Rezensions-Blog 10: Fleisch und Blut

Posted Juni 3rd, 2015 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

als ich einst in den 90er Jahren nach Braunschweig zog, um hier mein Studium der Geschichte und Philosophie zu realisieren, suchte ich alsbald Gleichgesinnte im Kreise der Phantasten, von deren Existenz in Braunschweig ich durchaus wusste. So stieß ich damals auf den Förderverein Phantastika Raum & Zeit e. V. mit seiner Vorsitzenden Claudia Fischer. Leider war dieser Kontakt nicht von Dauer, sondern löste sich alsbald wieder in Nichts auf…

Die Gründe dafür waren vielfältig. Zum Teil trug der Studiendruck dazu bei, zum Teil meine Arbeit am Oki Stanwer Mythos, von dem ihr ja, wenn ihr meinen Wo­chen-Blog seit Monaten verfolgt habt, einen gewissen Eindruck gewonnen ha­ben werdet. Auch ist mein Engagement für den Science Fiction-Club Baden-Württemberg (SFCBW) nicht zu ignorieren, das bis heute anhält.

Es dauerte darum geraume Zeit, bis ich – lange nach Ende meines Studiums – wieder Kontakt mit dem Förderverein bekam, der nach wie vor existierte. Er war inzwischen als regelmäßiger Veranstalter von Conventions in Braunschweig bekannt. Und diese neue Kontaktaufnahme im Jahre 2011 führte schließlich dazu, dass ihr letztlich heute diese Zeilen hier lesen könnt. Ja, kleine Dinge kön­nen große Folgen nach sich ziehen, wer wüsste das wohl besser als ich selbst…?

In der Zwischenzeit dieser beiden Kontaktpunkte gab es allerdings einen Story­wettbewerb, den der Förderverein initiierte, und das Resultat der überwälti­gend starken Resonanz auf diesen Wettbewerb war schließlich das vorliegende Buch. Ich bekam es erst sehr spät in die Finger, aber allein schon das Thema lag mir sehr am Herzen: Kontrafaktik.

Wer mit diesem Fremdwort jetzt eher wenig anfangen kann und etwas verunsi­chert dreinschaut, kann versichert sein, dass dafür keinerlei Grund besteht. Kontrafaktik ist etwas völlig Normales und zugleich äußerst Spannendes. Es ist die legendäre Frage „Was wäre, wenn…?“, die irgendwann mal jeden Menschen umtreibt, Phantasten und Historiker ganz besonders häufig.

Was wäre, wenn Adolf Hitler gestorben wäre, ehe er Führer des Deutschen Rei­ches wurde, das ist eine sehr prominente Frage in dieser Richtung. Wie sähe die Welt aus ohne den Ersten und den Zweiten Weltkrieg? Nahezu unvorstellbar. Was wäre, wenn bestimmte Personen länger gewirkt hätten, als sie es taten? Wenn wichtige Erfinder im Kindesalter verstorben wären usw.?

In den Kosmos dieser Rätselfragen entführt euch das Buch, das ich heute vor­stellen möchte. Schaut einfach, ob euch das Thema liegt:

Fleisch und Blut

Storyband Alternativwelten

Herausgegeben vom Förderverein Phantastika Raum & Zeit e. V.,

Braunschweig 2001

180 Seiten, TB

ISBN 3-936153-00-0

Preis: 9,95 €

Was wäre, wenn?

Dies ist eine Frage, die Menschen wohl schon solange umtreibt, seit sie in histo­rischen Dimensionen denken können. Der unerfüllbare Wunsch, die Geschichte umzuschreiben, die Katastrophen ungeschehen zu machen, die sich ereignet haben, seien es die persönlichen oder jene der Weltgeschichte, ist zweifellos ur­alt. In früheren Zeiten bemühte man Orakelsprüche oder den unergründlichen Ratschluss der Götter, um Entscheidungen des Schicksals zu ergründen. Moder­ne Zeiten haben andere Methoden, zumal dann, wenn sich das Genre der Phan­tastik einmischt.

Heutzutage entwerfen Wirtschaftswissenschaftler alternative Szenarien, das Denken in Handlungsalternativen ist in Politik, Wirtschaft und Militär weit ver­breitet, oftmals als so genannte „Planspiele“ getarnt. Selbst Historiker, die nach eigenem Selbstverständnis dem Denken in historischen Alternativen zutiefst ab­hold sind, lassen sich doch immer wieder vom Wunschdenken verleiten und flechten eher beiläufig solche Gedanken in ihre Werke ein… jeder Interessierte kann das bei einer Prüfung schnell feststellen.

Da sinniert ein Althistoriker darüber, wie wohl der Verlauf der Weltgeschichte gewesen wäre, wenn Kaiser Hadrian sich NICHT entschlossen hätte, die römi­schen Grenzbefestigungen zu verstärken. Ob das den Untergang des Imperiums (der trotz Limes und Grenzwällen eintrat) wohl verzögert hätte. Da denkt eine Historikerin, die den Verlauf des Dreißigjährigen Krieges skizziert, darüber nach, ob denn eine andere Heiratspolitik gegen Ende des 16. Jahrhunderts die Ereignisse nicht grundlegend hätte verändern können… und schwenkt danach gleichwohl in den Ereignisstrom der Realität zurück. Wie es sich für Historiker und Historikerinnen eben gehört.

Die Phantastik besitzt in diesem Bereich größere Freiheiten. Die Gedanken sind frei, heißt es, und auf wohl kaum einem anderen Gebiet sind sie so turbulent und energisch wie im Bereich der kontrafaktischen Geschichte, also dem Den­ken in historischen Alternativen. Mit den Parallelwelten und Alternativwelten gibt es sogar eigene phantastische Subgenres, die in schier unüberschaubarer Fülle die Neigungen der Leserschaft nach dem Denken in historischen Varianten befriedigen, und Werke, in denen Abenteuergeschichten vor der Folie eines weiter bestehenden römischen Reiches, einem sich ausdehnenden katholischen Weltkirchenreiches, dem Fortbestand des Naziimperiums oder ähnlichem ent­wickeln, haben immer mal wieder Konjunktur. Selbst nur ein flüchtiger Blick in einschlägigen Buchreihen und Verlagsprogramme beweist das immer wieder aufs Neue.

Diese Neigung der Autoren kann nicht überraschen, auch nicht das Leserinter­esse: wie oben schon angedeutet wurde, ist das Verlangen nach einer Verände­rung des Schicksalsstromes ein zutiefst menschliches Sehnen, und selbst in Krei­sen, die der Phantastik sonst abhold sind, verirren sich Diskussionen schnell in kontrafaktische Fanggründe.

Als im Jahre 2000 der Förderverein Phantastika Raum & Zeit e. V. in Braun­schweig einen Storywettbewerb ausschrieb, lag es irgendwie durchaus nahe, das Thema Alternativwelten zu wählen. Also die Gretchenfrage zu stellen: Was wäre gewesen, wenn… im 20. Jahrhundert die historischen Weichen irgendwie anders verlaufen wären? Daraus sollten die Schreibtalente, die am Wettbewerb teilnahmen, eine interessante Geschichte entwickeln. Die Begrenzung auf das 20. Jahrhundert erfolgte – sinnvoll – wegen der thematischen Verengung. Der Bezug zur realen Gegenwart des frühen 21. Jahrhunderts sollte nicht gänzlich verloren gehen, was gar zu leicht geschehen wäre, wenn man alle möglichen Varianten der Weltgeschichte zugelassen hätte (inklusive etwa dem Gedanken, dass die Neandertaler nicht ausgestorben wären… eine solche Welt hätte mit unserer vermutlich nichts mehr gemein, von der Geografie einmal abgesehen).

Ebenso wenig verblüffend war es, dass der Förderverein daraufhin mit Ge­schichten überschüttet wurde. 21 davon schafften es bis in die Vorauswahl und wurden von den drei Juroren gesichtet. Neun wurden endlich dann in diesem Band gesammelt und drei davon prämiert, wobei die Story „Fleisch und Blut“ von Cathrin Block dann den Sieg davontrug und der Anthologie auch ihren Na­mensstempel aufprägen durfte.

Schauen wir uns die Werke mal der Reihe nach an und ziehen schließlich ein Gesamtresümee:

Marion Fabian befasst sich in „Tod einer Zarenprinzessin“ mit dem Gedanken, dass die Romanov-Dynastie 1917 nicht ausgelöscht worden ist. Was dann mit zu einer russischen Mondstation führt und zu einem Kriminalfall um einen Attentäter, der dort gefasst wird und für die Ermordung von Anastasia Romano­va verantwortlich ist…

Jonas Torsten Krügers Geschichte „Straf-Theater für einen Richter“ wählt als al­ternative Abzweigung ein späteres Ereignis in der Weltgeschichte. Die 68er-Stu­dentenunruhen sind ebenso wenig eingetreten wie das Vietnam-Engagement der USA. In der Konsequenz gab es aber die 76er-Studentenunruhen, die frei­lich den Slogan „Make punish, not jail“ auf ihre Fahnen schrieben. Mit der Fol­ge, dass die sich daraus entwickelnde Welt auf die Vorstellungen des französi­schen Philosophen Michel Foucault stützt. Eine bessere Welt…? Man darf es nach der Lektüre wenigstens bezweifeln.

Josef Thanners „Der Fall Otto Hahn“ wählt ein alt beliebtes Thema als Grund­struktur: die Nazis sind nach 1945 immer noch an der Macht, und Nordamerika wurde als Kriegsgegner durch ein „Naturereignis“ aus dem Krieg herausgehal­ten, den so genannten „Nordamerika-Kometen“, der 1942 fast den ganzen Kon­tinent zerstört hat. Dummerweise – und das ist dann sehr vertraut – , ist diese Deutung eine fromme Legende. Und sie wird offenbar, als der hoch geehrte Wissenschaftler Otto Hahn ermordet aufgefunden wird…

In Frank Schulzes Geschichte „Regimekritik“ hat sich die jüngste Geschichte ge­wendet: 1989 schritt die Rote Armee bei den Unruhen in der DDR blutig ein und stabilisierte das Regime. Die DDR-Diktatur besteht also fort, und der Prot­agonist in Schulzes Story reflektiert, wie weit jemand zu gehen bereit ist und sich vom System verbiegen lässt und selbst belügt, um persönliche Vorteile wie etwa ein vom System versprochenes Auto zu erhalten. Gruselig, um das We­nigste zu sagen…

Milan Knezevic berichtet in „Ein falscher Morgen“ ebenfalls aus einer Post-Na­zi-Welt, diesmal aus einem „Reich“, in dem Wien und ganz Österreich noch zum Großdeutschen Reich gehören. Die Juden sind verschwunden, „irgendwo im Os­ten“, und alles sieht schön und wunderbar aus. Als sich der Protagonist aber in seine Mitkommilitonin Sieglinde verliebt (die ihre Freunde seltsamerweise Sa­rah nennen), bekommt das Paradies hässliche Schrammen und kippt schließlich in blanken, tödlichen Terror um…

Alexander Trost stülpt in „Der Netzwächter“ die Welt gründlich um: Europa hat sich hier in ein katholisches Imperium verwandelt, und ein göttlicher Strahlen­vorhang (so wird es berichtet), hat das Vordringen der gottlosen Kommunisten­horden aus dem Osten verhindert. Die Hauptperson Chris ist dabei verantwort­lich für die Installation und Kontrolle eines Glaubens-Internets, das der Gleich­schaltung der Bürger dient. Wenn es da nicht die finsteren „Blutmönche“ gäbe und ihr schreckliches Geheimnis, das Chris schließlich ganz persönlich betrifft…

Auch bei Cathrin Blocks Titelgeschichte findet sich der Leser in einer Welt wie­der, die von den Nazis dominiert wird. Hier ist aber nicht nur Hitlerdeutschland siegreich gewesen, sondern Adolf Hitler hat entschieden, die „Endlösung“ der Judenfrage zu modifizieren: tot nutzen uns die Juden nichts, lassen wir sie also doch für uns arbeiten. Infolgedessen gibt es noch Juden, eingesperrt in ihren Schteteln, einer modernen Variante der Ghettos, aber es gibt auch nach wie vor Auschwitz, wo „Arbeit frei macht“, wie es heißt. Leider sterben dort so viele Leute… nun, sie halten wohl nichts aus, und Arbeitsunfälle gibt es immer…

Die Schriftstellerin Hannelore Treuchthaus sieht das alles nur aus der Ferne. In der Reichsstadt Danzig lebend, hat sie auf einmal völlig andere Probleme, als sie mit Personen aus ihrer persönlichen Vergangenheit konfrontiert wird und ihr Leben zu entgleisen droht…

Bei Frank Dwornikowitschs Story „Freiheit“ lernen wir eine Welt kennen, in der Hitlerdeutschland den Krieg verloren hat (man möchte fast sagen: erwartungs­gemäß, aber dann wäre man in der falschen Anthologie, wie ja einige der Ge­schichten oben beweisen), dafür haben die Sowjets die Welt übernommen, die in der Mitte des 21. Jahrhunderts offensichtlich eine Invasion aus dem All er­warten.

Die Hauptperson Anna hält das für abstrusen Unsinn und wird in ihren Verdunk­lungsmaßnahmen leichtsinnig. Aber was ist das dann für ein seltsamer Zimtge­ruch, den sie auf einmal in ihrer Wohnung wahrnimmt? Und was ist das für ein Wesen, das sich in ihr Schlafzimmer geschlichen hat…?

Heimkehr“ von Uwe Björn Firmenich ist ähnlich fremdartig wie die vorange­gangene Story. Hier ist die Perspektive die eines russischen Marskolonisten, die sich aus einer alternativen Handlungsschiene entwickelt hat: Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die siegreichen Sowjets den Krieg sozusagen nahtlos gegen die USA weiter geführt und ihn gewonnen. Bis 2015 war die Welt eine sozialistische geworden, dann sorgte eine kosmische Katastrophe dafür, dass die Erde fast vollständig zerstört wurde. Überleben konnten nur die sowjetischen Mondkolo­nisten und die Marskolonisten. Dummerweise bricht in der Marskolonie eine Epidemie aus…

Den Schluss macht schließlich Marian Bernhardts Geschichte „Diogenes“, und wer hier, historisch geschult, an Diogenes von Sinope, einen antiken Philoso­phen, denkt, der hat völlig Recht. Gleichwohl handelt es sich nicht um einen Bruch der Themenlinie, und es kommen auch keine Zeitmaschinen zur Anwen­dung. Die Veränderung der historischen Kontinuität, die hier als Ausgangspunkt gewählt wird, ist vielmehr eine molekulargenetische.

1953 entdeckten die Molekulargenetiker John Watson und Francis Crick (und eine weitere Wissenschaftlerin Rosalind Franklin, die leider meist verschwiegen wird) die DNS, die Grundlage der Vererbung. Diese Geschichte hier geht nun da­von aus, dass der fiktive Biologe Dr. Richard Weber 1974 dazu den Entwickeln­den Genetischen Code (EGC) entdeckt. Während die DNS also verantwortlich wäre für den Genotyp, würde der bislang nicht gefundene EGC den Phänotyp prägen. In der Geschichte bedeutet das, dass man aus den geklonten EGC-Strukturen Personen der Vergangenheit wieder ins Leben zurückrufen kann. Der erste, mit dem das versucht wird, ist ausgerechnet Diogenes von Sinope. Aber es gibt dabei Probleme…

Summiert man diese Geschichten dann zu einer Gesamtschau, so kann der Re­zensent nicht anders, als den Hut zu ziehen vor dieser beachtlichen Leistung kreativ rauchender Köpfe. Es ist natürlich ein wenig bedauerlich, das gab die Herausgeberin mir gegenüber auch verschiedentlich in Diskussionen zu, dass gerade der Topos „Die Nazis haben den Krieg gewonnen“ so oft verwendet wur­de, ich würde auch den Topos „Die Sowjets haben den Krieg gewonnen“ noch einflechten, der ja sozusagen nur das Spiegelbild einer Diktatur darstellt (sieben von neun Geschichten spielen letztlich in derartig strukturierten Welten), doch auf der anderen Seite ist das vermutlich klarer Ausdruck dominanter Ge­schichtsstrukturen im Schulunterricht. Der starke Einfluss der Diktaturen des 20. Jahrhunderts hat in Deutschland ganz besonders intensive Rückstände hinter­lassen, es wäre unrealistisch gewesen, hier weniger „Fallout“ zu erwarten.

Ansonsten gingen die Werke doch recht unterschiedlich zuwerke. Wir finden kriminalistische Strukturen, Beziehungsdramen und moralische Zwickmühlen, was die Anthologie dann wieder recht abwechslungsreich macht. In der Umset­zung kann ein kritischer Leser freilich nicht daran vorbeisehen, dass viele der Werke ungeachtet ihrer Auszeichnung, in diese Anthologie Eingang zu finden, deutliche inhaltliche Schwächen aufweisen. Da werden spannende Konfliktlini­en einfach nicht verfolgt, sondern manchmal auf plumpen Schematismus ge­setzt, was schöne Ideen gründlich ruiniert (so geschehen bei Thanner). Auf der anderen Seite kommt es vor, dass durch geradezu groteskes Überzeichnen der Situation eine packende Geschichte leider ganz unglaubwürdig wird (so passiert bei Knezevic und Trost, meiner Meinung nach). Es ist einfach nicht plausibel, dass das Schicksal einer ganzen Welt, eines ganzen Reiches oder der gesamten Menschheit schließlich vom Knopfdruck der Hauptperson abhängt.

Andere Geschichten offenbaren recht leicht, dass es den Verfassern nicht ur­sächlich um alternative Weltverläufe und daraus ursächlich resultierende Ver­änderungen ging, sondern sie diese Grundidee nur als Vehikel nutzten, um ein ganz eigenes Ding zu drehen. Das muss nicht unbedingt schief gehen, aber es kann. In die Kategorie dieser Geschichten sind die Werke von Krüger, Trost, Dwornikowitsch, Firmenich und Bernhardt einzusortieren. In der vorliegenden Konsequenz führt diese Grundintention der genannten Autoren dann zu Viel­falt. In einer reinen Alternativwelten-Anthologie hätten diese Geschichten aber vermutlich den Sprung in die Druckfassung wohl nicht geschafft.

So anerkennenswert diese Anthologie auch sein mag, es muss am Ende dieser Besprechung noch auf ein Manko hingewiesen werden, das leider unüberseh­bar ist: es wurde am Lektorat gespart, und zwar auf letztlich verheerende Wei­se. Ich kann nicht zählen, wie viele Kommata in der Umsetzung fehlten, aber sie fehlten wirklich in jeder einzelnen Geschichte, am Schluss vermutlich mehrere hundert. Das fand ich dann schon wirklich äußerst traurig. Auch einige wirkliche Fehler kommen vor. So wird beispielsweise bei Thanner das „Max-Planck-Insti­tut“ erwähnt, das in Nazizeiten aber unter dem Titel „Kaiser-Wilhelm-Institut“ bekannt war. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Nazis den ollen Wilhelm II. nicht sonderlich schätzten (aber dafür spricht wenig) und dieses Institut um­benannt haben könnten, scheint es unrealistisch, daraus das heutige MPI zu machen.

Die zahlreichen Groß- und Kleinschreibfehler lasse ich hier mal aus und erwäh­ne lediglich noch eindeutige Indizien für ein überfordertes Lektorat. Worte wie „Fahnenapell“ gibt es natürlich ebenso wenig wie „Pateischule“ oder „inein­adergeschobene Dreiecke“. „Kraiste“ (statt korrekt „kreißte“) tut schon richtig weh, „tieflilane Hautverfärbung“ anstelle von „tief violetter…“ ist auch nicht eben professionell zu nennen, die „Inquisition“ mit „Institution“ zu verwechseln, zeugt auch von Überforderung, ähnlich sieht es mit „Freundenruf“ anstelle von „Freudenruf“ aus… es ließen sich weitere Beispiele finden.

Wie gesagt: diese zunehmende Fehlersättigung trübt den sonst soliden Ge­samteindruck dann doch leider bedauerlich stark. Dem Förderverein wäre ernstlich zu wünschen, dass sich eine gründlich lektorierte Neuauflage realisie­ren ließe. Sonst steht zu fürchten, dass anspruchsvolle SF-Leser um diese An­thologie leider einen Bogen machen werden. Wen indes Lektoratsfehler nicht interessieren, weil er vielleicht selbst nicht so ganz grammatikalisch sattelfest ist, und wer darüber hinaus neugierig auf die oben kurz angerissenen Geschich­ten sein sollte – und viele davon lohnen die Lektüre definitiv, ganz besonders die Siegerstory – , der sollte sich dieses Werk durchaus auf die Wunschliste set­zen. Es ist nach wie vor beim Förderverein zu haben.

© by Uwe Lammers, 2013

Wie ihr merkt, halte ich diese Anthologie grundsätzlich immer noch für sehr lesenswert, wenngleich es an kritischen Untertönen in der Rezension nicht gefehlt hat… ich neige eben dazu, auch Schwachstellen durchaus als solche zu benennen. Schönwetter-Rezensionen, die der Wirklichkeit nicht gerecht werden, helfen niemandem, dem Leser am wenigsten. So etwas braucht ihr bei mir eigentlich nicht zu erwarten.

Ich hoffe, ihr wurdet gut unterhalten und seid in der kommenden Woche wieder mit an Bord, wenn es zurück zu den Fargos geht…

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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