Rezensions-Blog 307: Das Osiris-Komplott

Posted Februar 9th, 2021 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

Clive Cussler und seine Coautoren sind bekannt für ihre singulä­ren Romane, will sagen: solche Werke, die üblicherweise nur durch das gleiche Personal zusammengehalten werden. Crossover gibt es nicht … nun, gab es nicht, sollte man sagen, bis heute. Denn im vorliegenden Roman wird auf ein Geschehen angespielt, das in dem Rezensions-Blog, den ich in 5 Wochen hier hochladen werde, seine Entsprechung findet. Und eine Sze­ne des folgenden Romans kann man aus antagonistischer Per­spektive auch in dem dortigen Roman eines anderen Coautoren (!) Cusslers entdecken.

Es lag darum sehr nahe, beide Romane zeitnah nacheinander zu lesen und zu entdecken, wie sich das Mosaik zusammenfügte. Da haben sich zwei Autoren wirklich extrem gut abgestimmt, muss ich sagen. Der volle Reiz dieser erwähnten Szene entfaltet sich also nur, wenn man beide Romane liest. Und mir will schei­nen, dass es ähnliche Konstruktionen nach Clive Cusslers kürz­lich erfolgtem Tod noch häufiger werden sollten. Es scheint schon ein Crossover zwischen Isaac Bell und den Fargos zu ge­ben … was unmöglich erscheint, da sie buchstäblich in zwei ver­schiedenen Jahrhunderten leben (und nein, ich denke nicht, dass sie dafür dann eine Zeitmaschine benötigen).

Doch zurück zu dem heutigen Werk. Was mit einem monströsen Giftgasangriff auf der Insel Lampedusa beginnt, verwickelt Kurt Austin und seinen Kompagnon und Kollegen Joe Zavala auf bi­zarre Weise in eine aberwitzige Jagd nach ägyptischen Artefak­ten. Und wer beispielsweise die Fargo-Abenteuer von Cussler & seinen Coautoren gemocht hat, wird sich hier im neuesten NU­MA-Abenteuer wieder mal bestätigt finden.

Inwiefern alle Wege irgendwie nach Ägypten führen und warum dort eine Dürrekatastrophe eine Kette von Staatskrisen auslöst, das sollte man selbst nachlesen. Vorhang auf also für dieses Werk:

Das Osiris-Komplott

(OT: The Pharaoh’s Secret)

Von Clive Cussler & Graham Brown

Blanvalet 0361

April 2017, 9.99 Euro

512 Seiten, TB

Übersetzt von Michael Kubiak

ISBN 978-3-7341-0361-2

Man schreibt das Jahr 1798, als ein ambitionierter korsischer Mi­litärbefehlshaber den Plan fasst, das britische Empire an einem seiner empfindlichsten Punkte anzugreifen – in Ägypten. Aber der Feldzug des Napoleon Bonaparte endet in einem schmach­vollen Desaster, das unter anderem zur Versenkung seines Flaggschiffs L’Orient in der Bucht von Abukir führt. Zugleich er­möglicht ihm dieses militärische Fiasko allerdings bald darauf auch den Aufstieg zum Kaiser der Franzosen und stürzt Europa in einen Krieg ungeahnten Ausmaßes.

Teil von Napoleons Strategie war gleichzeitig aber die kulturelle Durchdringung des legendären und nachgerade mythischen Pharaonenreiches, das nach der Ägypten-Expedition ein atem­beraubendes Orientfieber in Europa entzünden würde. Zahlrei­che so genannte „Savants“, also Gelehrte, erschlossen die kul­turellen Schätze des Nilreiches und schufen mit der Desciption de’l Egypte eine vielbändige, prachtvoll illustrierte Dokumenta­tion dieses Abenteuers. Die kulturelle Ernte von Napoleons missglücktem Feldzug erwies sich also als deutlich fruchtbarer als sein militärischer Wert.

Zu den Gelehrten, die in Napoleons Gefolge unterwegs waren, zählte ein Mann namens Emile D’Campion, und er hatte eine ganz besondere Entdeckung für den Kaiser der Franzosen ge­macht, buchstäblich das Geheimnis über Leben und Tod, das einst in der Stadt der Toten am Nil gehütet worden war. Der Le­gende nach stammte es vom grüngesichtigen Totengott Osiris höchstpersönlich. Aber das Geheimnis geht in den Wirren der Evakuierung aus Ägypten verloren – bis zur Gegenwart.

Als dort vor der Insel Lampedusa der Frachter M.S. Torino hava­riert, wird eine grauenhafte, finstere Wolke freigesetzt, die die Mittelmeerinsel einhüllt. Tiere fallen vom Himmel, Menschen al­ler Altersstufen fallen regungslos um, wo immer sie sich befin­den. Und eine Ärztin, die sich offenbar aus weiser Voraussicht in einem Krankenhaus verbarrikadiert hat, ruft funktechnisch um Hilfe. Wieso gerade Dr. Renata Ambrosini auf diesen Störfall oder was immer es gewesen sein mag, so gut vorbereitet war, bleibt anfangs noch ein Geheimnis – aber zu ihrem großen Glück erreicht der Funkspruch patente Personen.

Kurt Austin und Joe Zavala von der NUMA sind in relativer Nähe dabei, die untermeerischen Ausgrabungen an antiken Schiffs­wracks zu leiten – insofern passt das Titelbild durchaus zu ei­nem guten Teil, was ja durchaus nicht selbstverständlich ist – , und sie eilen zu Hilfe. Da es sich offensichtlich um eine Art Gift­gaswolke handelt, machen sie sich in Vollkörper-Taucheranzügen auf den Weg und wandeln bald durch ein schreckliches Geister­land, in dem es offenbar nur noch fünftausend Tote gibt, darun­ter einige NUMA-Mitarbeiter, die an Land stationiert waren. Dummerweise gibt es aber eine Person, die gegen die Verseu­chung immun war, und die ist unterwegs, um Dr. Ambrosini und alle bei ihr Geretteten umzubringen. In letzter Minute gelingt es Austin, den Attentäter auszuschalten. Spätestens danach ist ihm klar: das war kein einfacher Störfall, sondern ein Biowaffen­angriff oder etwas sehr Ähnliches – auf alle Fälle eine Art von terroristischem Anschlag.

Verrückterweise stellt er bald danach ebenfalls fest – die „Toten“ sind nicht wirklich vollständig tot, sondern sie befinden sich in einem tiefen Koma, aus dem man sie vielleicht wieder wecken kann, sofern binnen weniger Tage ein Heilmittel entdeckt wird. Aber Dr. Ambrosini, die eigentlich dem italienischen Geheim­dienst angehört, tappt im Dunkeln, was die Verursacher der At­tacke angeht, und auch der tote Attentäter hat seine Spuren wirkungsvoll verwischt.

Die Ärztin ist in die Angelegenheit schon länger involviert und verfolgt die Spuren, die nach Malta führen und dort zum Ozea­nographischen Museum und einem Wissenschaftler namens Dr. Kensington. Leider ist ihnen die Organisation, die hinter all den kriminellen Machenschaften steckt, um einen entscheidenden Schritt voraus, und ehe Kensington überredet werden kann, den NUMA-Männern relevante Informationen zu geben, wird er durch ein Attentat getötet.

Was jedoch der vermeintliche Giftgasanschlag auf Lampedusa, historische Aufzeichnungen aus dem Pharaonenreich und ein rätselhaftes Versiegen der Grundwasservorräte in Nordafrika miteinander zu tun haben und inwiefern die Organisation „Osi­ris“ des Fanatikers Tariq Shakir darin involviert ist, das erweist sich als ein durchaus windungsreiches, schwer durchschaubares Geflecht von Verbindungslinien, in dem offenbar die Villains ständig die Oberhand haben. Es bedarf des ganzen Einfalls­reichtums von Kurt Austin, Joe Zavala und ihrer Mitstreiterin Dr. Ambrosini, um die Gefahr letzten Endes vollständig zu entschlei­ern und zu entschärfen …

Also, man kann nicht sagen, dass ein Cussler-Kooperationsro­man mit Graham Brown jemals wirklich langweilig wird, ganz gewiss nicht. Ob man sich unvermittelt mit einem Kleinst-Kipp­laster in den maltesischen engen Gassen von La Valetta auf Ver­folgungsjagd befindet, ob man eine Unterwasser-Ausgrabungs­stätte mit einem Klein-U-Boot angreift, ob man sich in einem un­terirdischen Minenlabyrinth eine Verfolgungsjagd liefert und da­bei auf „antike“ italienische Kampfpanzer stößt (und auf pha­raonische Schätze; letztere werden leider sehr despektierlich behandelt) … Langeweile ist hier wirklich ausgeschlossen. Man wird immer wieder verblüffend überrascht.

Was mich an zwei Stellen sehr positiv überraschte, war Folgen­des: Normalerweise sind Cussler-Romane ja im Wesentlichen in sich abgeschlossene Abenteuer, die zu anderen Vorgängerroma­nen nur über das Personal Verbindung besitzen. Das ist in die­sem Roman deutlich anders. Denn ebenso wie der Roman „Höl­lensturm“ spielt er zu wesentlichen Teilen in Ägypten und be­zieht das damalige lokale Personal mit ein, weswegen man zum vollständigen Genuss diesen Roman vorab gelesen haben sollte. Außerdem rekurriert das Buch ziemlich ungeniert auch auf den Vorgängerroman „Todeshandel“, so dass sich dessen Lektüre ebenfalls empfiehlt.

Besonders kokett fand ich dann allerdings ein überraschendes Crossover, mit dem ich am allerwenigsten gerechnet hatte – während eines nächtlichen Einbruchs in ein Museumslager sto­ßen Austin und Zavala nicht nur auf die Bösen, sondern auch auf ein Pärchen, das ihnen seltsam bekannt vorkommt: auf nie­mand Geringeren als Juan Cabrillo und eine Partnerin, also den Leiter der „Corporation“ aus der Romanreihe der OREGON-Aben­teuer. Da war ich doch einigermaßen perplex. Wichtiger noch als das ist aber, dass dieses Crossover eine Brücke zum annä­hernd zeitgleich erschienenen OREGON-Abenteuer „Schatten­fracht“ darstellt (Rezension ist in Arbeit). Das im vorliegenden Band nur peripher erwähnte Tagebuch des Kaisers Napoleon spielt dort dann eine zentrale Rolle, und es steht zu erwarten, dass diese Lagerraum-Szene dort aus Juan Cabrillos Sicht darge­stellt werden dürfte.

Das ist, soweit ich das beurteilen kann, das erste Mal, dass Coautoren von Cussler aus verschiedenen Romanreihen so enge Kooperation betreiben. Möglicherweise ist das eine interessante Neuerung, die in Zukunft nach Clive Cusslers im Jahre 2020 er­folgten Tod noch öfter auftreten wird. Ich fand das äußerst reiz­voll, muss ich gestehen.

Alles in allem haben wir hier ein rasantes, aber nicht ausschließ­lich auf Tempo geschriebenes, einfallsreiches und geschickt ge­machtes Abenteuer vor uns, das das bekannte NUMA-Personal einbezieht, in vielerlei Bereichen aber nur schwer vorhersehbar ist. Man kann natürlich kritisieren, dass die Vita etwa des Scharfschützen „Skorpion“ quasi nicht existiert und dass auch Hassan, die Nr. 2 der Osiris-Organisation eher schematisch ge­rät, aber das tut dem Lesevergnügen nur geringen Abbruch.

Ein wenig mehr Bezug zum englischen Originaltitel hätte ich mir natürlich schon gewünscht und auch, dass nicht gar so garstig mit den pharaonischen Hinterlassenschaften umgegangen wird, wie es hier der Fall ist – das tat mir als Fan des alten Ägypten durchaus manchmal weh.

By the way – als ich speziell diese Szenen las, in denen Krokodi­le und die Pyramiden vorkamen, musste ich unvermeidlich an das erste Blake & Mortimer-Comicalbum „Das Geheimnis der Großen Pyramide“ denken, das ich vor kurzem wieder las und rezensierte … die dadurch ausgelösten Bilder im Kopf, die viel­leicht auch Graham Brown mit inspiriert haben mögen, halfen sehr bei der bildhaften Ausgestaltung der Lektüre.

Doch ungeachtet all dieser besserwisserischen Kommentare hat mir der Roman sonst ausgezeichnet gefallen. Klare Leseempfeh­lung von meiner Seite.

© 2020 by Uwe Lammers

Braunschweig, den 1. Mai 2020

Dem ist nicht mehr viel hinzuzufügen. Außer vielleicht, dass wir in der kommenden Woche noch bodenständiger werden und uns dann von einer versierten Krimi-Autorin in ihre Schreibgeheim­nisse einführen lassen.

Neugierig geworden? Dann schaut kommende Woche wieder herein!

Bis dann macht es gut.

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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