Rezensions-Blog 341: Crossfire 4 – Hingabe

Posted März 2nd, 2022 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

die Abenteuerreise mit Gideon Cross und seiner Herzensgelieb­ten Eva Tramell, die schon drei voluminöse Romane von Sylvia Day gefüllt haben, gehen munter weiter und gewissermaßen in die nächste Runde. Diesmal mit ein paar interessanten schrift­stellerischen Innovationen, die die Leser noch enger an die Prot­agonisten binden, und mit neuen Personen bzw. alten, die bei fortlaufender Handlung neue und meist problematische Facet­ten erhalten.

Es ist echt beeindruckend zu lesen, wie rasant und kurzweilig knapp fünfhundert Seiten sein können. Ich fand am Ende der Lektüre, wie üblich, dass das Buch zu schnell ausgelesen war (okay, ich bin auch, weil ich nicht an mich halten konnte, ziem­lich durch die Seiten gefegt und habe nur drei Tage für die Lek­türe gebraucht, aber das ist eher ein Anerkennungsprädikat als ein Zeichen für mangelnde Qualität). Diese Schieflage zwischen Autorenschaft einerseits, die Monate bis Jahre für die Fertigstel­lung eines Romans braucht und Leserschaft andererseits, die manche Bücher gewissermaßen über Nacht verschlingen, hat es natürlich immer schon gegeben. Aber selten fiel mir das so massiv auf wie in diesem Zyklus.

Neugierig geworden? Dann, so würde ich sagen, ist es jetzt an der Zeit, weiter zu lesen:

Crossfire 4 – Hingabe

(OT: Captivated by you)

Von Sylvia Day

Heyne 54578

Januar 2015

480 Seiten, TB, 9.99 Euro

Aus dem Amerikanischen von Nicole Hölsken und Marie Rahn

ISBN 978-3-453-54578-6

Endet eine stürmische erotische Liaison unweigerlich in einer Ehe? Und sind damit, wie man das gern kitschig denkt, automa­tisch alle Sorgen und Nöte, die die einzelnen Partner zuvor zu bekämpfen hatten, null und nichtig, sind die Liebenden dann ein Herz und eine Seele?

Nun, wer so etwas erwartet, sollte sich besser eine andere Ro­manserie suchen – bei Crossfire ist das definitiv nicht der Fall. Auf den ersten Blick sieht die Lage wunderbar aus, aber wenn man genauer hinschaut, ist sie so tückisch wie ein trübes Ge­wässer bei Gezeitenwechsel, wo gefährliche Untiefen lauern und Probleme dort erscheinen, wo man sie überhaupt nicht ver­mutet.

Doch fangen wir mal langsam an: wie erinnerlich haben die jun­ge Werbefachfrau Eva Tramell und ihr schwerreicher, charisma­tischer Unternehmer und Liebhaber Gideon Cross schon von An­beginn an ihr Herz aneinander verloren und sich in eine gerade­zu obsessiv zu nennende, heißblütige Liebesaffäre verstrickt. Gideon, der bislang Frauen immer nur mehrheitlich als Mittel zum Zweck gesehen hat, um seinen unersättlichen Sexdurst zu stillen, ist durch Evas Präsenz vollständig verwandelt. Während sie bei der Werbeagentur Waters Field & Leaman Karriere macht und sich als engagierte Mitarbeiterin immer stärker profiliert, ist sie zugleich immer stärker mit Gideon Cross liiert. Sie vermag mit ihm über die Tatsache zu reden, dass ihr Stiefbruder Nathan Barker sie als Kind missbraucht hat, und als Nathan wieder in ihr Leben tritt, ist es Gideon, der mit brutaler Gewalt einen Schlussstrich unter die Bedrohung zieht – indem er den Kinder­schänder und Erpresser kurzerhand umbringt. Daraufhin schwebt natürlich immer die Entdeckung seiner Täterschaft in der Luft, zumal das New York Police Department (NYPD) weiter­hin in der Sache ermittelt.

Wenig später heiraten Eva und Gideon heimlich an einem tropi­schen Strand. Doch genauso, wie sie den Mord zu vertuschen trachten, kaschieren sie ihre Hochzeit und geben sie als „Verlo­bung“ aus. Das hat wesentlich familiäre Gründe. Evas Mutter wünscht sich für ihre einzige Tochter natürlich eine prachtvolle Hochzeitszeremonie, die ihr leiblicher Vater Victor Reyes nicht finanzieren könnte – ist er doch schlichter Polizist in San Diego.

Gideon seinerseits hat sich gründlich mit seiner eigenen Familie zerstritten, und seine eigene Mutter versucht unermüdlich alles, um ihn wieder von Eva loszureißen, die ihn nach ihrer Ansicht „zu verderben“ trachtet und einfach „nicht die Richtige“ für ihn sei. Beide Familien irgendwie unter einem Dach einer möglichst akzeptablen Hochzeitszeremonie zusammenzubringen, erweist sich als höchst kompliziert, erst recht, als Victor Reyes darauf besteht, eine bescheidene Hochzeitszeremonie finanzieren zu wollen.

Ebenfalls weiterhin für Probleme sorgt Gideons Ex-Verlobte Co­rinne Giroux, die vor lauter Verzweiflung sogar einen Selbst­mordversuch unternimmt und so starrsinnig auf der Ansicht be­harrt, dass Eva für Gideon nicht „die Richtige“ sei und doch nur an seinem Geld interessiert wäre (kommt dieses Argument ir­gendwie vertraut vor?), dass sie schließlich androht, eine „wah­re Geschichte“ über sich und Gideon zu veröffentlichen.

Ach ja, und nicht zu vergessen, da ist noch der exzentrische Mu­siker Brett Kline von der Band Six Ninth, der sich ebenfalls aus­rechnet, wieder bei Eva landen zu können. Dafür setzt er auch zutiefst unmoralische Mittel ein. Irgendwann reicht es Gideon dann endgültig, und er beschließt kategorisch, solchen Wider­wärtigkeiten ein für allemal einen – diesmal juristischen – Riegel vorzuschieben. Allerdings bleibt es nicht bei juristischen Metho­den, er setzt durchaus auch Bulldozer ein …

Da ist ihnen beiden noch nicht klar, dass auch noch aus einer anderen Richtung Gefahr droht, die sich gewissermaßen durch die Hintertür einschleicht. Die Firma LanCorp hat die Werbe­agentur Waters Field & Leaman mit einer Werbekampagne für ein Produkt beauftragt, das direkte Konkurrenz zu einem von Gi­deons Firmenimperium darstellt. Darin sieht Eva eher kein Pro­blem, das ist eben Business, nicht wahr? Leider irrt sie sich – denn sie kennt nur einen Teilaspekt des Ganzen. Gideon ist gleich skeptisch – warum muss LanCorp die Werbekampagne für ein so profitables Produkt outsourcen, wenn sie doch eine eige­ne Werbeabteilung besitzen? Er argwöhnt, dass etwas daran nicht stimmt, und er behält Recht: Ryan Landon, der Inhaber von LanCorp, ist ein Geschädigter von Gideons früher spekulie­rendem Vater Geoffrey Cross, und nun ergibt sich für ihn die Chance, sich an Gideon zu rächen, indem er seine Ehefrau her­umkommandiert … und als das ans Tageslicht kommt, eskaliert die Katastrophe (neben zahlreichen anderen, die im Roman ebenfalls thematisiert werden). Auf einmal steht die Beziehung zwischen Gideon und Eva auf Messers Schneide …

Der Leser ist zunächst einmal überrascht, wenn er das Buch aufschlägt und sich völlig überrumpelnd im Kopf von GIDEON CROSS wieder findet. Aber das ist eine faszinierende Leseerfah­rung, die, wenn man es genau betrachtet, das Lesen noch ge­schwinder macht. Fortan wechseln sich in den Kapiteln Gideon- und Eva-Blenden munter ab.1 Das erzeugt erstens einen auflo­ckernden Modus, in dem es nun nicht mehr so zwanghaft stän­dig um Sex geht (wer explizite und ausgedehnte Sexszenen nicht schätzt, hat aber sowieso schon im ersten Band die Lese­laune verloren, würde ich schätzen; ich lese so etwas dagegen durchaus gern). Zweitens bekommt man sehr aufschlussreiche Innenperspektiven von Gideon geboten und, da die Kapitel meist nahtlos ineinander übergehen, auch die kritischen Diskus­sionen von beiden Seiten geboten. Außerdem, und das ist nicht gering zu schätzen, erhält man so Einblicke in die Handlungs­passagen, die ausschließlich von Gideon Cross dominiert wer­den. Und seine Außensicht auf seine Ehefrau und ihr Verhalten sind absolut lesenswert.

Man merkt fernerhin recht deutlich, dass sich Gideon Cross im­mer stärker öffnet und durch den Einfluss seiner Frau verändert. Die inneren Dämonen lassen ihm keine Ruhe (man erinnere sich: er ist selbst als Kind sexuell missbraucht worden und hat das tief in seinem Innern verdrängt, woraus gewalttätige Alp­träume resultieren, denen er durch ekstatischen Sex mit Eva zu entfliehen sucht). Es dauert zwar unglaublich lange, bis die Din­ge sich bewegen, und er geht buchstäblich durch die Hölle … aber das betrifft nicht nur ihn, sondern auch beispielsweise Eva und ihrer beider Familien.

Indem die Autorin aber nun auch das personelle Umfeld von Gi­deon weiter ausbaut und etwa seinen Rechtsanwalt ins Spiel bringt, Architekten und weitere Geschäftspartner, da kommt es dann schon zu einigen sehr witzigen Szenen. Dasselbe gilt, als Gideons jüngere Schwester Ireland Vidal (gerade mal 17 Lenze alt, was bekanntlich ein problematisches Alter ist) sich stärker in ihr Leben einmischt.

Die Konsequenz ist ein deutlich längeres Buch als die bisherigen der Reihe – und es wird wahrhaftig nicht langweilig. Ich habe etwa bis heute früh um 3 Uhr morgens in dem Buch festgeses­sen und kam nicht mehr raus … was ein schönes Zeichen ist. So ist es also nach nur 3 Lesetagen ausgelesen worden, und das ist es echt wert. Die festgefahrenen familiären und psychologi­schen Gleise sind dabei, sich gründlich zu bewegen, und exakt so soll es auch sein. Sylvia Day überstürzt nichts, indem sie künstlich die „Genesung“ von Gideon Cross überhastet herbei­führt. Es ist schön, dass der Verlag ihr diesbezüglich freie Hand gelassen zu haben scheint, ohne sie in ein Seitenkorsett zu zwängen (wie das ja bei deutschen Verlagen gar zu häufig ge­schieht).

Herausgekommen ist ein sehr lesbarer, intensiver Roman, der neben den angesprochenen Problemkomplexen noch ganz an­dere Themen anspricht, die ich für sehr wichtig halte: etwa die Frage der geschädigten Persönlichkeitsrechte, wenn jemand bei intimen Szenen ohne dessen Einverständnis gefilmt wird und diese Filme später öffentlich gemacht werden sollen. Beispiels­weise aber auch die Frage, wie Familienangehörige mit der Ent­deckung umgehen, dass andere Teile der Familie Missbrauch an den eigenen Kindern jahrelang verschwiegen haben. Gerade das Thema des Umgangs mit sexuellem Missbrauch in Familien, nicht zuletzt durch Therapeuten und Hilfspersonal, das offen­sichtlich in den Vereinigten Staaten ein massives Problem zu sein scheint, wird hier unausweichlich intensiv thematisiert. Ich schätze, da gibt es noch massiven Nachholbedarf. Und zweifel­los wird auch der Abschlussband des Zyklus, um den ich mich in Bälde kümmere, hier wieder ansetzen.

Unbedingte Leseempfehlung, wenn ihr die vorigen Bände schon verschlungen habt!

© 2018 by Uwe Lammers

In der kommenden Woche setze ich die SF-Abenteuer im Sher­lock Holmes-Kosmos fort, die ich mit dem Rezensions-Blog 334 vor ein paar Wochen begonnen habe. Holmsianer aufgehorcht, ich meine, da ist einiges Interessante für euch dabei.

Soviel für heute. Bleibt gesund und bis bald, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

1 Dasselbe Verfahren wandte mit Gewinn auch Anna Todd ab dem zweiten Band ihres „After“-Zyklus an, den ich mit Begeisterung las. Und eine eher monomane Version davon stellen E. L. James´ Neuerzählungen ihres „Fifty Shades of Grey“-Stoffes aus der Perspektive des Christian Grey dar („Grey“ und „Darker“). Wem als erstes die Idee kam, diese wechselnden personalen Perspektiven einzuflechten, kann ich nicht sagen, aber sie bereichern die Romane ungemein … und verlängern das Lesevergnügen.

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