Liebe Freunde des OSM,

Crossover sind seit Jahren in Mode, sowohl in der Literatur als auch mitunter in Filmen. Kümmern wir uns hier mal nicht um die Crossover in den Filmen von Marvel und DC, wo es sie zuhauf gibt und mit dem Gedanken an Multiversen geliebäugelt wird. Ein Gedanke, soviel sei zugestanden, der mir natürlich auch nicht fremd ist. Die ersten Alternativ- und Parallelweltgeschich­ten, die ich schrieb, datieren zurück in die frühen 80er Jahre, womit wir dann also schon 40 reale Jahre zurückgehen müssen.

Solche Phänomene kommen natürlich auch im Oki Stanwer My­thos vor … Seltenheitswert haben aber jene Projekte, in denen ich mich in Universen verirrte, die ich nicht selbst erdacht habe. Spontan fällt mir da aus der jüngeren Vergangenheit eigentlich nur die Story „Die Kugel-Invasion“ ein, wo ich das Personal der britischen BBC-Serie „Doctor Who“ bemühte.

Aber das ist nicht wirklich das, worum es heute geht. Und so ist dieses Projekt, über das ich diesmal schreiben möchte, doch et­was sehr Singuläres, aus mehrerlei Gründen.

Wie die Eingeweihten natürlich wissen, hat der nachmalige Sir Arthur Conan Doyle im ausgehenden 19. Jahrhundert den genia­len Detektiv und Autodidakten Sherlock Holmes ersonnen, der – sehr zu seinem eigenen Unbehagen – alsbald zu solcher Be­rühmtheit gelangte, dass es nicht einmal sein intendierter Tod in den Reichenbachfällen dem Verfasser ermöglichte, sich von dem Schatten des weltbesten beratenden Detektivs freizuma­chen. Er wurde stattdessen von der Öffentlichkeit gezwungen, weitere Fallgeschichten von Holmes zu ersinnen.

Auch nach seinem Ableben kam es zu vielfältigen Epigonenwer­ken bis in die Gegenwart, und die Geschichten des Sherlock Hol­mes füllen ohne Frage mit all ihren Nachauflagen und Varianten ganze Bibliotheken.

Vielleicht war es einfach nur eine Frage der Zeit, bis meine eige­ne Leidenschaft für Sherlock Holmes dazu führte, ihn in ein ei­genes Abenteuer einzuführen … allerdings in eines, das mich dann selbst völlig überrumpelte. Denn in dieser Geschichte, die zu meinen schwelenden Langzeitprojekten zählt, verirrt sich der grandiose, geniale Detektiv in die Welten des Oki Stanwer My­thos (OSM) … na ja, oder vielleicht verirren sie sich in seine Welt, das ist nicht so ganz klar zu sagen. Sowohl sein getreuer „Eckermann“, Dr. James Watson, wie auch ich als „Sprachrohr“ dieser Geschichte sind zurzeit jedenfalls noch etwas überfordert von dem, was sich daraus entwickelt hat bzw. noch entwickeln wird, wenn ich dazu komme, es weiter auszuformulieren.

Stichtag war der 14. August 2002. An diesem Tag spross der Ge­danke einer ziemlich wilden Idee in mir auf, und er brannte sich Bahn in einer damals recht fruchtbaren Phase meines Schrei­bens, die ich vielleicht kurz umreißen sollte, um begreiflich zu machen, inwieweit der Zeitpunkt dieses Keimens gerade zur rechten Zeit kam. Das könnte auch erklären, warum diese Ge­schichte dann zu einem bislang noch nicht beendeten Langzeit­projekt wurde.

Im Sommer des Jahres 2002 hatte ich gerade meine Magister-Abschlussprüfung hinter mir und befand mich in einer Phase der akuten Arbeitslosigkeit, der noch viele weitere folgen sollten. Doch das war damals nicht absehbar. Parallel dazu erholte ich mich von der kreativen Ermattung des Archipel-Romans „Rhondas Weg“, den ich am 1. Oktober 2001 auf Seite 1876 (!) abgeschlossen hatte … vorzeitig abgeschlossen, ohne den dra­maturgischen Handlungspfad abgerundet zu haben. Ich war schlicht und ergreifend ausgepowert und steckte bereits im An­fang des Folgeromans „Rhondas Reifejahre“, der meine Auf­merksamkeit bis Frühjahr 2010 (!) fesseln sollte.

Der Start der stürmischen nächsten OSM-Serie „Oki Stanwer und das Terrorimperium“ (TI) sollte erst im November 2003 be­ginnen. Insofern konnten meine Gedanken also vagabundieren, und verblüffenderweise verirrten sie sich lektüretechnisch mal wieder zu Sherlock Holmes … und in den OSM. Und dann las ich nochmals ein Buch über den so genannten „Tunguska-Zwi­schenfall“ von 1908.

Das zusammen ergab auf eine schwer nachzuvollziehende Wei­se eine faszinierende Melange. Ich wusste verschiedene Gedan­kenpfade vor mir, die folgendes Bild zeichneten:

1) Im Jahre 1908 ereignete sich in Sibirien im Bereich der Steini­gen Tunguska eine monströsen Explosion, deren Ursache bis heute umstritten ist.

2) Der polnische Phantast Stanislaw Lem spekulierte in seinem Roman „Die Astronauten“ anno 1950 darüber, dass hier ein Invasionsschiff vom Planeten Venus gestrandet sein könnte. An­dere Theorien gingen von Kometeneinschlägen, einem Mikro-Black Hole, Antimaterie und noch seltsameren Vorstellungen aus.

3) Ich wusste außerdem, dass Sherlock Holmes anno 1914 schon in Südengland Bienen züchtete, aber für letzte Abenteuer im Rahmen des Ersten Weltkrieges reaktiviert wurde.

Prinzipiell gab es hier also ein temporales Überschneidungsfens­ter, das es ermöglichen würde, Holmes im Jahre 1908 tätig wer­den zu lassen. Nur: was sollte das für eine Form von Interaktion sein? Holmes interessiert sich bekanntlich nicht für stellare Phä­nomene, ebenso wenig für Aliens (auch wenn so etwas in man­chen Epigonengeschichten durchaus dann und wann vor­kommt). Was sollte er also mit dem Tunguska-Fall anfangen? Und, noch schlimmer, was sollte ein reichlich tatteriger Holmes da tun, außer in Ausübung eines lebensgefährlichen Abenteuers zu sterben?

An diesem Punkt griffen meine OSM-Gedanken, und sie ergaben gleich auf mehrfache Weise Sinn.

Stellen wir uns vor, überlegte ich, dass aus irgendeinem eigen­tümlichen Grund in irgendeinem OSM-Paralleluniversum (!) die Literaturfigur Sherlock Holmes reale Gestalt besitzt.

Stellen wir uns ferner vor, dass es – wie nachgewiesen im OSM – transuniversale Zeitreisen gibt.

Dann wäre es möglich, vorausgesetzt, es gäbe einen Grund, den welt­besten beratenden Detektiv der Welt zu konsultieren, einen Fo­kus für eine beeindruckende Geschichte, die

a) eine Zeitreise-Geschichte innerhalb einer Zeitreise-Geschich­te wäre;

b) ein Sherlock Holmes-Abenteuer und

c) sich um eine fundamentale Gefahr aus dem späten OSM dre­hen würde.

Klang nach einer wilden Story. Und ich war schon am Schreiben. Werfen wir mal einen Blick in das Fragment, soweit es bis heute schon existiert, ehe ich noch ein paar weitere Plotgedanken an­füge.

In der Einleitung heißt es wie folgt:

Der ursprüngliche Titel des Manuskripts lautete „Das Abenteuer des reisenden Inkaprinzen“, aber das ist so offenkundig irreführend, dass ich mich entschied, das eigentliche Thema ins Zentrum zu stellen und die Geschichte mit einem neuen Titel zu versehen. Mein Großvater möge mir das nachsehen, wenn es tatsächlich seine Finger waren, die dies zuerst niederschrieben.

Und weiter geht es dann nach einer Weile folgendermaßen:

„Vertrauen Sie mir, Watson“, erzählte Holmes mir unmittelbar nach un­serer Rückkehr aus den fernen Gefilden, „wirklich, vertrauen Sie mir – nie­mand wird Ihren Worten Glauben schenken. Denken Sie an unsere Reputa­tion. Denken Sie auch an Mary und Ihre Zukunft.“

Ich weiß, ich hätte nicht überrascht sein sollen, aber dennoch entsinne ich mich noch sehr deutlich, wie völlig perplex ich ihn anschaute. Obgleich gerade aus Todesgefahr entronnen, hatte sein messerscharfer Verstand nichts von all den Dingen übersehen, die ihm aufgefallen sein mussten, als Mary und ich uns verabschiedeten. Zweifelsohne hatte er das Leuchten in meinen wie ihren Augen gesehen, gewiss waren Holmes subtile Zeichen unserer Körpersprache aufgefallen, die uns so deutlich verrieten, als ob wir unsere Herzen offen für jedermann zur Schau stellten.

Wenige Monate später waren Mary und ich verheiratet, und alles, was Holmes und ich an diesem Septemberabend erlebt hatten, schien nichts als ein blasser, substanzloser Alptraum zu sein. Aber wir hatten die Versi­cherung unserer … Besucher, dass das Abenteuer nicht folgenlos sein wür­de. Und dann war da das Datum.

„Wir haben zwanzig Jahre, Watson. In zwanzig Jahren, im Dezember 1908, da dürfen Sie über all diese Dinge schreiben, doch nicht vorher. Ver­sprechen Sie mir das, bei allem, was Ihnen heilig ist!“, ließ Holmes mich schwören, was er sehr selten tat – und ich schwor. In all diesen Jahren habe ich nicht ein Sterbenswörtchen über das verloren, was wir in jener Stunde im September 1888 taten oder sahen.

Ich gestehe, im Herbst 1904 wurde ich schwankend. Ein junger Patient, der um meine Begeisterung für den technischen Fortschritt wusste und dem meine geistige Regsamkeit sehr gefiel, brachte mir in die Praxis ein kleines Büchlein von einem inzwischen angeseheneren Schriftsteller. Ein absonderliches Buch mit dem Titel „The Time-Machine“, das von einer fins­teren Reise in eine ferne, unmenschliche Zukunft berichtet. Eine nette Un­terhaltungslektüre, die sogar einen reichlich kitschigen Schluss enthält, wenn man mir die Beurteilung gestattet. Doch Mr. Wells ist nie wirklich durch die Zeit gereist … und ich kann ihm aus eigener Anschauung versi­chern, dass sie mit solcher Spielerei, wie er sie beschreibt, niemals zu er­möglichen wäre.

Eine wirkliche Reise durch die Zeit ist nichts, wofür Menschenseelen ge­macht sind. Wesen sind dort unterwegs, die über die Kräfte der Zeit gebie­ten, Wesen auch, denen sich unsere schwache Spezies besser nicht in den Weg stellt. Und doch kam es an dem Abend, über den ich berichten will, zu einer denkwürdigen Begegnung zwischen unseren so verschiedenen Wel­ten. Eine Begegnung, die wenigstens Holmes und mich bis ans Ende unse­res Lebens zeichnen sollte.

Ein exotischer Gast

Ich entsinne mich noch gut, wie dies alles begann.

Mary Marston und ich kannten uns, wie gesagt, erst seit wenigen Tagen, aber wir waren so vertraut miteinander, als ob wir im gleichen Kinderzim­mer aufgewachsen seien. Wahrscheinlich war uns beiden schon damals klar, dass das Schicksal uns füreinander ausgewählt hatte. Am frühen Abend hatten wir eine muntere Komödie im Theater besucht, uns hervorra­gend amüsiert und waren den Rückweg zu meinem Heim in der Baker Street 226b dann geschlendert. Von dort wollte Mary eine Droschke neh­men, um nicht in der nebligen Londoner Nacht Gefahren auf sich zu neh­men. Wie jedermann heute weiß, war London den damaligen Tagen, zumal nachts, ein durchaus gefährliches Pflaster.

Holmes erwartete mich vor unserer Haustür. Das alleine versetzte mich in Erstaunen, denn ich nahm eigentlich an, dass er im Wohnzimmer in sei­nem Sessel sitzen und Pfeife schmauchen würde, um an seinen neuesten Nachforschungen über den Fall des Whitechapel-Mörders nachzusinnen. Unser Freund Lestrade vom Scotland Yard hatte ihn insgeheim um Hilfe ge­beten, und gelegentlich gab Holmes offen zu, dass ihn dieser Fall intellek­tuell sehr fordere. Davon soll heute aber nicht die Rede sein.

Ich sah mich außerstande, eine Frage an meinen Freund zu richten, wie­wohl ich den Mund öffnete, um es zu tun. Aus seinen kühlen grauen Augen blickte er mich an, sehr gefasst, wie mir schien, vielleicht sogar ein wenig amüsiert, und dann meinte er zu mir: „Kommen Sie, Watson. Wir haben Besuch. Ich denke, Sie werden ihn gerne kennen lernen.“

„Lestrade …?“, setzte ich an, in Gedanken noch halb bei Mary, doch dann kam mir zu Bewusstsein, wie absurd jener Gedanke war – Lestrade vom Scotland Yard war mir ja seit Jahren wohl vertraut, seit jenem schreck­lichen Fall mit den beiden ermordeten Mormonen.1

Holmes würdigte meinen wenig intelligenten Kommentar folgerichtig auch keiner Antwort. Es ist bekannt, dass er überflüssige Worte nicht schätzte. Und Nachfragen waren nicht nur in diesem Fall nutzlos.

Wir betraten unseren Wohnraum, und sogleich wurde ich des Mannes ansichtig, der uns erwartete. Es musste jener Besucher sein, den Holmes gemeint hatte. Er stand am Fenster und drehte sich bei unserem Eintreten um. Unverzüglich schätzte ich ihn ein. Mir war klar, dass Holmes gleich wieder eine Kostprobe seiner unvergleichlichen Deduktion erbringen wür­de, die ich selbst nach jahrelanger Übung nur mit Hilfe und höchst ungenü­gend nachvollziehen konnte. Also lag es an mir und dem ersten Eindruck, darüber klar zu werden, woher unser Besucher wohl kommen mochte und was sein Begehr war.

Dass er kein Londoner war, erkannte ich auf den ersten Blick. Er war sehr hochgewachsen, schätzungsweise sechs Fuß, eher etwas größer. Ein stattlicher Mann mit breiten Schultern, scheinbar schlank gewachsen, aber von den Bewegungen her katzenhaft geschmeidig. Dabei strahlte er die herrische Energie aus, die einem Aristokraten zu Eigen ist und die mir stets schwer zu definieren fiel – man spürt dergleichen einfach, wenn man den betreffenden Personen gegenübersteht. Solche Menschen beherr­schen den Raum, sobald sie ihn betreten. Auch die beherrschte, stolze Hal­tung unseres Gastes deutete edles Geblüt an.

Am auffallendsten fand ich das Gesicht: es besaß eine lederartig ge­gerbte, braune Hautfarbe, wie ich sie noch nie beobachtet hatte, am ehes­ten noch vergleichbar mit denen von Stammesältesten in Afghanistan … doch die langen, bartlosen Gesichtszüge, die kräftig hervorspringende Nase und die streng zurückgekämmten, lackschwarzen Haare, die einen Stich ins Bläuliche besaßen, straften diesen Eindruck Lügen. Nie und nim­mer war das ein Araber von den Hängen des Hindukusch. Sie zeichneten sich zumeist durch einen schwarzen Vollbart aus und besaßen einen ande­ren Habitus. Eher hätte er ein Indianer Nordamerikas sein können, doch kam mir das zu abwegig vor. Die Augen dieses Mannes, stechend und klar wie Edelsteine, schienen von graugrüner Farbe zu sein und enthielten eine hohe Intelligenz.

Die Kleidung selbst stammte aus der Saville Row, das war zu erkennen, ein klares Indiz dafür, dass er Geld besaß und aus vermögenden Verhält­nissen stammte. Also ein ausländischer Diplomat vielleicht, zweifellos mit militärischem Hintergrund, wenn man seine tadellose Haltung berücksich­tigte, der Holmes diskret inkognito aufsuchte?

Meine Neugierde war geweckt.

„Mrs. Hudson war so freundlich, Sie einzulassen“, begann Holmes nach einer kurzen Begrüßung, bei der er mich vorstellte, den Fall. „Zweifellos sind Sie erschöpft von der langen Reise, und das feuchte Londoner Klima trägt nicht eben zu Ihrem Wohlbefinden bei. Ich denke aber dennoch, dass Sie uns Ihren Fall ein wenig genauer ausbreiten sollten, als Sie es in Ihrem Schreiben in Erwägung gezogen haben. Auch wenn Sie der Ansicht sind, dass Zeit das wenigste ist, was wir besitzen.“

Wie so oft bei Holmes´ Klienten gelang es meinem Freund auch diesmal, unseren Besucher aus dem inneren Gleichgewicht zu bringen. Aber er hielt sich mustergültig, gemessen an anderen Klienten meines Freundes. Nur ein kurzes Flackern in seinen Augen deutete an, dass er überrascht war. Ein Funke Unwillen schien darin aufzuglimmen. Ein stolzer, beherrschter Mann, kein Zweifel.

„Ich bin sicher“, erwiderte er in tadellosem Englisch, indes mit einem harten Akzent, der deutlich machte, dass er das Befehlen gewohnt war, „dass Ihre Fähigkeiten Ihnen mehr über meine Herkunft verraten haben, als Sie bisher preisgegeben haben, Mr. Holmes.“

„Natürlich.“ Holmes lächelte schmal, nahm die Herausforderung in den Worten des Fremden an. Er schien dergleichen erwartet zu haben, und wie üblich genoss er das Messen der Geisteskraft mit dem Kunden. Fast ein wenig gelangweilt fuhr er nun fort und setzte mich in Erstaunen: „Ich wür­de vermuten, dass Sie mit der Atmung deshalb Probleme haben, weil die Höhenluft in Cuzco nun einmal dünner ist als hier. Auch ist Nebel dort nicht gar so oft anzutreffen wie bei uns in London. Ihre Akklimatisierung lässt zu wünschen übrig … ein interessantes Indiz, wenn man den Reiseweg be­denkt.“

„Er ist weiter, als Sie glauben.“ Diesmal sah der Besucher schon merk­lich blasser aus. Holmes´ verbale Hiebe, denen ich vorsichtshalber nur passiv lauschte, hatten ihn getroffen.

„Ja, der erste Anschein trügt oft, nicht wahr?“

Holmes wandte dem Besucher in seltsamer Rücksichtslosigkeit den Rücken und wärmte sich die Hände am offenen Kaminfeuer – eine Geste, die so unnütz wie interessant war. Schließlich war er nicht lange genug draußen vor der Tür gewesen, um sich kalte Hände zu holen. Es sei denn, Holmes hatte, während Mary und ich im Theater gewesen waren, noch ei­nen weiteren Ausflug gemacht …

Ich konnte diesen Gedanken nicht weiter verfolgen, denn er sprach schon weiter.

„Sie könnten allerdings Ihre Ziele ein wenig beschleunigen, wenn Sie mit mir direkt sprächen“, sagte Sherlock Holmes auf einmal in einem un­gewöhnlich eisigen Tonfall, ohne sich indes umzudrehen. „Es sei denn, Sie möchten auch weiterhin, dass Ihr Diener Sie vertritt!“

„Ich bin kein …“, fuhr der hochgewachsene Südamerikaner zornig auf. Doch was dann geschah und seine Rede jählings unterbrach, verschlug mir die Sprache, weil ich mit so etwas nie im Leben hatte rechnen können.

Eine … ja, höchst eigenartige Stimme erklang, die niemandem von uns dreien gehörte und dennoch im Raum ertönte, und sie erklang aus nächs­ter Nähe. „Ihre Ansichten von unserem Verhältnis sind irreführend, Sher­lock Holmes. Aber in Anbetracht Ihrer Erfahrungen sind sie natürlich na­heliegend.“

„Großer Gott, Holmes!“, rief ich bestürzt aus und suchte das Zimmer mit hastigen Blicken ab, ohne jedoch eine verborgene Person zu entdecken. „Was war denn das? Ist unser Gast etwa Bauchredner?“

Das schien mir die einzig sinnvolle Erklärung zu sein. Der Schrecken hat­te jedenfalls gesessen, das kann ich nicht bestreiten. Mit derlei Überra­schungen hatte ich ungeachtet meiner langen Bekanntschaft mit Holmes nun wirklich nicht rechnen können. Vermutlich sah ich selbst etwas blass um die Nase aus, doch war das wirklich noch gar nichts im Vergleich zu dem, was noch folgen sollte.

Holmes drehte sich um, und seine Augen funkelten erfreut, triumphie­rend vielleicht gar. „Durchaus nicht, bester Watson.“

An den offensichtlich leeren Lehnstuhl gewandt, Holmes´ liebsten Sitz­platz, fügte er hinzu: „Sie können sich zeigen. Ihre seltsamen Taschenspie­lertricks verfangen bei mir nicht.“

„Interessant“, sagte jene schnarrende, fremdartige Stimme, bar jedwe­der Emotion. Und dann erschien der Sprecher. Ich vermag es nicht anders zu sagen.

Der zweite Besucher

Selbst aus einer zeitlichen Distanz von so vielen Jahren verspüre ich noch diesen Anflug des unbeschreiblichen Grauens, wenn ich an die fol­genden Minuten denke. Minuten, die mir oftmals schweißnasse Nächte ein­trugen, in den Monaten, die den Ereignissen folgten. Eine unumgängliche Sache, denn natürlich mühte sich mein kleiner Menschenverstand, diese Dinge zu begreifen und zu verarbeiten, denen wir teilhaftig geworden wa­ren. Vergebens, möchte ich betonen, zumeist völlig vergebens. Manche Er­eignisse und mancherlei Kenntnisse sind nicht von der Art, wie Menschen sie kennen oder verstehen sollten, wenn sie ihrer geistigen Gesundheit Herr bleiben wollen.

Mary machte sich in solchen Momenten, wenn ich zitternd aus dem Schlaf schreckte, unumgänglich Sorgen und nahm natürlich an, mich plag­ten die finsteren Erinnerungen an Afghanistan … ah, sie hätte nicht weiter von der Wirklichkeit entfernt sein können. Und ich konnte ihr doch so gar nichts davon sagen, ich hatte es Holmes immerhin geschworen, und ich bin ein Ehrenmann, der stets sein Wort hält … wobei er nicht müde wurde, mir zu erläutern, dass dies bei meiner Spielleidenschaft ein höchst nachtei­liger Zug ist. Auch damit hatte Holmes selbstverständlich Recht.

Ich konnte also nicht anders, als meine geliebte Mary in solchen Augen­blicken des nachlassenden Schreckens in der Nacht mit schlechtem Gewis­sen über die Gründe meiner Alpträume zu belügen. Ich tat es nur um ihres Seelenfriedens willen, Gott ist mein Zeuge.

Aber ich war in jenem Moment verharrt, wo unser Sprecher in Erschei­nung trat.

Ich sagte, der Lehnstuhl, in dem Holmes sonst Platz zu nehmen pflegte, sei leer gewesen … ich wünschte wahrlich, das hätte gestimmt. Der erste Anschein hätte jeden Betrachter getäuscht. Aber es verhielt sich grundle­gend anders, und Holmes hatte es aus einem mir unklaren Grund sofort bemerkt. Wir hatten nämlich nicht nur einen Besucher, sondern zwei. Einer war von Mrs. Hudson angemeldet worden, der seltsame Südamerikaner, den ich immer noch nicht so recht einzuordnen verstand. Das andere We­sen hingegen … ich bezweifle, dass es auf so etwas wie Türen auch nur an­gewiesen war. Später sollte ich erkennen, dass nicht einmal das Wort „Le­ben“ auf diese Kreatur zutraf.

Es war ein höchst unheimlicher Moment, zu sehen, wie sich in dem Lehnstuhl vor meinen entsetzten Augen etwas … ja … kondensierte, möch­te ich sagen, das wie aus einer Phantasie aus Tausendundeiner Nacht ent­sprungen schien: es handelte sich um ein graues Wogen aus geruchlosem Nebel, das etwa in der Höhe der Brust eines sitzenden Mannes begann und sich dann auf gespenstische Weise auf den ganzen Sessel ausdehnte, ehe es sich wieder … ja, quallenartig zusammenzog und die Konturen einer schlanken, aber absurd hoch gewachsenen Person nachzeichnete.

Das Wesen, das keinerlei Gesicht und auch sonst nichts konkret Erkenn­bares an sich hatte und dessen Betrachtung mir die Augen schmerzen ließ, weil ich weder imstande war, es genauer in Augenschein zu nehmen, aber offensichtlich auch keine Art von Sehschwäche vorlag, wie ich sie gele­gentlich bei meinen Patienten zu examinieren und zu konstatieren habe – namentlich bei älteren Menschen, natürlich – , also, dieses ungeheuerliche Wesen schockierte mich. Ich wich unwillkürlich vor dem Lehnstuhl zurück und wurde erst von der Standuhr aufgehalten, die an der Wand hinter mir stand.

Ich bin sonst nicht schreckhaft, wirklich nicht, und jeder Leser meiner Geschichten weiß, dass ich durchaus zu beherztem Handeln in dramati­schen Situationen fähig bin. Doch hier sah ich mich völlig außerstande, so etwas wie Mut zu demonstrieren oder auch nur die übliche Gelassenheit zur Schau zu stellen. Das kann nicht Wunder nehmen.

Ich meine … natürlich, wir leben in England, und ich bin mit den ganzen Volkssagen aufgewachsen, mit den Märchen und Legenden, mit den klaren Aussagen der Heiligen Schrift zur Macht des Satans und seinen verführeri­schen Kreaturen … aber, so wahr mir Gott helfe, solch ein Wesen hatte ich noch nie gesehen. Es war mir nur ein schwacher Trost, als ich feststellte, dass es Holmes ganz genauso ging. Ich war wie versteinert und konnte ei­gentlich an gar nichts mehr denken.

Dieses Wesen … es war größer als der Südamerikaner, erheblich größer. Sicherlich acht Fuß, würde ich aus der zeitlichen Distanz schätzen, eher noch etwas höher. Der rauchige Kopf, ein obskures, glattes Oval, ragte über die obere Lehne des Lehnstuhls deutlich hinaus. Die Arme, sicherlich nicht unter vier Fuß lang, eher noch etwas länger, liefen in Hände aus … oder rauchige Analoga von Händen, die sich auf eine schmerzlich anzuse­hende Weise ruhelos bewegten. Ich musste wirklich wegschauen, weil ich es nicht ertragen konnte. Ich gestehe, mein Magen revoltierte bei diesem so grauenhaften Anblick.

Abgesehen von diesen Absonderlichkeiten war diese … Kreatur eigent­lich schon entfernt menschlich. Ich will damit sagen: sie besaß zwei Arme und zwei Beine, natürlich, auch einen Kopf oder etwas Vergleichbares. Aber abgesehen davon … nein, ansonsten war „menschlich“ das wirklich allerletzte Attribut, das man diesem Wesen zuschreiben konnte. Und leider war das alles nur der Beginn. Der erste Anschein trog in diesem Fall über­haupt nicht, sondern verharmloste, was diese Kreatur tatsächlich darstell­te, was sie intendierte und tun würde.

Holmes kam zu mir herüber, packte mich an den Schultern und setzte mich in den anderen Sessel. Er murmelte mir beruhigende Worte zu, und wahrlich, das hatte ich auch dringend nötig. Ich war völlig außer mir und stand vermutlich kurz vor einer Ohnmacht. Er sagte mir später, ich sei fahl wie ein Stück Kreide gewesen, und das glaubte ich ihm auf der Stelle. Der Himmel mag wissen, was geschehen wäre, wenn mir Holmes nicht gleich darauf einen Brandy gereicht hätte, den ich mit zitternden Fingern herun­terschüttete, als ob es sich um Wasser handelte. Sonst nehme ich mir da­für deutlich mehr Zeit. Es war wirklich ein exquisiter Brandy.

In all dieser Zeit machten die beiden Besucher keine Anstalten, uns ir­gendetwas zu erklären. Und Holmes, der nun zwar ein wenig blasser aus­schaute, sonst aber sehr gefasst war, tat seinerseits noch nicht den ersten Schritt. Er wartete, bis ich mich von dem Schock erholt hatte, und das fand ich sehr nobel von ihm.

Ich glaube, ich hatte in den folgenden Minuten viel von einem Fisch an mir – es verschlug mir gänzlich die Sprache, was geschehen war, und die Diskussion selbst kam mir so … so absurd vor, wenngleich ich Holmes´ Standpunkt bestens verstehen konnte. Und es fällt mir selbst jetzt schwer, alles der Reihenfolge nach zu beschreiben, was damals geschah. Mag sein, dass ich im Alter etwas geschwätzig und fahrig geworden bin und es mei­nen Lesern der Zukunft damit schwerer mache, meinen Gedankengängen zu folgen … gleichwohl sind solche Unterbrechungen einfach notwendig, um meinen inneren Widerwillen niederzukämpfen, der mich ergreift, die­ses unweigerliche Entsetzen, das mir die Haare zu Berge stehen lässt, ja, selbst heute noch, wo ich weiß, wie knapp wir dem Untergang entkommen sind …

Doch mich treibt auch die Überzeugung an, dass dies nicht einfach alles vergessen werden sollte. Es mag nämlich sehr wohl sein, dass weitere … Wesen dieser Art erscheinen, irgendwann. Und vielleicht sprechen dann nicht die positiveren von ihnen zuerst mit uns, sondern womöglich versu­chen uns dann jene, die ich als „die Bösen“ bezeichnen möchte, gleich Sa­tan in der Bibel … die Folgen wären unübersehbar, und das alles ist noch sehr dezent formuliert, so wahr mir Gott helfe!

Doch ich sollte wieder in meinem Bericht zurückkehren in unseren hei­meligen Salon an jenem Septemberabend in der Baker Street 221b, zu je­nem scharfzüngigen Disput, den sich mein Freund Sherlock Holmes mit je­nem nebelhaften Wesen lieferte. Ah, ich versuche mich genau zu erinnern, möchte mich aber für den Wortlaut nicht mehr restlos verbürgen. Es ist doch schon sehr lange her, und ich muss mich allein auf mein trügerisches Gedächtnis stützen.

Mein Freund Sherlock Holmes ertrug diese … Zurschaustellung oder Ent­hüllung oder wie immer man das nennen kann, dessen wir Zeuge wurden, ungleich besser als ich, das sagte ich schon. Zweifelsohne arbeitete sein messerscharfer Verstand fieberhaft, um zu ergründen, wie das, was wir hier sahen, mit unseren naturwissenschaftlichen Kenntnissen zu erfassen sein mochte. Nun, wie wir bald erleben sollten, war es das überhaupt nicht, und womöglich reagierte er aufgrund dieses undurchdringlichen Mysteriums etwas zu gereizt.

Ich konnte ihn an jenem Abend allerdings bestens verstehen. Vielleicht niemals sonst habe ich die Worte unseres unheimlichen Besuchers passen­der gefunden, als in dem Moment, wo er dann über das Prinzip der Erwar­tung sprach. Wahrlich, in dieser Hinsicht waren wir – und ich spreche von uns Menschen – beklagenswert kurzsichtige Wesen, unvollkommen eben, wie es in der Heiligen Schrift steht, fehlerbehaftet. Womit ich indes nicht behaupten will, dass jene anderen Wesen, mit denen wir es zu tun beka­men, moralisch in irgendeiner Weise besser gestellt wären. Daran konnten wir später mit Fug und Recht zweifeln. Doch ich greife den Dingen vor.

„Haben Sie einen Grund für eine derartig … aufwendige Tarnung?“, er­kundigte sich Holmes ein wenig mühsam bei unserem schattenhaften Gast.

„In der Tat, Mr. Holmes“, sagte das fremdartige Etwas, das ich als unse­ren zweiten Gast bezeichnen möchte, wiewohl es kaum etwas Menschli­ches an sich hatte. Ich kann aber bestätigen, dass die Kreatur ein perfek­tes Englisch sprach und – abgesehen von dem doch sehr … auffälligen Äu­ßeren – im normalen Umgang des städtischen Lebens kaum aufgefallen wäre. Jedenfalls ging ich zu jenem Zeitpunkt noch ganz davon aus. Ich soll­te mich auch hierin täuschen, aber das war noch nicht absehbar. „Ich habe mächtige Feinde und darf mir keine Blöße geben.“

„Sie wären also nicht bereit, diesen … Schleier abzulegen? Ich neige dazu, meinen potenziellen Klienten ins Gesicht zu sehen“, meinte Holmes, und noch immer klang er etwas gereizt. Er hatte noch keine Lösung des Problems gefunden, ganz egal, was er vorhin gesagt hatte, ich konnte es spüren. Ich war ihm leider keine Hilfe. Aber es ist anzunehmen, dass er davon auch nicht ausgegangen war.

„Das ist nicht möglich.“

„Dann wüsste ich nicht, was wir zu besprechen hätten …“

„Seien Sie nicht so voreilig, Mr. Holmes!“, fuhr der Südamerikaner jetzt auf und trat einige Schritte auf meinen Freund zu. Fast kam es mir vor, als versuche er, ihn mit seiner schieren Körpergröße einzuschüchtern.

Ich erinnerte mich an diverse Erfahrungen, die Holmes mit Ganoven ge­habt hatte, die eine ähnliche Statur besaßen, und ich wusste, dass er nicht in allzu großer Gefahr schwebte. Bekanntlich war Holmes ein ausgezeich­neter Boxer und tätlichen Attacken in der Regel gut gewachsen, selbst wenn er sie nicht von sich aus sucht. Seine favorisierte Waffe ist der schar­fe Verstand. Doch selbst wenn unser südamerikanischer Gast die Absicht gehabt hätte, tätlich zu werden, wäre ich Holmes in meinem benommenen Zustand kaum eine Hilfe gewesen, um ihm Beistand leisten zu können. Im­mer wieder irrte mein Blick zu dem monströsen zweiten Besucher hin, der bis auf seine wimmelnden Hände auf den Lehnen (oder was immer das an­stelle von Händen sein mochte!) völlig ruhig dasaß. Das hatte entnervende Züge, fand ich.

Die Situation hatte eine Menge von einem bizarren Fiebertraum an sich. Leider war ich überzeugt, dass genau dies gerade nicht der Fall war – und daraus resultierte wohl ein Gutteil meiner Lähmung.

„Hören Sie, Mr. Holmes“, begann der Südamerikaner wieder. „Sie haben keine Vorstellung, was auf dem Spiel steht …!“

„Nein, da haben Sie vollkommen Recht. Aber ich weigere mich, mit maskierten Personen mehr als nur Höflichkeiten zu wechseln. Sie suchen mei­nen Ratschlag und meine Hilfe, und ich bin ein beratender Detektiv, der glücklicherweise in der Situation ist, sich seine Klienten aussuchen zu kön­nen“, beharrte Sherlock Holmes und wurde zunehmend verschlossener. „Ich glaube, ich habe soeben das Interesse an diesem Fall verloren …“

Der ledergesichtige Aristokrat aus Cuzco fuhr zu dem zweiten Besucher herum, und seine Stimme klang frustriert und vorwurfsvoll. „Sie haben das gewusst! Sie wussten, dass das nutzlos sein würde! Wir vergeuden hier nur unsere Zeit!“

„Nein. Sie sind zu ungeduldig, Tupac Yara. Wenn unsere Gastgeber wüssten, was wir wissen, würde ihnen absolut klar sein, dass sie koope­rieren MÜSSEN. Ich stufe Mr. Sherlock Holmes nicht als ein Wesen ein, das über die Grenzen seiner Spezies hinweg suizidär veranlagt wäre.“

Das klang mir dann doch sehr nach einer Beleidigung, und ein schneller Blick zu Holmes zeigte mir, dass er das ganz genauso sah.

Die Situation erstarrte.

Der Südamerikaner … Tupac Yara – wenn man genau war, musste man Lord Tupac Yara sagen, aber das erfuhr ich erst etwas später – brachte die Diskussion dann wieder in Gang, aber mit einem seltsamen verbalen Faux­pas seinerseits. Ich bin nicht sicher, ob ich das richtig verstanden habe. Er meinte jedenfalls gegenüber dem Schattenwesen, das ihm ganz offen­sichtlich übergeordnet war: „Ich bleibe dabei. Wir vergeuden hier unsere Zeit mit DEGENERATION …“

Das forderte sofort eine scharfe Zurechtweisung heraus, die auch schlagartig kam. „Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass Sie taktvoller sein sollen im Umgang mit unseren Gastgebern! Vergessen Sie für den Mo­ment derartige Kategorien des Denkens, dafür haben wir tatsächlich kei­ne Zeit. Solche Dispute werden die Diskussion nur unnötig erschweren. Es kommt auf Kooperation an, nicht auf eine minimalistische Konfrontati­on unter Wesen, die eigentlich in ihren Zielen einig sein sollten. Es ist al­lein auf das mangelnde Wissen von Mr. Holmes und Mr. Watson zurückzu­führen, dass sie so … hartleibig sind. Sagt man so? Ja, ich denke schon.“

Das Wesen hob eine Hand – oder was immer das sein mochte – , eine Geste, die mir fast den Magen umdrehte. Ich musste mich sehr konzentrie­ren, um nicht unschicklich aus der Rolle zu fallen, und wahrhaftig, es fiel mir außerordentlich schwer!

Dann gab das Schattenwesen einen klaren Befehl: „Berichten Sie unse­ren Gastgebern, Tupac Yara, was sie wissen müssen, und werden Sie ge­nauer als in dem Schreiben, das Mr. Holmes erhalten hat. Und halten Sie sich dabei präzise an die Instruktionen!“

„Zu Befehl!“ Der Südamerikaner tat sich sichtlich schwer damit.

Er drehte sich zu Holmes und mir um, zwang sich dazu, ein einigerma­ßen freundliches Gesicht zu machen und erklärte: „Hören Sie uns bitte erst einmal an … und urteilen Sie anschließend, wie Sie zu der Sache stehen, Mr. Holmes. Einer Ihrer Literaten hat wohl einmal geschrieben ‚Hinauswer­fen kann ich die Leute immer noch’, und damit hat er Recht gehabt …“

„Ich höre“, sagte Holmes kühl. Sein Gesicht war undurchdringlich.

Tupac Yara atmete tief durch, und seine Augen blitzten wütend. Er war es spürbar nicht gewöhnt, so behandelt zu werden. Und es gefiel ihm auch überhaupt nicht, dass sich an Holmes skeptischer und abweisender Miene wenig änderte, während er erzählte, warum sie hier waren …

Tja, das Fragment geht natürlich noch deutlich weiter, es ist im­merhin bis zum Jahre 2013 schon auf 21 Skriptseiten angewach­sen. Aber jenseits dieses interessanten Auftakts geht es im Kern um Folgendes:

Die Besucher des Detektivs sind Zeitreisende aus der fernen Zukunft, wobei jenes schattenhafte Wesen ein so genannter GRALSJÄGER ist. Sie rekrutieren Holmes und Watson, weil sich ihrer Welt aus der Zukunft eine vernichtende Macht nähert. Um sie abzufangen, ist allerdings eine Zeitreise ins Zeitfenster des Jahres 1908 und nach Sibirien vonnöten. Die Handlungen, die Holmes, Watson, der „reisende Inkaprinz“ und der GRALSJÄGER ausführen, gehen später als die Tunguska-Explosion in die Ge­schichte dieser Welt ein.

Während ich schon eine recht genaue Vorstellung davon habe, welcher Natur diese Bedrohung ist, tappe ich leider noch ziem­lich im Dunkeln, welche Rolle Holmes und Watson bei der Ent­schärfung derselben einnehmen sollen und wie die konkrete Lö­sung ausschaut.

Und ihr wisst ja – solange sich das nicht gezeigt hat, bin ich nicht bereit, der unausgegorenen Idee Gewalt anzutun und ein­fach „irgendwas“ zu fabulieren, nur um sie abzuschließen. Das wäre dann tatsächlich gegen die Intuition und kann definitiv nicht geduldet werden.

So reizvoll also dieses verblüffende und bislang einmalige Crossover zwischen dem Kosmos des Sherlock Holmes und dem OSM auch sein mag – es gibt noch eine zweite Andeutung, die in eine ähnliche Richtung zielt, dort aber offensichtlich auf einer Täuschung durch eine Dämonenwaffe beruht2 – , so wenig hat doch auf der anderen Seite der Bilderstrom wieder eingesetzt. Und solange das so ist, wird dieses Langzeitfragment eben ge­nau das bleiben, was es aktuell ist: eine Baustelle.

Lasst euch mal überraschen, welches Fragment ich euch das nächste Mal – deutlich nach dem Blogartikel 500, soviel ist si­cher – vorstellen werde im Teil 3 dieser Artikelreihe.

Bis bald, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

1 Vgl. Arthur Conan Doyle: „Eine Studie in Scharlachrot“, erstmals erschienen in Bee­ton’s Christmas Annual, 1887.

2 Die Rede ist von dem OSM-Romanfragment „Die Totenköpfe 2: Durch die Ruinenwel­ten“.

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