Rezensions-Blog 296: Todeshandel

Posted November 25th, 2020 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

wie ihr seit langem wisst, wenn ihr meinem Blog über ein paar Jahre gefolgt seid, bin ich selbst bei Autoren, die ich gerne mag – und Clive Cussler steht da ziemlich weit oben in der Rangfolge – , durchaus skeptisch und verzeihe ihnen manche fundamentalen Fehler nicht. Notwendig bin ich auch immer vorsichtig, wenn es Coautorenwechsel gibt … aber dann haben wir manchmal das wunder­bare Glück, wirklich intelligente, versierte Coautoren zu treffen, die die Protago­nisten, das Umfeld, die Antagonisten und die jeweilige thematische Storyline ernst nehmen und das alles zu einem Cocktail mixen, der dem Leser schier den Atem raubt.

Solche Coautoren im Falle Cussler sind Justin Scott, der für die Isaac Bell-Ro­mane zuständig ist, und im Falle von Kurt Austin und Joe Zavala muss man Graham Brown nennen, dessen Coautoren-Romane mich eigentlich noch nie enttäuscht haben. Das gilt auch für den vorliegenden, der wirklich Hochspan­nungs-Lesefutter ist und den Helden wie die Leser um die halbe Welt jagt.

Also, Freunde, Vorhang auf für einen äußerst packenden Roman:

Todeshandel

(OT: Ghost Ship)

Von Clive Cussler & Graham Brown

Blanvalet 0235

Januar 2016, 8.99 Euro

512 Seiten, TB

Übersetzt von Michael Kubiak

ISBN 978-3-7341-0235-6

Die Geschichte beginnt mit mehreren Katastrophen und, wie das bei Clive Cuss­ler so üblich ist, mit einem Geheimnis der Vergangenheit. Alles fängt mit einem Polizeieinsatz im Juli 1909 in Südafrika an. Eine kriminelle Bande, die so ge­nannte Klaar River Gang, terrorisiert die Bevölkerung. Als die Polizei einen Tipp bekommt, wo der Unterschlupf der Bande ist, wird ein rigoroser Gegen­schlag umgesetzt. Doch ehe die Angreifer am Ziel ankommen, müssen sie entde­cken, dass der Unterschlupf in Flammen steht, zahlreiche Tote herumliegen, und riesige Mengen Falschgeld verbrennen vor ihren Augen. Offenbar ist die instabi­le Gang von selbst und von innen heraus zerbrochen. Aber irgendwie fühlt sich das falsch an, nichts hiervon macht Sinn.

Es macht wirklich keinen Sinn – die Hintermänner des Massakers und Anführer der Gang haben das Chaos inszeniert, um unerkannt untertauchen zu können. Dummerweise wählen sie als Fluchtmittel das Schiff Waratah, das wenige Tage später ablegt und in einen beispiellosen Sturm gerät, aus dem es nie wieder auf­taucht. Das Schiff gehört heutzutage zu den realen Mysterien der Seefahrtge­schichte, und jeder, der sich damit befasst – ich auch – kennt natürlich den Namen.

Aber damit ist diese Geschichte selbstverständlich nicht beendet. Sie hat noch einen Nachschlag – denn ein Beiboot der Waratah taucht unter mysteriösen Um­ständen 1987 vor Mosambik wieder auf. Weitgehend verwittert, und darin befin­den sich drei sehr viel jüngere Leichen: eine junge Frau mit einer Schusswunde und zwei kleine Kinder. Alle drei sind verdurstet. Auch dieses Rätsel wird nie gelöst.

Die eigentliche Geschichte geht im Indischen Ozean im März 2014 los. Ein Sturm überrascht eine Reihe von Schiffen, darunter eine kleine Yacht Ethernet, die dem Milliardär Brian Westgate gehört. Mit an Bord sind seine Frau Sienna und die beiden gemeinsamen Kinder. Wie viele andere Schiffe in der Region ge­rät es in Seenot. Als Kurt Austin, der mit dem NUMA-Schiff Condor zufällig in der Nähe ist, das hört, bleibt ihm fast das Herz stehen – denn Sienna ist eine alte Freundin und große Liebe von ihm. Die kluge Programmiererin hat sich damals kurz vor der gemeinsamen Heirat umentschlossen und Westgate geheiratet. Et­was, was Kurt ihm nie verziehen hat. Und nun sind sie alle in Lebensgefahr! Na­türlich hilft er und erreicht die Yacht.

Danach wird es alles … seltsam.

Die Yacht scheint verlassen, aber wieso erinnert sich Kurt Austin dann, als er von seinem Freund Joe Zavala in letzter Sekunde aus dem versinkenden Schiff gezogen wird, so alptraumhaft daran, dass er Sienna und ihre Tochter ertrunken hinter einer Glasscheibe hat treiben sehen, ohne sie erreichen zu können? Die Yacht selbst ist auf den Meeresgrund gesunken und nach Angaben der Küsten­wache in mehrere Teile zerbrochen.

Kurt Austin, der sich den Schädel angeschlagen hat, fällt für Monate aus und be­ginnt nun unter grässlichen Alpträumen zu leiden, in denen er immer wieder Siennas Tod sieht. Und doch … irgendwie fühlt sich das bizarr falsch an. Er will es einfach nicht glauben. Schlimmer noch: als er seine ehemaligen Geheim­dienstkontakte anzapft, erhält er Meldungen, nach denen eine Frau, auf die Sien­nas Beschreibung passen würde, im Iran gesichtet worden sein soll.

Das kann er sich nun erst recht nicht vorstellen.

Brian Westgate, der seltsamerweise weit von der Yacht entfernt auf einer Ret­tungsinsel gefunden wurde und ebenfalls traumatisiert zu sein scheint, hat sich nach dem Verlust seiner Familie wieder in die Arbeit gestürzt und Siennas großes Projekt zum Abschluss gebracht – die „Phalanx“, ein durch eine eigene KI generiertes digitales Schutzschild-Projekt, das die USA und befreundete Re­gierungen gegen Hackerangriffe schützen soll. Die einzige Person, die das ge­fährden könnte, ist eben Sienna. Aber sie ist doch offensichtlich tot.

Kurt Austin glaubt daran irgendwie immer noch nicht. Er lässt sich von der NUMA beurlauben und will in den Iran, um dort nach ihr zu suchen … selbst unter normalen Umständen ein lebensgefährliches Unterfangen, und er ist be­kanntlich immer noch angeschlagen, auch Monate nach dem Schiffsunglück.

Sein Chef, Dirk Pitt, dirigiert ihn stattdessen nach Dubai, wo Sienna kürzlich auch gesichtet worden sein soll … unter nicht weniger rätselhaften Umständen. Dort scheint sie mit einem Mann namens Rene Acosta zu tun zu haben, einem Händler dubioser Waren. Und es heißt, Acosta organisiere eine „Auktion“, auf der unter anderem hochrangige Hacker, die ebenso rätselhaft wie Sienna ver­schwunden sind, an Meistbietende verkauft werden sollen.

Alles ist sehr eigenartig, und nichts davon passt zu der Sienna, die Kurt gekannt hat. Er fragt sich, wie zum Teufel das alles zusammenpasst (und der Leser grü­belt mit). Aber es wird noch sehr viel haarsträubender.

Es gelingt ihm zwar, sich auf Acostas Yacht einzuschleichen, doch dort stößt er mit einer aufregenden Frau namens Calista zusammen, die ganz offensichtlich dasselbe Ziel verfolgt wie er – Sienna aus Acostas Gewalt zu befreien. Aber sie will das nicht aus humanitären Gründen heraus, sondern um eine Geiselnahme durch eine weitere zu ersetzen. Und dabei ist Calista absolut skrupellos, er­schießt vor Kurts Augen mehrere Wachmänner … und alarmiert Acosta!

Kurt blickt überhaupt nicht mehr durch. Und das wird noch schlimmer, als der Pfad von Dubai weiter nach Südkorea führt, zu einem hochgefährlichen Mann namens Than Rang, der offenbar der nächste in der Kette ist, an den Sienna wei­tergereicht werden soll. Worum es eigentlich geht, ist nach wie vor völlig unklar, und es wird immer schlimmer.

Parallel dazu kommen allmählich Zweifel an dem Yachtunglück der Ethernet auf. Die NUMA schickt die Condor vor Ort, und zwei Tauchboote gehen in die Tiefe, um das Wrack ausfindig zu machen.

Ein Wrack, das in der Tat nicht zerbrochen ist und noch mehr Geheimnisse birgt. Aber ehe sie die rätselhaften Details genauer in Augenschein nehmen können, beginnt das Expeditionsschiff auf einmal verrückt zu spielen, und auch die U-Boote am Meeresgrund scheinen ein bizarres Eigenleben zu führen und attackie­ren einander.

Was das genau alles miteinander zu tun hat und inwiefern selbst Kurt Austin und die anderen Mitglieder der NUMA wie Marionetten an langen Fäden eines intri­ganten, hinterlistigen Plangespinstes tanzen, das kommt erst sehr spät heraus. Und ohne dass das von Anfang an irgendwie zu erkennen gewesen wäre, spielt auch das „Geisterschiff“ Waratah darin eine wirklich sehr zentrale Rolle. Bis zu­allerletzt steht wirklich alles haarsträubend auf Messers Schneide …

Respektvoll muss ich nach dem Auslesen dieses Abenteuers sagen, das ich bedauerlicherweise – weil ich nicht mehr herauskam! – binnen zwei Tagen ver­schlungen habe, dass es sich hierbei um einen der rasantesten Cussler-Romane der letzten Jahre handelt. Natürlich gibt es da so zwei, drei Kleinigkeiten (etwa die Sache mit Calista gegen Schluss oder auch die Sache mit den Chips, zu de­nen ich nichts weiter sage, außer, dass es sich dabei um ein recht unverhohlenes Science Fiction-Element handelt), die grenzwertig waren und wo die Autoren­phantasie ein wenig überhitzt schien.

Sonst jedoch kann ich nur konstatieren, dass das Buch eigentlich alles hat, was man sich als Cussler-Fan wünschen kann: ein faszinierendes Rätsel der Vergan­genheit, das auf recht spektakuläre Weise aufgeklärt wird. Einen Schurken, der mit seinem kriminellen Verstand so weitläufig um die Ecke plant, dass selbst die klügsten Köpfe der Gegenseite völlig in die Irre geführt werden, und zwar buch­stäblich bis zu den letzten Seiten. Selbst die Schurken aus der „zweiten Reihe“, wie ich das mal nennen möchte, haben beeindruckendes Format und sind nicht die dumpfbackigen Hammel, die man leider so oft in Cussler-Romanen antrifft.

Auch die Locations – Madagaskar, Dubai, Südkorea im Wesentlichen – werden mit durchaus plausiblem Personal besiedelt, das als Sidekicks akzeptable Rollen erfüllt. Schwierigkeiten tauchen auf, die auf den ersten Blick unüberwindbar scheinen, aber durch erfinderische Raffinesse, was die Story weiter dramatisiert, überwunden werden können.

Besonders beeindruckend fand ich aber die kaltblütige Psychopathin Calista, die für Kurt ein mehr als ebenbürtiger Gegenspieler ist – und die sehr reale Gefahr durch Hackerangriffe und Fernlenkung aller möglichen Instrumente. Dabei ver­fielen Cussler und Brown nicht in plumpe Technophobie, sondern sensibilisier­ten den Leser durchaus für diese Problematik. Im Zeitalter von Fake News und einer immer umfassenderen Digitalisierungstendenz des Alltagslebens ist es in der Tat eine gefährliche Sache, sich kurzerhand nur auf die positiven Seiten der Computer (und seien es Handys oder die Bequemlichkeiten des Online-Ban­kings) zu kaprizieren und die Schwierigkeiten auszublenden, die damit einherge­hen.

Nachrichten können gehackt, Sendungen mit anderen Inhalten gefüllt werden. Konten sind im Nu leergeräumt oder mit Bestechungsgeldern gefüllt. Navigati­onscomputer können verrückt spielen, Schiffsmaschinen ferngesteuert werden … wer sagt uns, dass das nicht eines Tages bei unseren computervernetzten Hausgeräten ebenso sein wird? Oder bei Herzschrittmachern, die man von außen mit Signalen beeinflussen kann?

Ungeachtet also der Tatsache, dass der vorliegende Roman einen ziemlich abwe­gigen deutschen Titel trägt (auch der amerikanische trifft nur einen kleinen Teil der Geschichte und führt ebenso in die Irre), dafür aber ein recht passendes Co­ver, ist die geheimnisvolle, rasante Geschichte ein echter, sehr lesenswerter page-turner, der den Leser einfach mitreißt. Das umso mehr, als der Held Kurt Austin diesmal mit Handicaps ausgestattet wurde, die seine Handlungsfähigkeit deutlich einschränken.

Definitiv ein Roman, der mir sehr gefallen hat. Bin sehr gespannt auf weitere aus der Feder des Autorenduos.

© 2019 by Uwe Lammers

Na, wieder zu Atem gekommen? Und Feuer gefangen? Dann solltet ihr euch, mit Maske und unter Einhaltung der Corona-bedingten Regeln, auf den Weg in die nächste Buchhandlung machen. Das Buch müsste noch erhältlich sein. Und wer weiß, vielleicht gelüstet es euch dann, wenn ihr die Reihe der jüngsten Cussler-Romane seht, ja nach weiterem Lesefutter dieses Autors und seine Coautoren.

In der kommenden Woche kehren wir in das Genrefeld der Science Fiction zu­rück und in Peter F. Hamiltons „Commonwealth“-Universum. Im dritten Teil seines Zyklus geht die Invasion der Primes weiter, und im Innern wird ein Sabo­teur gejagt, an dessen Existenz nie jemand so bereitwillig geglaubt hat – der mörderische Starflyer.

Das solltet ihr nicht verpassen!

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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