete Nachricht, die die „Gilden“-Agentin Seichan Grayson Pierce in Kopenhagen zusteckt und die besagt, dass selbst die „Gilde“ von diesen Dingen die Finger gelassen hat. Da die Sigma Force aber schon bis zum Hals drinsteckt, kommt Aufgeben natürlich auch da schon nicht mehr in Frage.

Kritisch fand ich an dem Roman, dass Rollins versucht, Position zum Thema des „intelligent design“ zu beziehen. Er probiert das auf dem Umweg über die klassische Evolutionslehre und die Quantenphysik, wo er sich bemerkenswert gut auskennt. Aber ich vermisste strikt den Hinweis auf die „Trash-DNS“, was eine bodenständigere Erklärung für gewisse Details des Romans ge­boten hätte (war ihm vielleicht nicht phantastisch genug).

Molekularbiologen fanden in den vergangenen Jahrzehnten seit Entdeckung der Doppelhelix der DNS durch Watson, Crick und Franklin heraus, dass nur ein sehr kleiner Teil der genetischen Information bei der Replikation tatsächlich sinnvoll abgelesen wird. Der Rest wird einfach so mitgeschleift, scheinbar ohne eine Funktion zu erfüllen. Deshalb nannte man diese scheinbar „unnützen“ Bereiche „Trash-DNS“. Heute weiß man, dass das vorschnell geurteilt war. In der so genannten „Trash-DNS“ sind gewissermaßen Sicherheits-Backups früherer genetischer Vari-anten gespeichert, Alternativen zum dominanten Vererbungs-strom.

Die „unwahrscheinlichen“ Zufallssprünge, die Dr. Anna Sporren­bergs Zweifel an der darwinschen Evolutionslehre befeuern und die Rollins dazu nutzt, die Quantenphysik in Stellung zu bringen (nicht unintelligent übrigens), berücksichtigen die „Trash-DNS“ leider in keiner Weise. Dabei ist sie es höchstwahrscheinlich, die solche „Sprünge“ überhaupt erst möglich macht. Man braucht dabei wohl eher nicht auf Quantenzustände zurückzugreifen. Ansonsten gefiel es mir, dass Rollins deutlich zu den Verfech­tern des „intelligent design“ auf Distanz geht.

Die Chimären, mit denen die Sigma Force in Afrika dann kon­frontiert werden, scheinen geradewegs von der Insel des Dr. Moreau eingeflogen worden zu sein und haben vielleicht dort auch ihren Ursprung. Gespenstische, lebensgefährliche Wesen, genauso wie die „Sonnenkönige“, über die ich hier nichts verra­ten mag.

Herausgekommen ist auch diesmal ein spannender Roman, der eine Mischung aus moderner Schatzsucher, Neonazi-Villain-Thril­ler und Nonstopaction darstellt. Überall da, wo Rollins medizini­sche Sachverhalte ins Feld führt, erweist er sich qua eigener be­ruflicher Ausbildung als äußerst fundiert. Und da, wo er sich Wissen angelesen und anderweitig angeeignet hat, versucht er auf dem Umweg über Anna Sporrenberg, diese Kenntnisse an den Mann zu bringen. Das ist durchaus gelungen, muss ich sa­gen. Ein Grund, warum ich das Buch binnen zwei Tagen gerade­wegs verschlang.

Auch hier würde ich wieder sagen, liegt das Qualitätslevel deut­lich über dem eines durchschnittlichen Clive Cussler-Romans, und die Einbeziehung starker Frauenfiguren, die Rollins erkenn­bar ein Anliegen ist, sowohl auf der positiven wie der negativen Seite, wertet die Geschichte deutlich auf.

Eindeutige Leseempfehlung von meiner Seite.

© 2019 by Uwe Lammers

Man sieht, das ist ein ziemlich heftiger Pageturner, und das ist dann auch einer der Gründe, warum sich James Rollins mit die­sen Romanen einen festen Platz in meiner Lesegunst erkämpft hat. Dass da mitunter auch mal schwächere Romane dabei sind (wir kommen noch dazu), ganz so wie beim inzwischen verstor­benen Clive Cussler, das liegt in der Natur der Sache. Selbst wenn man sich darum bemüht, ständig neue/alte Mysterien der Geschichte aufzurollen, zu rekombinieren (wie DNS im Vermeh­rungsprozess, ganz recht) und sie interessant zusammenzufü­gen, bleiben Wiederholungen einfach nicht aus. Bis hierher sind derlei Verschleißerscheinungen noch nicht zu beobachten.

In der kommenden Woche reisen wir zurück nach Edinburgh und schauen uns an, um wessen Herzensangelegenheiten sich Sa­mantha Young dann kümmern möchte.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

1 Vgl. dazu die Rezensions-Blogs 411 vom 5. Juli 2023 und 415 vom 2. August 2023.

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