Rezensions-Blog 363: Die Zimmermann-Depesche

Posted August 2nd, 2022 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

Geschichte ist das, was geschehen ist, was in den Geschichts­büchern steht, so heißt es landläufig. Durchaus nicht zu Un­recht. Was solche Binsenweisheiten indes verschweigen, ist dies: Geschichte ist nicht nur ein Auswendiglernen von Zahlen­strahlen, von Schlachten, Generalen und Staatsführern … es geht sehr viel mehr um das Durchdringen höchst komplexer Ge­flechte. Und wie jeder, der mal versucht hat, einen tief verwur­zelten Baumstumpf auszugraben, sehr handgreiflich feststellen kann, ist auch Geschichte nichts, was sich schnell und geradli­nig beschreiben lässt wie etwa eine mathematische Gleichung.

Geschichte ist so komplex und verworren wie menschliches Le­ben schlechthin, aus dem sie resultiert – weil die Akteure nun einmal Menschen sind, und wie man Personen nicht einfach in ein stumpfsinniges Schema pressen kann, so kann man auch nicht davon ausgehen, dass sich Geschichte in all ihrer Kompli­ziertheit in ein Geschichtsbuch pressen lässt.

In Geschichtsbüchern sind die dargestellten Fakten stattdessen stets vereinfachte, gesiebte, schlichte Nacherzählungen, die die groben Umrisse dessen wiedergeben, was gewesen ist. Aber sie geben eindeutig nicht ALLES wieder, und mitunter werden Fak­ten so schlicht zurechtgebogen, dass die eigentlichen Entschei­dungshintergründe unsichtbar werden.

Dann ist es Aufgabe von intelligenten Zeithistorikern, Fenster in die Vergangenheit zu öffnen und die Fakten auf den Tisch zu bringen, die zum gründlicheren Verständnis der historischen Entscheidungen vonnöten sind.

Und manche davon sind dann so unfasslich, dass daraus extrem spannende Bücher werden. So ist es der Fall mit dem Werk, das ich euch heute wärmstens als packende Lektüre ans Herz legen möchte. Ich führe euch zurück in das Jahr 1917, aber eigentlich noch etwas weiter zurück in die Endjahre des 19. Jahrhunderts, als die Weichen für den verheerenden Konflikt des Ersten Welt­kriegs gelegt wurden. Und hin zu einem Wendepunkt der Ge­schichte, der fast verhindert hätte, dass die Vereinigten Staaten von Amerika in den Krieg eintraten und Deutschland in die Knie zwangen.

Schaut zurück und staunt … und fragt euch an manchen Stellen meiner Darlegungen vielleicht auch, was hätte geschehen kön­nen, wenn …

Die Zimmermann-Depesche

(OT: The Zimmermann Telegram)

Von Barbara Tuchman

Bastei Zeitgeschichte 65039

Bergisch-Gladbach 1982

352 Seiten, TB

ISBN 3-404-65039-5

Aus dem Amerikanischen von Hans Jürgen Baron von Koskull

Es gibt Geschichten, die sind so unglaublich und regen derma­ßen zum Phantasieren an, dass man kaum fassen mag, wie real sie in Wahrheit gewesen sind. Man liest über diese Ereignisse und kommt sich vor wie in einem phantastischen, wirren Fieber­traum, weil die Wirklichkeit so vollständig durch die geschilder­ten – realen! – Ereignisse ausgehebelt wird, dass es dem Leser den Atem verschlägt. Und während man in diese Geschehnisse wieder eintaucht, die auf den vorliegenden Seiten ausgebreitet werden, scheint sich der Wind der Weltgeschichte zu drehen, und eine potenzielle Wirklichkeit liegt zum Greifen nah vor dem ungläubigen Leser.

Was wäre gewesen, wenn … diese Frage, die die Grundannah­me aller kontrafaktischen Spekulationen und Alternativweltge­schichten ist, flammt hier mit aller Macht auf, was umso uner­warteter kommt, als Barbara Tuchman doch eigentlich eine nüchterne, strikt an den Fakten orientierte Historikerin war. Doch auch sie lässt sich durchaus in diesem Fall von den Wahn­vorstellungen anstecken, die im frühen 20. Jahrhundert gras­sierten und die, hätten sie nur ein Stück weit mehr Gewicht be­sessen, das Gesicht unseres Jahrhunderts für immer verändert hätten.

Und nein, wenn man denkt, dies alles begann mit dem 17. Janu­ar 1917, als im „Zimmer 40“ der britischen Admiralität eine Nachrichtenkapsel aus der Rohrpost eintraf, dann erliegt man demselben Irrtum, dem anfangs der Verfasser dieser Zeilen er­lag. Die Wahrheit ist sehr viel abenteuerlicher, und wer von all diesen Dingen keine Kenntnis hat oder nur oberflächliche Infor­mationen, der sei in dieser Rezension mitgenommen auf eine Abenteuerreise, die er noch weniger vergessen wird, wenn er das Buch selbst gelesen hat.

Das zwanzigste Jahrhundert ist, als es beginnt, eine Art von Pul­verfass. Wohin man auch sieht, unter der Oberfläche brodeln Probleme, krisenhafte Entwicklungen drängen wie der Dampf­druck in einem unter hohem Druck stehenden Kessel nach oben, zur explosiven Entladung. Und ebenso wenig, wie der Ers­te Weltkrieg ursächlich durch den Doppelmord in Sarajevo Ende Juni 1914 „ausbricht“, so wenig ist es so, dass die Ereignisse, die schließlich dazu führen, dass die Vereinigten Staaten von Amerika in den Ersten Weltkrieg eintreten, durch ein einzelnes, singuläres Geschehnis eskalieren und einen sofortigen Ent­schluss auslösen.

Im Gegenteil: Es sieht sehr lange danach aus, als wenn die ver­nünftigste Option der Amerikaner darin bestehen müsse, neu­tral zu bleiben. Und es ist auch nicht eine einzelne Aktion eines übereifrigen deutschen Politikers namens Arthur Zimmermann, die das dann auslöst … aber im Zusammenspiel dieser komple­xen Fakten kommt es dann tatsächlich dazu. Die Amerikaner treten auf Seiten der so genannten „Entente“ in den Krieg ge­gen Deutschland ein, und ihre Ressourcen sind es, die ihn ent­scheiden.

Doch zusammen mit Barbara Tuchman gehen wir zurück in die Vergangenheit … sagen wir, ins Jahr 1888. Dies ist das Jahr, in dem der junge neue deutsche Kaiser Wilhelm II. seine Regent­schaft beginnt und vollmundig behauptet, er führe Deutschland „goldenen Zeiten entgegen“, ja, er wolle dem Reich einen „Platz an der Sonne“ erobern. Stattdessen richtet er es zugrunde, aber das ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu sehen.

Europa ist in den späten 80er Jahren des 19. Jahrhunderts eine in festen Bündnissystemen weitgehend erstarrte Kulisse. Deutschland, das 1871 auf Kosten Frankreichs zum Kaiserreich vereint wurde und das jüngste Kaisertum auf dem europäischen Schauplatz darstellt, ist dank der raffinierten Bündnissysteme Kanzler Bismarcks zur aufsteigenden Hegemonialmacht gewor­den, nach außen offiziell „saturiert“, d.h. gesättigt. Bismarck hat keine außenpolitischen Wünsche nach einem Kolonialreich a la England oder Frankreich.

Doch Bismarck wird 1890 in den Ruhestand geschickt, und der sprunghafte Kaiser Wilhelm II. und seine außenpolitisch … wa­gemutigeren Berater bestimmen nun die Außenpolitik. Die Folge ist binnen weniger Jahre, dass Deutschland in die Isolation ge­rät. Allein verbündet mit dem schon etwas maroden und beben­den Vielvölkerstaat der Habsburger, Österreich-Ungarn, sieht sich das deutsche Kaiserreich einer Allianz gegenüber, die aus Frankreich, Russland und Großbritannien besteht.

Die deutschen Militärs sehen die Gefahr, dass der außenpoliti­sche Feind zu stark wird und prognostizieren das Jahr 1914 als das letzte, in dem wohl noch ein kontinentaler Krieg von Deutschland zu gewinnen sein dürfte. Danach wird die Gegen­seite zu stark sein. Der von dem greisen Militär Graf Schlieffen, entwickelte Schlieffen-Plan sieht einen kurzen Zweifrontenkrieg gegen Frankreich und Russland vor, der etwa 6-8 Wochen dau­ern und mit einer Überwältigung der französischen Militärmacht enden soll. Danach soll das Heer nach Osten geworfen werden und die Russen besiegen.

Es fehlt nur noch der passende Zündfunken.

Das Kaiserreich selbst entfaltet in der Zwischenzeit … sagen wir … seltsame Aktivitäten, von denen der Rezensent erstmals durch das vorliegende Buch erfuhr. So trägt sich beispielsweise der deutsche Kaiser ernstlich mit dem Gedanken, an der mexi­kanischen Küste Land zu erwerben, um einen Flottenstützpunkt zu bauen, quasi als Ausgangsbasis für koloniale Aspirationen im Karibikraum.

Die Amerikaner vereiteln diesen Plan, aber das heißt durchaus nicht, dass diese Pläne grundsätzlich gestorben sind. Ganz im Gegenteil.

Es lässt sich vielmehr durch die Jahrzehnte vor dem Ersten Welt­krieg deutlich verfolgen, dass deutsche Militärs und hohe politi­sche Kreise in Berlin bis hinauf zum Kaiser die Gedanken im­mer wieder in den Vordergrund schieben, es gäbe Möglichkei­ten, Mexiko und die Vereinigten Staaten gegeneinander auszu­spielen, zum Nutzen der Deutschen. Nicht zuletzt zu solchen Zwecken unterhalten die Deutschen ausgedehnte Netze von Geheimagenten in den Vereinigten Staaten und Mexiko.

Zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten hängt der Haussegen schon sehr lange schief. Die Mexikaner haben große territoriale Verluste gegen Ende des 19. Jahrhunderts zugunsten der Nordamerikaner erlitten. New Mexiko, Arizona und Texas sind nun Bundesstaaten der USA. In Mexiko wechseln sich in diesen Jahren zwischen 1890 und 1917 verschiedenste, eigent­lich allesamt als zutiefst undemokratisch zu bezeichnende Herr­scher ab, gelegentlich meucheln sie sich auch gegenseitig. Ei­ner von ihnen, General Victoriano Huerta, wird ins Exil vertrie­ben, General Venustiano Carranza, der an seine Stelle tritt, ist aber nicht angenehmer. Auch der General Pancho Villa nicht, dessen Ressentiment gegen die USA legendär ist.

Pancho Villa ist es dann auch, der das Fass zum Überlaufen bringt.

1912 verliert zwar der amerikanische Präsidentschaftskandidat Theodore Roosevelt, ein Haudegen vom alten Schrot und Korn, der markige Reden schwingt und vor interventionistischen Aktionen nicht zurückschreckt, den Wahlkampf gegen den demokratischen Herausforderer Thomas Woodrow Wilson, aber als der „Bandit“ Pancho Villa mit seinen offiziell als „Gesetzlose“ geltenden Soldaten über die mexikanische Grenze ins US-Ge­biet eindringt und hier plündert und Amerikaner umbringt, ist Roosevelt einer der strikten Befürworter, gegen diese Akte der Barbarei vorzugehen.

Wilson, vom Naturell her puritanisch, friedliebend bis zum Pazi­fismus und eher konstant auf Vermittlung gepolt, braucht gerau­me Zeit, bis er auf diese Provokationen reagiert. Das lag auch an einem katastrophalen Zwischenfall in Veracruz im Frühjahr 1914, bei dem eine ungeschickte Intervention, die Wilson bewil­ligt hatte, zu einer Vielzahl von Toten führte.

Wilson war seither mehr denn je davon überzeugt, dass es ers­tens zwingend erforderlich sei, die Differenzen mit den mexika­nischen Offiziellen diplomatisch zu lösen, zweitens aber erst recht, die USA aus dem „europäischen Krieg“ herauszuhalten, für den Wilson den beginnenden Ersten Weltkrieg noch hielt. Dabei war schnell klar, dass durch die Einbeziehung des briti­schen Empire in die Konflikte aus dem europäischen Steppen­brand eine weltweite Katastrophe geworden war, aus der man sich nicht langfristig heraushalten konnte, wenn man nicht ein unbedeutender Inselstaat war.

Nun waren die USA dies natürlich nicht, aber Präsident Wilson pochte strikt auf die Neutralität seines Landes und konnte dafür auch auf die seit Ende des 19. Jahrhunderts in Kraft befindliche „Monroe-Doktrin“ deuten, die die außenpolitische Neutralität der Vereinigten Staaten als Staatsräson gewissermaßen festge­schrieben hatte. Auf ihre Weise war die „Monroe-Doktrin“ so wir­kungsvoll wie Bismarcks annähernd zeitgleiche Verkündung, Deutschland sei „saturiert“.

Aber die Vereinigten Staaten lebten eben nicht auf einer Insel der Seligen, sondern waren stark in den Welthandel eingefloch­ten. Ausländische Mächte unterhielten Botschaften und Ge­heimagentenzirkel auf ihrem Boden und in ihren Metropolen, und diese Nationen hatten durchaus andere Pläne mit den USA als Präsident Wilson. Das galt namentlich für die Deutschen und die Briten.

Als der Erste Weltkrieg begann und sich rasch zeigte, dass er durchaus kein kurzer Konflikt werden würde, sondern sich viel­mehr gleich einem gewaltigen Wurzelwerk in allen Kontinenten der Welt verästelte und einbrannte, da begann auf Seiten der Mittelmächte wie auch der Entente die Suche nach alternativen Möglichkeiten, den Krieg zu gewinnen. Ein Sieg auf dem Schlachtfeld erwies sich weder in den Jahren 1914 noch 1915 oder 1916 als möglich. Stattdessen wurde der Blutzoll immer höher, die ökonomischen Verluste nahmen in Schwindel erre­gender Stärke zu, und aberwitzige Pläne grassierten.

Ein solcher Plan, und dies ist dann der Kern des vorliegenden Buches, bestand allen Ernstes darin, dass Deutschland sich auf geheimdiplomatischem Weg mit Mexiko verbünden wollte. Die­se Offerte, von Geheimagenten und Botschaftsangehörigen in den Vereinigten Staaten vorbereitet, gipfelte im Zimmermann-Telegramm im Januar 1917. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der amerikanische General Pershing mit einer Interventionstrup­pe im Norden Mexikos und jagte die „Banditen“ unter Pancho Villa, allerdings schon seit Monaten und ohne Erfolg. Die Stim­mung der Mexikaner war zu jenem Zeitpunkt extrem anti-ameri­kanisch.

Arthur Zimmermann, der neue deutsche Außenminister, fädelte also den Plan ein, die Mexikaner zu einem Kriegsbündnis zu überreden. Mexiko sollte deutschen U-Booten Stützpunkte und Treibstoffversorgung auf eigenem Territorium zusichern, im Ge­genzug dafür würden deutsche Offiziere als Ausbilder, Waffen und logistische Hilfe zugesagt werden. Der Plan sah vor, die nordamerikanischen Streitkräfte, die so eigentlich bis auf die Nationalgarde noch gar nicht geschaffen waren, auf dem ameri­kanischen Kontinent zu binden und aus dem Ersten Weltkrieg herauszuhalten.

Ein atemberaubender Plan, der unter anderem noch eine Einbe­ziehung der Japaner (!) vorsah und durchaus einige Chancen auf Erfolg gehabt hätte, wie man sagen muss. Denn selbst 1917 war die amerikanische Bevölkerung noch sehr kriegsfeindlich eingestellt. Niemand sah wirklich ernsthaft ein, warum amerika­nische Jungs in einem Kampf alter Monarchien auf dem europäi­schen Kontinent ihr Leben lassen sollten. Der Krieg ging sie doch eigentlich nichts an. Und Präsident Woodrow Wilson war besonders aufgrund seines Slogans „Er hat uns aus dem Krieg herausgehalten“ 1916 wieder gewählt worden.

Alles sprach also dafür, dass die USA neutral bleiben würden, wenigstens unter Wilsons Ägide, und seine Amtszeit würde noch bis 1920 währen.

Wie gesagt, beinahe hätte dieser unglaubliche Verschwörungs­plan geklappt. Aber es gab ein wesentliches Problem: Der deut­sche Armeeverschlüsselungscode, mit dem auch das Zimmer­mann-Telegramm chiffriert worden war, war von der britischen Admiralität geknackt worden. Der Klartext wurde dadurch offen­bar … doch würde das reichen, um den amerikanischen Präsi­denten zu einer Intervention zu überreden? Würde dies das amerikanische Volk überzeugen? Ganz so wie Jahrzehnte später, als die Berliner Mauer fiel, stand für einige Tage lang alles atemlos auf der Kippe …

Die Zimmermann-Depesche“ ist eines jener Werke, das einen Wendepunkt in der jüngeren Weltpolitik dokumentiert und ein singuläres Ereignis in den breiten Strom von älteren politischen Geschehnissen einbettet und dadurch erst in eine vernünftige Relation zueinander setzt. Barbara Tuchman hat zudem die bril­lante Gabe, die beteiligten Protagonisten und ihre Aktionen so präzise und nachvollziehbar zu beschreiben, dass die bisweilen wirklich bizarren und absurden Gedankenkapriolen erkennbar werden, die manche irrationalen Aktionen der Beteiligten nach­vollziehbar machen.

Auch die Faktoren des Zufalls oder des persönlichen Ressenti­ments – beides Dinge, die vermeintlich keine große Rolle spielen sollten, wenn es um reine Fakten geht, die aber definitiv IMMER eine große, manchmal gar entscheidende Rolle in solchen Zu­sammenhängen spielen – werden dabei nicht ausgespart und bringen an vielen Stellen eine abenteuerliche Würze in die Dar­stellung. Gelegentlich fühlt man sich in einen Indiana Jones-Film versetzt, ohne Scherz. Oder in einen Geheimdienstthriller mit grotesken Untertönen.

Man lernt Diplomaten kennen, die von einer Position zur ande­ren schwanken. Man lernt Botschafter kennen, deren Schriftstü­cke von ihrem Präsidenten schlichtweg ignoriert werden. Man lernt Politiker kennen, die von den eigenen Militärs an der lan­gen Leine wie Marionetten geführt werden und daran schier zer­brechen. Und man macht die Bekanntschaft mit Partylöwen mit doppeltem Gesicht, Banditen in Regierungsämtern, leichtgläubi­gen und naiven Staatsoberhäuptern, die sich in Schweigeklau­sur zurückziehen, anstatt Entscheidungen zu treffen.

Wahrlich, dieser tiefe Blick hinter die Kulissen rings um den Ein­tritt der Vereinigten Staaten in den Ersten Weltkrieg, der trotz Torpedierung neutraler Schiffe wie etwa der LUSITANIA, trotz der schrecklichen Schlachten auf dem alten Kontinent und der Tat­sache, dass sich der Konflikt zum Weltbrand ausweitete, beina­he nicht erfolgt wäre, hat es in sich. Und wie schon der Klappen­text sagt: „… vergleichbar einem Thriller von Eric Ambler“, ge­nauso unfassbar liest sich dieser vermeintlich trockene Text, der es mit jedem Clive Cussler-Roman der Gegenwart mühelos auf­nehmen kann.

Mehr noch: Manche der hierin dargestellten Strukturen und In­formationen animieren den Leser durchaus dazu, sich vorzustel­len, was wohl geschehen wäre, wenn – um mal ein Beispiel zu nennen – das Gerücht, die Japaner hätten damit begonnen, mit mexikanischer Unterstützung einen Flottenstützpunkt an der mexikanischen Pazifikküste errichtet, der Realität entsprochen hätte. Und was war mit den Millionen Schuss Munition, die die Deutschen nach Mexiko geliefert haben?

Wenn die Amerikaner tatsächlich durch das deutsch-mexikani­sche Komplott auf ihrem Heimatterritorium gebunden gewesen wären, hätte es durchaus reale Chancen dafür gegeben, dass das deutsche Kaiserreich den Ersten Weltkrieg für sich entschei­det. Die französische Armee hatte bereits 1916 gemeutert. Die Russen waren 1917 durch intrigante deutsche Schachzüge aus der Entente-Allianz herausgebrochen worden. Die Briten hatten bei den Dardanellen gegen das osmanische Reich eine verhee­rende Niederlage hinnehmen müssen und waren gründlich de­moralisiert. Ihr Marinelord, Winston Churchill, hatte seinen Hut nehmen müssen. Die Entente-Staaten waren schwer verschul­det und ohne Wirtschafts- und Waffenhilfe aus Übersee quasi kaum mehr imstande, weiterzukämpfen.

Auch die Mittelmächte waren weitgehend am Boden, doch es kann als sicher gelten, dass ohne die frischen Entsatztruppen Amerikas die deutschen Heere im Frühjahr 1918 die Westfront überrannt und womöglich Paris erreicht hätten.

Es kam so nicht, das stimmt, wenigstens nicht in unserer Welt. Aber einen Hauch des „Was wäre gewesen, wenn …“ lässt sich bei Barbara Tuchman nachlesen. Und das Buch ist tatsächlich packend wie ein Thriller. Wer immer es zu lesen beginnt, wird das merken.

Es sei ausdrücklich zur Lektüre empfohlen, nicht nur für Ge­schichtsstudenten!

© 2013 by Uwe Lammers

Ja, das war ein ganz schön stürmischer Ritt, nicht wahr? Aber unglaublich packend, selbst in der Rezension – aber das Buch ist hundertmal besser, glaubt es ruhig. Lest es!

In der kommenden Woche geht es tief ins Erdinnere. Mehr sei noch nicht verraten.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Leave a Reply

XHTML: You can use these tags: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>