Rezensions-Blog 178: Schlangenjagd

Posted August 21st, 2018 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

heute machen wir uns mal wieder auf, die Crew der OREGON auf ihren Aben­teuern zu begleiten. Genau genommen geht es ins Herz Afrikas mit den Maske machenden Angestellten der „Corporation“ um Juan Cabrillo, und hinein in eine Geschichte, in der quasi jeder wie gedruckt lügt und betrügt und im Extremfall auch munter mordet. Haarsträubendes Abenteuer, tiefgründige Charaktere, atemlose Action und jede Menge abstruser Humor füllen diesen Roman, den ich mit großem Vergnügen gelesen habe.

Ich bin überzeugt, dass selbst der Schlangen verabscheuende Dr. Henry Jones jr., den Kinogängern und Romanlesern als Indiana Jones vertraut, diesen Roman genießen könnte. Denn schließlich geht es nicht primär um Schlangen, wir be­suchen auch keine Schlangenfarm, stattdessen haben wir es hier mit Söldnern, Waffenhändlern, Schmugglern, Schatzsuchern und ähnlichen Leuten zu tun.

Neugierig geworden? Das will ich doch schwer hoffen. Und das hier ist es im Detail, was euch erwartet:

Schlangenjagd

(OT: Skeleton Coast)

Von Clive Cussler & Jack du Brul

Blanvalet 36864

608 Seiten, TB, 2009

Aus dem Amerikanischen von Michael Kubiak

ISBN 978-3-442-36864-8

Als Craig Dirgo als Coautor aus dem Schreibteam ausschied, das für die ORE­GON-Abenteuer verantwortlich zeichnete und dafür der mir vollkommen unbe­kannte Jack du Brul Clive Cusslers Partner wurde, war ich ja noch ein wenig skeptisch. Das Gefühl, das mich beschlich, ist wahrscheinlich jedem Fan von Serien vertraut – auf einmal schreibt da jemand über Personen, die man gut kennt, aber mag er wohl die richtigen Worte finden? Mag er die Charaktere ebenso gut beleben wie der Ursprungsautor? Kurz gesagt: man steht immer im Schatten desjenigen, der den Personen ursprünglich ihr Leben einhauchte. So war ich also ein wenig nervös, als ich den Roman „Todesfracht“ anging.

Wie die Leser dieser Rezension aber schon wissen, war diese Furcht definitiv unbegründet. Jack du Brul erfüllte die Erwartungen nicht nur, sondern ihm ge­lang das Kunststück, was manche Epigonen auch hinbekommen – die Nachfol­ger wurden besser als das Original. Im Falle der Sherlock Holmes-Geschichten ist dieses Muster inzwischen seit Jahrzehnten vertraut, bei Clive Cusslers Coau­toren ist es noch jung. Der vorliegende Band zeigt nun auf wirklich beeindru­ckende Weise, wie sich Jack du Brul vom Vorbild freigeschwommen hat. Das zeigt nicht nur der Umfang des Romans, sondern auch die faszinierende Rasanz der Handlung, die den Leser überhaupt nicht mehr auf den Gedanken kommen lässt, diesen Roman mit den Dirgo-Vorbildern abzugleichen.

Der Klappentext macht schon durchaus neugierig auf den Inhalt: laut ihm retten die OREGON-Besatzungsmitglieder eine Frau namens Sloane Macintyre vor Pi­raten und erfahren dadurch einmal von einem gigantischen Diamantenschatz als auch von riesigen, metallenen Seeschlangen, woraufhin sich Juan Cabrillo genötigt sieht, auf Schlangenjagd zu gehen, was dem Roman den Titel gibt.

Sagen wir es vorsichtig: das ist nur sehr partiell korrekt, wenn es auch inhaltlich nicht völlig falsch ist. Und man muss zudem rund zweihundert Seiten warten, bis die Worte des Klappentextes überhaupt in der Romanhandlung realisiert werden.

Und was passiert bis dahin? Tja, folgendes:

Kalahari-Wüste, 1896: Eine Gruppe von heruntergekommenen Abenteurern flüchtet quer durch die menschenfeindliche Kalahari-Wüste vor Angehörigen des Maharero-Stammes. Sie haben ihnen im Geheimen einen Diamantenschatz geraubt und befinden sich nun auf dem Weg zu einem Rendezvous mit einem Frachter, der H.M.S. Rover, die vor der Küste ankert und sie sicher an Bord neh­men soll. Verfolgt werden die Abenteurer unter H. A. Ryder jedoch von den Kriegern des Maharero-Stammes, und ihnen ist der Tod gewiss, wenn sie sie einholen. Was sie stattdessen an der Küste einholt, ist der Sandsturm des Jahr­hunderts, und so werden sie und die H.M.S. Rove aus der Geschichte ausgetilgt.

In der Gegenwart, kurz nach der Jahrtausendwende (mutmaßlich anno 2004), macht die Wissenschaftlerin Susan Donleavy in den Genfer Labors von Merrick/Singer eine beeindruckende Entdeckung. Eine molekulare Neuschöp­fung ermöglicht es, Wasser in eine Art Gallert zu verwandeln, wobei große Hitze frei wird. Ihr Chef ist Geoffrey Merrick, ist inzwischen Milliardär durch eine Er­findung, die er mit seinem Kompagnon Daniel Singer vor Jahren entwickelte und die die Schwefelemissionen von Kraftwerken binden konnte. Während Sin­ger sich aber aus der Firma verabschiedete und von Merrick ausbezahlt wurde, ist Merrick selbst immer noch auf der Suche nach innovativen neuen Ideen. Ihm ist zwar nicht ganz klar, was Donleavys Entdeckung für Anwendungen mit sich bringt, er ermuntert sie aber dazu, weiterzuforschen.

Wenig später werden Merrick und Donleavy wie aus heiterem Himmel mitten in der Schweiz entführt.

Zur gleichen Zeit, auf dem Kongofluss. Ein heruntergekommener Frachter legt an einem maroden Steg an und der schwarze Captain Lincoln, eigentlich Frank­lin Lincoln, Miteigner der OREGON ohne spezifischen Aufgabenbereich, tritt im Auftrag der CIA und natürlich im Dienst von Juan Cabrillos „Corporation“ in Ver­handlungen mit Samuel Makambos kongolesischer Revolutionsarmee, um ei­nen Container voller Waffen gegen eine Ladung Blutdiamanten zu verkaufen. Makambo schickt seinen Stellvertreter, Oberst Raif Abala, um den Handel abzu­wickeln.

Beide Seiten wollen einander hintergehen. Cabrillo hat im Auftrag der CIA die Waffen mit Funkpeilsendern versehen, damit die Regierungstruppen unter Ben­jamin Isaka sie anschließend orten und so das Lager der Rebellen angreifen können. Abala hat den Auftrag, sowohl die Waffen in Besitz zu nehmen als auch die Diamanten zurückzuholen. Er denkt gar nicht an Bezahlung. Vordergründig sieht das natürlich alles anders aus.

Das feurige Desaster, was sich anschließt, ist noch um einiges übler, als sich das selbst Juan Cabrillo vorgestellt hat, und nicht nur die OREGON bezieht einiges an herben Prügeln, sondern sie und die Crew geraten sogar in existenzielle Ge­fahr, weil die OREGON im Süßwasser des Kongoflusses ihre magnetohydrodyna­mischen Maschinen nicht einsetzen kann – und schließlich auch noch auf eine Sandbank aufläuft, während die Feinde näher kommen… da bedarf es schon ei­niger abenteuerlicher Manöver (sehr lesenswert übrigens!), um dem sicher scheinenden Ende zu entkommen.

Gleichwohl, es klappt. Aber zu diesem Zeitpunkt steht leider auch schon fest, dass Benjamin Isaka doppeltes Spiel treibt und den Rebellen Informationen ge­liefert hat. Der Plan der CIA und der OREGON-Crew ist damit gescheitert – und Juan Cabrillos Zorn erwacht, immerhin hat er diesen Halunken nun einen Con­tainer voller Waffen verschafft. Damit ist klar, dass die Geschichte noch ein üb­les Nachspiel haben wird – für die Rebellen. Cabrillo weiß nur nicht, wie er das anfangen soll.

Während des Gefechts haben zudem die Antennen der OREGON einen frag­mentarischen Funkspruch aufgefangen, in dem die Entführer von Geoffrey Mer­rick kurz etwas von ihrem Zielort gesagt haben, einem Ort namens „Devil’s Oa­sis“, der niemandem etwas sagt. Cabrillo lässt diese Geschichte verfolgen, zu­mal die „Corporation“ ja eine Institution von Freiberuflern ist, die immer auf der Suche nach lukrativen Anschlussaufträgen ist. Und wenn sie Merrick befrei­en können, springt sicherlich eine Belohnung in Höhe von einigen Millionen Dollar dabei heraus. Die Schweizer Behörden tappen derzeit noch völlig im Dun­keln und nehmen an, dass Merrick irgendwo in der Schweiz festgehalten wird. Es gibt aber auch keine Lösegeldforderung. Juan Cabrillo nimmt darum schnell an, dass es um politische Motive geht, womit er auf erschreckende Weise Recht behält.

Etwa zeitgleich befindet sich südlich von Walvis Bay in Namibia die hübsche und entschlossene Sloane Macintyre mit ihrem Kollegen Tony Reardon auf der Su­che nach dem Wrack der Rover, das sie in den Gewässern vor der namibischen Küste vermutet. Ausgerüstet mit einer Menge an Ehrgeiz und angespornt von der Vorstellung, den großen Diamantenschatz zu finden, sucht sie gewisserma­ßen als letzte Spur einen alten einheimischen Fischer auf, der „Papa Heinrick“ genannt wird. Als sie ihn endlich zum Reden bringen kann, scheint er zu Halluzi­nationen zu neigen. Er berichtet nämlich, es gäbe ein Seegebiet weit draußen vor der Küste, das er meide, seit er dort großen metallenen Seeschlangen be­gegnet sei.

Offensichtlich ein Hirngespinst… aber warum verfolgen unmittelbar darauf zwei bewaffnete weiße Männer Sloane durch die nächtlichen Straßen von Swakop­mund und schießen sogar auf sie? Warum raten sie ihr, das Land schnellstens zu verlassen?

Als Sloane eben nicht aufgibt, sondern sich tatsächlich auf die Suche nach dem Seegebiet mit den metallenen Seeschlangen begibt, wird sie plötzlich von einer schnittigen Yacht verfolgt und beschossen. Ihre einzige Chance ist dann ein her­untergekommener Frachter, der auf unmögliche Weise manövriert und die Ver­folger ausschaltet – die OREGON.

Zu dumm: Juan Cabrillo glaubt der Geschichte von den „metallenen Seeschlan­gen“ nicht. Mehr noch – er merkt deutlich, dass Sloane wie gedruckt lügt… was er selbst natürlich auch tut, einfach schon deshalb, um die OREGON und ihre Tarnung zu schützen. Sloane ist ihm zwar nicht unsympathisch, aber er findet sie undurchsichtig, und das bleibt auch so, als sie ihm enthüllt, was sie hier tat­sächlich will und in wessen Auftrag.

Cabrillo hat noch zwei Dinge am Laufen und hat keine Lust, sich noch in ein drit­tes Abenteuer verstricken zu lassen – denn während er an Merricks Befreiung arbeitet, muss er sich auch noch etwas einfallen lassen, das Kongo-Desaster in den Griff zu bekommen. Dass das alles sehr viel mit den „metallenen Seeschlan­gen“ vor Namibias Küste zu tun hat, kann er sich eigentlich nicht vorstellen. Aber ehe er richtig versteht, was vor sich geht, steckt er bis zum Hals in Schwie­rigkeiten, die mit skrupellosen Fanatikern zu tun haben, die lieber Selbstmord begehen, als sich verhören zu lassen, mit Rebellenführern und einem Verhäng­nis, das durchaus den Lauf der Weltgeschichte verändern kann – und die ORE­GON unter seinem Kommando ist die einzige Waffe, die das letztlich vereiteln kann…

Hochgeschwindigkeits-Nervenkitzel“ urteilte Publishers Weekly über diesen Roman (vermutlich jedenfalls, denn bekanntlich werden solche Statements gern als verkaufsförderndes Etikett immer wieder auf Romane diverser Autoren ge­pappt, man erinnere sich an Stephen Kings Zitat „Dan Simmons schreibt wie ein Gott“, das nur auf einem Roman prangte und dann munter auf weitere Sim­mons-Romane übertragen wurde; gleichwohl ist das obige Urteil hier vollkom­men richtig am Platz). Das ist in der Tat so – man kommt aus dem Buch gar nicht mehr heraus, und es in drei Tagen zu lesen, wie ich es getan habe (die zweite Hälfte des Buches an einem Tag, dem gestrigen), das ist gar kein Pro­blem. Ich neige stets dazu, zu sagen, dass so etwas ein Qualitätsurteil hinsicht­lich der Fähigkeit des Autors ist, und das trifft hier ebenfalls zu.

Jack du Brul hat sich, wie oben schon angedeutet, mit diesem Roman wirklich freigeschwommen, und man merkt deutlich, dass er sich sehr mit den Personen angefreundet hat. Namentlich Juan Cabrillo bekommt immer mehr interessante Züge, er wendet seine Fähigkeiten vielseitig an (aberwitzig ist die Szene, wie er in der Wüste, eigentlich durch einen Absprungfehler beim Fallschirmsprung vom Ziel abgekommen, via Parasailing einen Fahrzeugkonvoi verfolgt… einfach unglaublich), und auch viele seiner Crewmitglieder bekommen bisweilen recht schrullige, sie gut charakterisierende Züge – etwa der Steward Maurice. Ebenso kommt der Humor nicht zu kurz, das belebt die Geschichte dann sehr.

Hinzu kommt, dass die Gegenseiten (!) sich als durchaus verschlagen und raffi­niert herausstellen. Dabei umschifft du Brul die Klippe, Afrika – wo ja fast die gesamte Handlung spielt – als „schwarzen Kontinent mit sinistrer Bevölkerung“ zu beschreiben. Die Bösewichter sind durchaus nicht alle schwarz, viele Schwar­ze sind vielmehr außerordentlich moralisch hoch stehende Personen und sym­pathische Charaktere, und man erhält zumindest eine Andeutung von den kom­plexen politischen und ethnischen Problemen der dortigen Staatenwelt rings um den Kongo.

Da es letzten Endes – auch wenn man das weder dem Titel noch dem Cover oder dem Klappentext ansehen kann – um Ökologie geht (außerdem um Waf­fenhandel, Korruption und Fanatismus, um nur ein paar der weiteren Themen anzusprechen), erweist sich die Geschichte auch als entschieden tiefgründiger, als man das anfangs annehmen kann. Wer darum Geschichten mit doppeltem Boden lesen möchte, mit intelligenten, verschlagenen Gegnern (die man auch als „Schlangen“ bezeichnen kann, weshalb Cabrillo nicht nur metallene, son­dern auch menschliche Schlangen jagt und der Titel außerordentlich passend ist) und Handlungssträngen, in denen selbst die sonst so gut sortierte OREGON-Crew auf Grundeis läuft, der ist hier wirklich bestens am Platze.

Das Rätsel der „metallenen Schlangen“ sei an dieser Stelle nicht verraten – das und viele andere Überraschungen birgt der Roman auch für die Leser, die die Rezension bis zum Schluss gelesen haben. Er sei den Lesern wärmstens ans Herz gelegt. Und ich freue mich schon auf die nächsten OREGON-Abenteuer.

© 2012 by Uwe Lammers

In der nächsten Woche kümmern wir uns dann an dieser Stelle um den Schluss­akkord von Julian Mays Pliozän-Zyklus. Und ja, ich habe natürlich schon einen weiteren Mehrteiler im Visier, über den ich ab Blogartikel 181 berichten werde. Diesmal wieder etwas völlig anderes, aber, da könnt ihr meinem Urteil voll und ganz vertrauen, etwas äußerst Lesenswertes…

Bis nächste Woche, meine Freunde, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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