Liebe Freunde des OSM,

Doctor Who ist ein Kultphänomen aus Großbritannien, an dem man als ernst­hafter Science Fiction-Fan auf lange Sicht nicht wirklich vorbeikommt… wenn­gleich ich zugebe, dass ich als jemand, der die Phantastik mehrheitlich durch die verschriftlichte Brille betrachtet, mich diesem Phänomen erst sehr spät zu­gewandt habe. Gleichwohl… Berührung mit Doctor Who hatte ich natürlich schon sehr zeitig. Ich entsinne mich der damaligen DW-Buchpublikationen in den frühen 80er Jahren, also während meiner Kindheit. Richtig eingeschlagen hat die Serie damals bei mir nicht, das passierte dann erst anno 2015.

Die Serie startete im Jahre 1963 in Schwarzweiß, mit geringem Budget und eher als Lückenfüller. In gewisser Weise war sie eine Momentlaune, und kaum je­mand machte sich damals Hoffnungen, man könne Filmhistorie schreiben. Und doch kam es ganz genau so, dank ein paar sehr engagierten und überzeugten Machern, die die Serie gegen alle Widerstände durchboxten.

Nun, und pünktlich zum 50. Jubiläum der Ursprungsserie (dass es dazwischen eine lange Sendepause ab 1989 gab, wird geflissentlich unterschlagen, sehen wir mal großzügig darüber hinweg und darüber, dass sich die modernen Abenteuer – inzwischen in neun Staffeln – doch gründlich von den alten unter­scheiden), pünktlich also legt die BBC einen produzierten Fernsehfilm vor, der sich mit just diesen abenteuerlichen Anfängen der Serienproduktion befasst.

Also, Vorhang auf für einen interessanten Film, der uns ins Jahr 1963 zurück­reisen lässt:

Ein Abenteuer in Raum und Zeit

(OT: An Adventure in Space and Time)

Fernsehfilm, BBC 2013

Länge: 83 Minuten

Regie: Terry McDonough

Drehbuch: Mark Gatiss

Musik: Edmund Butt

Wir leben im Zeitalter der so genannten „Biopics“, der verfilmten Biografien wichtiger Persönlichkeiten aus Zeitgeschichte und Kultur. Das ist kein wirklich neues Phänomen, das gab es in Ansätzen für sehr herausragende Personen (etwa Präsidenten) schon in den 90er Jahren. Aber man kann wohl mit Fug und Recht sagen, dass daraus inzwischen eine ganze Filmindustrie entstanden ist, die solche Filme nachfragt. Seien es Monarchen, Premierminister, wichtige In­dustrielle wie etwa Steven Jobs, Geheimdienstchefs usw.

Es war vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis sich jemand auch der Hinter­grundgeschichte der britischen Science Fiction-Serie „Doctor Who“ annehmen würde. Der vorliegende Film ist gleichwohl in gewisser Weise ein Ausnahmefall der Biopics. Ein Ausnahmefall insofern, als es hier nicht allein um eine einzelne Person geht, die zentral im Mittelpunkt der Handlung steht, sondern gleich de­ren mehrere – und das Schicksal der frühen Serie gleichermaßen.

Wir machen mit dem Film, der auf dem Streaming-Portal burning.series (www.bs.to) zu finden ist, also eine Zeitreise ins Jahr 1963. Der Kalte Krieg ist nach wie vor weltbeherrschend, auch wenn die Kuba-Krise kürzlich erst ab­gewendet werden konnte. Das tangiert Englands Medienlandschaft nur be­dingt. Sidney Newman (Brian Cox) von der BBC hat das viel nahe liegendere Problem, eine halbe Stunde Sendezeit zu füllen. Er verfällt darauf, ein damals schon prominentes Genre zu bedienen: „Wir machen eine Science Fiction-Serie für Kinder!“

Die Leitung der BBC ist skeptisch, doch er betraut die junge, aus einer jüdischen Familie stammende Verity Lambert (Jessica Raine) damit, diese Serie zu entwi­ckeln und zusammen mit ihrem für das Setdesign verantwortlichen indischen Kollegen Waris Hussein (Sacha Dhawan) umzusetzen.

Die erst 27 Jahre zählende Verity hat sich gegen ihre älteren Kollegen durchzu­setzen. Dabei schlägt ihr latenter Antisemitismus ebenso entgegen wie sexuell-chauvinistische Ressentiments („Ich habe gehört, Sie haben sich hoch­geschlafen, um Ihre jetzige Position zu erreichen“). Und Hussein hat es auf­grund seiner Herkunft ebenso wenig leicht. Hier wird sehr klar deutlich, dass die demokratische Gesellschaft Englands, die sich so gern international gab, da­mals noch stark von Vorurteilen dominiert wurde.

Dabei hat es die Serie schon schwer genug. Denn Science Fiction ist selbst bei Newman nur bedingt angesehen. Er will beispielsweise keine „glubschäugigen Monster“ und keine Roboter sehen. Die Kinder sollen gut unterhalten, aber nicht verschreckt werden. Die Setdesigner beschäftigen sich mit allen mögli­chen anderen Dingen, aber nicht mit Lamberts Wünschen, die TARDIS für die Serie zu gestalten.

Auch die Besetzung der Personen der Serie ist schwierig. Newmans Wunsch nach einem „schrulligen alten Mann“, der in einer Kiste haust, damit aber durch Raum und Zeit reist, hört sich einfach abstrus an. Und entsprechend sagen die angefragten Schauspieler auch ab. Niemand will mit diesem seltsamen Projekt etwas zu tun haben. Schließlich macht Verity den alternden Schauspieler Wil­liam Hartnell (David Bradley) ausfindig, einen schwierigen Mann, Kettenraucher und eifrigen Trinker, der launenhaft und unberechenbar ist. Mehr noch: er kann mit Kindern nicht umgehen, und dieser Film soll doch explizit für Kinder sein, nicht wahr?

Es klingt wie die Quadratur des Kreises, und fast völlig unmöglich wird es dann, als zum Start des Drehs nicht einmal die Setdekoration vorliegt – und nur ein einziges Skript für die ersten Folgen, nämlich für den Zyklus „An Unearthly Child“, mit dem die Serie startet, indem die TARDIS mit Doctor Who, seiner En­kelin Susan und den beiden unfreiwillig mitreisenden Lehrern Ian Chesterton und Barbara Wright in die Steinzeit verschlagen wird.1

Doch auch mit dem Start (nicht zu sprechen von den zahlreichen Pannen, die der Film ebenfalls zeigt) ist die Gefahr nicht vorbei. Der Mord an Präsident Ken­nedy überschattet den Serienstart, die Oberen der BBC wollen die Serie wegen mangelnder Zuschauerzahlen kippen, und als Newman im Skript für den zweiten Zyklus die wiederholten Worte „Eliminieren! Eliminieren!“ liest und merkt, dass es um Roboter (!!) geht, „diese… diese Daleks…“, kommen ihm selbst massive Zweifel.

Was dann passiert, ist allerdings so atemberaubend und süß, dass man es sich selbst ansehen sollte.

Wer bei diesem Film ein Abenteuer im Stil der Doctor Who-Geschichten der modernen Zeit sucht, wird vom Titel ein wenig in die Irre geführt. Wer indes ein wenig genauer wissen möchte, wie der Blick hinter die Kulissen der heute welt­berühmten Serie ausschaut und erfahren will, wie prekär und wackelig das alles gestartet ist, der wird mit diesem Film wunderbar unterhalten, das lässt sich kaum anders ausdrücken.

Der Biopic-Charakter bezieht sich insbesondere auf den „1. Doktor“, William (Bill) Hartnell (1908-1975), dessen schwierige Persönlichkeit von David Bradley ausgezeichnet dargestellt wird. Die mürrische Umgangsart, hinter deren sta­cheliger Schale eine warme Herzlichkeit steckt, die aber erst sehr langsam er­wacht, und das allmähliche Hineinwachsen in die Rolle des Doktors, in der er sich nachher wirklich wohl fühlt, kommt ausgezeichnet zum Vorschein. Der Ge­genpart, ebenfalls Teil des Biopics, ist die Rolle der jungen Verity Lambert (1935-2007), dessen Engagement und Kreativität dieser Film gleichfalls ein sehr passendes Denkmal setzt. Jessica Raine füllt auch diese Rolle schön aus.

Dass der „Sherlock“- und „Doctor Who“-Autor Mark Gatiss das Drehbuch des Films mit unglaublicher Liebe zur Serie geschrieben hat, merkt man an zahlrei­chen Kleinigkeiten und vor allen Dingen an der unglaublichen Akribie und De­tailverliebtheit, die die geschliffenen Dialoge, die schön gezeichneten Personen und komplexen sozialen Abläufe zeigen. Es wird auf krasse Schwarzweiß-Zeich­nung wohltuend verzichtet, stattdessen der prozessuale Charakter der Se­rienentstehung und die Interdependenz mit der medialen Außenwirkung schön eingefangen.

Die Handlungszeit reicht von 1963 bis 1966, d. h. bis zum altersbedingten Aus­scheiden von Hartnell aus der Serie. Gegen Schluss bekommt man noch mit, wie der „2. Doktor“ Patrick Troughton (hier dargestellt von Reece Shearsmith) den Staffelstab übernimmt. Und nein, es sind nicht die Daleks, die „Doctor Who“ übernehmen, wie damals gespöttelt wurde… wiewohl sie aus gutem Grund die beliebtesten Gegner des Doktors waren und immer noch sind. Denn selbst im Jahre 2015 in der neunten Staffel der modernen Serie treiben sie nach wie vor ihr Unwesen. Ihr Schöpfer Terry Nation wäre vermutlich sehr erfreut, das zu erleben.

Für alle Freunde, die die alten Doctor Who-Episoden erleben und in ihren Hin­tergründen verstehen wollen bzw. sowieso für alle diejenigen, die sich als Doc­tor Who-Fans verstehen, ist dieser schöne, bisweilen sehr melancholische Film ein unbedingtes Must-have.

© 2016 by Uwe Lammers

Im kommenden Rezensions-Blog bleiben wir im Bereich der Science Fiction, aber da möchte ich euch nach längerer Zeit mal wieder eine ältere SF-Story­sammlung vorstellen. Auch als Zeichen dafür, dass alte Geschichten durchaus nicht schlecht sein müssen, wie wir ja schon im Falle von Ray Bradbury schlagend feststellen konnten. Manche Verfasser sind wirklich auch heute noch eine Neuentdeckung wert.

Um wen genau es geht? Nun, das werdet ihr sehen, wenn ihr nächste Woche wieder hereinschaut. Es lohnt sich auf jeden Fall.

Bis dann, meine Freunde, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Vgl. dazu die ebenfalls auf bs.to ansehbaren ersten 4 Episoden der alten Doctor Who-Se­rie. Wiewohl in schwarzweiß und mit deutschen Untertiteln, da in Deutschland nie er­schienen, sind sie durchaus sehenswert.

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