Rezensions-Blog 147: Tödliche Beute

Posted Januar 17th, 2018 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

es ist doch immer wieder überraschend, im recht umfangreichen Oeuvre des Thrillerautors Clive Cussler neue Aspekte vorzufinden. Ich kenne Stimmen, die der Ansicht sind, wenn man fünf oder sechs Cussler-Romane gelesen habe, würde man eigentlich alles kennen, worüber er schreibt – nun, dem kann ich nicht beipflichten. Der vorliegende Roman weicht auf interessante Weise von den traditionellen Pfaden ab und ist jenseits seiner packenden Actionhandlung von einem kritischen und für die Zukunft der Menschheit zentralen Gedanken durchdrungen.

Als ich das erst mal entdeckt hatte, war ich davon vor fünf Lesejahren höchst angetan, und ich glaube, das merkt man dann auch an dem Duktus meiner da­maligen Rezension. Folgt mir also in das vierte Abenteuer von Kurt Austin und Joe Zavala von der NUMA und in das heiß umkämpfte Fanggebiet der Färöer im hohen Norden des Atlantiks…

Tödliche Beute

(OT: White Death)

Von Clive Cussler & Paul Kemprecos

Blanvalet 36068, 2004

448 Seiten, TB

ISBN 3-442-36068-4

Aus dem Amerikanischen von Thomas Haufschild

Die ganze Geschichte beginnt im Jahre 1515 westlich der Britischen Inseln. Eine Karavelle aus Spanien ist auf dem Weg in die Neue Welt. Der Kommandant ist ein baskischer Edelmann, der daheim eine Menge Einfluss besitzt und zudem der Hüter wertvoller Reliquien ist. Doch Diego Aguirrez, so der Name dieses wa­ckeren, aufrechten Streiters, wird von einem unerbittlichen Feind verfolgt, ei­nem Häscher der Heiligen Inquisition, mit dem er sich mitten auf dem Meer ein erbarmungsloses Gefecht liefert, ehe ihm die Flucht gelingt. Er wird nie wieder gesehen…

420 Jahre später sind wieder kühne Abenteurer auf dem Weg gen Norden, dies­mal deutsche Luftschiffer an Bord eines experimentellen Zeppelins mit Namen „Nietzsche“, das 1935 den Pol erreichen und so die Überlegenheit deutscher Technik belegen soll. Aber die „Nietzsche“ verschwindet auf Nimmerwieder­sehen in der Arktis und bald daraus auch aus dem Gedächtnis der Menschheit…

Etwa im Jahre 2003 oder 2004 beginnt dann die eigentliche Handlung: Vor den Färöer-Inseln1 im Nordatlantik findet das so genannte „grindarap“ statt, ein tra­ditionelles Ritual der dortigen Fischer, bei dem zahlreiche Zwergwale in eine Küstenbucht getrieben und dort blutig abgeschlachtet werden.2 Aber eine Um­weltschutzorganisation, die „Sentinels of the Sea“ (SOS) unter ihrem energi­schen wie leichtfertigen Anführer Marcus Ryan, ist wild entschlossen, dieses „Massaker“ zu verhindern – zu dumm nur, dass die dänische Marine voraus­schauend den Kreuzer „Leif Eriksson“ vor Ort dirigiert hat, um Exzesse seitens der Umweltschützer zu vermeiden.

Unter normalen Umständen würde so etwas eine Eskalation der Ereignisse ver­hindern. Doch die Umstände sind alles andere als normal, und das bekommen sie alle zu spüren – ehe der Tag des „grindarap“ vorbei ist, liegen Marcus Ryans Schiff „Sea Sentinel“ und der von ihm gerammte (!) Kreuzer der Dänen auf dem Meeresgrund, und zahlreiche Seeleute sind noch im Rumpf des versunkenen Kreuzers eingeschlossen. Hilfe ist weit und breit nicht in Sicht…

Zeitgleich erproben Kurt Austin und Joe Zavala von der NUMA, die Helden die­ser Romanserie, an einem versunkenen russischen U-Boot rund zweitausend Seemeilen entfernt den Prototyp eines neuartigen Bergungs-U-Boots namens „Sea Lamprey“. Und nur dank dieser Koinzidenz der Ereignisse ist es letztlich möglich, die auf dem Meeresgrund Eingeschlossenen doch noch zu retten.

Die SOS will daraufhin, namentlich deren schöne Rechtsanwältin Therri Weld, dass Kurt Austin sich der Sache der SOS verschreibt… aber Austin ist solcher Ak­tionismus nicht geheuer, und nur Therris wegen macht er noch einen Tauch­gang zu dem untergegangenen Aktivistenschiff. Hier entdeckt er allerdings, dass die Steuerruder manipuliert wurden, so dass das Schiff – was durchaus zu den Worten Ryans vor Gericht passt – gewissermaßen ferngesteuert werden konn­te. Die Geschichte stinkt also gegen den Wind, nur weiß er nicht, weshalb.

Er wird bald – und eigentlich eher unabsichtlich – schlauer in dieser Beziehung, weil er noch ein Weilchen auf den Färöern bleibt. Dabei entdeckt er unter ande­rem eine Fischzuchtanlage einer Firma namens „Oceanus“, die offenkundig von Inuit scharf bewacht wird. Als er sich auf das Firmengelände einschleicht, um Klarheit zu bekommen, wird er beinahe ermordet und kurz darauf fast mitsamt seinem Boot in die Luft gesprengt. Dass er sich nebenbei den tödlichen Hass ei­nes fanatischen Inuit zuzieht, was noch für üble Konsequenzen sorgt, sei nur am Rande erwähnt.

Rettung in letzter Not ist die Besatzung einer spanischen Yacht, die ihn auf­fischt. Hier macht Austin, ziemlich übel derangiert, die Bekanntschaft mit Bal­thazar Aguirrez, einem baskischen Industriellen, der den Ahnenforscher und Ar­chäologen mimt… fragt sich nur, warum sein Schiff dann über Flugabwehrrake­ten und ähnlich martialische Bewaffnung verfügt.

Der NUMA-Mann Austin ist jedenfalls allmählich neugierig geworden auf die Firma „Oceanus“, und während er noch weiter von den SOS-Leuten, insbeson­dere von Therri Weld, umworben wird, zieht die Gefahr weitere Kreise. Kurts gelangweilte Kollegen Gamay Morgan-Trout und ihr Mann Paul Trout in den Staaten beschließen nämlich, von Austin auf die Firma „Oceanus“ angesetzt, in Kanada eine Fischfabrik zu besuchen, die zu dem komplexen Konsortium hinter „Oceanus“ gehört. Dabei stoßen sie auf ein paar sehr beunruhigende Dinge, beispielsweise auf ein Fischerdorf, in dem kein Fisch mehr gefangen wird, auf einen monströsen „Frankenfisch“, der wie ein polarer Piranha offensichtlich al­les frisst, was sich im Meer bewegt, und wenig später gibt es reihenweise Tote.

Ja, es ist offensichtlich, dass „Oceanus“ etwas zu verbergen hat. Und zimperlich im Umgang mit unliebsamen Neugierigen sind diese Leute auch nicht.

Doch wie nun der baskische Pfad, das deutsche Luftschiff, der unheimliche Inuit-Stamm der Kiolya und ihr monströser Anführer, der sich gern nur nach ei­nem Inuit-Dämon „Toonook“ nennen lässt, sowie die Fischzuchten zueinander passen, das ist ein verheerendes Puzzle, dessen innere Logik sich selbst Kurt Austin fast zu spät erschließt. Hoch in den Wolken über Kanada ereignet sich dann der finale Kampf…

Man kann das vermutlich nicht anders sagen: die Kurt Austin-Romane sind, ab­gesehen vom Erstling3, grundlegend anders gestrickt als die Romane um Dirk Pitt und seinen Kollegen Al Giordino. Zwar sind Joe Zavala und Kurt Austin durchaus ähnlich, aber es wird von Roman zu Roman deutlicher, dass Austin mehr zu Grübelei, Skepsis und Zurückhaltung neigt. Dieses Werk bringt das bes­tens zutage, und es tut der Spannung nur bedingt Abbruch.

Zum zweiten aber zeigt die Wahl der Themen, dass Kemprecos schwierige und durchaus auch kontroverse Sujets nicht scheut. Im Vergleich zu den eher bunten Abenteuergeschichten Dirk Pitts geht es in Austins Abenteuern um glo­bale Wasserversorgung4 oder um das nicht unproblematische Methanhydrat und damit die Zukunft der weltweiten Energieressourcen.5 Diesmal geht es um Gentechnik, genauer gesagt: um Seafood und die Schwierigkeiten, die daraus erwachsen können. Und es geht um aktivistische Umweltorganisationen a la Greenpeace – wobei vermutlich für die „Sentinels of the Sea“ die Organisation „Sea Shepherd“ von Paul Watson Vorbild stand.6

Zwar kommt der Roman diesmal definitiv nicht an den Vorgängerroman heran, was mit Sicherheit daran liegt, dass die wesentlichen Personen einfach nicht hinreichend charakterisiert werden und speziell der Luftschiff-Strang eher halb­herzig verfolgt wurde, zum zweiten wird doch etwas sehr stark bei der Darstel­lung der so genannten „Frankenfische“ übertrieben (wo regelrechte Verteufe­lung der Gentechnik betrieben wird), aber man kann schon konstatieren, dass Kemprecos auch dieses Mal ein interessantes Thema aufgreift, dessen Brisanz man nicht unterschätzen sollte, und das alleine macht den Roman schon lesbar.

Die Frage nämlich, wie angesichts erkennbarer Überfischung der Weltmeere, absolut kläglicher Schutzbemühungen der noch übrig gebliebenen Bestände7 und immer größer werdender Menschenmassen dafür gesorgt werden kann, die Milliarden hungriger Mäuler zu stopfen, ist eine der großen Zukunftsfragen der Menschheit. Während viele Konzerne weltweit darauf setzen, etwa Mais, Weizen oder Reis zu „optimieren“, d. h. im Wesentlichen gentechnisch aufzurüsten, damit er höhere Erträge erbringt oder gegen Schädlinge und widrige Wachstumsbedingungen besser gewappnet ist, setzen andere Firmen gezielt auf Aquakulturen, d. h. auf die künstliche Züchtung von großen Fischbeständen, beispielsweise – wie in diesem Roman – von Lachsen. Dasselbe gilt für Shrimps, deren Zuchten etwa in Südostasien oftmals mit dramatischer Rodung von Man­grovenwäldern einhergehen, wodurch Naturräume zerstört, Buchten verseucht, Tierarten ausgerottet und natürliche Tsunami-Schutzwälle (die Mangroven!) vernichtet werden.

Wie im Roman prinzipiell korrekt beschrieben, sind solche künstlichen Zuchten natürlich anfälliger gegen Umweltstress und Krankheiten – die Parallele zur in­dustriellen Massentierhaltung an Land bzw. zu agrarischen Monokulturen ist unübersehbar und eine Realität – , so dass die Tiere zu Geschwulstbildung, neu­rotischem Verhalten und ungewohnter Aggressivität neigen. Vieles davon wird mit Antibiotika bekämpft, die auch jenseits der Aquazuchten für Probleme sor­gen. Es kommt zur unbeabsichtigten Freisetzung von Zuchttieren, die Krankhei­ten in natürliche Bestände hineintragen und so weiter und so fort…

Die im Buch darum angesprochenen Probleme sind also nichts, was sich die Verfasser völlig aus den Fingern gesaugt haben, und den Finger in die Wunde zu legen, ist absolut essentiell. Meiner bescheidenen Ansicht nach besteht das Hauptproblem zwar im zügellosen Wachstum der menschlichen Spezies, das dringend gedrosselt werden sollte, und genetisch „optimierte“ Tier- und Pflan­zenarten stellen lediglich eine Art von Kurieren an Symptomen dar, aber solche kritischen Worte kann man in dem vorliegenden Roman natürlich nicht finden. Allerdings fand ich es schon recht beunruhigend, wie sehr die Spezies Mensch den gefräßigen und unersättlichen „Frankenfischen“ ähnelt, die das Meer leerplündern und schließlich an ihrer eigenen Gefräßigkeit zugrunde gehen… wer mag, kann darin eine unterschwellige Mahnung an unsere eigene Rasse sehen.

Jenseits des Unterhaltungswerts hat der Roman also auch noch eine ernstzu­nehmende, kritische Botschaft, was ja Dirk Pitt-Romane in der Regel nicht an­streben. Ich halte die Lektüre darum für durchaus lohnend. Ich hatte das Buch in drei Tagen verschlungen, und das spricht vermutlich für sich… schade ist nur, dass die Bücher offensichtlich immer kürzer werden. Ein paar mehr Seiten hät­ten diesem Roman nicht geschadet.

© 2012 by Uwe Lammers

Wie ihr sehen könnt, habe ich einleitend wohl nicht zu viel angedeutet, eher zu wenig. Das ist tatsächlich ein höchst lesenswerter Roman, der nur im unschein­baren Gewand daherkommt.

Nächste Woche machen wir uns, ihr habt das sicherlich schon erwartet, wieder auf in die schulische Ausbildung des jungen Harry Potter. Und wiewohl Schule für die meisten von euch vermutlich dröge und eher abschreckend war, ist das bei Harry nicht der Fall – doch nicht, wenn es um die Zaubererschule Hogwarts geht. Die jedoch befindet sich derzeit im Belagerungszustand…

Mehr dazu in einer Woche.

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Im Buch durchgängig als „Faröer“ verkehrt geschrieben.

2 Es gibt übrigens analoge „Spektakel“ im mediterranen Raum im Rahmen der Thunfischjagd, darum ist die Sitte des „grindarap“ durchaus nicht unrealistisch.

3 Vgl. Clive Cussler & Paul Kemprecos: „Das Todeswrack“, 2000. Vgl. dazu auch den Rezensions-Blog 127 vom 30. August 2017.

4 Vgl. dazu Clive Cussler & Paul Kemprecos: „Brennendes Wasser“, 2002. Vgl. dazu auch den Rezensions-Blog 131 vom 27. September 2017.

5 Vgl. dazu Clive Cussler & Paul Kemprecos: „Flammendes Eis“, 2003. Vgl. dazu auch den Rezensions-Blog 139 vom 22. November 2017.

6 Vgl. dazu den Artikel über die Sea Shepherds im GEO 10/2011.

7 Was wesentlich auf das internationale Seerecht zurückzuführen ist und auf die menschliche Psyche: Ho­heitsgewässer reichen nicht sehr weit und sind ohnehin schwer zu kontrollieren, internationale Fischfang­konsortien, viele davon in Ostasien angesiedelt, operieren weltweit in den Gewässern, für deren Schutz sich niemand verantwortlich sieht – und was niemandem „gehört“, das wird von Menschen nun einmal leider gnadenlos ausgeplündert, die Regenwälder zeigen dasselbe Bild; es ist leider unwahrscheinlich, anzuneh­men, dass das internationale Seerecht oder das Völkerrecht Abhilfe schaffen, ehe es zu spät ist.

Leave a Reply

XHTML: You can use these tags: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>