Rezensions-Blog 50: Feuer und Stein (1)

Posted März 9th, 2016 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

ihr könnt es euch vorstellen, nicht wahr, dass ich für die kleinen und großen „Ju­biläen“ der Blogartikelreihe immer besondere Leckerbissen aus meiner Lektüre auswähle. Das war neulich schon so beim Blogartikel 25, das wird beim Blogarti­kel 75 und 100 ebenso der Fall sein, da lasst euch beizeiten mal überraschen.

Heute kommt ein Roman, den man zu den „Favorites“ zählen könnte, die meine Bücherregale bevölkern. Ein Buch, das ich immer wieder gern zur Hand nehme und zig Male gelesen habe. Seit einer Weile gibt es hierzu sogar ein faszinieren­des mediales Phänomen, auf das ich erst mit Verspätung gestoßen bin: die Ver­filmung in Form der Fernsehserie „Outlander“. Bisher habe ich davon nur die ersten drei Episoden (von 16) gesehen, aber bis dieser Artikel erscheint, könnte es gut sein, dass ich sie alle angeschaut habe.

Da diese erste Staffel der Serie sich ausschließlich mit dem Inhalt des vorliegen­den Romans befasst und ich ihn wahrlich oft genug „inhaliert“ habe, haften die Details dieses Werkes immer noch recht gut, und so war ich imstande, necki­sche Abgleiche zwischen Romantext und filmischer Adaption anzustellen.

Die Serie, um dies einleitend vor der Rezension selbst zu sagen, gefällt mir aus­nehmend gut. Es gibt zwar eine ganze Reihe von dramaturgischen Anpassungen – so ist die Hauptperson Claire Randall im Roman nicht vor dem Zeitsprung in der Ruine von Castle Leoch gewesen, und den Steinkreis hat sie zunächst allein erkundet, auch fehlt in der Verfilmung der Gegenwartsszenerie ein Kind, das später zu einem tragenden Charakter späterer Romane werden wird (Kenner wissen, dass ich von Roger Wakefield rede), aber ansonsten ist die Umsetzung des Romanstoffes beeindruckend gut gelungen. Nun, die Fans haben auch weit mehr als zehn Jahre darauf warten müssen. Solche Planungszeit sollte sich ir­gendwann in der Qualität der Umsetzung niederschlagen.

Phantastikfans, die die mediale Umsetzung ihrer Lieblingsromane kritisch ver­folgen, werden an dieser Stelle wahrscheinlich auch an George R. R. Martins Westeros-Romane denken, besser bekannt unter dem Titel „Game of Thrones“, doch da ich dort nicht sattelfest bin, schweige ich davon. Ich habe jedoch ver­schiedentlich begeisterte Kommentare über die Adaption dort gehört und gehe davon aus, dass sie ähnlich gut wie bei „Outlander“ gelungen sein dürfte.

Ehe ich in die Rezension überleite, noch eine kurze Vorbemerkung zur Publikati­on der Gabaldon-Rezensionen in diesem Blog: Wie ihr an den eingeklammerten Ziffern seht, handelt es sich – wie etwa auch bei Peter F. Hamiltons „Armaged­don-Zyklus“ um ein mehrbändiges Werk. Da ich den Zyklus aber noch nicht rest­los gelesen habe und die Romane in deutlich größerem zeitlichem Abstand zu­einander erschienen sind, ziehe ich infolgedessen auch die Einzelrezensionen etwas auseinander. Die ersten drei folgen vergleichsweise dicht aufeinander, die späteren deutlich danach.

Ich schaue, dass ich dann immer einleitend auf die vormaligen Teile hinweise, damit ihr lesend das Kontinuum mühelos wieder herstellen könnt und nicht lan­ge zu suchen habt… aber wenn ihr sowieso gleich Feuer und Flamme seid nach der Lektüre des ersten Bandes, dann werdet ihr sowieso sehr viel geschwinder sein als ich bei meinen veröffentlichten Rezensionen.

Denn Tatsache ist: der vorliegende Roman ist hoher Suchtstoff, und ihr werdet meine Begeisterung durch manche dieser Rezensionen hindurchlodern spüren können. Machen wir also heute mal eine abenteuerliche doppelte Zeitreise. Erst auf ins Jahr 1945 und sodann weiter über eine magische Verbindung in die Mitte des 18. Jahrhunderts.

Bon voyage!

Feuer und Stein

(am. OT: Outlander, engl. OT: Cross-Stitch)

von Diana Gabaldon

Blanvalet

800 Seiten

Gebundene Neuausgabe 20021

Übersetzt von Elfriede Fuchs und Gabriele Kuby

Wenn eine Wissenschaftlerin sich gänzlich aus ihrem Themengebiet entfernt und in das Abenteuer stürzt, etwas vollkommen anderes zu erproben, kommen dabei nicht selten Katastrophen heraus, möchte man meinen. So hätte es auch sein können, als die Honorarprofessorin für Tiefseeökologie und Computerspe­zialistin Diana Gabaldon den Entschluss fasste, sich einmal an einem histori­schen Roman zu versuchen. Was kam dabei heraus? Nun, ein Bestseller, und zwar dieser:

Man schreibt in England das Frühjahr 1945, als die Wirrnisse des Zweiten Welt­krieges Claire Beauchamp Randall und ihren Mann Frank endlich wieder loslas­sen und von neuem zueinander führen. Während er im diplomatischen Dienst tätig war (was er erlebt hat, verrät er nie), arbeitete Claire als Krankenschwester in einem Kriegshospital und folgte damit ihrer beruflichen Laufbahn. Jetzt ist sie knapp dreißig und hat eigentlich nur den sehnlichen Wunsch, die Flitterwochen nachzuholen und ein Kind zu empfangen.

Frank, von Beruf Historiker, folgt zunächst den Pfaden seiner Ahnen und schleift die reichlich desinteressierte Ehefrau mit sich nach Inverness, wo sich Doku­mente aus der Zeit der Jakobitenkriege erhalten haben. In dieser Zeit spielte Franks Ahne Jonathan Randall, der aus unbekannten Gründen „Black Jack Ran­dall“ genannt wurde, eine entscheidende Rolle. Er vertieft sich mit dem Reve­rend Wakefield in diese Unterlagen, die Claire despektierlich als „Haufen schmutziger Papiere“ bezeichnet.

Während Claire bald selbsttätig loszieht, um Kräuter zu sammeln, stößt sie auf einen seltsamen Hügel mit einem uralten Steinkreis darauf. Das ist eher etwas für Frank, denkt sie und kehrt zurück nach Inverness. Als sie jedoch wenig spä­ter auf der Suche nach seltenen Pflanzen diesem Steinkreis einen erneuten Be­such abstattet, verschwindet sie spurlos.

Jedenfalls für ihren Mann und alle ihre Zeitgenossen.

Was ihr widerfährt, ist Claire selbst nicht klar: eben noch ist sie im Steinkreis und sucht Pflanzen, im nächsten befindet sie sich in einem kreischenden, un­vorstellbaren Malstrom, der sie schier zu Tode ängstigt und am Ende ohnmäch­tig werden lässt – als sie wieder erwacht, befindet sie sich am Fuße des Berges und in einem Alptraum.

Wenn es einer wäre.

Der Alptraum ist eine wilde Verfolgungsjagd von Kilt tragenden, brüllenden Schotten und englischen Soldaten in den Uniformen König Georges. Zunächst hält die Krankenschwester das für eine bizarre Art von Film, aber recht schnell und drastisch muss sie, von den Schotten kurzerhand niedergeschlagen und dann entführt, realisieren, dass es sich um viel Schlimmeres handelt: Allen Indi­zien zufolge befindet sie sich im Jahre 1743 und mitten in den beginnenden Wirren des zweiten Jakobitenkrieges.

Sie ist eine Engländerin, eine „Sassenach“, wird von den Schotten misstrauisch beäugt, nicht zuletzt wegen ihres französischen Nachnamens (denn den Ehena­men hat sie sicherheitshalber abgelegt – nachdem sie dem sadistischen Ahnen ihres Mannes Frank, Jonathan Randall, in den Wäldern erheblich näher gekom­men ist, als ihr eigentlich lieb war!), zugleich aber auch von den Briten gesucht, und beide Seiten sehen in ihr eine Spionin, nur weiß eben niemand, für welche Seite. Und Claire selbst… nun, sie will nichts dringlicher, als zurück zum entsetz­lichen Steinkreis und verschwinden. Stattdessen wird sie nur weiter nach Nor­den verschleppt, mitten hinein in den Filz der Clanwirren.

Und, um die Sache noch schlimmer zu machen, sie trifft den jungen Jamie Mc­Tavish, der nicht McTavish heißt, einen von Auspeitschungen schrecklich zer­furchten Rücken besitzt, und ehe Claire eigentlich richtig klar wird, was los ist, steht sie mit ihm vor dem Traualtar.

Nun könnte man meinen, sie könne sich all dem natürlich schleunigst entzie­hen, indem sie unter welchen Umständen auch immer die Flucht ergreift, den Steinkreis aufsucht und durch die Zeiten in die Gegenwart flüchtet… aber das ist jetzt nicht mehr so einfach, denn der festeste aller Anker hält sie im Gestern – der Anker der Liebe, gegen den selbst das metallene, goldene Versprechen an ihrem Finger, das sie tagtäglich an Frank Randall erinnert, ihren ersten, gegen­wärtig noch nicht mal geborenen Ehemann, nicht ankommt.

So wird Claire Beauchamp Randall Fraser, wie sie nun heißt, geradezu zerrissen zwischen den disparaten Wünschen ihres Herzens. Es geht nicht mehr nur um sie, es geht auch um Jamie, seine Verwandten und vieles andere mehr. Am schlimmsten jedoch brennt jene Sorge in ihr, die vom Wissen um die Zukunft genährt wird: sie weiß, in wenigen Jahren wird all das, was sie hier liebt, unter­gehen und vernichtet werden – wenn der Thronprätendent Charles Edward Stuart, „Bonnie Prince Charlie“, wie man ihn noch im 20. und 21. Jahrhundert nennt, seine Landsleute zum Aufstand aufruft und das Land im Blut ertrinken wird.

Claire könnte fliehen… aber dazu müsste sie auch alles im Stich lassen, inklusive die Liebe ihres Lebens…

Diana Gabaldons Romanerstling ist ein Buch, das man spätestens in dem Mo­ment rauschhaft zu verschlingen imstande ist, wenn man sich an die Ich-Erzäh­lerin und ihren sagenhaft trockenen, lakonischen Humor gewöhnt hat. Das geht sehr schnell, und ehe man sich versieht, verdunsten gleichsam Dutzende und Hunderte von Seiten pro Tag, bis man schließlich verdutzt blinzelnd das Buch schließt, sich wundert, warum das Vergnügen schon vorbei ist und nach mehr ruft.

Denn natürlich kann sie den langen Handlungsbogen, der sich bis zur Schlacht von Culloden im Jahre 1745 spannt, nicht in diesem Buch beenden. Das war ihr schon klar, als der Roman zum Endspurt auf die letzten 150 Seiten ansetzt. Fol­gerichtig gibt es einen zweiten Band.2

Wenn wir von der Seite des Historikers an diesen Stoff herangehen, fällt auf, wie erfreulich eng sich Gabaldon an die historischen Fakten gehalten hat. Ignorieren wir fürs erste einmal den obskuren Steinkreis, der 200-Jahres-Reisen in die Ver­gangenheit und Zukunft ermöglicht und geradewegs aus dem Herzen der Fanta­sy stammt. Von sonstigen „Fantasy“-Zutaten macht sie in dem Buch keinen Ge­brauch, was schließlich dazu führt, dass man bis auf dieses Vehikel einen rein­rassigen historischen Roman vorliegen hat, der zur Zeit der Jakobitenkriege spielt. Bis auf Claires Ursprung, natürlich. Diese mentale Verwerfungslinie einer in die Vergangenheit verschlagenen Frau macht die Geschichte zusätzlich kniff­lig und verleiht ihr eine eigene, zusätzliche Würze.

Gabaldon erfindet fiktive Orte wie das Dorf Cranesmuir und Lallybroch, auch hat sie – wie sie später verlegen gestehen wird – echte Probleme mit schotti­schen „Zitaten“, die sie notorisch falsch einsetzt (und übersetzt), und zudem er­kennt man noch deutlich die Unbedarftheit, mit der sie geradezu spielerisch mit der Vergangenheit umgeht… doch was die Alltagsbeschreibungen angeht, Klei­dung, Sitten und insbesondere die Details der medizinischen Versorgung – wenn man das so nennen möchte – , so bemüht sie sich sehr, akkurat zu sein und das Element des Zufalls nicht zu sehr überzustrapazieren, wie es Neulinge in der Branche des Schriftstellertums gerne machen. Insofern hat sie ihre Haus­aufgaben gut erledigt und kann des anerkennenden Nickens sicher sein.

Die Geschichte selbst ist ein interessantes, vielfältig facettiertes und mäandern­des Band von verschiedenen Handlungssträngen, die nur langsam zu einem Ganzen gefügt werden. Bis zum Schluss bleiben Fragen offen, ganz wie im nor­malen Leben auch. Und wenn es sich oben so las, als würde Claire sich sehr rasch Hals über Kopf in Jamie verlieben, so entspricht das absolut nicht der Rea­lität – und selbst, ALS das passiert, bleibt diese Beziehung alles andere als stö­rungsfrei. Die sich daraus ergebenden Komplikationen, die eng in Zusammen­hang stehen mit köstlichen, wütenden Disputen, seltsam abgleitenden und bald von unbändigem Kichern erfüllten Erzählungen sowie zahlreichen Handlungen, die interessante moralische Differenzen zwischen einer Protagonistin des 20. Jahrhunderts und einem jungen Mann des 18. Jahrhunderts zur Folge haben, lassen wahrhaftig keine Langeweile aufkommen.

Der Titel des Buches mag zwar äußerst irreführend gewählt sein; die Übersetze­rinnen mögen an manchen Stellen des Buches zu drastischen Reduktionen des Textes geneigt haben und zu ziemlich abenteuerlichen Fehlübersetzungen (so wird beispielsweise Claires erstaunliche Körpergröße, die umgerechnet etwa einen Meter achtzig beträgt, hastig nach unten verringert, wie Leser der ameri­kanischen Originalausgabe feststellen können), doch alles in allem ist das Buch eine äußerst solide, sehr unterhaltsame Leistung.

Nicht nur Leute, die abenteuerliche Liebesgeschichten in historischem Ambien­te mögen und erst recht nicht nur Leser, die sich unsterblich in schottische Ge­schichte verliebt haben, kommen hier voll auf ihre Kosten, wenngleich das das Vergnügen natürlich erheblich steigern wird. Auch derjenige, der sich für beein­druckend lebendige Charakterzeichnung interessiert, wird das Buch mit Genuss lesen und danach das Fazit der Berliner Zeitung bestätigen können: „…absolut süchtig machend.“

Das sagt jemand, der das Buch innerhalb von fünf Jahren viermal in der Über­setzung und einmal im Original gelesen hat…

© by Uwe Lammers, 2006

Hallo, Freunde… aufgewacht! Die Rezension ist vorbei! Wer Feuer gefangen hat, der sause in die Buchhandlung oder Bücherei und lese das Buch… oder wer es schon besitzt und denkt: Ja, das könnte ich endlich mal wieder herauskramen und neu lesen – nur zu!

In der nächsten Woche hüpfen wir in die ferne Zukunft zurück und treffen in ei­nem von Menschen besiedelten Universum eine Spezies von sanftmütigen, doch unerbittlichen schwarzen Robotern wieder, gegen die Widerstand zweck­los scheint. Wer sich fünf Wochen zurück erinnert, hat Teil 1 dieses Alptraums mitbekommen. Nächste Woche erlebt ihr den zweiten Teil davon. Nicht verpas­sen!

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Der Roman kam zunächst 1991 in Amerika heraus, die deutsche Erstauflage, der zahllose Neuauflagen im Taschenbuch folgten, erschien 1995. Die Taschenbücher kosten 10 Euro, diese Edition hier 13 Euro.

2 Diana Gabaldon: „Die geliehene Zeit“. Auch dieser Roman ist für den Rezensions-Blog in Vorbereitung.

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