Rezensions-Blog 69: Der Besucher aus dem Dunkel

Posted Juli 19th, 2016 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

na, eine kleine Warnung vorweg an dieser Stelle einmal – heute wird kritisiert, weniger in wohliger Begeisterung geschwelgt. Es geht um ein recht altes Werk, das man heute allenfalls noch antiquarisch finden kann, mutmaßlich zu einem horrenden Preis. Es ist schmal, doch man sollte die Geschichten darin schön portionieren und auf mehrere Tage verteilen, damit man mehr davon hat und sie gut wirken können.

Wer weiß, vielleicht lösen diese Kurzgeschichten ja die eine oder andere kreati­ve Bilderexplosion im Kopf des Lesenden aus. Ich will das nicht für unmöglich halten.

Und um dieses Werk hier geht es heute:

Der Besucher aus dem Dunkel

von Robert Bloch & Ray Bradbury

Heyne 935

128 Seiten, 1972

Übersetzt von Walter Brumm

Dreißig Jahre alt ist diese Storysammlung nun, in der sich zwei Meister der Phantastik mit ihren Werken treffen. „Zwei Namen – eine Empfehlung!“ heißt es auf dem Umschlag. Nach der Lektüre war ich da anderer Meinung.

Den überwiegenden Teil – sechs Geschichten – bestreitet Robert Bloch. Die vier von Bradbury wirken dagegen seitenmäßig fast schmächtig, doch das tut ihrer Qualität keinen Abbruch. Die beiden zu vergleichen, ist etwas unglücklich, den­noch wird es gemacht, dennoch werden sie einander an die Seite gestellt… doch ich greife vor. Zunächst soll der geneigte potentielle Leser erfahren, wel­che Werke hier eigentlich versammelt sind.

Der Besucher aus dem Dunkel ist die Fortsetzung der Lovecraft-Story „Der leuchtende Trapezoeder“, ohne indes ihren Reiz zu besitzen. Jahre nach dem Verschwinden Robert Harrison Blakes am 8. August 1935 begibt sich sein Freund Edmund Fiske aus Chicago auf die Suche nach ihm und dem Arzt, der seine letzte Spur darstellt. Was er findet, ist in typisch lovecraftscher Manier unmenschlich und absolut tödlich…

In Ray Bradburys Die Beobachter geht es um einen Fabrikanten, der dabei ist, sich mit dem Kauf und der Erfindung von Insektenvertilgungsmitteln zu ruinie­ren. Er hat eine panische Angst vor Insekten, und wie man bald herausbe­kommt, gibt es dafür gute Gründe…

Der grinsende Ghul führt den Protagonisten der nächsten Geschichte von Bloch auf einen alten Friedhof und in die Unterwelt. Der Psychiater kann seinem of­fenbar hochgelehrten, aber etwas seltsam wirkenden Patienten kaum glauben, dass so etwas existiert, was er in seinen Träumen zu sehen vermeint. Aber er muss sich eines Besseren belehren lassen…

Die Männchen des Schreckens sind für den einstigen Chirurgen Dr. Colin eine Obsession. Eingesperrt in einer Anstalt, weil er als psychisch labil eingestuft wurde, beschäftigt er sich mit dem Herstellen winziger Tonfiguren, die immer perfekter werden. Und immer perfekter…

Wie ein Fiebertraum eine beklemmende Realität entwickeln kann, beschreibt Bradbury in der nächsten Erzählung, von der man nichts sagen sollte, um sie nicht zu verraten. Beklemmend ist wirklich das einzig treffende Attribut…

Die Rache der Druiden muss all jene treffen, die versuchen, eine urwüchsige Landschaft ökonomischen Gesichtspunkten unterzuordnen und einen Acker daraus zu machen. Besonders, als der neue Herr des Landhauses beschließt, dass der heidnische Altar weg soll, zeigt sich, dass die alten Götterdiener noch über genug Macht verfügen, sich gegen solchen Sakrileg zu wehren…

Der verrückte Martin in Bradburys Story Der tote Mann ist augenscheinlich nicht normal. Sitzt an der Straße, stiert ins Nichts, und manchmal fällt er um und liegt stundenlang da, ohne etwas zu tun. Nur die etwas geistig zurückge­bliebene Friseuse kümmert sich liebevoll um ihn, die anderen Menschen schlie­ßen Wetten darauf ab, wie lange er wohl liegen bleiben würde. Bis zu dem Tag, an dem… nun, aber das sollte man selbst lesen.

Eine Frage der Etikette bringt uns in das triste Leben eines Volkszählungs-Zäh­lers, der zum x-ten Mal an einer Haustür klingelt und seinen Fragenkatalog her­unterleiert. So auch bei Miss Lisa Lorini. Der Protagonist stutzt erst, als sie auf die Frage nach dem Alter „Vierhundertsieben“ angibt. Aber da ist es natürlich für den Fragenden bereits zu spät…

Die letzte Story von Bradbury nennt sich Ausgleichende Gerechtigkeit, und was der arme Mr. Benedict von seinen Mitmenschen ertragen muss, die ihren Be­statter nun gar nicht lieben, das ist schon sehr unschön. Doch nicht umsonst freut sich der duckmäuserische, kleinlaute, schüchterne Mr. Benedict darauf, SEINE Leichenhalle zu betreten und mit den Toten zu reden…

Was tun, wenn die Ehefrau in die kanadischen Wälder nachkommt und plötzlich glaubt, von einem Werwolf verfolgt zu werden? Mit Der Werwolf schließt die längste Geschichte den Band ab und zeigt zugleich, dass das Thema wirklich so alt ist, dass es niemanden mehr hinter dem Hocker hervorlocken kann. Schade…

Diese zehn Geschichten, zugegeben schon etwas sehr angestaubt, repräsentie­ren den Gruselcharme der 60er Jahre, in denen man von Splatter noch nicht viel wusste und Suspense leichter Nervenkitzel war – wenngleich auch Love­craft schon Jahrzehnte zuvor demonstriert hatte, wie man es ganz anders ma­chen konnte. Wer die Storysammlung deshalb unbedingt lesen möchte, sollte sich als Fan dieser Zeit verstehen, ein Freund alter Peter Cushing-Filme, ein Freund von Bram Stoker und ähnlich gelagerten Literaten.

Wer unvorhergesehene, überraschende und wirklich packende Geschichten sucht, ist hier dezidiert fehl am Platze. Nehmen wir als ein ziemlich stumpfes Beispiel Blochs Ghul-Geschichte. Spätestens am Ende der ersten Seite weiß der Leser, dass der Besucher ein Ghul ist, dass er von sich und seinem Leben erzählt und den Protagonisten in die Falle locken möchte. Ebenso ist klar, dass letzterer entkommen wird, um die Geschichte zu erzählen. Sehr, sehr durchsichtig. Span­nung kommt nicht auf.

So ähnlich ist es mit fast allen Geschichten dieses Bandes, aber bei Bloch fällt es extrem auf. Er arbeitet mit Klischees, mit Stereotypen, die heute so bekannt sind, dass sie ermüden. Stilistisch ist er etwas abwechslungsreicher, aber nicht sehr.

Demgegenüber fällt der Kontrast zu Bradbury fast brutal aus. Hier wirken auf­grund der Kürze (wenn man auch Kritik an der Brummschen Übersetzung hegen kann, durch die diese Geschichten eine Menge an stilistischen Feinheiten verlie­ren: man vergleiche mal Margarete Bormanns Übersetzung der Bradbury-Story­sammlung „Geh nicht zu Fuß durch stille Straßen“, Heyne 3292) diese Worte viel besser. Sie fallen abgezirkelt in den Raum, beschreiben mathematische Bewe­gungen und drücken zugleich doch Gedankengänge aus, die viel tiefer gehen als diejenigen des so genannten Meisters des psychologischen Horrors (Robert Bloch). Ein Beispiel gefällig? Na, nehmen wir zwei.

Nehmen wir Mr. Benedict, den Leichenbestatter aus der Story Ausgleichende Gerechtigkeit. Was sagt Bradbury über ihn? „Das Kind starrte ihn noch immer an, und er kam sich vor wie eine vom Wind ausgeblasene Kerze. Er war so min­derwertig. Alles, was lebte und sich bewegte, machte ihn melancholisch und gab ihm das Gefühl, sich entschuldigen zu müssen…“ Bringt die Handlung in kei­ner Weise voran, aber das BILD, das im Leser entsteht, das von der Persönlich­keit dieses Menschen entsteht, ist überwältigend.

Oder der kleine Charlie Bellows in der Geschichte um den toten Mann. Er sagt zu dem verrückten Martin: „Du bist wirklich richtig tot… Aber ich bin der einzi­ge, der es weiß. Ich glaube Ihnen, Mr. Martin. Ich habe es selbst mal versucht. Sterben, meine ich. Es ist schwer. Es ist Arbeit. Ich bin eine Stunde lang auf dem Boden gelegen. Aber dann hat mich was am Bauch gejuckt und ich musste mich kratzen. Da habe ich aufgehört.“

Es kommt nicht von ungefähr, dass es in beiden Fällen Kinder sind, die die Emo­tionen in die Geschichte transportieren. In Blochs Geschichten kommen keine Kinder vor. Ich denke deshalb, dass die Emotionalität und die Tiefe einfacher Wörter bei Bradbury viel mit diesem schlichten Faktum zu tun hat.

In jedem Fall kam es mir vor, als ob man hier zwei völlig unterschiedliche Schriftsteller zwischen zwei Buchdeckeln zusammengepresst hat. Einen begna­deten Stilisten, der durch einen eher mittelmäßigen Übersetzer auf Normalmaß zurechtgestutzt wurde, und einen mäßig einfallsreichen Vielschreiber, dessen Stil durch die Übersetzung gewiss auch gelitten hat, dessen Plots aber auch sonst nicht sehr überzeugend sind.

Insgesamt hinterlässt diese Storysammlung daher einen faden Beigeschmack. Doch es ist nicht so, dass man daraus nichts lernen könnte, wie oben gezeigt werden konnte. Insofern lohnt die Lektüre doch.

© by Uwe Lammers, 2002

Wie, das war jetzt nicht wirklich schmeichelhaft? Was macht solch eine Rezensi­on, die ja nun selbst schon mit 14 Jahren etwas angestaubt ist, auf meinem Re­zensions-Blog? Nun, Freunde, ich erwähnte es gelegentlich schon, dass ich nicht immer eitel-Sonnenschein-Rezensionen veröffentlichen möchte. Rezensenten haben stets auch eine eigene Meinung, und die kommt in meinen Augen oben deutlich zum Vorschein.

Die Storysammlung taugt sehr wohl auch heute noch als nette Lektüre, und be­sonders hinsichtlich der Plotstruktur lässt sich daraus vieles lernen. Außerdem verfügen sowohl Ray Bradbury als auch Robert Bloch natürlich über eine welt­weite Fanbase. Es wäre darum schade gewesen, diese Rezension, so kritisch sie letzten Endes auch ausgefallen ist, nicht der Allgemeinheit zugänglich zu ma­chen.

In der nächsten Woche schweifen wir dann wieder ab ins Revier des Krimis. Auch ein älteres Werk, aye, aber von einer stilistischen Meisterin ihres Metiers – und grandios übersetzt. Lasst euch mal überraschen, was ich da präsentiere.

Bis demnächst, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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