Rezensions-Blog 85: Unendliche Grenzen

Posted November 9th, 2016 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

bei Anthologien ist es immer eine Art von Hasardspiel für die Herausgeber, sich auf das Risiko einzulassen, sie zu veröffentlichen. Ich habe das lange Zeit nicht wirklich begriffen, zugegeben – ich habe immer gern zu Anthologien gegriffen, auch wenn zumeist erkennbar wurde, dass wenige gute Geschichten eine ganze Reihe von eher „lahmen“ Werken mitschleppten. Und es heißt ausdrücklich in Verlagskreisen, dass sich Anthologien schlechter verkaufen als dicke Schwar­ten… rätselhafterweise.

Ich bin nach wie vor der Ansicht, dass das eine verwirrende Fehllenkung des Le­serinteresses darstellt. Wer sich aus Prinzip von Anthologien fernhält, dem ent­gehen eine ganze Menge schöne Perlen der Science Fiction, von spannenden Ideen einmal ganz zu schweigen. Was bringt es einem, sechshundert Seiten von einem Autor zu lesen, der vielleicht doch nur abgedroschene „Standardhand­lungen“ ins Rennen bringt (wie das mal einer meiner Brieffreunde früher despektierlich nannte) und in der Schlussgeraden schwächelt? Ist man dann nicht mit 60 Seiten Geschichte, die faszinierende Gedanken zum Vorschein bringt, besser bedient, als Bestandteil eben einer Kurzgeschichtensammlung?

Ich denke schon.

Außerdem muss man sich dagegen wehren, den oben suggerierten Gedanken als Absolutum zu verstehen – es gibt Anthologien, die sind durch die Bank mit Hochkarätern besetzt, mit „Big Names“, könnte man sagen. Und das hier ist eine solche, die vier gestandene Schriftsteller der Science Fiction unter einem Dach vereint und in jeder Weise zu überraschen und zu faszinieren vermag.

Vorhang auf also für diese Anthologie:

Unendliche Grenzen

(OT: Futures)

von Peter Crowther (Hg.)

Bastei 23266

464 Seiten, TB

Oktober 2003, 8.00 Euro

Keine Übersetzerangabe

Die uns vorliegende Storysammlung enthält vier längere Werke, die man weni­ger als Kurzgeschichten denn als Kurzromane bezeichnen sollte. Keines der Werke besitzt weniger als hundert Seiten. In diesem Band sind vier der aktuel­len Meister der Space Opera Englands versammelt, was eigentlich einen guten Absatz des Buches fördern sollte: Stephen Baxter, Peter F. Hamilton, Paul McAu­ley und Ian McDonald lassen den Leser in ihre Welten eintauchen, und wer mit ihnen ein wenig vertraut ist, sollte sich nicht wundern, auf einmal bekannte Dinge wiederzufinden. Wer ihre Welten nicht kennt, wird möglicherweise sehr neugierig auf weiteres werden…

Stephen Baxter entführt uns in der Story „Wirklichkeitsstaub“ auf den Jupiter­mond Callisto. Schon auf Seite 2 macht er uns nachdrücklich klar, in welcher Welt wir uns befinden. Dort heißt es bei einem Flug über die Landschaft, noch auf der Erde: „Von den großen Konurbationen abgesehen, glitzerte das Land an vielen Stellen silbergrau: dort hatten Sternenhammer-Strahlen und Qax-Nano­replikatoren die Erdoberfläche zerkaut und Leben wie Fels samt allem anderen in einen formlosen Silikatstaub verwandelt.“

In Stephen Baxters Xeelee-Universum gibt es die Rasse der Qax mit ihren orga­nischen Spline-Raumschiffen, die eine Zeitreise unternehmen, um die Mensch­heit – in ihrer Zeit die Geißel der Galaxis Milchstraße – daran zu hindern, genau dazu zu werden. Die Qax unterjochen Jahrhunderte lang die Menschheit und werden schließlich von einem irdischen Aufstand vertrieben. Freilich nur um den Preis, dass die gottgleichen Xeelee auftauchen und sich mit der Menschheit verfeinden. Die Weiterungen dieser Geschichte sind in Baxters Romanen „Das Geflecht der Unendlichkeit“ und „Ring“ nachzulesen.1

Diese Geschichte spielt unmittelbar nach dem Sturz der Qax. Den fast unsterbli­chen menschlichen Kollaborateuren, sogenannten „Pharaos“, soll der Prozess gemacht werden. Aber eine Kolonie von ihnen befindet sich auf dem weit abge­legenen Jupitermond Callisto. Und hier werden Experimente gemacht, die von den irdischen Milizionären nicht im Mindesten verstanden werden. Experimen­te, die – vielleicht – den „Pharaos“ die endgültige Flucht vor der irdischen Ge­rechtigkeit ermöglichen sollen…

Den Bäumen beim Wachsen zusehen, das kann man in Peter F. Hamiltons Ge­schichte beinahe wörtlich nehmen. Man stelle sich eine parallele Erde vor, in der das Römische Imperium überlebt hat und auch im 19. Jahrhundert noch Be­stand hat. Es breitet sich über die ganze Welt aus und die alten adeligen Famili­en Roms, z. B. die Caesars, stehen an der Spitze multinationaler Konzerne. Sie haben zudem für die Angehörigen ihrer Familien und der mit ihnen liierten Lini­en eine Möglichkeit gefunden, das Leben auf mehrere Jahrhunderte zu verlän­gern. Allgemeiner Friede herrscht – bis in Oxford, im Jahre 1832, ein Mord ge­schieht.

Justin Ascham Raleigh, ein junger, genialer Student, ist brutal ermordet worden, aber obgleich der Ermittler Edward Raleigh alles daran setzt, den Mörder ding­fest zu machen, scheint das perfekte Verbrechen gelungen zu sein. Der Mörder entkommt. Und fortan nagt dieser Misserfolg an Edwards Gewissen. Er be­schließt, sein langes Leben zumindest zum Teil der Aufklärung dieses Verbre­chens zu widmen. So verfolgt er über die Jahrhunderte hindurch die ebenfalls fast unsterblichen Verdächtigen und erlebt auf diese Weise die Entwicklung der Menschheit mit bis hin zu ihrem Aufbruch zu den Sternen. Und schließlich… aber das sollte man wirklich selbst lesen.

Wie geht das, Geschichte machen, das fragt sich Paul McAuley in seiner gleich­namigen Story, in der er einen irdischen Historiker im 26. Jahrhundert zum Sa­turnmond Dione schickt. Dort ist gerade ein Kolonialaufstand brutal niederge­schlagen worden, und inmitten von Ruinen, vermodernder Vegetation, kontrol­lierenden Kampfrobotern und Lebensmittelrationierungen geht die Hauptper­son der Frage nach, ob es so etwas wie „große Männer“ gibt, die Geschichte machen. Beispielsweise dieser Rebellenführer Marisa Bassi, der seit dem Zu­sammenbruch der Revolte in der Hauptkuppel der Stadt Paris verschollen ist und von manchen für tot erklärt wurde. Ist oder war er ein „großer Mann“? Hat es ihn überhaupt gegeben?

McAuley hat seine Historiker gelesen, er kennt sich mit den Geschichtstheorien aus, und wenn man die Geschichte liest, kriecht die Gänsehaut über den Rücken, die aus den Ruinen des zerbombten Berlin des Jahres 1945 heranzuna­hen scheint. Man fühlt den Schatten des „beendeten“ Irakkrieges, die mürbe Ruhe der Unsicherheit im Nachkriegs-Afghanistan.

Und McAuleys Personen beschwören unangenehme Fragen herauf: ist ein sieg­reicher Militär, der die Rebellen geschlagen hat, nicht trotzdem ein Kriegsver­brecher? Ein Mann, der leidenschaftlich gerne „Informationen eingeholt“, also gefoltert hat? Und die blutjunge, wunderschöne Frau, die von der Erde kommt, um die Kuppel von Paris zur alten Glorie wiederaufzubauen und in die sich der General Dev Veeder über alle Maßen verliebt und daher ganz irrational wird, weshalb fragt sie den Historiker ständig nach den „großen Männern“? Und was bedeutet des Historikers Satz, der schon früh fällt: „Vielleicht hatte sie schon damals die dunkle Vorahnung, dass ihre Schönheit ihr einmal den Tod bringen würde“? Dem Leser wird ganz kalt dabei…

Tendeléos Geschichte führt den Leser in das Afrika der nahen Zukunft, aber ei­ner durchweg alptraumhaften Zukunft. Denn dort hat sich eine außerirdische Lebensform namens Chaga ausgebreitet, und das Mädchen Tendeléo wird auf sehr direkte Weise damit konfrontiert. „Chaga“ kennt der Leser, der mit Ian Mc­Donalds Werken vertraut ist, schon aus anderen Zusammenhängen.2

Wir schreiben das Jahr 1995, als das Mädchen Tendeléo in dem Ort Gichichi in Kenia geboren wird. Als Ten neun Jahre alt ist, verändert sich ihre Welt von Grund auf, denn auf dem Gipfel des Kilimandscharo schlägt eine außerirdische Lebensform ein, die später „Chaga“ genannt wird. Sie ist gewissermaßen nicht Fisch noch Fleisch, nicht Tier und nicht Pflanze, sondern eine gewaltige Makro­struktur von Nanomaschinen, die mit einer stummen Unerbittlichkeit die ganze Welt umzukrempeln beginnt. Tendeléo und ihre Familie verlieren ihre Heimat und geraten in den Hexenkessel der Flüchtlingslager, aber das ist erst der Be­ginn von Tens Odyssee. Während sich die Menschen, insbesondere aus den in­dustrialisierten Staaten, heidnisch vor dem Chaga fürchten, hat niemand eine genaue Vorstellung, was dort eigentlich vorgeht.

Bis Tendeléo eine schicksalhafte Entscheidung trifft…

Nach der Lektüre dieses Buches ist es wahrhaftig schwer, zu sagen, wer der bes­te von den vier vorgestellten Literaten ist, aber wenn ich eine Wertung erstellen müsste, fielen mir wenigstens folgende Schwachpunkte der Autoren auf.

Stephen Baxter, ein ausgezeichnet naturwissenschaftlich argumentierender Au­tor, der physikalisch außerordentlich beschlagen ist, beweist in seinem Beitrag wieder aufs Neue, dass seine Schwäche darin liegt, Personen realistisch agieren, sie „menschlich“ erscheinen zu lassen. Sie besitzen zwar so etwas wie Persön­lichkeit, bleiben aber dennoch sehr maschinenhaft. Die philosophischen Impli­kationen seiner Welt sind jedoch beklemmend intensiv zu erleben und vermit­teln vielfache Denkanstöße.

Peter F. Hamilton neigt dazu, weitschweifig zu erzählen, viele Worte für Sach­verhalte zu gebrauchen, die mit weniger, dafür präziser gewählten Ausdrücken vielleicht deutlich besser vermittelbar wären. In dieser Story fällt es besonders auf – er kann sich nicht entscheiden, ob er eine „einfache“ Kriminalstory verfol­gen soll oder das Leben des Ermittlers oder aber die Genese der zukünftigen Welt. Er macht alles drei, und er macht alles halbherzig. Die Konsequenz ist lei­der ein unrealistischer Tunnelblick. Aber alles in allem ist die Darstellung von Personen erheblich gelungener als beispielsweise bei Baxter, und es liest sich einfach unwahrscheinlich angenehm. Wer intelligentes Lesefutter sucht, das man richtig verschlingen kann, ist bei Hamilton stets gut aufgehoben.

Paul McAuley wählt meines Erachtens nicht immer die raffinierteste Möglich­keit der Problemlösung. Mir schwebten während des Lesens seines Werkes di­verse spannende Alternativlösungen vor, deren Abzweigungen er nicht nahm. Ansonsten überwebt sein Werk eine Aura der Tristesse, der Düsternis und Ver­lassenheit, doch in das Spinnennetz der Trostlosigkeit sind intensive Juwelen der zeithistorischen Nähe eingeflochten, äußerst realistische menschliche Zwie­spälte und innere Zerrissenheiten. Die ganze Irrationalität menschlichen Verhal­tens drückt sich sehr gut bei ihm aus.

Und Ian McDonald? Er erzählt eine ergreifende Geschichte eines verlorenen Mädchens, das in einer zerbrechenden Welt aufwächst und sich neu zu orien­tieren versucht. Und durch die Hintertür dieser phantastischen Welt geleitet er uns in die Dritte Welt der Gegenwart, in Bürgerkriege, Flüchtlingslager und in die Psyche der dort zusammengepferchten, desillusionierten Menschen… sein einziger Nachteil scheint der Verlust der großen Perspektive zu sein. Aber es klingt in Nebensätzen an, wie es in der Welt insgesamt ausschaut… und dann gibt es ja auch noch für Leute wie mich, die nun dringend mehr über das „Cha­ga“ erfahren wollen, die Romane, die er geschrieben hat. Es kann als sicher gel­ten, dass auch sie in absehbarer Zeit hier als Rezensionen ihren Nachhall finden werden.

Summa summarum jedenfalls: eine ausgesprochen faszinierende Lesemi­schung, der man viele Leser wünschen möchte. Da kümmert es auch nur wenig, dass das Titelbild mit dem Inhalt nix zu tun hat und der Herausgeber flugs aus dem Jupitermond Callisto einen Saturnmond (!) macht und so seine Oberfläch­lichkeit oder Zerstreutheit zur Schau stellt…

© by Uwe Lammers, 2004.

Ihr merkt – sehr heterogene Geschichten mit unterschiedlichsten Ansätzen. Aber dennoch stets eigenständig, zum Nachdenken anregend, Probleme kon­kretisierend, stets bereit, den Finger auf die Wunde zu legen. Sehr lesenswert, vertraut meinem Urteil!

Auch das Werk der kommenden Woche ist äußerst lesenswert, nicht nur für Rollenspiel-Fans oder Leute, die SF-Klassiker mögen. Wem der Name Nathan Brazil etwas sagt, der ist nächste Woche sicherlich wieder zur Stelle. Wer ihn nicht kennt – na, der sollte ihn kennenlernen.

Bis dann, Freunde, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

1 Wen übrigens die Ähnlichkeit dieser Backgroundstruktur mit der Anfangssituation der Heftromanserie BAD EARTH verblüffen sollte – inklusive Zeittor im Raum Jupiter! – , der sollte sich mal überlegen, dass Baxters Romane älter sind und wer wohl von wem abge­schrieben hat.

2 Namentlich aus der Story „Zum Kilimandscharo“, in: Wolfgang Jeschke (Hg.): Fernes Licht, Heyne 2100 (2000) sowie den Romanen von McDonald: „Chaga“, Heyne 5660 (1997) und „Kirinja“, Heyne 6348 (2000).

Wochen-Blog 192: Tödliche Überraschungen

Posted November 6th, 2016 by Uwe Lammers

Vorbemerkung vom 6. November 2016: Eigentlich sollte dieser Blogartikel er­scheinen, sobald TI-Band 28 „Die Sternenbaustelle“ publiziert ist. Da sich das aus Zeitmangel leider sehr stark verzögert, ich euch aber diesen Beitrag doch endlich zugänglich machen möchte, musste ich unten ein paar Revisionen vor­nehmen. Es empfiehlt sich, diesen Beitrag nach Erscheinen von TI 28 im Lichte neuer Leseerfahrungen noch einmal zu Gemüte zu führen. Bis dahin mögen manche Wendungen unten seltsam erscheinen. Vertraut mir: danach machen sie Sinn!

Liebe Freunde des OSM,

ja, ihr musstet lange darauf warten, dass die Abenteuer des zweiten yantihni­schen Fernerkundungsschiffes RHONSHAAR fortgesetzt wurden, und ich könnte es sehr gut verstehen, wenn manche von euch in all den vergangenen Monaten wie auf heißen Kohlen gesessen haben und sich dachten: Wann, um alles in der Welt, schreibt der Uwe nur an diesem Handlungsstrang weiter? Er hat sie doch wohl nicht vergessen, die Yantihni an der Bebengrenze?

Nein, hatte ich natürlich nicht. Ich musste eben nur vorher ein paar andere Handlungsstränge fortsetzen… was in OSM-Serien leider generell knifflig ist, und wenn man dann Vierteiler einbaut und einen Publikationsmodus von ei­nem E-Book pro Monat hat, ist fix ein halbes Jahr vorbei. Und wenn dann zwei Mehrteiler aufeinander folgen… nun, ihr habt es ja erlebt.

Ich gestehe, dass der lange Zeitraum zwischen Band 10 der Serie (2014 erschie­nen) und Band 27 (erschienen im September 2016, sofern die Planung der Realität standhält, wovon ich aber optimistisch immer ausgehe) mir auch nicht wirklich gefallen hat, er war nur unvermeidlich.

Auch konnte ich die Hoffnung eines Lesers nicht erfüllen, der sich dem Wunsch­gedanken hingab, die GHANTUURON und die RHONSHAAR würden bald aufein­ander treffen können… leider weit gefehlt. Was mit der GHANTUURON-Besat­zung geschehen ist, wisst ihr inzwischen.

Gleichwohl gibt es Déja-vu-Erlebnisse, wenn ihr beispielsweise die frühen Ge­schichten um das Sonnensystem „Sianlees Rast“ mit denen jetzt im Xoor’con-System vergleicht. Das kann auch nicht wirklich verblüffen, denn die Troohns sind, das stellte ja schon die Linguistin Vaniyaa bei den Zwergenwesen aus dem Volk der Shonta fest, in hohem Maße schematisch in ihrem Vorgehen.

So kann es nur bedingt überraschen, dass das Xoor’con-System auf dieselbe Weise verwüstet wurde wie „Sianlees Rast“… und ich kann euer Gruseln gut verstehen, wenn ihr den Band 27 „Späherin der Cestai“ gelesen habt und dach­tet: Verdammt, schon wieder diese in die Planetenkruste getriebenen Maschi­nenkomplexe! Wenn diese neugierig-naiven Raumfahrer jetzt mal nur keinen falschen Fehler begehen…!

Glücklicherweise war Kommandant Khaalnech das Schicksal der RHON-2-Besat­zung (TI-Bände 8-10) eine Warnung, und er hat allen höchste Vorsicht auferlegt. Das ist gut, aber wie ihr in Band 28 „Die Sternenbaustelle“ erleben werdet, hat das nicht ausgereicht. Ganz im Gegenteil.

Das Xoor’con-System hält tödliche Überraschungen bereit, und es gibt Opfer… doch auch einen kleinen Lichtblick – nämlich die Späherin der Cestai namens Yiita. Inwiefern sie jedoch hilfreich zu sein vermag… oder, vorsichtiger ausge­drückt, was für eine Art von Hilfe sie für die Yantihni organisieren könnte und was diese langfristig davon haben, das werdet ihr in den nächsten Mona­ten erleben können.

Ich glaube, auch hier nicht zu viel zu versprechen, wenn ich sage, dass das Abenteuer der Serie „Oki Stanwer und das Terrorimperium“ (TI) hierdurch noch deutlich mehr schillernden Glanz erhält. Zugleich werden moralische Untiefen erkennbar, die niemandem gefallen müssen.

Aber kehren wir noch mal kurz zurück ins Xoor’con-System.

Ihr werdet bemerken, dass die fremden Einheiten der Troohns, die den Yantihni von der RHONSHAAR nach wie vor nur unter ihrem verliehenen Namen „Planetenplünderer“ bekannt sind – ein Euphemismus, in Anbetracht dessen, was noch folgen wird – , sich gründlich von dem „Sternenhammer“ unterschei­den, der erstmals das Xoor’con-System besuchte.

Hier endet nämlich die Parallele zum Sonnensystem „Sianlees Rast“. Die gigantischen neuen Raumschiffseinheiten zeigen an, dass hier eine andere Form der Vorge­hensweise angestrebt wird. Ich darf schon mal ein wenig spoilern und erwäh­nen, dass die Erklärung für dies alles in Band 31 der Serie gegeben werden wird, also in wenigen Monaten. Dies führt dann zu einem weiteren haarsträubenden Abenteuer, in das ich euch geleiten werde.

Hier und heute ist nur eins gewiss: die Yantihni von der RHONSHAAR stecken mitten zwischen den maschinellen Zerstörungsklauen, und es ist noch völlig un­klar, ob die Cestai-Späherin Yiita auf den Wunsch der verzweifelten Visinor ein­gehen kann, ihre Gefährten zu retten.

Machen wir uns nichts vor – auf sich gestellt sind die Raumfahrer der RHONSHAAR definitiv verloren. Die tödlichen Überraschungen, die das Xoor’con-Sys­tem bereithält, sind zu überwältigend, und aller Wahrscheinlichkeit sind die Ein­heiten auch vollständig automatisiert, so dass jedwede Form von Appell an die­sen gigantischen Maschinen nutzlos abprallen wird.

Nein, einmal mehr sind die Yantihni auf Hilfe von außerhalb angewiesen, und in diesem Sinne haben sie erneut Glück, auf eine fremde Intelligenz zu stoßen.

Ja, Glück… sozusagen.

Aber aktuell sind natürlich auch sonst noch ein paar Fragen offen. Wenn man sich die verwüstete Umgebung des Xoor’con-Systems anschaut, kommt man nicht umhin, den Ansichten der RHONSHAAR-Besatzung beizupflichten: Es sieht nicht danach aus, als hätte irgendwer diese Vernichtungsorgie überstanden.

Ihr wisst selbstverständlich, dass das nicht ganz der Wahrheit entspricht. Denkt an die Eindrücke des Shonta Abenteurerherz (TI 16ff.) und auch an das, was Va­niyaa, Yuuricor und ihre Begleiterinnen und Begleiter in der Siedlung der Shonta in Band 10 „Das Maschinenvolk“ mitbekommen haben. Es gibt durchaus noch überlebende Tassaier, sie sind nur nahezu spurlos verschwunden. Und es steht sehr zu erwarten, dass auch auf sie tödliche Überraschungen zukommen.

Merkt euch jedoch den Pfad zu den Tassaiern gut, meine Freunde – ihr seht sie rascher wieder, als ihr glaubt.

Soviel für heute zu den lebensgefährlichen Entwicklungen in der nächsten TI-Episode. In der kommenden Woche erzähle ich euch in der nächsten Folge der Blogartikelreihe „Was ist eigentlich der OSM?“ mehr zur Historie meiner kreativen Arbeit am OSM in den vergangenen Jahren.

Bis dahin noch viel Spaß mit der Lektüre meiner E-Books!

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Rezensions-Blog 84: Würste der Hölle

Posted November 2nd, 2016 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

deutsche Sprache schwere Sprache“, heißt es manchmal radebrechend von auswärtigen Gästen, die zumindest einigen Aufwand betreiben, die wirklich komplizierte deutsche Sprache zu beherrschen. Es gab auch mal jemanden, der unser Idiom „the awful german language“ nannte und bei dem Versuch, es zu erlernen, so wütend wurde, dass er ein äußerst unterhaltsames Buch dazu ge­schrieben hat (das werde ich sicherlich beizeiten auch in den Rezensions-Blog einarbeiten). Doch heute soll es nicht um Mark Twain gehen, sondern um Titus Arnu, einen pfiffigen Journalisten mit dem Gespür, wenn etwas wirklich so gar nicht funktioniert (Bastian Sick lässt grüßen).

Er hat schon einen Band solcher verbaler Entgleisungen herausgegeben, über den ich mich köstlich amüsiert habe (und nein, das hat jetzt nichts mit Schaden­freude zu tun, wie ja so gern missverstanden wird). Ich betrachte solche Samm­lungen als Stimmungsaufheller, und es gibt ja auch wirklich die kuriosesten Schilder und schriftlichen Zeugnisse. Nur mal so unter uns – vor vielen Jahren las ich hier in Braunschweig ein Schild, auf dem stand, ohne Witz, „Bin Laden fertig“. Wenn ich es recht erinnere, war das ein Hinweisschild auf eine Laden­schließung. Man konnte das auch anders verstehen…

Titus Arnu hat nun jedenfalls aus der Not eine Tugend gemacht und kommen­tiert eingesandte Fotos von Urlaubern aus aller Herren Länder, um anschlie­ßend sicherlich gutes Geld mit dem veröffentlichten Buch zu machen. Wer so etwas mag und über das Werk im Buchhandel stolpern sollte, der kann das Ki­chern gern schon an Ort und Stelle beginnen.

Einen kleinen Vorgeschmack darauf gibt es jetzt:

Würste der Hölle

Übelsetzungen. Neue Sprachpannen aus aller Welt

von Titus Arnu (Hg.)

Langenscheidt

Berlin und München 2008

132 Seiten, TB

ISBN 978-3-468-29850-9

Mal Hand aufs Herz – es ist schon wirklich urkomisch, wenn man Geburtstags­geschenke auspackt und sich auf einmal einem Glas Bockwürsten gegenüber sieht. Ich schaute also am vergangenen Sonntag auch nicht gerade intelligent drein, als das geschah.

Meine Freundin Conny reichte mir ein weiteres Geschenk und meinte nur: „Das gehört dazu. Du verstehst das schon, wenn du es auspackst.“

Und fürwahr, so war es: darin nämlich fand sich dieses Buch, das auf meiner Wunschliste gestanden hatte. Da lachte ich schon, als ich es anschaute, und heute, nachdem ich es ausgelesen habe und meine Lachmuskeln reichlich stra­paziert wurden, dachte ich mir: ich sollte es mal wenigstens kurz rezensieren, ob nun für die Leute, die generell wenig zu lachen haben oder weil sie dringend danach verlangen, mal wieder so richtig herzhaft in Bus oder Bahn loszuprusten und die Mitmenschen zu verwirren.

Das hier ist das richtige Mittel dazu.

Wieder einmal hat Titus Arnu Fotos von Urlaubern gesammelt und mit frechen Kommentaren zur Irreführung und Erläuterung versehen, und er verirrt sich da­bei gelegentlich schon in wirklich abenteuerliche, um nicht zu sagen: phantasti­sche Gefilde. Ein paar Zitate mögen das deutlich machen.

Schon im Vorwort fängt es ziemlich wild an: „Urlaub kann die Hölle sein. Am Strand lauern tödliche ‚Warnmarinestachel’. Im Wald wimmelt es von ‚lanusen­den Tieren’. Auf dem Gemüsemarkt muss man mit gefährlicher ‚Pilzmanipulati­on’ rechnen. Und dann noch dieses furchtbare Essen: Es gibt ‚Rasur zum Eisen’, ‚Carpaccio mit Geldstrafe des Tiers’ oder ‚Falten verrückter mit Birkenpilz und Paprika’.“

Das klingt doch nicht eben anheimelnd, nicht wahr? Vielleicht… na ja, also viel­leicht sollte man doch lieber auf den Urlaub verzichten, wo man doch – meis­tens zumindest – so sehr am Leben und eigenen Wohlergehen hängt? Aber Arnu hat natürlich auch noch gute Argumente, die dann für das Gegenteil spre­chen:

Urlaub kann aber auch wunderbar sein. Eine Kirche in Frankreich wartet mit ei­nem ‚Zerstäuber der Umgebungsmusik’ auf. Das ist schön. Ein Trampolin in Kroatien ermöglicht es, aus der Arbeitszeit zu springen.1 Das ist befreiend. Ein Schild in China bittet Touristen: ‚Please fall into water carefully’ – bitte fallen Sie vorsichtig ins Wasser! Das ist nett. Und die Gemeinde Cisano am Gardasee heißt Besucher herzlich zum ‚Hundertjährigen Vögelfest’ willkommen. Das ist einfach geil…“

Da bleibt dem ahnungslosen Leser doch ein wenig die Spucke weg. Und man wird, so ging es mir wenigstens, unweigerlich neugierig, was denn nun schon wieder alles im Ausland schief gegangen ist und auf Schildern verewigt wurde, zum Gaudium der Leserschaft.

In sieben Kapiteln, von „Zu Gast bei Freunden“ über „Badespaß“, „Mahlzeit!“, „Vorsicht!“ bis hin zu „Chinglish“, „Alles verboten!“ und „Gewusst wie“ werden Urlaubsfreuden, Bademoden, Essenssitten, allgemeine (und bisweilen gemein­gefährliche) Warnungen vor dem Leser ausgebreitet, außerdem ist die beliebte Rubrik „Was passiert wohl, wenn Chinesen versuchen, unvollkommenes Englisch zu schreiben“ (das Resultat nennt man dann „Chinglish“ und das ist besonders abenteuerlich, meistens etwas für ausgebuffte Rätselfreaks) dabei, und am Ende finden wir die Abteilung „Bedienungsanleitungen“, für die man offenbar ein eigenes chaotisches Hochschuldiplom benötigt, um sie zu verstehen.

Uns begegnen in diesem Buch, um nur mal so eine kleine, höchst unvollständi­ge Auswahl zu präsentieren, auswärtige Zahnärzte, die auf Hartz-IV-Patienten in Spanien abonniert sind, Schauderterrassen, Furienwohnungen, „das knospen Indianische Wirtschaft“, wo „everysection pro-beschleunigt“ ist, Tickets zum Be­such eines Leuchtturms sind zu „erlegen“ (womöglich mit der Schrotflinte?), ei­gentümliche „Zimmervonsicherheitsdienste“ müssen erst graviert und dann be­schleunigt werden, Wertgegenstände werden im „Seif des Hotels“ eingeseift und sind hinterher schön sauber, Protokolle werden bekämpft, in tschechischen Supermärkten gibt es Geheimbedarf und Zweige zu kaufen, in Turin soll man Opfergaben für die Hordentücher hinterlassen… und das ist alles nur der An­fang…

Wahrlich, es ist manchmal zum Brüllen komisch, was hier präsentiert wird. Die Welt ist verrückter, als wir uns das ausmalen, und die Beherrschung der deut­schen Sprache im Ausland ist doch selbst in EU-Mitgliedsländern gelegentlich… nun, sagen wir es behutsam… suboptimal. Titus Arnu, der hiermit schon den zweiten Band seiner „Übelsetzungen“ präsentiert, hat eine wirklich erfrischen­de, sehr kurzweilige Sammlung von Kuriositäten vorgelegt, die man mühelos in zwei Tagen „inhalieren“ und als Stimmungsaufheller benutzen kann. Wer sonst nichts oder zu wenig zu lachen hat oder sich von den obigen Beispielen inspi­riert fühlt, sollte zugreifen. Das Buch ist im allgemeinen Buchhandel erhältlich, und das Gekicher und Lachen entschädigt für jeden ausgegebenen Euro. Großes Indianerehrenwort! Oder wie die Inder das sonst nennen…

© by Uwe Lammers, 2011

Nun, ich denke, ich habe nicht wirklich zu viel versprochen, oder? Es lohnt sich tatsächlich. Und das Lesevergnügen entfernt euch für eine Weile aus der Wirk­lichkeit, ganz so, wie es ein gutes Buch tun sollte.

Nächste Woche macht ihr eine ungewöhnliche Erfahrung an diesem Ort – da stelle ich euch nämlich gleich VIER Autoren auf einmal vor, die in vier unter­schiedlichen Welten agieren. Nein, nein, nicht als Coautoren. Wie dann? Nun, da lasst euch mal überraschen. Auch dieses Buch hat es dann wirklich wieder in sich.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Mich deucht, Zeitmaschinen sind dagegen komplizierte Apparate… wie war das noch mal mit der Phantastik in diesem Buch…?

Liebe Freunde des OSM,

als ich vor fünf Wochen meinen Blog abschloss,um über den Monat Juni 2016 den Schlussakkord an Buchstaben zu vollenden, nahm ich, einigermaßen düster gestimmt, natürlich an, der nächste Monat würde nicht sehr viel angenehmer verlaufen. Immerhin legte das ja meine Arbeitsbelastung der vergangenen Mo­nate doch auch sehr nahe.

Es sah sogar noch finsterer aus als üblich, da schon am 2. Juli eine Beerdigung anstand… konnte ich wissen, dass mich die wahnwitzige politische Gegenwart zu einer Spontanidee hinreißen würde, die wirklich binnen eines Tages – und unterbrochen von Beerdigung und Trauerfeier – just an diesem 2. Juli aufs Pa­pier kondensieren würde?

Nein. Meine Kreativität ist und bleibt nun einmal unberechenbar. Ich erwähne diese Geschichte mit dem Titel „Wahltag 2040“ nicht deshalb, weil sie einen OSM-Bezug hat. Den hat sie nicht. Ich tue es aus dem Grund, weil das einesteils so unerwartet kam und zum anderen auch zeigt, dass ich durchaus nicht ein es­kapistischer Träumer bin, sondern mich von politischen Turbulenzen der Gegen­wart – Stichworte „Brexit“, „Putschversuch in der Türkei“ usw. – durchaus mit­reißen lasse.

Es gab übrigens noch so ein interessantes Ereignis, ich komme dazu gleich noch. Doch zuvor schauen wir uns mal gemeinsam an, was ich in dem verstrichenen Monat bezüglich des OSM und des Archipels auf die Füße stellen konnte. Es war wieder vergleichsweise bescheiden:

18Neu 75: Gespenst der Zeit

Blogartikel 186: Work in Progress, Part 43

(OSM-Wiki)

(E-Book 35: Späherin der Cestai)

Everstons Traum – Phantastik-Story

Erläuterung: Dies war jetzt das oben erwähnte Vorkommnis Nummer 2, das mich im Juli völlig überraschte. Kurz zuvor hatte ich einen interessanten Bild­band erstanden und war dabei, ihn durchzublättern, als ich auf eine bezaubern­de Illustration stieß, die meine Kreativität in Wallung brachte.

Dazu sollte ich mal was schreiben“, sinnierte ich, legte ein Blatt mit ein paar Bleistiftnotizen in das Buch ein… und dann vergingen nicht mal 24 Stunden, bis ich auf das Blatt noch mehr notierte, darunter auch den Titel der Geschichte, eben „Everstons Traum“. Und ruckzuck, schrieb sich die Geschichte wie von selbst. Erzählt von einem alten Säufer in Form einer etwas unsortierten Beichte… von einem Wesen aus Urzeiten, das die kleine englische Gemeinde Lavis heimsuchte.

Gruselig. Erotisch. Phantastisch.

Das zeigte mir nachdrücklich: die Ideen sprudeln noch, man muss nur ausgeruht genug und inspiriert sein, um sie auch zu Papier zu bringen. Well, und die Zeit dafür muss man natürlich auch haben, klar.

Und nein, auch dies ist leider keine OSM-Geschichte, meine Freunde. Ich werde euch da auf eine meiner nächsten Kurzgeschichtensammlungen vertrösten müs­sen, wo ich sie wohl veröffentlichen werde. Falls sie nicht zwischenzeitlich in Fanzines ihren Raum findet, wohl in zwei Teile zerschnitten, weil sie doch etwas umfangreicher wurde als die Wahltag-Geschichte.

(Das Geheimnis des Vungash – Archipel-Story)

(Blindlings – Archipel-Story)

(Gashhoys Geschichte – Archipel-Story)

(Kapitän Taisanors Geschichte – Archipel-Story)

(Raubgut – Archipel-Story)

(Auf und nieder – Archipel-Story)

(18Neu 76: Botschafter der Siegelwelt)

Erläuterung: Ich gestehe – auf diese Abschrift habe ich mich sehr gefreut. Das hat Gründe, die ihr mangels Informationen nur schwerlich nachvollziehen könnt. Ich versuche dennoch, euch hier ein wenig heranzuführen: Die Siegelwelt ist ein geheimnisvoller Ort im Oki Stanwer Mythos, den ich erstmals im Jahr 1986 be­reiste, also vor gut 30 Jahren. Ein Planet, der einem planetaren Würfel zum Ver­wechseln ähnlich sieht. Künstliche Schwerefelder unter den Seitenflächen erzeu­gen eine konstante Gravitation. Im KONFLIKT 17, also der Serie „Drohung aus dem All“ (1983-1986) war die Siegelwelt der Austragungsort des finalen Kamp­fes zwischen Oki Stanwer und seinen Getreuen einerseits und den Kämpfern TO­TAMS auf der anderen Seite. Als Zünglein an der Waage agierte damals ein monströser Fremder namens Soffrol, der mir zu dem Zeitpunkt schon als wan­kelmütiger, wechselhafter Gesell bekannt war. Er wurde mit Recht als notori­scher Frontenwechsler bezeichnet.

Die Siegelwelt entschwand aus meinem Blickfeld, war aber nicht vergessen – wie hätte sie das auch sein können? Sie war schließlich die Nahtstelle zwischen der so genannten „Knochendimension“ und dem legendären „Vorhof“, in dem TOTAMS grüne Sonne Granat im Schwarz des Alls brannte und der schwarze Kristallplanet TOTAM selbst seine Bahnen zog.

Nun, und in KONFLIKT 18, in der Serie „Kampf gegen TOTAMS Dämonen und Schergen“ (KGTDUS, 1984-1989), taucht die Siegelwelt wieder auf. Genauer: in dem Vierteiler, der mit Band 75 der Serie begann, erhielt Oki Stanwer einen rät­selhaften Kristall-Nachrichtenzylinder, und im obigen Band 76 durchschritt er ein Tor zur Siegelwelt, um den Absender der Nachricht zu treffen – ein Wesen, dessen Namen er irgendwann mal gehört zu haben schien, das er aber sonst vollkommen vergessen hatte… ein Wesen namens SOFFROL…

Heute weiß ich, dass zwischen den beiden Besuchen Oki Stanwers auf der Sie­gelwelt rund fünf Milliarden Handlungsjahre liegen. Aber damals war ich noch etwas unbedarfter. Ach, ich freue mich so sehr darauf, euch diese Abenteuer dereinst mal hautnah in E-Book-Form zeigen zu können…

Blogartikel 203: Legendäre Schauplätze 1: Arc

Erläuterung: Ja, auch hierzu muss ich etwas sagen. Mit Ausgabe 200 des Wo­chen-Blogs kommen neue Rubriken hinzu. Das hier ist nach „Der OSM in Ge­dichtform“ der nächste Bereich. Wie lang diese Rubrik werden wird, kann ich aktuell noch nicht sagen, auch nicht, ob ich dabei streng alphabetisch bleiben oder alle Buchstaben abgrasen werde. Es kann sehr gut sein, dass es mehrere Einträge zum gleichen Buchstaben gibt.

Hierbei soll es um legendäre Galaxien und Planeten bzw. auch technische Arte­fakte größerer Dimension gehen (unter Z könnte ich mir beispielsweise „ZYNEEGHAR 11“ vorstellen, unter Q so etwas wie „QUANGOOR-8810“). Es schien mir jedenfalls an der Zeit, wieder für etwas mehr Breitenwissen zu sorgen. Im kom­menden Jahr möchte ich euch schließlich mitnehmen in eine Sterneninsel na­mens Bytharg… ein wahrlich legendärer Ort, den ich dann in der obigen Blogar­tikelreihe schon mal ein wenig vorstellen werde.

Ich denke, darauf könnt ihr euch freuen.

(12Neu 35: Geleitzug ins Nichts)

(12Neu 36: Das Reich hinter dem Universum)

Erläuterung: Dieser Titel könnte euch die Stirne kräuseln. Wie mag man sich so etwas vorstellen, ein Reich „hinter dem Universum“? Außerhalb jetzt, oder wie? Nein, sage ich wissend lächelnd, so nicht. Im Jahre 1989, als ich diese Episode schrieb, fiel ich gedanklich in ein ungeheuerliches Kontinuum hinab, nämlich in die so genannten „unterkosmischen Niveaus“, die das Universum untertunneln wie Würmer Kanäle durch einen Käselaib graben. Diese phantastische Kulisse ließ mich nicht mehr los, und sie birgt selbst heute noch nach über 25 Jahren so unglaublich viele Geheimnisse, dass die „unterkosmischen Niveaus“ seither in noch vielen weiteren OSM-Serien in Erscheinung getreten sind. Vertraut mei­nem Urteil – wenn ihr dabei bleibt, werdet ihr diese Orte an meiner Seite betre­ten, und ich denke, sie werden auch für euch unvergesslich werden… im positi­ven wie im grässlichen Sinne…

(Glossar der Serie „Kampf gegen TOTAMS Dämonen und Schergen“)

Tja, meine Freunde… und damit hatte es sich dann schon wieder für den Monat Juli. Ich sagte ja, die wirklich starken kreativen Anstöße kamen am Monatsan­fang und aus Bereichen jenseits des OSM. Ansonsten kam ich nur ganz beschei­den vorwärts. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass das im kommenden Monat ein wenig positiver wird… wobei ich irgendwie noch gar nicht recht zu glauben vermag, dass es echt schon wieder so spät im Jahr ist! Gütiger Himmel, das Jahr 2016 ist schon zu mehr als der Hälfte vorbei! Der Geburtstagsmara­thon beginnt (August…), und bald steht schon wieder Weihnachten vor der Tür, und der dritte (!) Todestag meines lieben Vaters…

Ehrlich, es ist erstaunlich, wie schnell das Jahr dahinrast.

Und auch der Blogbeitrag hat für heute ein Ende. Ich verrate mal noch nicht, wohin ich euch in der kommenden Woche hin entführe. Da lasst euch mal über­raschen – und versäumt nicht den nächsten Eintrag. Es gibt doch nichts Inter­essanteres als ein wenig prickelnde Vorfreude auf das, was noch kommt, nicht wahr…?

Bis bald, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Rezensions-Blog 83: Eisberg

Posted Oktober 26th, 2016 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

wie ihr wisst, schätze ich Clive Cussler als Autor sehr, der es versteht, den Leser auf die Achterbahnfahrt durch seine bisweilen wirklich sehr rasanten Romane mitzunehmen. Selbstverständlich gibt es immer wieder auch logische Ausfälle, beispielsweise krass von mir kritisiert vor Jahren bei dem Roman „Akte Atlan­tis“, aber das hält sich immer ziemlich im Rahmen des Akzeptablen.

Bei Frühwerken von Cussler ist das schwieriger. Man merkt da deutlich, er expe­rimentiert noch – mal mit brutalen Frauen als Mörderinnen, dann mit seinem Alter Ego Dirk Pitt, das ebenso rücksichtslos zurückschlägt, mal spielt Politik eine so massive Rolle, dass man sich im falschen Film glaubt, dann wieder flat­tert eine ungehemmt rassistische Karte über den Tisch… nun, und hier läuft das also ähnlich.

Eisberg“ ist ein Frühwerk von Clive Cussler, und das merkt man an sehr vielen Stellen deutlich. Der Roman ist dramatisch, keine Frage, und wer hiermit in Cusslers Dirk Pitt-Universum startet, könnte es kniffliger haben… ich war gleich­wohl etwas vom Gesamtergebnis enttäuscht, als ich dieses Buch nach rund 30 Jahren endlich wieder in meinem Regal stehen hatte und es ein zweites Mal las.

Und trotzdem denke ich, ist es eine Vorstellung wert, und die kommt jetzt:

Eisberg

(OT: Iceberg)

Naumann & Göbel Verlagsgesellschaft mbH

Ursprünglich 1975, hier 1978

324 Seiten, geb.

Aus dem Amerikanischen von Tilman Burkhard

ISBN 3-625-20332-4

Als ein Patrouillenflugzeug der US-Küstenwache, das zur Eisbeobachtung einge­setzt wird, reichlich unerwartet ein in einem Eisberg festgefrorenes Schiffs­wrack entdeckt und den Berg markiert, ist niemandem an Bord der Maschine klar, dass sie damit ein tödliches Geheimnis entdeckt haben. Das wird auch Lieutenant Lee Koski nicht klar, der das Schnellboot Catawaba der Küstenwache kommandiert. Er ist nur reichlich überrascht, als in rauher See ein Hubschrau­ber auf seinem Deck landet und zwei Personen ausspeit – den fülligen Wissen­schaftler Dr. Bill Hunnewell und seinen Piloten, Major Dirk Pitt von der NUMA. Sie sind in geheimer Mission unterwegs. Beide erzählen ihm ein abenteuerli­ches Garn über ein russisches Spionageschiff, das vor Monaten spurlos ver­schwunden ist und das sie unbedingt nun als erste erreichen müssen, ehe die Russen das schaffen, die im gleichen Sektor nach dem im Eisberg eingefrorenen Schiff fahnden.

Dummerweise stimmt nahezu nichts davon, und über einen Teil der Lügen ist sich Dirk Pitt im Klaren. Dennoch – als er mit Dr. Hunnewell das Wrack findet, ist er doch nicht wenig erschüttert, aus mehreren Gründen: zum einen hat jemand einen Tunnel zum Wrack gegraben, zum anderen ist das Wrack vollständig aus­gebrannt, und drittens ist die gesamte Besatzung fast bis zur Unkenntlichkeit verkohlt.

Doch dass die beiden Finder das Wrack und die Namen aller Besatzungsmitglie­der kennen, ist nur ein Teil des Problems. Pitt argwöhnt, dass das Schiff, in Wahrheit die Yacht Lax des isländischen Bergbauunternehmers Kristjan Fyrie, das vor einem Jahr spurlos verschwunden ist, keiner natürlichen Katastrophe zum Opfer gefallen ist, sondern im Zuge eines ungeheuerlichen Verbrechens ge­zielt vernichtet wurde. Irgendetwas dabei scheint schief gelaufen zu sein.

Und schlimmer noch: als Hunnewell und Pitt nach Island weiterfliegen, reisen sie um ein Haar in den Tod. Ein gefährlicher Gegner lauert ihnen auf und verübt nacheinander mehrere Mordanschläge auf sie. Pitt kann sie überleben, ist nun aber nicht nur physisch ziemlich angeschlagen, sondern erst recht zornig und höchst erpicht darauf, die Hintergründe des Dramas aufzuklären.

Sein Chef, Admiral James Sandecker, kommt ebenfalls nach Island, zusammen mit seiner Sekretärin Tidi Royal, und binnen kürzester Zeit steckt Dirk Pitt in ei­nem gigantischen Komplott, das einen erheblichen Teil der politischen Weltkar­te umkrempeln soll und in dem Mord und Totschlag als Mittel völlig normal zu sein scheinen. Und die Macht im Dunkel verfügt über atemberaubende Ressourcen an Geld, Personal und Material, die sie bedenkenlos einsetzt.

Am schlimmsten ist jedoch die unglaubliche Macht, die die „Eremit“-Gesell­schaft hat und die bis in höchste Politikkreise reicht. Es sieht ganz so aus, als habe es Pitt hier mit einem Gegner zu tun, der ihm weit überlegen ist. Spätes­tens, als er schwer verletzt durch die gottverlassene isländische Tundra stapft, im Wettlauf mit dem Tod, ist ihm endgültig klar, dass es vielleicht diesmal doch die bessere Entscheidung gewesen wäre, sich ins sonnige Kalifornien zurückver­setzen zu lassen… aber andererseits… dann wäre er natürlich auch nicht in Dis­neyland bei den Pirates of the Caribbean gelandet…

Dieser frühe Roman von Clive Cussler liest sich, so jedenfalls mein Eindruck, un­gewöhnlich schwerfällig. Das mag einerseits mit dem unbekannten Übersetzer zu tun haben, den man später nie wieder ranließ, zum Teil sicherlich aber auch damit, dass wir Pitts Sidekick Albert Giordino vermissen müssen. Er taucht im ganzen Roman nicht einmal namentlich auf, was schon sehr bedauerlich ist. Die frotzelnden Gespräche der beiden Freunde fehlen hier definitiv. James Sande­cker und andere Protagonisten, die in diesem Roman auf den Plan treten, hel­fen da nicht wirklich aus.

Ebenfalls ungewöhnlich ist die Schwafeligkeit der Handlungspersonen. Sowohl Pitt nutzt viele Gelegenheiten zu unerwartet wortreichen Erläuterungen – was später so nicht mehr sein Stil ist – als auch seine Gegner und seine Helfer. Das nervt rasch. Man hat an vielen Stellen das dumme Gefühl, als habe Cussler hier einen ihm thematisch noch recht fremden Stoff relativ ungenügend adaptiert und deshalb vieles nahezu 1:1 aus dem Skript in wörtliche Rede übertragen, um die Geschichte tragfähig zu machen. Das verlangsamt sie aber außerordentlich.

Außerdem ist es einigermaßen grotesk, Dirk Pitt in ausgesprochener Tuntenatti­tüde und ebensolcher Bekleidung vorzufinden. Natürlich, er spielt eine Rolle, und das funktioniert auch ganz gut… aber dennoch ist die Wirkung so bizarr, dass Cussler darauf nie wieder zurückgegriffen hat. Ich würde mal vermuten, er hat gemerkt, dass er damit am Geschmack der Leser deutlich vorbeischrieb und die Umsätze hinter den Erwartungen zurückblieben.

Wer als unbedingt alle Cussler-Romane lesen und kennen möchte, sollte sich den hier ebenfalls antun. Ansonsten scheint er mir eines der Werke von ihm zu sein, die man sich durchaus verkneifen kann.

© by Uwe Lammers, 2015

In der kommenden Woche schlagen wir ein völlig ungewohntes Sujet auf, für das ich nicht mal einen gescheiten Namen finde. Sachbuch wäre irgendwie… schräg, ein Roman ist es nicht… schwierig zu sagen, was es sein könnte. Auf je­den Fall kann ich versichern, was unbedingt der Fall ist: es ist saukomisch. Und schon das sollte Grund genug für euch sein, in sieben Tagen wieder vorbeizu­schauen. Ich glaube, euer Zwerchfell wird das mögen.

Bis bald dann,

mit Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Wochen-Blog 190: Kreative Stimuli

Posted Oktober 24th, 2016 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

die Kreativität ist ein rätselhaftes Land mit ungewissen Gezeiten, die kommen und gehen, wie sie wollen. Oftmals sind große Geister in der Vergangenheit mit Zauberern verglichen worden, ganz gleich, welche Profession sie ausübten. Männer und Frauen, die aus schlichten, amorphen Farben auf einer Palette phantastische Bildlandschaften auf die Leinwand zauberten, wie man sie nie­mals zuvor gesehen hatte. Menschen, die Gestalten von beklemmender Reali­tätsnähe aus dem harten Stein meißelten, andere hingegen, die Buchstabenrei­hungen vornahmen und betörende, fesselnde Visionen zu Papier brachten. Schweigen wir von den Musikern, von Architekten und all den anderen klugen, unkontrollierbaren Geistern, die im Flow die erstaunlichsten Dinge erschufen.

Sie alle waren und sind Jünger und zugleich Teil des rätselhaften Pools der Krea­tivität, der wie eine gewitterschwangere Wolke über der Menschheit wabert, seit Jahrtausenden schon, wie ich schätze. Wahrscheinlich ist der Zugang zu die­sem Reservoir gebunden an eine gewisse Entwicklung der neuronalen Kapazitä­ten des menschlichen Verstandes, und wenn man mehrheitlich damit befasst ist, sich den Lebensunterhalt mühsam zu erarbeiten, dann sind einfach keine mentalen Freiräume für das Ausbauen und Entwickeln der Kreativität vorhan­den.

Womit aber mag ein Mensch, der in diesen Bereich eintritt, letzten Endes seine kreative Ader stimulieren? Das ist vermutlich von Person zu Person, von Land zu Land, sicherlich auch von Zeitalter zu Zeitalter unterschiedlich. Aber vielleicht pflichtet ihr mir bei, wenn ich sage, dass die Möglichkeit, seine kreativen Poten­tiale zu entdecken, niemals größer waren als in unserem aktuellen Zeitalter.

Woran liegt das und wie komme ich zu dieser Auffassung?

Nun, ich gehe da aus nahe liegenden Gründen von mir selbst aus. Als ich be­gann, meine kreativen Fertigkeiten auf dem Sektor des Schreibens und Illustrie­rens zu entwickeln, da befanden wir uns alle noch in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts. Es existierte kein Internet, es gab nur drei Fernsehkanäle, der Zu­gang dorthin war ausgesprochen beschränkt durch elterliche Vorgaben. Ich will nicht leugnen, dass ich da interessante Dinge zu sehen bekam, etwa die Verfilmung des Musicals „My Fair Lady“ mit Audrey Hepburn oder auch die alten „Winnetou“-Verfilmungen mit Pierre Brice. Aber phantastische Stoffe lud ich mir dann doch eher mit Hilfe von Comics und Büchern in mein Hirn, die ich von Schulfreunden, Flohmärkten oder Büchereien organisierte.

Wie schon gesagt, die Möglichkeiten zur Stimulierung der Kreativität waren we­nigstens in meinem Fall eher beschränkt.

Für andere Jahrzehnte und Jahrhunderte gibt es weitere überlieferte Szenarien, die das inspirative Feuer entfachten – da gab es Menschen, die durch lebhafte Träume entflammt wurden. Oder die auf Reisen ganz extraordinäre Erfahrun­gen machten, die sie in ihre Erzählungen einwoben. Besonders Schriftsteller des 19. Jahrhunderts wären hier zu nennen, ziemlich an der Spitze meiner Auffas­sung nach ein humorvoll-schrulliger Amerikaner namens Samuel Longhorne Clemens, der sich den Künstlernamen Mark Twain zulegte.

Selbstverständlich sind Reisen bis heute als Möglichkeit, Blicke über den Teller­rand des bisweilen engen Lebenshorizonts zu werfen, als inspirative Quellen für die Kreativität nicht auszublenden. Die Wirkung von Reisen auf meine Kreativi­tät schätze ich allerdings eher mäßig ein. Ich habe das jüngst erst wieder erlebt.

Vor ein paar Tagen, gemessen an dem Zeitpunkt, da ich diese Zeilen schreibe, war ich selbst auf Dienstreisen in den Süden Deutschlands und betrat ein paar interessante Ecken, in denen ich noch nie gewesen war – neben dem Frankfur­ter Hauptbahnhof war das insbesondere das idyllische, kleine Städtchen Idstein im Taunus und das bergige Koblenz, wo ich ein Archiv aufsuchte und Akten wälzte.

Für die meisten von euch ist das wohl eher eine Art von Strafe, aber nicht für mich. Ich liebe Archive und unbekanntes Aktenmaterial, und es war eine tolle Erfahrung… sie wurde indes klimatisch eingetrübt, denn ich bin nun wirklich – im Gegensatz zu meiner bewunderungswürdigen Prinzessin Christina von Zhiongar im Archipel – alles andere als gluthitzetauglich. Während Christina sol­che Witterung genießt und sie am liebsten schamlos splitternackt genießt und sich knusperbraun braten lässt (noch freudiger gibt sie sich in solcher Glut der Wonne der Liebe hin), würde ich vom bloßen Gedanken daran in den Kollaps getrieben werden. Ich funktioniere bei solcher Witterung mehr wie eine Kellerassel: geh in Schatten, geh in Deckung, auf dass du nicht vertrocknest.

Ich bin definitiv kein Tropenmensch, und drum setzen mir die aktuellen Tempe­raturen von über 30 Grad auch sehr zu.

Doch zurück zum Thema: Ich sagte, einstmals wurde ich (mäßig) von einem ein­geschränkt zugänglichen Fernsehprogramm stimuliert, stärker dann von Litera­tur und Comics. Ab den späten 70er Jahren kamen Heftromane hinzu, dann An­fang der 80er Kinofilme, und schließlich im neuen Jahrtausend dann Internet­quellen, Streaming und dergleichen.

Meiner Ansicht nach ist es immer noch so, dass ich mental-kreativ wie in mei­ner kreativen Frühzeit funktioniere, und das läuft etwa so: Es gibt so etwas wie einen kreativen Akku tief in meiner Seele, der stetig mit Informationen und in­teressanten Stoffen gefüttert werden möchte. Es ist dabei zunehmend gleich­gültig, welcher Art genau diese Stimuli sind… nur ist es soweit klar, dass dieser Akku oder kreative Dynamo eine gewisse Kapazitätsgrenze besitzt. Wenn sie er­reicht wird, empfinde ich Neulektüre, Filme und ähnliches als fad, während un­terbewusst mein sensibles, kreatives Bewusstsein mit einem aktiven Misch- und Rekombinationsprozess begonnen hat.

Dann kommt der Moment der kreativen Entladung. Bilderströme suchen mich heim und drängen nach Realisierung. Dabei kann es gut passieren, dass in weni­gen Tagen Geschichten von vierzig oder fünfzig Seiten gewissermaßen wie von selbst aufs Papier kondensieren (bzw. heute: auf den Bildschirm). Es ist ein biss­chen gleich einem Sturm im Hirn, der unaufhaltsam ist und sich nur bedingt verzögern lässt. Ein Neurologe würde vielleicht eine gewisse Parallele mit einem „Anfall“ herzustellen suchen, doch wäre das ein pathologischer Vergleich.

Meines Erachtens hat ein kreativer Flow mit Pathologie nichts zu tun. Es han­delt sich dabei um eine Gabe, um etwas, was ich grundsätzlich positiv konnotie­re, so unkontrollierbar es auch im Detail sein mag. Manchmal war ich früher so tief versunken, dass ich, wenn ich wieder „in der Realität“ auftauchte, voller Verwunderung und Staunen auf das schaute, was ich geschrieben hatte und es nur schwer einzuordnen wusste.

Überrascht es, dass ich in den 80er und frühen 90er Jahren gelegentlich die Auffassung in Diskussionen vertrat, es handele sich um „Eingaben“, Informati­onsblenden aus dem Irgendwo oder Irgendwann? In Anbetracht der angedeute­ten Umstände kann das vermutlich nicht verwundern.

Heutzutage bin ich ein wenig kühler in der Einschätzung. Aber das Mysterium der kreativen Stimuli und ihrer Resultate bleibt nach wie vor schwer zugänglich. Ich hege inzwischen die Überzeugung, dass ich ein mentales Gleichgewicht brauche und mich einseitige Orientierung aus eben jenem Gleichgewicht herauskatapul­tiert, was sich in Fahrigkeit, Nervosität, Unkonzentriertheit und ähnlichen Sym­ptomen äußert. Will also heißen: es bedarf einer gewissen Balance zwischen der beruflichen Beanspruchung einerseits und der kreativen Entfaltung ande­rerseits, damit ich im mentalen Gleichgewicht bleiben kann. Das Bild eines Seil­tänzers, dessen Balancierstange auf einmal unkalkulierbar einseitig belastet wird, wodurch er aus dem Takt gerät und in Absturzgefahr, ist hier vermutlich angebracht. Recht ähnlich empfinde ich das auch.

Vielleicht liegt der tiefere Grund für diese Neigung zum Ausbalancieren, zum Gleichgewicht in meinem Sternzeichen, wiewohl ich definitiv nicht an Astrologie „glaube“. Aber eine gewisse Präferenz für das Gleichgewicht ist natürlich in mei­nem Sternzeichen „Waage“ angelegt.

Die kreativen Stimuli kümmert das eher nicht, sie sind überschießend und lei­denschaftlich wie eh und je, und das ist grundsätzlich auch sehr gut. Mögen sich manche kreativen Geister nur zu ihren Höhenflügen aufschwingen können, wenn sie sich mit Reisen, angenehmer Gesellschaft, leidenschaftlichen Affären, einem gewissen Pegel an Alkohol oder anderen Giften stimulieren… ich be­schränke mich dann doch lieber schmunzelnd auf meine bescheidenen Haus­mittel.

Hausmittel, damit ist eben das gemeint, was ich oben andeutete: Lektüre, Fil­me, Ruhe daheim. Flankiert gelegentlich von inspirativer Musik und schmack­haftem Tee, Gesprächen mit guten Freunden und der einen oder anderen ge­meinsamen Unternehmung. Mehr bedarf es wirklich nicht… wenigstens kann ich das rückblickend für die vergangenen 50 Jahre meines Lebens sagen. Wie es sich hingegen in der Zukunft entwickeln wird, vermag ich nicht zu beurteilen. Aktuell schätze ich, wird es so ähnlich weitergehen wie im Gestern.

Und da uns zweifelsohne das Thema der Kreativität in der einen oder anderen Weise noch in vielen weiteren Blogartikeln beschäftigen wird, möge die heutige kleine „Meditation“ zum Thema der kreativen Stimuli für den Moment genü­gen.

In der kommenden Woche nehme ich euch mit in die Kreativbilanz des Monats Juli 2016.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Rezensions-Blog 82: Alles über Alice

Posted Oktober 18th, 2016 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

zweifellos kennt ihr, wenn ihr schon langjährige Freunde des phantastischen Genres seid, Lewis Carolls phantastischen Klassiker „Alice im Wunderland“, möglicherweise auch seine Fortsetzung „Alice hinter den Spiegeln“. Ich geste­he, ich bin ein Spätberufener und habe beide Werke erst recht spät in meiner Lesekarriere entdeckt, nämlich während der Schlussphase meines Studiums an der TU Braunschweig, also in den späten 90er Jahren, als ich schon auf die 40 zuging.

Einerlei… noch etwas später stolperte ich dann über das Werk, das ich euch heute als Leseempfehlung sehr ans Herz legen möchte. Denn es ist doch so – wenn man das Buch eines klugen, raffinierten Geistes liest, muss man oftmals Dinge hinnehmen, die scheinbar keinen Sinn ergeben. Das ist umso häufiger der Fall, wenn der Autor sowieso zu logischen Schrullen und Tricksereien neigt, zu Wortspielen, Analogien und dergleichen, und vollends undurchdringlich werden dann solche Passagen, wo er auch noch biografische Einzelheiten in den Text einwebt.

Solch ein Autor war Lewis Carroll, und er war großartig darin, seine Texte so­wohl unterhaltsam zu schreiben als auch komplex zu verschlüsseln. Ich gestehe freimütig, dass ich bei der erstmaligen Lektüre der Alice-Romane an vielen Stel­len etwas überfordert war.

Doch dann kam der Spezialist für Carroll-Fragen, Martin Gardner, und er dachte ganz so wie ihr: Gibt es nicht eine Möglichkeit, die Rätsel zu entschleiern, das Dickicht zu durchdringen und dabei die Unterhaltsamkeit beizubehalten? Das muss doch möglich sein.

Ja, es war möglich, und heraus gekommen ist dieser dickleibige Prachtband. Wer also endlich Aufklärung über die vielen Rätsel der beiden genannten Ro­mane erhalten möchte, der konsultiere „Doktor Gardner“, und es werde Licht – und ja, auf sehr unterhaltsame Weise. Und Bilder gibt es natürlich auch darin.

Warum ich das so betone? Na, das werdet ihr gleich sehen, meine Freunde. Auf ins Abenteuer:

Alles über Alice

(OT: The Annotated Alice)

von Lewis Carroll & Martin Gardner

Europa-Verlag, August 2002

380 Seiten, geb.

Aus dem Englischen von Günther Flemming und Friedhelm Rathjen

ISBN 3-4203-75950-0

Wozu“, dachte Alice, „ist ein Buch ohne Bilder oder Unterhaltungen nütze?“1

Eine Frage, die typisch ist für ein Kind, und in der Folge war es natürlich ganz unumgänglich, dass jenes Buch, über das die junge Alice Pleasance Liddell, die Tochter des Dekans des Christchurch College in Oxford, letztlich sprach, auch Bilder enthalten musste.

Die Geschichte der wundersamen Abenteuer der kleinen Alice (im Buch ohne Nachnamen, teilweise manchmal sogar ohne Vornamen, beispielsweise, als sie in jenem Wald ist, in dem man schlicht alles vergisst), beginnt bei einem Boots­ausflug auf einem Nebenarm der Themse, mutmaßlich am 4. Juli 1862 (das Da­tum ist umstritten). An diesem Tag befanden sich im Boot Hochwürden Ro­binson Duckworth, der Mathematiker Reverend Charles Lutwidge Dodgson und die drei jungen Töchter des Dekans Liddell, Lorina Charlotte („Prima“), Alice Pleasance („Secunda“) und Edith („Tertia“), 13, 10 und 8 Jahre alt.2

Auf diesem Ausflug erzählte der durch und durch kinderliebe Reverend Dodgson, damals 30 Jahre alt, den Kindern eine Geschichte, die er aus dem Stegreif erzählte und die den Mädchen so sehr gefiel, dass Alice später darauf bestand, Dodgson möge sie doch aufschreiben, und wenn auch nur für sie allei­ne.

Schätzen wir uns glücklich, dass er auf sie gehört hat. Denn so entstand jenes Werk, das bis heute die Kinderliteratur enorm bereichert und mächtige Verwer­fungen in Literatur, Sekundärliteratur, Bilderbuch, Hörspiel- und Filmmedium hervorgebracht hat: Alice im Wunderland.

Kehren wir zurück zu jenem bald ins Mythische abgleitenden Bootsausflug. Dodgson, der später das Schriftstellerpseudonym „Lewis Carroll“ annahm, un­ter dem man ihn heute noch kennt, lässt die Reisegesellschaft an Land pausie­ren, und bei jener Pause geschieht es, dass die kleine, gelangweilte Alice (dem Beschreiben nach 7 Jahre alt), auf einmal einen Weißen Hasen vorbeilaufen sieht.

Nun wäre das nicht verblüffend, wenn das Tier nicht zum einen eine Weste trü­ge und eine Taschenuhr – und zum zweiten auch noch redete. „Oh weh, oh weh, ich werde zu spät kommen“, sind die legendären ersten Worte des Weißen Kaninchens.3

Alice, neugierig geworden, folgt dem Wesen und springt hinter ihm in einen schier endlos tiefen Kaninchenbau. Und spätestens jetzt kann der Leser nicht mehr aufhören, will wissen, wie es weitergeht. Was es mit dem Weißen Kanin­chen auf sich hat oder wie Alice, als sie denn einmal in der Unterwelt gelandet ist, durch ein winziges Türchen („nicht viel größer als ein Rattenloch“4) in den Garten gelangen kann (es hat, soviel sei verraten, mit einem Fläschchen zu tun, auf dessen Begleitzettel5 „Trink mich!“ steht, und mit Fächer und Handschuhen6).

Das rasch äußerst verwirrte Mädchen macht die Bekanntschaft mit sprechen­den Tieren, mit dem Märzhasen und dem Verrückten Hutmacher, der so konfus ist, dass er bisweilen von seiner Tasse abbeißt statt vom Kuchen. Sie trifft ein Raupentier, isst eigentümliche Pilze mit noch seltsameren Eigenschaften, und schließlich begegnet sie der rätselhaft lächelnden Cheshire-Katze und den le­benden Spielkarten, die, sagen wir es vornehm, durchaus neurotische Züge tra­gen (man schaue sich nur die Königin an mit ihrem Standardsatz: „Den Kopf ihm ab! Den Kopf ihr ab!“7). Und was ist mit so obskuren Wesen wie dem Schildkrö­tensupperich und dem Greifen oder mit der Hummer-Quadrille? Die Krönung der Geschichte ist es dann schließlich, als Alice im Wunderland auch noch vor Gericht landet…

Wenn man aus diesem Buch auftaucht, ist man durchaus ganz konfus, aber es ist eine wunderbare, entspannende, von zahlreichem Gekicher und Gelächter durchzogene Konfusion. Und da man sich erst auf Seite 140 befindet, kann der Leser sich behaglich zurücklehnen und weiterblättern, denn es gibt noch mehr zu entdecken. Schließlich ist das alles erst der Anfang.

Sechs Jahre nach der ersten Publikation von „Alice’s Adventures in Wonderland“ (1865) setzt Carroll, der inzwischen schon mit zwei weiteren Wer­ken publizistisch tätig war8 und daran offensichtlich zunehmend Gefallen findet, die vielleicht noch wirkungsmächtigere Erzählung „Through the Looking-Glass, and What Alice Found There“ (1871). Diesmal beginnt man schnell zu spüren, dass Carroll leidenschaftlicher Mathematiker, Logiker und Schachspieler war. Ohne Grundkenntnisse in diesen Bereichen wird man vieles nicht verstehen und genießen können.

Wieder heißt die Hauptperson Alice Liddell, und von neuem beginnt die Erzäh­lung ganz unspektakulär, etwa ein halbes Jahr nach der ersten Geschichte. Nach der internen Zeitrechnung der Geschichten ist Alice also siebeneinhalb Jahre alt. Diesmal befindet sie sich mit ihren drei kleinen Kätzchen im Winter im war­men Salon des elterlichen Hauses, das Kaminfeuer knistert, es ist kuschelig warm, und Alice plaudert mit den Kätzchen, einem schwarzen (Kitti) und wei­ßen sowie dem Muttertier Dinah.9

Während dieser weitgehend ergebnislosen Diskussionen (um Alice zu zitieren: „Es ist eine sehr unangenehme Eigenschaft von Kätzchen, dass sie, was man auch zu ihnen spricht, IMMER nur schnurren. Wenn sie doch nur schnurren wür­den für ‚ja‘ und miauen für ‚nein‘ oder so etwas ähnliches…, so dass man eine Unterhaltung pflegen könnte! Aber wie soll man sich mit jemandem unterhal­ten, wenn sie immer auf die gleiche Weise antworten?“10) malt sich das Mäd­chen aus, wie es wohl wäre, das Spiegelbild hinter dem Kaminspiegel aufzusu­chen und das andere Haus auf der anderen Seite zu erforschen, ob es sich dort irgendwie vom Hier und Jetzt unterschiede.

Nun, ein Versuch, den Spiegel zu durchdringen, ist auch prompt von Erfolg ge­krönt, und sie findet sich im Spiegelbild ihres elterlichen Hauses wieder. Und hier ist einiges anders: die glatten Vasen haben hier Gesichter, Blumen im Gar­ten können reden, korkenzieherartig gewundene Wege führen auf seltsame Weise im Kreise. Und dann ist das mit der Bewegung in der Spiegelwelt sowieso so eine Sache. Lauschen wir der Antwort der Schwarzen Königin auf Alices be­rechtigte Bemerkung:

Nun, in UNSEREM Land“, sprach Alice, immer noch nach Luft schnappend, „ge­langt man im allgemeinen irgendwo anders hin – wenn man lange Zeit sehr schnell rennt, wie wir es getan haben.“

Scheint ein ziemlich behäbiges Land zu sein“, sprach die Königin. „HIER, jeden­falls, muss man so schnell rennen, wie DU kannst, um auf der selben Stelle zu bleiben. Wenn man woanders hin möchte, muss an mindestens doppelt so schnell rennen wie eben.“11

Alles klar? Schön, Alice geht es ebenso.

Komplizierter wird die Sache dadurch, dass Alice nicht nur einfach so durchs Spiegelland schlendern kann, sondern der ganze Roman als Schachpartie ange­legt ist, inklusive der entsprechenden Züge, Begegnungen und so weiter. Über­krustet von Lewis Carrolls Hang zu bizarrem Humor, Nonsens-Diskussionen, doppelbödigen Anspielungen und rätselhaften Andeutungen, erweist er sich als regelrechtes logisches Minenfeld, und wer nicht sehr präzise liest und mächtig aufpasst, landet schnell im Abseits.

Wer hingegen Acht gibt, bekommt ein paar richtig vergnügliche Leckerbissen zu lesen und macht während Alices unübersichtlicher Reise durchs Spiegelland12 die Bekanntschaft mit weiteren seltsamen Wesen Lewis Carrolls, beispielsweise dem „Schebberroch“, dem „Butterbrotling“, Dideldum und Dideldei, mit dem Walross und dem Zimmermann, der zerstreuten Weißen Königin, die sich schon mal bisweilen in ein sprechendes, strickendes Schaf verwandelt, aus einem Ei wächst der obskure, auf einer Mauer sitzende Humpti Dumpti… und so wei­ter.13

Das Ziel von Alice soll es sein, die Schachfeld-Landschaft zu überwinden, um letztlich zur Königin aufzusteigen. Allerdings ist das noch nicht ganz das Ende vom Lied, wie man bald bemerken wird, wenn man sich auf das Abenteuer des Buches einlässt…

Martin Gardner, jahrzehntelanger Carroll-Experte und ausgewiesener Logiker und Mathematiker, der lange die mathematische Rätselecke im SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT („Scientific American“) betreut hat, brauchte viele Jahre, um einen Großteil der Andeutungen und kryptischen Hinweise im Buch zu durch­dringen, und er hat sein ursprüngliches Buch „The Annotated Alice“ schon 1960 herausgebracht.

Diese, nun 40 Jahre später aufgelegte und wesentlich erweiterte Auflage ist in vielerlei Hinsicht ergänzt und durch aktuelle Literatur und Filme etwa ergänzt. Gardner löst mit seinem enzyklopädischen Wissen um den schrulligen briti­schen Schriftsteller die zahllosen Anspielungen auf Oxforder Verhältnisse und das direkte Lebensumfeld von Alice Pleasance Liddell und ihre Familie auf, er rückt Hinweise auf inzwischen vergangene Alltagsphänomene, Kleidung, Rede­wendungen oder Essgewohnheiten ins rechte Licht und erhellt so das sonst weitgehend kryptische zweite Alice-Buch gründlich. Ohne seine Anmerkungen, die – mit vollem Recht – Dutzende von Seiten ausmachen und vielfach sehr in­teressant zu lesen sind, ist dieses Werk vermutlich nur die Hälfte wert.

Gardner scheut sich auch nicht davor, durchaus kritische Bemerkungen zur Per­son Dodgsons/Carrolls (1832-1898) selbst zu machen, wenn er auch nicht unbe­dingt freudianischen Überinterpretationen folgt. Es steht halt nur fest: Dodgson, ein gegenüber Erwachsenen und männlichen Kindern unendlich ge­hemmter und häufig in Stottereien verfallender, gleichwohl durchaus genialer Mann, der nie heiratete, hegte Zeit seines Lebens intensive Gefühle für kleine Mädchen. Nein, nicht, was ihr jetzt denkt: Er war ein viktorianischer Gentle­man, und der bloße Gedanke daran, sich seinen angebeteten kleinen Freundin­nen zu nähern, hätte ihn zutiefst schockiert. Dennoch muss man es anmerken: Dies hielt ihn nicht davon ab, seine kleinen Freundinnen – mit Einwilligung der Mütter – nackt zu fotografieren. Dies ist vielleicht der einzige Zug, der an Carroll unangenehm und verurteilenswert ist.14

Ansonsten jedoch kann man ihn mittels seiner schriftlichen Zeugnisse, insbe­sondere auch der oft hierin zitierten Tagebücher, als einen sehr einfühlsamen Literaten mit breitem Lesehorizont, überbordendem Wortwitz und einer un­endlich ausgeprägten Neigung zum Erfinden bezeichnen. Wenn man die oben erwähnte Charakterschwäche, die sich in den Alice-Romanen übrigens nirgends auswirkt, einmal außer acht lässt, ist es meiner Ansicht nach äußerst empfeh­lenswert, diese beiden Romane, vereint in diesem kommentierten, von John Tenniel ausgezeichnet illustrierten Buch zu lesen. Ähnlich wie schon im „Wizard Of Oz“ von L. Frank Baum15, ja, vielleicht noch mehr als dort, kann man so selbst als Erwachsener wieder einmal in die wunderbare Welt der Kindheit eintauchen und, vielleicht, auch noch was fürs spätere Leben lernen…16

© by Uwe Lammers, 2007

Na, meine Freunde? Ich denke, ich habe nicht zu viel versprochen, sondern euch eher den Mund wässrig gemacht. Und so soll es auch sein. Zu dem Thema in der Fußnote 16 komme ich in ein paar Monaten, da macht euch mal kein Kopfzerbrechen. Es dürfte heuer schwer werden, das Fanzine Baden-Württem­berg Aktuell (BWA) Nr. 275 zu bekommen, es ist nur in sehr kleiner Auflage er­schienen. Aber den Text des Artikels stelle ich euch beizeiten bereitwillig zur Lektüre zur Verfügung.

In der kommenden Woche begeben wir uns demgegenüber in kalte Gewässer des hohen Nordens und zu einem weiteren Abenteuer mit unserem Heldenpaar Dirk Pitt und Albert Giordino.

Um welchen Roman es da konkret gehen wird? Na, da schaut einfach kommen­de Woche wieder rein, dann seid ihr schlauer.

Soviel für heute.

Bis bald, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Vgl. Lewis Carroll: „Alice im Wunderland“, Kapitel 1, S. 11. Historiker wie ich sind da allge­mein der Ansicht, dass Bilder natürlich nützlich für die Visualisierung der Phantasie sind, aber ansonsten scheint es nicht zwingend notwendig, Bilder zu haben, konstitutiv für den Wert eines Buches sind sie schon gar nicht. Aber, wie gesagt, erwachsene Historiker sind eben auch keine Kinder.

2 Ebd., Einleitung, Anmerkung 1, S. 7.

3 Ebd., S. 11/12.

4 Vgl. Lewis Carroll: „Alice im Wunderland“, Kapitel 1, S. 16. Diese Entdeckung löst in ihr ei­niges Bedauern aus, aber sie gibt die Hoffnung nicht auf: „Denn, seht ihr, in der letzten Zeit waren so viele ungewöhnliche Dinge geschehen, dass Alice begonnen hatte zu den­ken, es wären tatsächlich nur sehr wenige Dinge wirklich unmöglich.“ Und das ist doch ein schöner Anfang für dieses Buch, nicht wahr?

5 Damals, wie Martin Gardner erläutert, allgemein üblich bei Flascheninhalten, insbesonde­re bei Medizin, quasi so wie bei uns heute die Packungsbeilage bei Medikamenten. Vgl. Kapitel 1, Anmerkung 8, S. 17.

6 Wer das nicht versteht, sollte es wirklich nachlesen. Vergnügen garantiert!

7 Vgl. Lewis Carroll: „Alice im Wunderland“, erstmals in Kapitel 8, S. 91.

8 Es handelt sich um An Elementary Treatise on Determinants, 1867 (also eher eine sachli­che Abhandlung), und um Phantasmagoria and other Poems, 1869.

9 Vgl. Lewis Carroll: „Durch den Spiegel und was Alice dort fand“, Kapitel 1, S. 152-159.

10 Ebd., Kapitel 12, S. 297.

11 Vgl. Lewis Carroll: „Durch den Spiegel und was Alice dort fand“, Kapitel 2, S. 184.

12 Ja, es sieht so übersichtlich aus auf der Illustration auf Seite 182, aber das täuscht. Wenn Alice die schmalen Bächlein überspringt, die die einzelnen Felder voneinander trennen, ja, auch auf einzelnen Feldern selbst kann es ihr widerfahren, dass sie eben noch geht und im nächsten in einem Zugabteil sitzt (zusammen mit einem Mann mit Papierhut und einer sprechenden Ziege) oder sich in einem Laden wiederfindet, dessen Waren sich ihrem Zu­griff beharrlich entziehen – übrigens ein Faktum, das in den Harry-Potter-Romanen gewis­se Analogien findet.

13 Die Sache mit dem Einhorn und dem unteilbaren Spiegelkuchen soll an dieser Stelle bes­ser noch nicht verraten werden. Es muss doch auch ein paar Überraschungen im Buch ge­ben, gell?

14 Ging Gardner noch 1960 in „The Annotated Alice“ davon aus, von diesen Portraits hätten sich keine erhalten, so wurde er eines Besseren belehrt. In der Literatur verweist er heute auf Morton N. Cohen: „Reflections in a Looking Glass“, 1998, in dem man sowohl einiges von Carrolls sonstiger Fotoleidenschaft wiederfindet – wie eben auch die vier erhaltenen Nacktfotografien kleiner Mädchen. Das Buch ist auch in Deutschland erschienen: „Lewis Carroll: Reflexionen im Spiegel“, 1999. Aus Carrolls sonstigen Äußerungen und Lebenswan­del muss man wohl den Schluss ziehen, dass er eine schreckliche Angst vor erwachender weiblicher Sexualität besaß.

15 Vgl. hierzu meinen Artikel „The Wonderful Wizard Of Oz oder Ein Mythos wird geboren“, abgedruckt in BWA 275, August 2006. In Vorbereitung für den Rezensions-Blog.

16 Ganz zu schweigen davon, dass man unerwartet zahlreiche bekannte Personen wiederfin­det. Ich nenne nur mal ein paar: den Komponisten John Barry („James Bond“), Peter Sel­lers, Ian Holm, Whoopi Goldberg, Ben Kingsley, Gene Wilder, Peter Ustinov, Robbie Coltra­ne („Hagrid“ in den Harry-Potter-Verfilmungen), den Regisseur Wes Craven, Sammy Davis Jr., Zsa Zsa Gabor, Ricardo Montalban, Richard Burton, Telly Savalas („Kojak“), Ringo Starr von den „Beatles“ oder Kate Beckinsale („Aviator“, „Pearl Harbor“). Außerdem erfahren wir so en passant, dass Harry-Potter-Autorin J. K. Rowling sich ebenfalls, als sie im Quiddit­ch-Spiel den „goldenen Schnatz“ erfand, schamlos bei Lewis Carroll bedient hat. Und dass im Anhang (S. 344) das Satzende fehlt, trübt das Lesevergnügen auch nicht wirklich. Die meisten Leser werden das kaum registrieren.

Liebe Freunde des OSM,

während wir üblicherweise der Auffassung sind, dass die Welt, wie wir sie se­hen, fühlen, riechen und schmecken können, aus Gründen der Evidenz das ein­zige ist, was existiert, gibt es in den Gefilden der Phantastik andere Anschauun­gen, die uns bisweilen daran zweifeln lassen, ob das tatsächlich schon alles ist, was es gibt. Ja, vielleicht ist etwas dran an dem alten Vorwurf des Eskapismus – dass sich Phantasten in andere Welten jenseits der ihren gewissermaßen „weg­träumen“, wenn ihnen das Hier und Jetzt nicht mehr zusagt, zu beschwerlich ist oder zu finster, um darin glücklich werden zu können.

Doch wer das allein auf diesen Punkt fokussiert, sieht das meiner Ansicht nach verkehrt. Schauen wir uns einfach mal heute ein Beispiel an, über das ich euch gegenüber schon seit Jahren im Rahmen meines Blogs rede – die bisweilen sehr fragile Wirklichkeitsstruktur des Oki Stanwer Mythos.

Aktuell bin ich gerade – wenngleich ich wirklich wenig Zeit finde, das zu tun und alles ein wenig wie in Zeitlupe geschieht, sehr zu meinem eigenen Unbehagen – dabei, einen Teil meiner alten maschinenschriftlichen Skripte abzuschreiben, zu kommentieren und mit einem reiferen Blick aus einer Distanz von einigen Jahr­zehnten zu durchdringen. Da kommen spannende Dinge ans Tageslicht, die heu­te sehr viel mehr Sinn ergeben als damals, als ich sie in rasendem kreativem Wirbel niederschrieb.

Der Ort, an dem unsere heutige Reise beginnt, heißt Church Island.

Wenn ihr dereinst davon lesen werdet, könnte der eine oder andere von euch geneigt sein, diesen Ort auf der Landkarte zu suchen. Falls es so kommt, seht ihr mich zufrieden schmunzeln. Weshalb? Weil es Church Island nicht gibt. Diese Insel ist ebenso wie etwa Orte namens Malsena oder Whitmore ein reines Ge­bilde des OSM. Und zugleich halbmateriell in unserer Wirklichkeit verankert.

Halbmateriell deswegen, weil die Umgebung durchaus real ist. Es gibt die Bucht The Wash an Ostküste von England, und ja, sie blickt zweifellos auf eine jahrtau­sendelange Geschichte zurück. Nur gibt es die Insel Church Island dort nicht, auf die es Oki Stanwer und seine Getreuen am 10. November 2035 verschlägt.

Wir befinden uns im KONFLIKT 18 „Kampf gegen TOTAMS Dämonen und Scher­gen“ (KGTDUS, Schreibzeit: 1984-1989). Oki Stanwer hat in den zurückliegenden Jahren – genauer sollte man wohl von Jahrtausenden sprechen – viel erlebt und ist inzwischen eine labile Persönlichkeit mit angegriffenem Nervenkostüm. Das ist üblicherweise schon unschön… aber in diesem Kosmos hat die Hauptperson des Oki Stanwer Mythos Zugriff auf seine starken Parafähigkeiten und kann sie nicht recht kontrollieren. Außerdem leidet er unter sich ständig verstärkender Paranoia, was dann erst recht eine unschöne Mischung ist.

Als ihm von Church Island ein Kristallzylinder mit seinem Namen darauf zuge­stellt wird, der eine mental aufgeprägte Botschaft enthält, die ihn auffordert, die so genannte „Siegelwelt“ zu besuchen – über ein Dimensionstor, das sich auf Church Island befindet – , da geraten die Dinge in Bewegung.

Im Winter 1987, als ich diese Abenteuer frisch sah und niederschrieb, wusste ich, dass phantastische Dinge bevorstanden. Denn die Siegelwelt kannte ich… ein legendärer Ort jenseits der Vorstellung. Ich hatte diese Welt erstmals im Herbst 1986 besucht… na, entdeckt, sollte ich sagen. In einem Strudel des ver­nichtenden Alptraums. Das war damals, als TOTAMS „schwarze Mauer“ die Ga­laxis Milchstraße einriss und der Endkampf im KONFLIKT 17 „Drohung aus dem All“ (1983-1986) ausgetragen wurde.

Dort verschlug es Oki Stanwer und seine Getreuen erstmals auf die Siegelwelt – einen Planeten, der so unabweislich künstlich ist, dass man es ihm auf den ers­ten Blick ansieht: die Siegelwelt ist physisch würfelförmig, und sie besitzt unter jeder ihrer sechs Seiten ein eigenes Gravitationszentrum. Ihr werdet später im KONFLIKT 21 „Oki Stanwer – Fürst von Leucienne“ (FvL) sehen, dass die Siegel­welt gewissermaßen die Passform für die so genannten EWIGKEIT-Welten die­ses KONFLIKTS ist. Dort steht in naher Zukunft die Erforschung der Unterwelt dieser EWIGKEIT-Welten an, aber das soll hier nur am Rande erwähnt werden.

Wichtig ist für unseren heutigen Exkurs die Frage, wo genau diese Siegelwelt denn nun liegt. Denn Teil unseres Universums ist sie im Grunde genommen nicht, und das war mir schon im Herbst 1986 klar, als ich erstmals dorthin ver­schlagen wurde.

Die Siegelwelt ist eine Schöpfung TOTAMS. Und dementsprechend liegt sie – der ersten Anschauung nach – in TOTAMS Machtbereich. Das ist allerdings nur der erste Anschein, der trügerisch ist. Die Sachverhalte sind noch etwas haar­sträubender.

Als Oki Stanwer das erwähnte Dimensionstor durchschreitet, landet er auf der Siegelwelt, was an sich wenig verblüffend wäre. Aber er kommt durchaus nicht dort heraus, wo er hingelangen soll, im so genannten „Bernsteinschloss“ des „Messias“, der seit langem die Siegelwelt beherrscht und nach ihm gerufen hat (unter anderem, weil TOTAMS Truppen derzeit dabei sind, die Siegelwelt zu stürmen, aber das muss ich wann anders näher ausführen). Stattdessen gerät er in die Gefangenschaft einer Gruppierung, die sich TOTANOR nennt und aus lini­entreuen Totenköpfen TOTAMS besteht.

Er fällt also quasi in Feindeshand, zu seinem Glück nicht allzu lange.

Doch zurück zu unserem Gedanken von eben: von der Erde ist die Siegelwelt of­fenbar nur durch eine feine Membran getrennt, eine transuniversale Barriere. Sich aber nun vorzustellen, die sei ohne weiteres einzureißen, um neue Tore in diese Welt zu öffnen, das wäre einigermaßen naiv. So funktioniert das in der Science Fiction nicht, und im OSM auch nicht. Die Logik dahinter ist meines Er­achtens auch sehr nachvollziehbar:

Wenn man einen Vorhang aus Raumzeit durchstoßen möchte, stemmt man sich gewissermaßen gegen das gesamte Universum. Die Energie, die man an einem Punkt aufwendet, verteilt sich rasend schnell und verpufft. Der Effekt, ein Loch in die Raumzeit reißen zu wollen, wäre also gleich null, ganz egal, wie viel Ener­gie man einsetzt. Sollte man es dennoch schaffen, so etwas zu erzeugen, würde man höchstwahrscheinlich einen instabilen Riss in Raum und Zeit erzeugen, der einen Strudel der Vernichtung nach sich zöge und alles in den Abgrund risse (nicht umsonst, flechte ich hier mal ein, erzeugen transuniversale Risse in der modernen DOCTOR WHO-Serie solche Probleme, das ist im OSM durchaus sehr ähnlich).

Wenn man also von einem Punkt eines Universums in ein benachbartes Konti­nuum gelangen möchte, das möglicherweise nur einen hauchdünnen, unsicht­baren Schleier von Raumzeit weit von uns entfernt ist – hier: die Siegelwelt – , dann gibt es natürlich einen Trick: man bedient sich eines Dimensionsportals.

Die Siegelwelt ist über sechs solche Portale zugänglich, und wie man bereits an der Anzahl erkennt, sind sie künstlichen Charakters. Die Macht, die sie geschaf­fen hat, braucht man nicht zu mystifizieren, sie ist offenkundig: TOTAM, die Macht des Bösen. Die Gründe, warum sechs Portale zur Erde geschaffen wur­den, sind hingegen bis heute unbekannt. Natürlich nicht nur, damit Oki Stanwer dort hindurchgehen kann. Das wäre ein wenig zu simpel gedacht.

Wir müssen TOTAM die Fähigkeit unterstellen, sich mit Raum und Zeit so gut auszukennen, um sowohl die nötige Energie für die Schaffung solcher Raumzeit-Anomalien wie der Dimensionsportale zur Siegelwelt zu haben als auch die Be­fähigung, diese Übergänge ohne katastrophale Nebeneffekte zu stabilisieren. Wir sehen es ja in diesen vier Episoden der KGTDUS-Serie (75-78, 1987/88).

Aber was genau hat Oki Stanwer da jetzt erreicht?

Ja, ja, die Siegelwelt, das wissen wir schon. Aber was genau IST sie? Um ein we­nig in die Gegenwart des OSM vorzugreifen… wenn man auf der Siegelwelt ir­gendeine Substanz analysierte, sei es Fels, sei es Vegetation oder sonst etwas, so würde das Analysegerät mit den ermittelten Daten rein gar nichts anfangen können. Ich habe eine analoge Situation in dem Roman „Die Totenköpfe 1: Die Alte Armee“, der in KONFLIKT 21 spielt, anno 2010 ausführlich beschrieben (ja, ich weiß, Freunde, den könnt ihr auch noch nicht lesen. Er wird beizeiten als Annalen-Band veröffentlicht werden, aber das liegt wirklich noch geraume Zeit in der Zukunft. Entschuldigt bitte).

Die Analysegeräte würden sagen „unbekannte Materie“, und zwar egal, ob es sich dabei um Holz, Gestein, Metall oder sonst etwas handelt. Das weiß ich heu­te. Damals war mir das natürlich nicht bewusst. Ich dachte naiv, Wasser sei auf der Siegelwelt einfach Wasser, das man trinken könne, Holz könnte man ganz normal entzünden usw. Kann man auch, und das ist das Trügerische. Was wir da tun, hat aber mit den physikalischen Prozessen unseres Universums nicht mehr das Geringste zu tun, es ist… wie soll ich sagen… es ist sozusagen nur ein Analogon zu den Prozessen in unserer Wirklichkeit.

Wir haben schließlich unser Universum verlassen, nicht wahr?

Und genau genommen sind wir auf TOTAM.

Damit haben wir die verwirrende Realität der Siegelwelt und des „Vorhofs“ er­reicht, in dem sich der schwarze Planet TOTAM um seine grüne, kleine Sonne Granat dreht. Hier ist buchstäblich nichts so, wie es scheint. Granat ist keine Sonne im originären Sinn, Materie ist eigentlich keine Materie, und selbst etwas so Eindeutiges wie der Ort, an dem man sich gerade aufhält, ist verstörend fremdartig konnotiert.

Das klingt bizarr und unbegreiflich? Ich gebe euch für heute nur ein einziges Beispiel für TOTAMS unglaubliche Fremdartigkeit… eigentlich ist das den Kos­mologie-Lektionen vorbehalten, wo ihr diesen Dingen wieder begegnen wer­det. Aber da ich mich aktuell gerade in dieser Denksphäre aufhalte, konfrontie­re ich euch damit schon jetzt:

Die Siegelwelt ist auf den ersten Blick ein Planet, wenn auch zweifellos ein künstli­cher und seltsam aussehender, der in einem schwarzen Vakuum ebenso wie TO­TAM um die Sonne Granat treibt. Es gibt noch eine ganze Reihe von ähnli­chen Welten, die gleich der Siegelwelt um Granat kreisen. Auf den ersten Blick könnte man das für ein Sonnensystem halten.

Es ist nur keins.

Der ORT dieses gesamten „Sonnensystems“ ist nämlich, bitte festhalten, im In­nern TOTAMS. Der gesamte Vorhof, ein Kontinuum von schätzungsweise eini­gen Lichtmonaten Durchmesser, ist, streng genommen, Teil von TOTAMS Sub­stanz und liegt im Innern TOTAMS… allerdings hat das Wesen TOTAM diesen Teil von sich selbst „ausgestülpt“. Völlig unbegreiflich wird es dadurch, dass der Pla­net TOTAM, in dem sich das alles ja eigentlich befindet, als Teil dieser ausge­stülpten Sphäre darbietet. Man könnte prinzipiell von der Siegelwelt mit einem Raumschiff zum Planeten TOTAM hinüberfliegen.

Man könnte auch, umgekehrt, diesen Weg mit einem einzigen Schritt oder ei­ner Seitwärtsbewegung zurücklegen.

Das ist ein wichtiger Aspekt der nicht-euklidischen Geometrie TOTAMS, die Physiker an den Rand des Wahnsinns treiben kann. Hier sind Dinge möglich, von denen unsere Wissenschaft nicht mal zu träumen wagt. Und ich versichere euch, im Gegensatz zu der Zeit vor rund dreißig Jahren, als ich noch glaubte, man müsse alles Rätselhafte im OSM mit „Magie“ erklären, bin ich heute so weit, zu verstehen, dass es der Magie dafür nun wirklich nicht bedarf. Auch wenn es für viele Leute natürlich so ausschaut.

Ich finde es dann immer hilfreich, historisch ein wenig zurückzuprojizieren und mir Zeitreisende vorzustellen, die aus der Jetztzeit etwa zurückreisen in die Epo­che der Maya oder der alten Römer, und die dann Hightech mitbrächten. Ein kleines Gerät, das man in die Tasche stecken kann, in dem sich eine ganze Bi­bliothek verbirgt? Zauberei, eindeutig. Heute sagt man dazu, beispielsweise, E-Book-Reader.

Arthur C. Clarke schuf das geflügelte Wort, dass jede hoch entwickelte Techno­logie von Magie kaum mehr zu unterscheiden wäre, und ich denke gegenwärtig mehr denn je, dass er damit richtig lag. Das gilt in Abwandlung auch für die physikalischen Grundlagen des Oki Stanwer Mythos, besonders dann, wenn man sich in die Gefilde TOTAMS verirrt, wie das der arme Oki Stanwer im KON­FLIKT 18 tat. Aber beizeiten könnt ihr ihm dorthin folgen – und ich bin über­zeugt, das wird eine spannende Lektüre.

Für heute haben wir aber genug gehört von transuniversalen Portalen und der fragilen Membran der Wirklichkeit. Auf alles andere, was ich oben anriss, kom­me ich beizeiten ausführlicher zu sprechen.

Wohin die Reise in der nächsten Woche geht, sei hier noch nicht vorweggenom­men. Aber spannend bleibt es, keine Frage.

Bis bald, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Rezensions-Blog 81: Das Haus gegenüber

Posted Oktober 12th, 2016 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

achtet eigentlich jemand mal, wenn er durch eine ganz alltägliche Straße geht, jemals auf „das Haus gegenüber“? Da ist eins, das fünf bis sechs Stockwerke hat, in dem Familien wohnen, alte Leute nach dem Ende ihres Berufslebens, vielleicht auch schrullige Personen, die man gelegentlich aus dem Fenster schauen sieht… aber was mag in diesem Gebäude wirklich vor sich gehen? Kann man darüber Geschichten erzählen, phantastische noch dazu? Über selt­same Menschen, die andere traditionell zum Essen einladen beispielsweise? Oder über merkwürdige, kauzige Leute, die ständig das Licht brennen lassen? Über jemand, dem man vielleicht im Treppenhaus begegnet, der ständig Bret­ter, Seile und dergleichen nach oben transportiert, als ob er etwas Wichtiges, Monumentales baut?

Vielleicht, ja.

Im Jahre 1982 unternahmen zwei Franzosen den Versuch, über so etwas schein­bar ganz Alltägliches zu schreiben wie ein „ganz normales Haus“ in Paris. Und zugleich etwas über die Träume, Phantasien und grässlichen Alpträume, die sich gleichwohl ebenso in diesen Mauern eingenistet haben, unentdeckt und unbe­rührt vom Alltagsleben ringsum.

Ich habe mich mit einiger Verspätung in dieses Abenteuer gestürzt und dabei einen heute natürlich längst vergriffenen Roman entdeckt, der zweifelsohne eine Neuentdeckung durch aufmerksame Leser verdient. Folgt mir in ein ganz bescheidenes Mehrfamilienhaus in Paris:

Das Haus gegenüber

(OT: L’Immeuble d’en Face)

Von Jean-Pierre Andrevon & Philippe Cousin

Heyne 4858, 1992

272 Seiten, TB

Aus dem Französischen von Georges Hausemer

ISBN 3-453-05381-8

Schon der Untertitel auf der Vorsatzblattseite lässt den neugierigen Leser stut­zen: „Roman in zehn Episoden und fünf (bis sechs) Stockwerken“. Er blättert wei­ter und stößt tatsächlich nach dem Inhaltsverzeichnis auf einen Hausplan mit den Mietparteien – und auf das erste Rätsel des Buches. Denn anstelle des drit­ten Stockwerks sind nur Fragezeichen eingezeichnet. Was mag das heißen? Sind die Mieter des dritten Stocks unbekannt? Sind die Räume nicht belegt? Und warum folgt im Inhaltsverzeichnis – nach Stockwerken vom Erdgeschoss bis zum fünften Stock sortiert – auf die zweite Etage gleich die vierte?

Fürwahr, es scheint ein eigenartiges „Haus gegenüber“ zu sein, dieses Gebäude in Paris in der Rue de Saintonge Nr. 5. Normalerweise geht man achtlos an Ge­bäuden dieser Art vorbei, von denen es in Paris Hunderte geben mag. Doch das Autorenduo schickt uns in zehn Episoden auf einen Rundgang durch dieses Haus, und in jeder der miteinander verflochtenen Geschichten lernen wir Be­wohner und Schicksale kennen, bis wir das Haus schließlich von Grund auf ken­nen gelernt haben.

Eine gruselige Erfahrung, kann ich euch sagen, und eine sehr lesenswerte. Folgt mir einfach in den Episodenroman und macht euch selbst ein Bild:

Da ist zum Beispiel der Junggeselle Jacques-Pierre Hougremont im Erdgeschoss links (in der Geschichte „Dieses Licht, das aus dem Dunkeln kommt“), in dessen Wohnung absonderlicherweise Tag und Nacht das Licht brennt… schrullig? Ja, aber es gibt da noch einen beunruhigenden anderen Grund, den man schon alptraumhaft nennen kann. Aber dies ist ja alles erst der Anfang.

Direkt gegenüber wohnt der pensionierte Polizist Hector Poi (nachzulesen in „Der zerstückelte Mann“), der regelmäßig Briefe mit seinem in Breteuil-sur-Noye lebenden Freund Adolphe Zibold wechselt. Nach einer Weile kündigt er seinen Besuch bei Adolphe an, taucht aber nicht auf. Und seine Briefe werden auf bestürzende Weise immer wirrer und hören schließlich ganz auf. Adolphe beschließt besorgt, nachsehen zu lassen, was mit seinem alten Freund los ist… eine Nachforschung, die ein grässliches Rätsel zutage fördert…

Auf der ersten Etage links wohnt der mäßig erfolgreiche SF-Schriftsteller Jerôme Pensedur („Der Mann, dem die Außerirdischen alles wegnahmen“), der eines Ta­ges überraschend Besuch von einem Alien bekommt, das mit einer akribischen Erfassung seines gesamten Hausrates beginnt, um ihn sodann verpacken zu las­sen. Aber das ist leider noch lange nicht alles…

Genau gegenüber auf der ersten Etage („Die Wände haben Beine“) lebt der alte, pensionierte Soldat Léon Lessourd, dessen Wohnung voll gestellt ist mit alten Erinnerungsstücken. Léon hadert mit der Welt, mit der Jugend von heute, mit den Ausländern, eigentlich mit fast allem… und grässlich wird es für ihn, als nach dem verschwundenen Jerôme Pensedur ein junges Pärchen, mutmaßlich ausländischer Abstammung, in die gegenüberliegende Wohnung einzieht. Von dem Moment an wird sein Leben zu einem nie gekannten Alptraum und ver­wandelt sich in einen unentwegten, hasserfüllten Kriegszustand…

Auf der zweiten Etage links lebt der junge Georges mit seinen Eltern („Georges wollte auf die dritte Etage“). Seit Jahren leidet er an den Folgen eines Verkehrs­unfalls. Er wurde von einem Auto angefahren, und seither ist er querschnittsge­lähmt und auf einen Rollstuhl angewiesen, der allerdings so raffiniert gebaut ist, dass er damit Treppen erklimmen kann. Dennoch… den dritten Stock des Hau­ses und alle darüber liegenden, die kennt er nur vom Hörensagen. Und wen auch immer er von den Bewohnern befragt, die dort oben wohnen – entweder hört er, das mit dem dritten Stock sei ein Irrtum des Architekten gewesen (denn tatsächlich gibt niemand zu, im dritten Stock zu wohnen, die Parmentiers und die Lehureux sagen stets, sie wohnten im vierten Stock), oder das Stockwerk sei unbewohnt. Aber Genaueres scheint niemand zu wissen.

Und schließlich vernimmt Georges direkt über sich nachts eine Stimme, die sei­nen Namen flüstert. Jemand im dritten Stock. Eine Frau, eindeutig, er ist sich ganz sicher… und als seine Eltern dann eines Tages ohne ihn in Urlaub fahren, macht er sich auf den Weg in den dritten Stock, den rätselhaften…

Direkt gegenüber wohnt die Familie Goulot („Krieg ist Krieg“). Drei Kinder, zwei Jungen, ein Mädchen, ein Au-pair-Mädchen namens Fourmille, Roger und Me­lanie Goulot, die Eltern. Er ist ein Versicherungsagent… aber auch er lebt ein zweites Leben, und dies ist das ziemlich ungeheuerliche Leben als Oberfeldwe­bel. Als er eines Tages mitten in der Woche Besuch von einem Offizier in voller Uniform bekommt und man ihm erklärt: „Es ist Krieg!“, da verwandelt sich seine Wohnung in eine Gefechtszone ohnegleichen, wie man sich das gar nicht vor­stellen kann…

Die dritte Etage ist, wie gesagt, ein gewisses Problem, dem man in der Ge­schichte um Georges näher kommt. Gehen wir also die Treppe hoch in den vier­ten Stock.

Links lebt die Familie Parmentier, wohlbeleibte Personen mit sechs kleinen Kin­dern im Alter von drei bis acht Jahren, die seit vielen Jahren mit dem Ehepaar Mageollet befreundet sind („Gastfreundschaft“). Sie sind ein Ehepaar, das gern gut und viel isst, und doch haben sie inzwischen ein ernstes Problem – die kuli­narischen Wochenenden, die immer im Wechsel stattfinden, arten längst in eine Art von Wettkampf aus. Und die Familie Parmentier lebt nun schon gerau­me Zeit in prekären Finanzverhältnissen. Dennoch haben sie so etwas wie Ehre und Schamgefühl. Und schließlich führt dies zu einer grässlichen Entwicklung, die man nur noch alptraumhaft nennen kann…

Direkt gegenüber auf der vierten Etage lebt das Ehepaar Lehureux, die Eltern der fünfjährigen Amelie („Was verstopft den Abfluss?“). Eigentlich könnte diese Familie ganz harmonisch genannt werden, wenn man davon absieht, dass Papi immer erschöpft und genervt von seinem Beruf ist. Da die Geschichte aus der Perspektive der kleinen Amelie erzählt wird, geht sie auf eine süß-schaurige Weise unter die Haut. Denn es gibt hier schon ein Problem: der Abfluss in der Essküche ist immer wieder mal verstopft, und Papi erzählt gruselige Geschich­ten, was wohl im Abfluss stecken mag. Mal meint er, es sei ein „verlorener Rie­senwurm“, aber seit neuestem meint er, es sei eine „Abflussgiraffe mit Haaren auf den Augen“, was sich die kleine, sehr phantasiebegabte Amelie ganz schrecklich vorstellt. So einsam in der Finsternis des Abflussrohres eingesperrt, das muss doch furchtbar sein. Und eines Nachts, als sie nicht schlafen kann, be­schließt das kleine Mädchen, dieses arme Wesen aus dem Abfluss zu befreien…

In der fünften Etage links lebt ein junges Ehepaar, Francine und François Douchy („Die junge Tote vom fünften Stock“), doch ist die hübsche Francine eigentlich mehr ein blasser Schatten als irgendetwas sonst… und eines Tages schwindet sie dann völlig dahin und wird im Sarg die Treppen hinab getragen. Die ganze Mieterschar des Hauses nimmt Anteil an dem tragischen Todesfall. Aber bald darauf hört man dann wieder Frauenlachen aus der Wohnung des Witwers – und macht eine bestürzende Entdeckung, als eine Delegation von Mietern dem scheinbar pietätlosen Witwer ihre Aufwartung macht…

Ja, und dann war da ebenfalls auf dem fünften Stock noch der hünenhafte Aus­tralier („Der Australier“), der schon durch den ganzen Roman geistert als je­mand, der unentwegt Bretter, Seile und Nägel hinauf in den fünften Stock trägt und permanent zu zimmern, zu sägen und zu basteln scheint. Was, um alles in der Welt hat dieser hünenhafte Mann vor? Man erfährt es gegen Ende des Ro­mans auf abenteuerliche Weise…

Nein, man kann es wahrlich nicht normal oder durchschnittlich nennen, dieses „Haus gegenüber“, das Haus in der Rue de Saintonge Nr. 5. In einer wilden Mi­schung aus abenteuerlichen Alltagsgeschichten mit leicht phantastischem Touch, mal im Horrorbereich, mal im eindeutigen Science Fiction-Bereich, ent­führt uns das Autorenduo in einen häuslichen Mikrokosmos der ganz besonde­ren Art. Da die Geschichten – leicht – ineinander verschoben sind, empfiehlt es sich durchaus, von der vordersten zur hinteren Geschichte vorzugehen, so halt, wie man es in einem landläufigen Roman auch tut. Es ist, kann ich versichern, ein äußerst kurzweiliges Lesevergnügen mit einer Menge unglaublicher Überra­schungen und gelegentlichen Seitensteps in surreale Gefilde.

Dass die Geschichten nicht immer vollständig in derselben Welt zu spielen scheinen – besonders deutlich bei dem Goulot-Kapitel und dem um den armen Jerôme Pensedur – , tut der Gesamtkomposition keinen Abbruch, wie ich finde. Man wird davon nur umso stärker überrumpelt. Es mag ein wenig schade sein, dass dieser schon 1982 veröffentlichte Roman neun Jahre brauchte, bis er in deutscher Übersetzung vorlag. Sicherlich aber ist es zu bedauern, dass ich nach seinem Wühltisch-Kauf im Februar 1994 mehr als zwanzig Jahre brauchte, bis ich die Zeit fand, ihn zu lesen. Er lohnt sehr die raschere Lektüre.

Ach ja… und vergesst das Titelbild mit dem toten Vogel und den Kerzen, das hat keinen Inhaltsbezug. Da herrschte erkennbar Mangel an einem gescheiten Co­ver, wie so häufig bei Heyne zur damaligen Zeit. Der Inhalt des Buches entschä­digt euch dafür hinreichend.

Neugierige Leser, die in der Phantastik der Gegenwart nicht mehr genug inter­essanten Lesestoff vorfinden, sollten nach diesem Buch Ausschau halten. Es lohnt sich.

© by Uwe Lammers, 2015

Ja, das ist schon ein rechtes Leckerli für Leute, die unheimliche phantastische Geschichten lieben und ein wenig über den Tellerrand schauen wollen. Es lohnt sich in der Tat, die Stunden und Tage in diesen Episodenroman zu investieren.

In der kommenden Woche machen wir einen weiteren spektakulären Ausflug, Seite an Seite mit einem netten jungen Mädchen, das eine unerwartete, aben­teuerliche Reise macht und dabei unter anderem auf einen verrückten Hutma­cher und ein weißes Kaninchen mit Uhr stößt.

Wer schon Bescheid zu wissen glaubt, worum es hier geht, der lasse sich in sie­ben Tagen dennoch etwas überraschen.

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Liebe Freunde des OSM,

als das erste Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts zu Ende ging, als also das Jahr 2010 anbrach, da ruhte und rastete ich natürlich kreativ nicht… ich meine, so et­was seid ihr von mir ja auch gar nicht gewöhnt. Während ich noch lange nicht daran dachte, jemals so etwas wie einen Blog zu verfassen und regelmäßig wö­chentlich eine Website mit Inhalten zum Oki Stanwer Mythos und meinen sons­tigen kreativen Aktivitäten zu füllen, wurden meine Gedanken in ganz andere Richtungen gelenkt. Sagen wir, in die althergebrachten.

Vor fünf Wochen berichtete ich euch, dass das Jahr 2009 nahezu ausschließlich im Zeichen des tropischen Archipels stand, der den OSM gründlich an die Wand drückte. Das konnte auch kaum anders sein, arbeitete ich doch an einer ganzen Reihe sehr umfangreicher Romanprojekte zu dieser Welt, allen voran an „Rhon­das Reifejahre“.

Ich hatte mich inzwischen gut auf meiner Arbeitsstelle, im Landeskirchlichen Archiv in Wolfenbüttel eingelebt und bedauerte sehr, dass diese Arbeit befristet war, bis Ende April 2010. Einerseits nahm ich an, anschließend wieder etwas mehr Muße zum Schreiben zu haben, auf der anderen Seite wusste ich aber auch, dass mir die lieb gewonnenen Arbeitskollegen und das nette Ambiente sehr fehlen würden. Und so kam es dann auch.

Also versuchte ich, möglichst kreative Arbeiten voranzutreiben und mich von dem fast zwangsläufigen Trübsinn zu lösen. Dabei tauchten – ich steckte ja noch tief im zweiten Rhonda-Roman – immerzu neue Archipel-Geschichtenkeime auf. Da war zum Beispiel „Kerne und Flüche“, eine lustige und nach wie vor unvollendete Story über den legendären Antaganash und eine deutlich ältere Rhonda, quasi ein Blick in die Zukunft.

Dann begann ich mit den Arbeiten an einer Archipel-Chronologie, die allmäh­lich völlig unverzichtbar wurde. Es gab zu viele Daten, zu viele Personen, zu viele Handlungsstränge, die ich verfolgen und im Blick behalten musste… und es ist wirklich überraschend, wie hochkomplex solch eine Welt sein kann. Darin gleicht der Archipel tatsächlich unserer Welt.

Mit „Wie die Beziehungsgeister ihren Glauben verloren“ wuchs eine weite­re Tiyaani-Legende um die beiden älteren Töchter der Göttin Neeli (Ansiina und Tiyaani) heran. Mehrere Rhonda-Geschichtenkeime blühten auf, aber bis auf „Blindlings“ verharrten sie im Stadium handschriftlicher Skizzierung. Und auch die genannte Geschichte ist nur provisorisch erfasst.

Außerdem – dies alles passierte im Januar! – näherte ich mich spürbar allmäh­lich dem Abschluss von „Rhondas Reifejahre“… und dasselbe Phänomen, das ich früher schon bemerkt hatte, trat auf: Bilder aus dem Folgeroman drängten sich in meinen Verstand, in diesem Fall die aus dem dritten Rhonda-Roman „Rhondas Aufstieg“.

Gütiger Himmel, dachte ich mir, wo bleibt der OSM? Hat dieser Paralleltraum nicht endlich mal ein Einsehen mit mir?

Nun, es sah nicht danach aus.

Am 16. Januar schloss ich die dritte Variante des Archipel-Gesamtglossars ab (nun schon 406 Seiten lang), einen Tag später folgte die Variante 3 des Archipel-Begriffsregisters, das mir das Nachschlagen erleichterte.

Gegen Monatsende konnte ich endlich zwei kleine OSM-Glossare ergänzen, die zu „Sturm aus der Sternenballung“ und zu „Geheimdaten verweigert!“. War das ein richtiger Trost? Eher nicht.

Am 7. Februar folgte das OSM-Glossar für die Story „Die leblosen Doppelgän­ger“, dann rutschte ich mit Schreibarbeiten an den Rhonda-Romanen und „Vivi­ca auf Abwegen“ erneut gründlich in den Archipel ab, mit „Gashhoys Ge­schichte“ wucherte noch eine Archipel-Kurzgeschichtenidee (auch bis heute nicht abgeschlossen). Ach ja, und die OSM-Story „Revolte der Okis“ erhielt gleichfalls ein Glossar. Aber damit war der Monat Februar dann auch schon vor­bei.

Der 6. März brachte mich dem Abschluss des zweiten Rhonda-Romans näher. Da beendete ich endlich den achten Ordner des Romans (bis Seite 3.250!), eben­so konnte ich hier das Ordnerglossar vollenden… ach ja, und dann gab es wieder Archipel-Schreibarbeiten ohne Ende…, vom OSM wenig zu sehen. Das hatte auch damit zu tun, dass ich im März natürlich damit begann, meine Arbeiten im Archiv zu vollenden, damit alles fertig war, bis ich Ende April ausscheiden wür­de.

Und ja, ich fieberte wirklich schon auf den Moment hin, da „Rhondas Reife­jahre“ abgeschlossen sein würde… und wurde erneut auf die Folter gespannt.

Wieso?

Weil völlig überraschend eine weitere Archipelgeschichte aus dem Nichts mate­rialisierte, die – wie jüngst „Ein göttlicher Auftrag“ – eine Crossover-Ge­schichte darstellte. Und diesmal eine mit Nachwirkungen, was ich sofort zu spü­ren begann. Dazu sollte ich ein paar Worte mehr sagen, um euch das zu verdeut­lichen:

Gegen Schluss des zweiten Rhonda-Romans ereignet sich ein kleines soziales Drama im „Garten der Neeli“, in das Rhonda als Mitwisserin hineingezogen wird und das eskaliert, als sie die nervliche Belastung nicht mehr aushält und das Geheimnis beichtet.

Im „Garten der Neeli“ arbeitet als einer der Wächter des Grundstücks ein einst­maliger Gardist der Stadtwache von Asmaar-Len, der zwei Herren dient – ein­mal Panjit al Choor, dem Eigentümer des „Gartens“, dann aber ist er auch noch loyal gegenüber seinem vormaligen Dienstherrn Vaasid al Cooresh, dem Kom­mandanten der Stadtwache. Und in dieser „geheimdienstlichen“ Eigenschaft ab­sentiert sich dieser Wächter nun und begibt sich in eine Schänke, wo er den „Ge­heimbericht“ abfasst (die Story trägt nur den Titel „Der Geheimbericht“) und entstand wirklich in Windeseile.

Hier referiert er im Wesentlichen, was an jüngsten Turbulenzen in Panjit al Choors Haushalt vorgefallen ist… aber in dieser Schänke lernt der Referent halt auch ein Sklavenmädchen kennen, dessen Lebensgeschichte ihn an einen be­freundeten Gardisten erinnert.

Nun, der Archipel ist manchmal echt ein Dorf, das ist ganz wie im realen Leben – diese Story schließt also damit, dass der Berichterstatter sich dazu entschließt, seinem alten Gardistenfreund einen Hinweis auf dieses Mädchen zu geben. Und ehe ich mich versah, tauchte mit „Zwei Welten“ die nächste Story auf. Wirk­lich, so geht das hier ständig…

Und damit ihr begreift, wie scheiteltief ich hier jenseits meiner Archivarbeit di­rekt im Archipel und in diesem einen Roman steckte, sei erwähnt, dass ich am 8. April 2010, also nur einen Monat nach dem vorherigen Ordner, Ordner 9 des Romans „Rhondas Reifejahre“ vollendete und Seite 3.615 erreicht hatte.

Immer noch nicht am Schluss? Gott, nein, leider nicht. Aber es dauerte nicht mehr lange.

Wie lange? Drei Tage und rund 90 Seiten lang war dann der Schlussakkord, den ich bis Seite 3.702 unter den phantastisch inspirierenden Klängen des Soundtracks zu „Alice im Wunderland“ wie im Rausch herunterschrieb. Am Ende war ich fix und fertig, mehrheitlich mental. Die Schlusssituation des Romans war aber auch ein einziges Drama.

Gleichwohl dachte ich mir: Gottlob, jetzt habe ich erst einmal etwas Ruhe vor dem Archipel und kann mich endlich wieder um den Oki Stanwer Mythos küm­mern, den ich ja gründlich vernachlässigt hatte.

Schön wäre es gewesen.

Was passierte stattdessen? Das, was eigentlich immer geschieht, wenn ich ein Großprojekt vollendet habe – es sprudelten neue Geschichtenideen empor. In diesem Fall natürlich Archipelgeschichten: „Kapitän Taisanors Geschichte“, „Ana“, „Raubgut“… und dann machten sich auf einmal zwei längere Geschich­tenprojekte zusätzlich bemerkbar.

Nein, Freunde, das geht schief“, sagte ich den Texten ermahnend. „Ich kann nicht an zwei Archipel-Romanen zugleich arbeiten, das klappt nicht.“

Die Texte hatten kein Einsehen. Am stärksten drängte die 2008 begonnene Ge­schichte „Antaganashs Abenteuer“, die nun wahrhaftig keine Kurzgeschichte mehr blieb. Sie wucherte wie von selbst und sollte in Rekordzeit bis zum 10. Juni 2010 abgeschlossen sein (mit allerdings immerhin 531 Textseiten… und ich erwähne einfach nur mal so am Rande, dass ich am 8. Mai 2010 in dieser Ge­schichte gerade mal bis Seite 22 (!) gekommen war. Ihr seht also, in welch ex­plosiver Weise diese Geschichte sich ausdehnte – völlig unvorhersehbar).

Die andere Geschichte, an der ich schon seit dem Jahr 2000 arbeitete und schon recht gut voran gekommen war – wie ich vermutete, aber darin sollte ich mich täuschen – , stellte „Eine Adelige auf der Flucht“ dar. Diese Geschichte hatte bis zum 12. Mai immerhin schon fast 600 Seiten Umfang gewonnen, und ich nahm zuversichtlich an, sie würde deutlich eher abgeschlossen sein.

Selten so getäuscht.

Ich hatte in dreierlei Hinsicht Glück. Faktor 1: Wie oben erwähnt endete meine zeitliche Beanspruchung durch die Archivtätigkeit Ende April. Damit wurde un­endlich viel Zeit frei zum Schreiben. Faktor 2: Eine Folgebeschäftigung ergab sich so schnell noch nicht (das sollte erst im Oktober 2010 geschehen). Und Faktor 3: Der Antaganash-Roman schrieb sich in Windeseile fast von selbst fer­tig.

Erleichterung war allerdings nicht angebracht, wie ich schnell entdecken musste, als der Juni voranschritt. Zwar gelang es mir, die oben erwähnte „Beziehungs­geister“-Geschichte zu vollenden… indes nur um den Preis, dass mit „Rückzug ins Liebeskloster“ und „Begegnung mit dem Schicksal“ zwei weitere Archi­pel-Ideen ans Licht des Tages traten. Es war echt ganz unglaublich. Und, als wenn das noch nicht genügt hätte, erwies sich bald darauf, dass auch „Eine Adelige auf der Flucht“ deutlich länger werden würde als ursprünglich ange­nommen (Gladys Tvallach alias Yalana hätte eben nicht diesen verrückten Fluchtversuch machen sollen, der sie unvermittelt in eine versunkene Ruinen­stadt irren und schließlich Bekanntschaft mit den Dünendirnen machen ließ)… aber ich glaube, davon erzähle ich euch im nächsten Teil dieser Artikelreihe mehr.

Für heute möchte ich diesen Blogbeitrag, der mehr ein Archipelblog als irgen­detwas anderes gewesen ist, lieber schließen.

Lasst euch mal überraschen, wohin wir in der kommenden Woche reisen.

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.