Rezensions-Blog 277: Die Krieger von Assur

Posted Juli 15th, 2020 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

es ist immer ein Abenteuer, wenn im Nachlass von Schriftstel­lern Fragmente gefunden werden oder entsprechende Notizide­en für weitere Romane und Geschichten, die dann mangels Le­benszeit nicht mehr ausgeführt werden konnten. Ich denke, es muss nicht verblüffen, dass der Reiz, Fragmente von bekannten Autoren zu vollenden und sich so als Epigone ein kleines biss­chen von dem Glanz des ursprünglichen Verfassers anzueignen, allgemein sehr weit verbreitet ist.

Man könnte denken, dies sei ein Phänomen der Neuzeit, und man wäre imstande, da auf diverse Autoren zu verweisen, die das Zeitliche segneten und ihre hungrige Fangemeinde erschro­cken und darbend zurückließen. Nennen wir einfach ein paar Namen: Robert Ludlum, Stieg Larsson, Tom Clancy … und das sind nur die, die mir spontan einfallen. Alle diese Autoren sind über ihre Epigonen, die alte Fragmente der Verstorbenen aus­führen oder deren Ideen fortsetzen, immer noch in den Buch­handlungen, z. T. in den Bestsellerlisten vertreten.

Üblicherweise muss aber auch konstatiert werden, dass die sol­cherart entstandenen Geschichten eher Verwässerungen des originalen Stoffes darstellen. Dass das nicht zwingend so sein muss, beweisen etwa die Epigonen von Sir Arthur Conan Doyle, die sich seines Detektivs Sherlock Holmes mit viel Erfolg ange­nommen haben.

Auch Robert E. Howard, der 1936 früh durch eigene Hand ver­storbene Fantasy-Autor, hinterließ eine Vielzahl von Fragmen­ten. Es ist den Howard-Fans aus dem Dunstkreis des Ersten Deutschen Fantasy-Clubs (EDFC) zu danken, dass viele dieser Fragmente in deren Fanzine MAGIRA dem deutschen Publikum zugänglich gemacht wurden. Und natürlich hat Howard Epigo­nen, die sich bemüßigt fühlten, Geschichten von ihm zu Ende zu führen. Ramsey Campbell war einer davon, und der vorliegende Band enthält entsprechende fertig gestellte Collaborations.

War er erfolgreicher in meinen kritischen Leseraugen, als es vie­le Krimi-Epigonen der Jetztzeit sind? Schaut euch einfach mal an, wie ich das anno 2007 sah, als ich die folgende Rezension verfasste:

Die Krieger von Assur

(OT: The Children of Asshur and other Stories)

von Robert E. Howard & Ramsey Campbell

Terra Fantasy 93

Pabel-Verlag, Januar 1982

162 Seiten, Taschenbuch

Aus dem Englischen und Amerikanischen von Lore Strassl & Helmut Pesch

Robert E. Howard ist ein Heroe der klassischen Fantasy-Litera­tur, und niemand, der sich ernsthaft für die Genese der Fantasy in der Frühzeit des 20. Jahrhunderts interessiert, kommt an ihm vorbei. Manch einer pflegt zu sagen, wenn Howard (der 1936 durch Suizid aus dem Leben schied) länger gelebt hätte, wären große literarische Würfe von ihm zu erwarten gewesen. Das mag sein, aber dies ist nicht der Zeitpunkt oder Ort, darüber zu schwadronieren.

Howard arbeitete nicht ausschließlich in fiktiven Welten, wie der Kundige weiß. Er schrieb sowohl reine Fantasy wie die Conan– und King-Kull-Stories, doch zugleich verfasste er, inspiriert durch seine starken historischen Neigungen, auch Werke für sol­che exotischen Genres wie die des damals noch recht unbe­kannten historischen Romans, er begeisterte sich für Piratenge­schichten und dergleichen. Aus diesem Teil seines umfangrei­chen Oeuvres stammt das Material, von dem dieser Band zehrt.

Der 93. Band der seit langem eingestellten Terra Fantasy-Reihe (auf ihre Weise heute eine Legende wie Howard selbst, was schon ein wenig kurios anmutet) enthält vier Geschichten und ein Gedicht. Die erste Story – „Die Straße Azraels“ – stammt aus Howards Kreuzzugszeit, deren andere Geschichten in dem TF-Band 37 „Horde aus dem Morgenland“ viele Jahre zuvor publi­ziert worden waren. Die restlichen vier Werke spielen einige Jahrhunderte später und haben den puritanischen Streiter Solo­mon Kane als Protagonisten, der im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert unterwegs ist. Teilweise gibt es hier vage Über­schneidungen mit Howards karibischen Piratengeschichten.

In „Die Straße Azraels“, die etwa im Jahre 1109 christlicher Zeitrechnung spielt – die Datierung geht aus den genannten Zeiträumen der Geschichte selbst hervor – , hat als Protagonist den jungen muslimischen Tschagatai Kosru Malik, der während einer Flucht durch die Wüste unvermittelt mit jenem Frankenrit­ter zusammenstößt, der ihm einst bei der Erstürmung von Jeru­salem (1099) das Leben rettete. Nach dem Moralkodex jener Zeit ist er deshalb in seiner Schuld und schließt sich, wiewohl das schierer Selbstmord scheint, dem Franken Sir Eric Cogan an, der seine jungfräuliche Nichte Ettaire de Brose aus den Hän­den verräterischer Moslems retten möchte. Zwar gelingt dies, aber dafür finden sich die drei auf einmal zwischen den Fronten zweier machtlüsterner Potentaten und deren Heere wieder – und, schlimmer noch, einer der beiden, Muhammad Khan, ist wie verrückt nach dem blonden Mädchen und lässt bei der Ver­folgung jede Vernunft fahren …

Die Burg des Teufels“ ist ein düsteres Gemäuer, in dessen Bann der puritanische, düstere Soldat Christi Solomon Kane ge­rät, als er gerade einen hilflosen Jungen vom Galgen geschnit­ten hat. Zusammen mit seinem zufälligen Weggenossen John Silent besucht er die unheildrohende Burg des Barons von Sta­ler, hinter deren Mauern sich ein wahrhaftig tödliches Geheim­nis verbirgt, das nur mit Blut gelöscht werden kann. Mit viel Blut …

Die Stadt des Mondgottes“ entdeckt Solomon Kane irgend­wann gegen Ende des 16. Jahrhunderts – noch zu Regierungs­zeit der Königin Elizabeth I. – , als er mitten im afrikanischen Dschungel einen Seefahrergefährten entdeckt, der völlig zer­schlissen ausschaut und seltsam „einheimisch“ gewandet ist. Es handelt sich um Jeremy Hawk, und er wird von einer Horde Schwarzer verfolgt … und von anderen Männern, die weit eher semitisch wirken und in einer seltsamen Stadt im Urwald leben, die wie von einem fremden Stern herabgefallen zu sein scheint: eine Inselmetropole namens Basti.

Als Hawk mit Kanes Hilfe nach der Herrschaft dieser Stadt greift, geschehen unheimliche, grausame Dinge, und rasch wird dem Puritaner klar, dass er das Falscheste getan hat, was er nur tun konnte …

Mit den „Kriegern von Assur“ bekommt es Solomon Kane, ebenfalls noch in Afrika, zu tun, als er zu Gast in einem Dorf der Schwarzen ist, das fast komplett niedergemetzelt wird. Er findet sich verletzt unter lauter Leichen wieder und zudem völlig aus­geplündert. Also verfolgt er seine Angreifer und gelangt auf eine Hochebene über der Savanne, wo sich ein wahres Märchenreich ausbreitet – eine Hochkultur, die einstmals aus dem Zweistrom­land hierher flüchtete und nun ein unerbittliches Regiment über die Anrainer ausübt. Und hier wird Kane als Orakel in einem grausamen Machtkampf verwendet …

Zum Gedicht wird hier und jetzt nichts gesagt.

Die Ausflüge Robert Howards in die historische Fantasy, in der es durchaus von Zauberern und übernatürlichen Ereignissen wimmelt, lesen sich, wie das bei Howard oft so ist, flüssig, zügig und angenehm. Langeweile kommt hier nicht auf, denn man steckt übergangslos sofort in der actiongeladenen Handlung. Howard beweist zudem faszinierendes historisches Hintergrund­wissen, was den historisch geschulten Leser beifällig nicken lässt.

Man muss sich freilich auch mit ein paar freundlichen Ungenau­igkeiten anfreunden, es bleibt nichts anderes übrig. Das Titelbild zeigt etwa kämpfende Nordmänner im Schnee … die man im Buch definitiv vergebens sucht. Aber Titelbilder sind immer schon so eine Sache gewesen.

Etwas ärgerlicher ist es dann, Kosru Malik vom „Fluss Oxus“ re­den zu hören. Warum? Weil dies ein definitiv griechischer Name ist und der Fluss im Arabischen natürlich anders heißt. Warum sollte ein Moslem hier einen Fluss mit dem Namen nennen, den seine FEINDE ihm gegeben haben? Es ist evident, dass sich Ho­ward hier an amerikanische Historiker hielt, die ihrerseits die griechisch-byzantinische Bezeichnung des Flusses verwendeten und des Arabischen unkundig waren. Dies zu übernehmen, ist zumindest ungeschickt, fällt aber wohl den wenigsten Lesern je­mals auf.

In gewisser Weise vergnüglich ist es dann schon, im tiefen schwarzen Afrika bei einer Kultur, die niemals zuvor Kontakt mit Europa hatte, „Weizenfelder“ vorzufinden. Da hat der Autor mangels Wissen über afrikanische Landwirtschaft definitiv im­provisiert und sich Anleihen beim ländlichen Amerika geholt, ebenso, wie er die Stadt Basti an Tenochtitlan angelehnt hat, das ist deutlich zu erkennen.

Überhaupt sind die Anleihen an antike Kulturen recht ausge­prägt, doch ist dies einfach ein Zug der Zeit – Edgar Rice Bur­roughs tut es, Henry Rider Haggard tut es ihm gleich, ebenso das Autorenteam mit dem Sammelpseudonym „Kenneth Robe­son“, das die Abenteuer des Bronzemanns Doc Savage be­schreibt. Überall werden in unterentwickelten Weltregionen, die kein amerikanischer Leser so schnell erkunden würde, plötzlich archaische Kulturen entdeckt, die Züge des Zweistromlandes, des alten Israel, der Römer oder keltischer Staaten trugen. Man kann Howard allerdings attestieren, diese Anleihen geschickter als die meisten anderen Autoren gemacht zu haben.

Es bleibt ein zweiter Minuspunkt in dieser Publikation, der aus­gesprochen werden sollte: Alle Geschichten bis auf die zuerst genannte sind Fragmente gewesen, die der britische Schriftstel­ler Ramsey Campbell 1978 vollendet hat. Wiewohl er sich recht­schaffen bemüht hat, Howards Diktion einzufangen, kann man doch bei genauerem Hinsehen nicht bestreiten, dass die Enden der drei Geschichten relativ einfallslos und ziemlich struktur­gleich sind: mehr oder minder ein wildes Hauen und Stechen, aus dem der Protagonist mit mehr oder weniger starken Blessu­ren siegreich hervorgeht.

Meiner Vermutung nach hatte Howard andere Enden im Sinn und spürte instinktiv, dass diese – naheliegenden – Enden alles andere als befriedigend sein würden. Deshalb blieben die Ge­schichten Fragmente. Campbell hat also höchstwahrscheinlich die schlechtest mögliche Lösung realisiert. Ein wahrer Howard-Fan wäre mit den Fragmenten besser bedient gewesen, das ist ziemlich gewiss.

Abgesehen von diesen leichten Eintrübungen der Lektüre ist der Band dennoch dem Interessierten durchaus zu empfehlen, zu­mal dann, wenn man bei Howard auf den Geschmack gekom­men ist. Man bekommt das Buch allerdings nur noch antiqua­risch.

© 2007 by Uwe Lammers

Na, das klingt nicht so wirklich überzeugt, nicht wahr? Aber für einen echten Howard-Fan ist, denke ich, das Buch dennoch ein „Must-Have“, an dem er nicht vorbeikommt.

In der kommenden Woche stürzen wir uns erneut in ein mariti­mes Abenteuer von Clive Cussler, das diesmal eindeutige Sci­ence Fiction-Züge trägt.

Warum das? Nun, um das herauszufinden, solltet ihr in sieben Tagen wieder hierher schauen. Ich meine, das lohnt sich.

Bis bald, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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