Rezensions-Blog 292: Codename Tartarus

Posted Oktober 28th, 2020 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

es ist ein Allgemeinposten, dass Autoren oder auch Autorenteams in ausgespro­chenen Schreibfabriken, die Jahr für Jahr Bestseller produzieren sollen, am bes­ten dann auch noch mit einem feststehenden Personal und einem nur bedingt zu variierenden Setting, quasi notwendig auch schwächere Werke vorlegen. Man ist halt als Verfasser nicht immer in Bestform, und ihr erinnert euch sicherlich, wenn ihr schon länger meinem Rezensions-Blog folgt, dass dieses Diktum na­türlich auch auf den kürzlich verstorbenen Clive Cussler und seine NUMA-Ro­mane zutrifft.

Umso mehr erfreut es mich immer wieder, wenn man dann nicht nur personale Coautoren-Kontinuität antrifft (wie etwa auch im Fall von Justin Scott, der sich nach wie vor um den Van Dorn-Ermittler Isaac Bell kümmert, inzwischen min­destens in 14 Romanen), sondern die Romane deutlich über tristes Durch­schnitts-Lesefutter hinausragen.

Graham Brown ist so ein Coautor, und bislang bin ich von keinem seiner Roma­ne enttäuscht worden. In diesem Fall fand ich das besonders beeindruckend, weil sich auch der Verlag deutliche Mühe gegeben hat, ein zum Buch sehr pas­sendes Cover zu besorgen (ihr wisst, das ist eher die Ausnahme).

Diesmal machen wir also einen Besuch in Australien und begleiten Kurt Austin und Joe Zavala von der NUMA zu einem unheimlichen Ort, den man den „Tar­tarus“ nennt, wo das Ende der Welt, wie wir sie kennen, vorbereitet wird.

Vorhang auf für dieses Buch:

Codename Tartarus

(OT: Zero Hour)

Von Clive Cussler & Graham Brown

Blanvalet 0143

Juli 2015, 8.99 Euro

512 Seiten, TB

Übersetzt von Michael Kubiak

ISBN 978-3-7341-0143-4

Am 18. April des Jahres 1906 strebt ein geheimes wissenschaftliches Experi­ment in den Vereinigten Staaten von Amerika dem Höhepunkt entgegen – ein Wissenschaftler namens Daniel Watterson hat eine Erfindung des genial-schrul­ligen Erfinders Nikola Tesla weiter perfektioniert und demonstriert sie an einem geheimen Ort dem amerikanischen Militär. Die Vorführung endet in einem bei­spiellosen Desaster.

Im Dezember 2009 schleppt die JAVA DAWN das wracke Kreuzfahrtschiff Paci­fic Voyager ab, mitten während eines zunehmenden Sturms. Der Seemann Pa­trick Devlin wird im Chaos der entfesselten Elemente Zeuge, wie das abge­schleppte Schiff Wasser aufnimmt und in den aufgewühlten Fluten versinkt, zu­sammen mit der Prisenmannschaft. Das Wrack wird nie gefunden.

Noch ein paar Jahre später, in der Gegenwart, gelingt es einem zwangsrekrutier­ten Arbeiter namens Sebastian Panos, von einem höllischen Ort zu flüchten, den er „Tartarus“ nennt und an dem er seit langer Zeit gefangen gehalten worden ist. Aber wo genau dieser Ort liegt, ist unbegreiflich – Panos gelingt zwar die Flucht, er fängt sich aber dabei eine Krankheit ein, die jeder Taucher nur zu gut kennt, die so genannte „Caisson-Krankheit“, die entsteht, wenn ein Taucher zu rasch aus großer Tiefe auftaucht und die Dekompressionszeiten nicht einhält. Dann lösen sich Stickstoffbläschen in seinem Blut, die zu Krämpfen, inneren Blutungen und bis zum Tod führen können. Wie das offensichtlich im Innern der australischen Wüste geschehen kann, ist anfangs völlig rätselhaft.

Kurt Austin von der NUMA weilt zu diesem Zeitpunkt tatsächlich nur zu Ur­laubszwecken in Sydney und ist Gast eines (todlangweiligen) wissenschaftlichen Kongresses, dem er geschickt entfleucht. Dies geschieht gerade zum rechten Zeitpunkt, denn vor der Oper von Sydney, wo der Kongress stattfindet, trifft er auf die attraktive Australierin Hayley Anderson und wird wenig später Zeuge ei­nes brutalen Kampfes auf Leben und Tod, der nur dank seines Eingreifens nicht in einem Massaker endet (vgl. hierzu übrigens das fast völlig passende Cover des Buches!). Sebastian Panos, der hier verfolgt worden ist, findet jedoch den Tod, nachdem er seinen Namen und das Wort „Tartarus“ genannt hat.

Der Begriff Tartarus ist für den klassisch gebildeten Kurt Austin nichts Unbe­kanntes – in der griechischen Mythologie bildet der „Tartaros“, so im Original präzise, einen göttlichen Kerker in der Unterwelt. Aber was es in der Gegenwart damit auf sich haben soll, ist unklar.

Als die australischen Behörden den Fall übernehmen und sich herauskristalli­siert, dass die attraktive Hayley in die Angelegenheit auf rätselhafte Weise ver­strickt ist, entschließt sich Kurt Austin, der Angelegenheit selbst nachzugehen. Diese Absicht wird noch bestärkt, nachdem er von den australischen Behörden auf ausnehmend kleinkarierte Weise vernommen worden ist. Diesem blasierten Cecil Bradshaw von der Australian Security Intelligence Organization (ASIO) möchte er gern beweisen, dass er Recht hat und der ASIO-Chef im Dunkeln tappt. Dass er damit sein Gegenüber völlig falsch einschätzt, kristallisiert sich erst später heraus.

Es ist jedoch gut, dass er so vorgeht – bald darauf finden Austin und sein Freund Joe Zavala tatsächlich im australischen Outback jenen geheimnisvollen und töd­lichen Ort, an dem sich der Tote vorher aufgehalten hat … und jede Menge Lei­chen. Der unheimliche Gegner, der schon für den Terroranschlag in Sydney ver­antwortlich zeichnete, ist dabei, seine Spuren zu verwischen und die Station zu sprengen, in der vorher gearbeitet worden ist.

Dass die beiden NUMA-Mitarbeiter Bradshaw und Hayley Anderson das Leben retten, ist erst der Anfang eines turbulenten Abenteuers, das immer kurioser wird. Bradshaw beschließt nun, Austin einzuweihen: alles hat zu tun mit einem genialen Wissenschaftler namens Thero und seiner Entdeckung so genannter „Nullfeldenergie“, die dabei helfen soll, das Energieproblem der Welt zu lösen. Dieser im Grunde genommen phantastische Denkansatz kann aber auch zu ver­heerenderen Zwecken verwendet werden, nämlich als eine Waffe, die Nuklear­detonationen bei weitem in ihrer Wirkung übertrifft.

Thero ist von den modernen Nationen gekränkt und ignoriert worden, und nach­dem er die USA und Australien verlassen musste, errichtete er auf Japan ein La­bor, das vor Jahren auf rätselhafte Weise vollständig zerstört wurde. Seither gilt er als tot, aber das stimmt offensichtlich nicht. Seine Ziele haben sich inzwi­schen verändert, und er sinnt, offensichtlich wahnsinnig geworden, glühend auf Rache – und die Nullfeldenergie soll ihm dabei helfen, seinen Vergeltungsdrang zu erfüllen. Und mit seiner Rache plant er, ganze Kontinente zu zerspalten … es gibt nur eine Reihe von Problemen dabei: zum einen ist die Nullfeldenergie nach wie vor unkontrollierbar, und einmal angestoßen, kann dieser Prozess leicht die ganze Welt verwüsten. Und dann müssen Kurt Austin und seine Gefährten rasch entdecken, dass es eine weitere Fraktion gibt, die daran interessiert ist, Thero ausfindig zu machen und ihn entweder auszuschalten oder die Erfindung an sich zu bringen.

Ein dramatischer Wettlauf mit der Zeit beginnt – und Theros „Zero Hour“, zu der er die Waffe aktivieren will, rückt unaufhaltsam näher, derweil er sich an ei­nem schier uneinnehmbaren Ort aufhält, den er „Tartarus“ nennt …

Der dritte Roman, der der Zusammenarbeit von Clive Cussler und Graham Brown entsprungen ist, besitzt dieselbe Rasanz wie die ersten beiden, und wenn man – wie es mir erging – dieses Buch auf einer Dienstreise liest, hat man wirk­lich eine Menge Zeit, in der man in Zügen nur wenig anderes machen kann als Schmökern … und wiewohl ich mir Zeit ließ, kostete mich dieses aufregende Werk dennoch nur drei Tage Lesezeit.

Ihr ahnt, was ich damit sagen möchte: dass es eine packende Geschichte ist. Ausgestattet mit einem nahezu vollständig passenden Cover, solide übersetzt und diesmal glücklicherweise nicht ständig mit den penetranten Cliff-hangern an den Kapitelenden ausgestattet (da hat Brown wohl jemand gesagt, dass er es bei „Höllensturm“ übertrieben hat, und das tut der Geschichte gut), liest sich das Buch ausgesprochen flüssig und geschwind. Vielleicht hätte der Plot strukturell ein kleines bisschen mehr verborgen sein können, aber das ist eine Marginalkri­tik.

Faszinierend war die Enthüllung, wer denn der geheime Informant in Theros Or­ganisation war, der so viele Informationen nach außen kommuniziert … selbst ich erkannte nur 50 % der Lösung, die so haarsträubend ist, dass man darauf wirklich kaum kommen kann. Gut in Szene gesetzt, muss ich konstatieren. Eine Lösung, möchte ich betonen, die wirklich noch in keinem Cussler-Roman, den ich kenne (und ich habe fast alle gelesen, die es auf Deutsch gibt), aufgetaucht ist.

Also eine solide und innovative Leistung.

Ob das auch für die im Roman zentrale Nullfeldenergie gilt, lasse ich mal dahin­gestellt sein. Ein interessantes Konzept ist es allemal. Die leichte Besessenheit von Nikola Tesla – auch schon beobachtet im Erstling von Graham Brown, dem Roman „Teufelstor“ – ist zwar auffallend, aber nicht nachteilig. Teslas Fähig­keiten werden in der Gegenwart sowieso erstaunlich unterschätzt, meist sieht man nur seinen erfolgreicheren Konkurrenten Edison.

Außerdem kann man, wenn man möchte, von diesem vorliegenden Roman einen Verbindungspfad herstellen zu dem Cussler-Roman „Höllenjagd“, der ebenfalls 1906 spielt und das Erdbeben von San Francisco thematisiert. Wer sich für die­ses Beben näher interessiert, das hier nur am Rande erwähnt wird, sollte sich auch mit Simon Winchesters beeindruckendem Sachbuch „Ein Riss durch die Welt“ (München 2006) beschäftigen.

Alles in allem – ein beeindruckendes, packendes Buch, das verständlich macht, warum Cussler die Zusammenarbeit mit Graham Brown fortgesetzt hat (etwas, was im Falle von Grant Blackwood leider nicht über drei Romane hinausführte).

Ein Buch, das man sich als Cussler-Fan bzw. auch als Leser unterhaltsamer Abenteuerromane nicht entgehen lassen sollte.

© 2016 by Uwe Lammers

Ja, das hatte es echt wieder in sich. Ihr merkt, aktuell stelle ich wirklich sehr sympathische und lesenswerte Bücher vor. Damit fahre ich auch in der kommen­den Woche fort, wenn wir erneut in Peter F. Hamiltons „Commonwealth“-Uni­versum eindringen und uns dem Verhängnis nähern, das das irdische Expediti­onsschiff „Second Chance“ unabsichtlich entfesselt. Oder steckt hinter dieser Katastrophe doch der Plan des monströsen „Starflyers“?

Das solltet ihr nicht versäumen herauszufinden. Einen Zipfel des Geheimnisses lüfte ich kommende Woche.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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