Rezensions-Blog 174: Der Fluch des Khan

Posted Juli 25th, 2018 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

ich habe ja schon verschiedentlich gesagt, dass Clive Cussler inzwischen ein we­nig in die Jahre gekommen ist, was das Schreiben angeht. Und da er sich nahezu notorisch auf ein und dieselbe Person kapriziert, eben auf Dirk Pitt und dane­ben auf dessen Sidekick Albert Giordino, nimmt es nicht wunder, dass nach mehr als 25 Jahren unablässiger Bestseller-Abenteuer langsam die Puste aus­geht. An diesem Buch merkt man das dann leider recht deutlich, weswegen ich ihn in einem potenziellen Ranking von Cussler-Romanen auch ziemlich weit hin­ten einsortieren würde.

Damit möchte ich nicht behaupten, dass er so unlesbar ist wie etwa weiland „Akte Atlantis“, der Roman war nun echt unterirdisch. Dieser hier hat nur eine ganze Reihe schematischer Schwächen und spult gelegentlich Standardkost ab, wobei es gewisser würzender Ingredienzien ermangelt. Wie ich unten andeute, war wohl der Schreibanteil seines inzwischen ebenfalls schriftstellerisch aktiven Sohnes Dirk Cussler recht bescheiden – das hat sich äußerst nachteilig auf das Buch ausgewirkt.

Abgesehen davon und vielleicht auch der Vollständigkeit der Lektüre halber sollte sich ein wahrer Fan von diesen zurückhaltenden Einleitungsworten nicht abschrecken lassen. Und wer sich für mongolische Geschichte interessiert, ist hier ohnehin richtig.

Auf, auf zu der Spurensuche nach Dschingis Khans Grab:

Der Fluch des Khan1

(OT: Treasure of Khan)

von Clive Cussler & Dirk Cussler

Blanvalet, gebundene Ausgabe

548 Seiten, 2007

ISBN 978-3-7645-0275-1

Übersetzt von Oswald Olms

Wer sich ein bisschen mit asiatischer Geschichte des Mittelalters auskennt, hat die Fakten, die im ersten der beiden Prologe dieses Buches auf packende Weise in dramatische Handlung umgegossen werden, recht schnell parat: Als der Mongolenherrscher Kublai Khan, Erbe des legendären Dschingis Khan, den chi­nesischen Thron im 13. Jahrhundert besteigt, geht sein Ehrgeiz dahin, auch die umliegenden Reiche zu unterwerfen. Korea nimmt er von See her, und als sich das störrische Japan Drohungen nicht unterwerfen will, nimmt er anno 1274 den Weg der Gewalt und versucht eine Invasion der japanischen Inseln. Doch ein gewaltiger Sturm zerstreut die Armada und rettet Japan.

Am 10. August 1281 unternimmt der Khan einen neuen Vorstoß. Zwei große Flotten sollen sich diesmal vereinigen, eine vom chinesischen Festland, eine von Korea stammend. Zwar gelingt dies, und unter normalen Umständen wäre die Landung dieser Tausende von Schiffen zählenden Armada der sichere Unter­gang für das japanische Kaiserreich… doch einmal mehr wütet ein verheerender tropischer Sturm und sorgt für eine beispiellose Niederlage – und das Schiff des mongolischen Heerführers Arik Temur wird dabei weit aufs Meer hinausgetrie­ben, bis er und die wenigen Überlebenden nach langer Zeit und völlig desorien­tiert an die Gestade einer fremden, tropischen Insel gelangen, wo man sie gast­freundlich aufnimmt.

Erst nach Jahren erfährt Temur, dass die Bewohner dieser Insel einst übers wei­te Meer gekommen sein sollen, und auf diese Weise gelingt es ihm endlich, in seine Heimat zurückzukehren und Kublai Khan Bericht zu erstatten. Der Khan je­doch ist inzwischen alt und krank, und wenig später stirbt er. Das Mongolen­reich geht unter. Sein Grab, geheim gehalten wie das seines großen Vorbildes Dschingis Khan, wird nie gefunden.

Im zweiten Prolog, der am 4. August 1937 nahe Peking spielt, machen wir die Bekanntschaft eines wirklich alten Bekannten (der mich hier ausnehmend nerv­te): Leigh Hunt.2 Diesmal ist er weder Kommandant eines Atom-U-Bootes3, auch nicht ein Pirat in der Karibik4 und ebenso wenig ein Captain eines Schiffes der konföderierten Marine, das mit der NAUTILUS konfrontiert wird.5 Damit es nicht so auffällt, darf er heute mal anno 1937 in China den Archäologen mit Fedora auf dem Kopf spielen (Indiana Jones lässt munter grüßen, das gilt auch für die Folgen). Hunt gräbt das legendäre Xanadu Kublai Khans aus und macht hier kurz vor dem Vorrücken der japanischen Armee einen Aufsehen erregenden Fund: eine Schatulle, dessen Inhalt offensichtlich auf das Grab des Dschingis Khan deutet. Leider ist sein Assistent Mongole. Noch bedauerlicher ist es, dass Hunt sein Reiseziel, nämlich England, niemals erreicht. Sein Flugzeug verschwindet spurlos über der Wüste Gobi, und mit ihm jeder Hinweis auf das geheime Grab­mal…

Am 2. Juni 2007, und damit erleidet der Leser nun fast eine Art Kulturschock, wird umgeblendet zum sibirischen Baikalsee, wo eine kleine Gruppe von Pro­spektoren einer Ölfirma unter Leitung von Theresa Hollema einer jungen mon­golischen Ölfirma namens Avarga Oil Consortium wissenschaftliche Hilfestel­lung leistet. Entlang des Baikalsees sollen Ölflecken gesichtet worden sein, die auf ein Austreten von Öl aus unterirdischen Lagerstätten hindeuten. Leider ist das nicht das Hauptanliegen von Avarga, die mit Tatiana Borjin die Schwester des Besitzers der Firma, Tolgoi Borjin, eine direkte Kontaktperson zu den Ölspe­zialisten geschickt hat.

Überraschend wird das Boot der Gruppe von einer Seebebenwelle beinahe ver­senkt, und nur dem draufgängerischen Mut zweier Meeresforscher, die mit ih­rer Forschungsmission in direkter Nähe sind, ist es zu verdanken, dass sie alle am Leben bleiben: Dirk Pitt senior und sein Freund Al Giordino von der NUMA leisten nämlich zufällig ebenfalls gerade wissenschaftliche Schützenhilfe, und zwar bei dem russischen Geophysiker Dr. Alexander Sarchow, der an der Erforschung der Strömungsverhältnisse des Baikalsees arbeitet.

Eigentlich scheint alles nach der Rettung in bester Ordnung – aber dann stellt Pitt fest, dass ihr eigenes Schiff, die Wereschtschagin, nächtens am Ankerplatz schlicht unterzugehen droht. Mit Müh und Not gelingt es ihm und seinen Ge­fährten, das Schiff zu retten. Nur um das nächste Rätsel serviert zu bekommen: das Ölsuchteam ist spurlos verschwunden, und Dr. Sarchow ebenfalls. Glückli­cherweise können Pitt und Giordino Sarchow kurz darauf aus Entführerhand retten und seinen Tod vereiteln. Die anderen sind aber verschwunden, und die Spur führt, seltsam genug, mitten in die Mongolei, zum Sitz von Avarga.

Auf den Weltmärkten regiert derweil das Chaos: Erdbeben im Persischen Golf und ein Tankerunglück in Fernost lassen die Weltmarktversorgung mit Öl weit­gehend kollabieren. Besonders betroffen davon ist China, wo die Wirtschaft ins Stocken zu geraten droht – aber auf einmal taucht eine relativ unbekannte Öl­firma auf, die verspricht, binnen 30 Tagen die notwendigen Ölmengen zu lie­fern. Diese Firma ist das Avarga Oil Consortium aus der Mongolei, Tolgoi Borjins unscheinbare Firma.

Zu diesem Zeitpunkt ahnt aber noch niemand, dass Borjin im Besitz einer revo­lutionären Technik ist, mit der man künstliche Erdbeben auslösen kann. Sein verheerender Plan sieht vor, auf wirtschaftlichem Gebiet genau dort weiterzu­machen, wo sein großer Ahne Temudschin, Dschingis Khan, aufgehört hat: erst das mongolische Großreich wieder in alter Pracht erstehen zu lassen und dann die Welt zu erobern.

Dummerweise stehen ihm dabei ein paar erstaunlich hartnäckige Gegner im Weg, die sich penetrant weigern, zu sterben. Und Dirk Pitt und Al Giordino er­weisen sich nicht nur als findig wie Sherlock Holmes, sondern sie überstehen sogar Reiterattacken von mongolischen Kriegern, Motorradfahrten ins Nirgend­wo, Wanderungen durch die Wüste Gobi ohne Nahrungsmittel und allerlei an­deres Ungemach. Und schließlich holen sie zum Gegenschlag aus…

Man kennt derlei Szenarien von anderen Romanen Clive Cusslers inzwischen zur Genüge, und wiewohl es mitunter recht vergnüglich zugeht, kann man doch in den drei Tagen Lesezeit, die man für diesen Roman veranschlagen sollte, gele­gentlich ein ermüdetes Grinsen nicht unterdrücken. Ganz so wie in dem Roman „Die Troja-Mission“ kann man hier konstatieren, dass die stilistische wie inhaltliche Höhe des Vorgängerromans „Geheimcode Makaze“ (der kalendarisch definitiv vor diesem hier erschienen ist, obwohl das Erscheinungsdatum etwas irritiert) nicht gehalten werden kann. Das lag vermutlich daran, dass Dirk Cusslers Beiträge zum Skript relativ bescheiden waren. Die Protagonisten, die ihm am Herzen liegen – Dirk Pitt jr. und seine Schwester Summer – tauchen erst auf Seite 359 auf, was wirklich sehr schade ist. Ansonsten fließt vermutlich nur seine Kenntnis des Börsenwesens der Welt in die Story weiter vorne ein.

Die Majorität der Handlung wird von Dirk Pitt sr. und seinem Sidekick Al Giordi­no eingenommen, wobei es im Wesentlichen um einen recht ungleichen Kampf zwischen den beiden Unverwüstlichen und einer Truppe eher unterbelichteter Gegner geht. Der Familienclan der Borjin kann wirklich den beiden weder das Wasser noch das Öl reichen, und das merkt man ziemlich bald. Der Bruder Tol­gois erweist sich vor Hawaii als jemand, der von Seefahrt und von Tauchen wirk­lich keinen blassen Schimmer besitzt (und folgerichtig auch durch ein richtiges Deppentum umkommt), die Schwester Tatiana ist eher so eine Art von Quoten­frau, die auch nicht richtig viel zu melden hat, und Tolgoi selbst… ach, das müsst ihr selbst nachlesen. „Natürlich“ machen die Helden mal wieder eine Begeg­nung mit Clive Cussler selbst, der diesmal am Rande der Mongolei als Busfahrer unterwegs ist… und wie immer wird er natürlich nicht erkannt. Früher waren solche Selbstreferenzen manchmal recht witzig, doch inzwischen wirken sie sehr bemüht, hier zumindest.

Der Verlag hat im Übrigen dem Buch einen überaus reißerischen und ganz und gar unpassenden Titel gegeben. Von einem „Fluch des Khans“ ist weit und breit wirklich so überhaupt nichts zu sehen, und abgesehen von der wirklich pfiffigen Erfindung, die Tolgoi einsetzt (aber die ist dann auch deutschen Ursprungs, so dass die Mongolen wirklich mehrheitlich als dumpfe, machtgierige und raffgieri­ge Deppen kommuniziert werden), ist der Roman eigentlich nur eine Art von Durchschnittslesefutter für Cussler-Hardcore-Fans. Es wäre tatsächlich zu wün­schen, dass der Sohnemann ein bisschen mehr Freiraum fürs Schreiben erhält und Summer sowie Dirk Pitt jr. ein bisschen besser ausarbeiten darf. Und auch die hier doch inzwischen völlig degenerierte Libido könnte ruhig ein wenig aus­gedehnt werden. Außer freundschaftlichen Küssen passiert hier nämlich eigent­lich überhaupt gar nichts. Das mag ja für Cussler sr. angehen, aber die beiden Kinder sind doch eigentlich im besten Alter für erotische Abenteuer.

Das hier ist sozusagen der klassische Schlag ins Wasser. Sorry, Clive, aber das ist eine ziemliche Niete, auch wenn dein Held nachher den Schatz doch noch fin­det… aber wo, das sei nicht verraten. Das soll man dann nachlesen, wenn man neugierig geworden ist. Alles in allem ist der Roman ja recht unterhaltsam gera­ten, wenn auch nicht besonders berauschend. Schlichtes Lesefutter halt, wenn an große Langeweile hat und sich nicht an Gehaltvolleres traut. Dafür ist er ak­zeptabel.

© 2011 by Uwe Lammers

In der kommenden Woche nehme ich euch dann mit zu einem extraordinären Leseabenteuer, das es noch gar nicht gibt… das klingt verrückt? Oh nein, meine Freunde, absolut nicht. Wir haben es dann mit einer Rezension aus dem 23. Jahrhundert zu tun und besuchen den Planeten Mars.

Näheres in sieben Tagen an dieser Stelle.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Eigentlich, und das sagt das Rechtschreibprogramm völlig mit Recht, müsste es hier „des Khans“ heißen, was einmal mehr darauf hindeutet, dass der Verlag des Deutschen offensichtlich nicht restlos mächtig war. Vermutlich war das auf den Fluch des Khans zurückzuführen…

2 Inzwischen ist es relativ klar, dass es sich dabei um einen persönlichen Freund Clive Cusslers handelt, dem er einen Gefallen mit „Gastauftritten“ tut. Aber in der Häufung fällt das allmählich echt negativ auf.

3 Wie in dem Roman „Im Todesnebel“ von Clive Cussler vor über 20 Jahren! Vgl. dazu auch den Rezensions-Blog 66 vom 29. Juni 2016.

4 Wie in dem Roman „Die Troja-Mission“ von Clive Cussler. Vgl. dazu auch den Rezensions-Blog 143 vom 20. Dezember 2017.

5 Wie in dem Roman „Im Zeichen der Wikinger“ von Clive Cussler. Vgl. dazu auch den Rezensions-Blog 135 vom 25. Oktober 2017.

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