Liebe Freunde des OSM1,

man sagt ja gerne, bei der Religion höre die Freundschaft auf, und schon ganze Staatswesen sind an Konflikten zwischen Staatslenkung einerseits und religiöser Führung andererseits zerbrochen. Auch wenn man in die Gegenwart schaut und sich die Nachrichten ansieht oder Zeitung liest, stößt man allenthalben auf zum Teil blutige Interferenzen zwischen den Themenfeldern Politik und Religion. Wir brauchen da nicht in den Nahen Osten zu schauen, obwohl ein solcher Blick selbstverständlich nützlich ist.

Auch in der Phantastik hat es immer schon Tendenzen gegeben, dieses Span­nungsfeld auszuloten. Manchmal wurden eigens hierfür Religionen kreiert, na­türlich in der Regel angelehnt an das, was wir hienieden auf Erden kennen. Be­greiflicherweise: man nimmt sich das zum Vorbild, was vorhanden und vertraut ist. Es sei hier beispielhaft nur auf Frank Herbert und seinen „Wüstenplaneten“ verwiesen.

Ich sagte schon verschiedentlich, dass der Oki Stanwer Mythos (OSM) eine Form von ganzheitlicher Weltsicht und ein Weltentwurfsmodell sein soll, und da das so ist, das ist leicht ersichtlich, dann kann das Thema Religion hier nicht ausgeblendet werden. So ist es denn auch nicht.

Im OSM bin ich schon relativ zeitig auf einen Konnex zwischen meinen phan­tastischen Welten und spirituell-religiösen Kontexten gestoßen. Wenn sich meine Pläne so realisieren lassen, wie ich mir das für 2016/17 vorstelle, werdet ihr im kommenden Frühjahr in dem Roman „Im Feuerglanz der Grünen Galaxis“ schon einige Pfa­de in dieser Richtung zu sehen bekommen. Die Geschichtenvor­lage dazu stammt aus den Jahren 1987/1988.

Zuvor allerdings, das habt ihr in den vergangenen paar Monaten erlebt, geht es sehr viel heftiger zur Sache im KONFLIKT 2 und der Serie „Oki Stanwer und das Terrorimperium“ (TI). In den vorliegenden Bänden 24 „Gelüftete Schleier“, 25 „Audienz bei Quin“ und 26 „Baumeister-Pläne“ steigt ihr ge­wissermaßen in vollem Ausmaß in das KONFLIKT-Geschehen ein, und die überrumpelten Yantihni im Yinihr-System und ihrem gesamten kleinen Sternen­reich finden sich jählings in einer grundlegend veränderten Welt wieder, deren Natur sie kaum glauben können.

Ihr Sonnengott Quin – ein Baumeister?

Ein Alien, das vor mehr als zweihunderttausend Jahren im Yinihr-System auf­tauchte und die Grundlagen für die Entwicklung der yantihnischen Kultur und, noch viel heftiger, ihrer Religion legte?

Eine ungeheuerliche Vorstellung.

Mehr noch: Eine Beleidigung!

Man stelle sich so etwas bitte einmal vor auf unserer Welt – Aliens tauchen auf, ausgestattet mit einer phantastischen Supertechnik, und sie behaupten (wahlwei­se), die Götter Jahwe, Allah, Jehova und wen wir da nicht noch alles nennen könnten, die seien nicht nur keine Götter, sondern vielmehr ein und die­selbe Person, und zwar ein Alien wie sie selbst, und alles, woran sich fromme Gläubige seit Jahrtausenden orientiert hätten, beruhe im Grunde genommen auf einer spirituellen Fernsteuerung aus dem All!

Schlimmer noch: Dieses Wesen sei sogar noch da und werde nun gewisserma­ßen „auf Normalmaß“ zurechtgestutzt.

Das ist, vorsichtig ausgedrückt, der Super-GAU jeder Religion.

Natürlich kann man da – und das geht den Yantihni von der GHANTUURON ja völlig ebenso – mit Unglauben, Sarkasmus und Spott reagieren. Kann man tun. Natürlich. Das ist ein schlechter Witz und dergleichen mehr, das könnte man sa­gen.

Zu dumm, dass der Baumeister Nogon ein unfehlbares Gegenmittel gegen derlei Unglauben hat: er nimmt eine Delegation von Yantihni direkt mit und benutzt sie als „Türöffner“, um in einen Bereich der Wirklichkeit vor­zustoßen, den die Yantihni bislang für ein rein metaphysisches Konstrukt gehal­ten haben – in den legendären „Sonnengarten“ des Sonnengottes Quin.

Von all dem begreifen die verstörten Raumfahrer nur recht wenig. Nur eins ist offenkundig: diese Reise in den „Sonnengarten“ hat Konsequenzen, die man nur als weltbewegend begreifen kann. Nach dieser Reise ist wirklich nichts mehr so, wie es vorher war.

Was ich schon seit langem weiß, ihr aber natürlich erst im Laufe der Zeit, wenn ihr den Oki Stanwer Mythos weiter verfolgt, erkennen werdet, das ist folgendes: Wer Kontakt mit dem Volk der Baumeister erhält, der tut sehr gut daran, Dinge für möglich zu halten, die jedermanns Verstand sprengen. Man muss sich im Kontakt mit diesen Wesen von allen scheinbar ehernen Vorgaben freimachen, denn dieses Volk ist in einer Weise fundamental mit der Genese des Kosmos und der Entstehung von Völkern befasst, dass man gut daran tut, schlechthin alles für denkbar und möglich zu halten – so wenig es den Betroffenen auch schmecken mag.

Die Audienz bei Quin ist ein sehr gutes Beispiel dafür, aber im Rahmen des OSM durchaus nicht das einzige. Ich deutete oben an, dass es in KONFLIKT 12 „Oki Stanwer – Bezwinger des Chaos“ (BdC), den ich mit dem Roman „Im Feuerglanz der Grünen Galaxis“ zu veröffentlichen beginnen möchte, noch mehr solche Konzeptionen gibt.

Ich erinnere übrigens auch an die zahlreichen ausgestorbenen Kulturen in der Galaxis Twennar (vgl. Bd. 14 „Vanshcors Flucht“). Kollektiver Suizid in Ver­bindung mit einer Art von Sonnengottkult… wer hier nicht auf seltsame Verbin­dungen zum Sonnengott Quin und den Yantihni kommt, der denkt offensichtlich nicht ernsthaft mit. Nicht, dass ich euch das verdenken könnte. Worum es hier geht, ist definitiv monströs.

Der Alli-Forscher Lhogaarin macht sich ja auch so seine Gedanken… Gedanken, die auf sehr grässliche Weise in Richtung eines möglicherweise wahnsinnigen Baumeisters gehen, der planmäßig und über einen Zeitraum von vielen Jahrtau­senden Kulturen erschafft und sie dann ebenso planmäßig in die rituelle Selbst­vernichtung treibt.

Witzig ist etwas anderes.

Und wie ich schon sagte – jählings sind wir im Berührungsfeld OSM und Reli­gion. Oder Religion und Kosmologie, wie ihr das auch immer nennen mögt. Da wir uns, bezogen auf das rätselhafte Volk der Baumeister, natürlich erst ganz am Anfang der Entwicklung befinden, wäre es überstürzt, hier sehr viel mehr zu sa­gen. Doch allein schon bezogen auf die Entwicklung, die nun dem yantihnischen Reich bevorsteht, könnt ihr euch denken, dass die armen Hauptprotagonisten der Serie, die Yantihni eben, in naher Zukunft ziemliche Kröten zu schlucken be­kommen werden. Ich deute nur mal an, dass ihr davon in Band 31 der Serie deutlich mehr mitbekommen werdet.

Ansonsten tut man gut daran, sich im Kontext Baumeister – Religion immer klar darüber zu sein, dass hier stets in ungeheuerlichen Zeitdimensionen gedacht werden muss. Wann immer also von Göttern oder mythologischen Überlieferun­gen im OSM die Rede sein wird, ist es sinnvoll, den Schatten der Baumeister zu vermuten oder Schlimmeres.

Wie jetzt, Schlimmeres? Gibt es noch etwas Verheerenderes als die Enttarnung eines Gottes als Baumeister? Ist das nicht schon die Krönung schlechthin?

Nun… vor etwa zehn Jahren hätte ich noch vollmundig gesagt: Doch, das ist das Ende der Fahnenstange. Inzwischen, und deshalb ist ja der Oki Stanwer Mythos nach wie vor ein „Work in Progress“ und in steter gedanklicher Wandlung be­griffen, manchmal auch in fundamentaler Wandlung, inzwischen kann ich das so nicht mehr ausdrücken.

Ja, es gibt da noch mehr, gewissermaßen eine kosmologische höhere Ebene. Aber dafür ist es hier und heute zu früh, darüber zu spekulieren. Da diese Ebene auf unsere aktuelle E-Book-Handlung noch keine Auswirkungen hat, lassen wir sie für heute außen vor, merken uns aber sinnvollerweise, dass es da noch eine Art totes Argumentationsende gibt. Es mag sein, dass wir darauf in voller Kon­sequenz erst in ein paar Jahren zurückkommen, aber verlasst euch darauf – ich erinnere euch dran.

Ebenfalls wichtig im Zusammenhang von Kosmologie und Religion ist der Kon­text mit spirituellen Konzepten… ihr werdet im nächsten Kosmologie-Beitrag, der schon sehr bald auf euch zukommt, sehen, dass es hier einen direkten An­knüpfungspunkt gibt, ebenfalls „OSM-Style“, wenn ich das mal so flapsig-iro­nisch ausdrücken darf.

Für den Moment möchte ich die Erörterung über den OSM und die kosmologi­schen Beziehungen zum Komplex der Religion schließen. Natürlich gibt es dar­über noch sehr viel mehr zu erzählen, doch möchte ich für den Moment mal die gewonnenen Einsichten „sacken“ lassen. Ich komme beizeiten darauf zurück, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.

Und wer jetzt wider Erwarten nur bedingt den obigen Erörterungen folgen konn­te, weil er vielleicht die TI-Serie nicht verfolgt hat oder meint, 25 Episoden und mehr seien doch etwas viel Lesestoff… nun, der kann sich aber durchaus jetzt, neugierig geworden, daran machen, dies alles aufzuholen. Und beunruhigt der nahen Zukunft entgegenfiebern.

Lasst euch mal überraschen, was die nächste Woche bringt, wenn ihr wieder hierher umschaltet. Daraus mache ich noch ein kleines Geheimnis.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

1 Und ja, ich weiß, dass dieser Blogartikel etwa eine Woche zu früh kommt… das ist eben die Schwierigkeit bei Langzeitplanungen, wenn das E-Book-Programm nicht ganz so „flutscht“, wie ich es ursprünglich geplant habe. Wird aber schon funktionieren. Ich habe einen problematischen Absatz, der zu sehr spoilerte, geflissentlich rausgestrichen.

Liebe Freunde meiner E-Books,

mit „Ein Passagier der R.M.S. TITANIC und andere phantastische Ge­schichten“ liegt ab sofort meine zweite Kurzgeschichtensammlung auch im EPUB-Format für alle Lesegeräte vor. Ich nehme euch hierin mit auf eine Reise durch höchst unterschiedliche Welten und Zeiten, die ich kreativ bereist habe.

In der Titelgeschichte etwa beginnt scheinbar alles im Jahre 1911 in Ägypten, aber in Wahrheit wurzelt die Geschichte Jahrtausende in der Vergangenheit und wird schließlich verknüpft mit dem tragischen Schicksal des Luxusliners R.M.S. TITANIC…

In „Das Weihnachtsmann-Syndrom“ landen wir tatsächlich in der Weih­nachtszeit in den Vereinigten Staaten, wo es zu einem folgenschweren Zwi­schenfall bei einem Geheimexperiment kommt…

Dem „schwarzen Punkt“ zu begegnen, sollte sich niemand wünschen, weder im Traum noch in der Realität. Es könnte seine letzte Erfahrung sein…

Hüter des Shanna Djannir“ entführt euch in eine bizarre Dschungelwelt in den Weiten der Universen des Oki Stanwer Mythos, und in „das Haus ohne An­fang und Ende“…

Der Leichenvater“ ist ein schauriger Gesell, der die Weiten der Zeit durch­streift, und ihm ist nichts unmöglich…

Ergänzt wird der Band durch eine Reihe von Prosagedichten und ein Glossar für die OSM-Story.

Dies alles liegt im neuen E-Book „Ein Passagier der R.M.S. TITANIC und andere phantastische Geschichten“ bei www.beam-ebooks.de im EPUB-For­mat zum Preis von 4,49 Euro vor.

Ich wünsche euch angenehmes Lesevergnügen!

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Rezensions-Blog 54: Stupid White Men

Posted April 5th, 2016 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

wie ich euch letzte Woche versprochen habe, gibt es diesmal wieder ein ver­gleichsweise aktuelles Werk zu besprechen. Während ich mich neulich um ein Buch kümmerte, das ja schon seine gut 75 Jahre auf dem Buckel hatte, war zu dem Zeitpunkt der Autor des vorliegenden Buches noch gar nicht geboren. Schauen wir uns heute mal einen bärbeißigen Kritiker des US-Establishments zur Zeit des damals amtierenden Präsidenten George W. Bush jr. an. Ich gebe zu, Moore zog mich auch deshalb an, weil ich Bush jr. ernstlich für einen Wahn­sinnigen hielt und im Grunde genommen immer noch halte. Der Mann gehört meiner Ansicht nach vor ein Kriegsverbrechertribunal, ganz gewiss aber hinter Gitter… und ich denke, nach dem, was er angerichtet hat im Gefolge von „9/11“, stehe ich mit dieser Ansicht wohl nicht allein da.

Michael Moore hatte Bush schon zuvor auf dem Kieker, und er nutzte dieses Buch, das damals Furore machte – wie auch viele seiner anderen Bücher, zu de­nen ich gewiss noch mehr sagen werde – , zu einer recht scharfzüngigen Ab­rechnung mit seiner eigenen Nation und ihren Absonderlichkeiten, um es vor­sichtig zu formulieren.

Und nein, zeiht mich nicht des Antiamerikanismus, ich mag einzelne Personen nicht und einige Strömungen, die dort von Zeit zu Zeit vorherrschen, sowie ge­wisse Strukturen wie etwa dieses obskure Wahlmänner-System oder die bizar­re, gesponserte Form des obsessiven Wahlkampfes. Aber gegen die Amerikaner als Volk und Nation habe ich absolut nichts. Und so solltet ihr denn dann auch das verstehen, was als Rezension jetzt folgt. Lesenswert ist es, denke ich, auch ungeachtet des Abstandes von rund 10 Jahren immer noch:

Stupid White Men

(OT: Stupid White Men… and Other Excuses for the State of the Nation!)

von Michael Moore

München 2002

Aus dem Amerikanischen von Michael Bayer, Helmut Dierlamm,

Norbert Juraschitz und Heike Schlatterer

336 Seiten, TB

ISBN 3-492-04517-0

12.00 Euro

Sie haben etwas gegen Amerikaner, weil diese Leute so blasiert und überheb­lich sind, sich aufführen, als gehörte ihnen die Welt? Weil sie einen Präsidenten gewählt haben (na ja, vielleicht gewählt haben – wir sprechen über die Wahl von 2000, die Wiederwahl war einfach nur dämlich), der nichts Besseres zu tun hatte, als seinem latenten Araberhass dahingehend Ausdruck zu verleihen, in­dem er nach dem 11. September 2001 gleich zwei Länder bombardieren ließ, mit denen er formell nicht im Krieg stand und in beiden Ländern (gemeint sind, falls das schon jemand von unseren Kurzzeit-Gedächtnis-Mitbürgern vergessen haben sollte, Afghanistan und der Irak) statt einer „neuen Weltordnung“ Chaos und Verderben installierte?1 Weil sich das Land Amerika in eine Art demokra­tisch getarnte Diktatur verwandelt hat, die nicht nur die eigenen Bürger durch ständigen Notstand und neue Terrormeldungen schikaniert, sondern auch im­mer noch exzessiv den „american way of life“ in die Welt hinaustragen möchte?

Leute, ihr wisst nicht mal die Hälfte der Gründe, die es für eine solche Haltung gibt. Ganz sicher nicht.

Was lässt sich dagegen machen? Nun, lest das Buch eines amerikanischen Re­bellen. Dieses Buch:

Michael Moore, 1954 in Flint, Michigan, geboren und nach einer wechselhaften Laufbahn, die ihn schließlich zum Helfer des Verbraucherschützers Ralph Nader, dann zum überzeugten Regisseur, Fernsehmoderator der Show „TV Nation“2 und Schriftsteller werden ließ, dieser Michael Moore ist heutzutage jemand, mit dem man in der amerikanischen Politik rechnen muss Nicht allein durch sei­nen Dokumentarfilm „Roger & Me“, sondern besonders durch seinen Film „Bowling for Columbine“, in dem er den Schüler-Amoklauf an der Columbine High School nachzeichnet und die Waffenindustrie anprangert, ist er auch in Eu­ropa bekannt geworden.

Dieses Buch hier ist aus dem Anlass der Präsidentschaftswahlen Ende des Jah­res 2000 entstanden, enthält aber weit mehr als nur den zu erwartenden „Anti-Bushism“, wie man im gängigen Jargon heute sagt. Gewiss, Michael Moore ist natürlich ein profunder Bush-Gegner, und es gibt in diesem Buch eine Menge guter Gründe dafür. Aber er bewegt sich auch in dem wechselvollen Spannungsfeld zwischen Demokraten, Republikanern und jenem dritten Präsident­schaftskandidaten der damaligen Wahl, seinem einstigen Arbeitgeber Ralph Nader. Und alle, wirklich alle, bekommen ihr Fett weg.

Wer sich Moores Film „Fahrenheit 9/11“ angesehen hat – vergessen wir mal kurz Ray Bradburys gallige Kritik daran und den vermutlich realistischen Vor­wurf des Science Fiction-Schriftstellers, Moore habe von seinem Buch „Fahren­heit 453“ einen Teil des Titels abgekupfert – und das Amerika von heute nur mit großem Unbehagen anschauen kann, wem die amerikanische Mentalität ein Buch mit sieben Siegeln ist und er die Bürger Nordamerikas abwechselnd alle­samt für strohdämlich oder latent faschistisch erklärt, der sollte sich vielleicht ein wenig um eine differenziertere Blickweise bemühen, und einige Zutaten da­für könnte er diesem z. T. sehr bissigen Buch entnehmen.

Ob es um die wirklich haarsträubenden – und bei Moore gut belegten – Schie­bereien und Mogeleien im Vorfeld der Wahl (und nach der Wahl) im Jahre 2000 geht, um schwarze Bürger, die vorsorglich aus dem Wahlregister gestrichen wurden; ob es um George Bushs rätselhafte Vergangenheit geht, die bei Moore schließlich in der inquisitorischen Frage gipfelt: „George, bist du ein Verbrecher?“ (bzw. ein Sicherheitsrisiko oder ein Alkoholiker), oder ob er sich über eine Verschwörung der Reichen zu Ungunsten der Ärmeren in den USA auslässt… etwas, was mir sehr bekannt vorkam… warum wohl nur…? Ob das was mit der Wohlstandsgesellschaft in der Bundesrepublik zu tun hat? Und HIER herrscht doch wirklich ein „Abschwung“, oder…?, es gibt eine Menge zu le­sen und zu lernen.

Arsen im Grundwasser der USA stellt eine Panikmache des Präsidentschaftskan­didaten Ralph Nader dar? Deshalb schreibt man Moore freundlich, er solle doch dem Briefschreiber einen Gefallen tun, nämlich: „Bitte fallen Sie tot um!“ Nun, der Autor denkt nicht daran. Er weist vielmehr nach, dass die Demokraten un­ter Bill Clinton von dem Arsen sehr wohl wussten, aber sich 8 Jahre lang weiger­ten, dazu irgendetwas zu sagen. Nader thematisierte es als erster, und prompt schob man ihm die Existenz von Arsen im Grundwasser in die Schuhe. Die Ge­setze dagegen wurden erst ganz kurz vor der Wahl von den Demokraten hastig beschlossen (und als erstes von der Bush-Administration sofort wieder gekippt).

Die Schwarzen sind die eigentlichen Verbrecher und Nutznießer zugleich des amerikanischen Wirtschaftssystems? Alles Kriminelle, wie man in den Nachrich­ten ständig sehen kann? Eigenartig, befindet Moore, er könne sich an KEINEN Schwarzen erinnern, der ihm jemals was zuleide getan habe. Alles Böse sei ihm stets von den WEISSEN widerfahren. Also beschließt er, einen guten Rat zu er­teilen: „Los, killt die Weißen!“

Klimaschutz? In Amerika? Unter den Demokraten, unter den Republikanern? Pustekuchen. Recycling? Was soll der Unfug? Michael Moore enthüllt, seinem eigenen Wohlstandsmüll nachgehend, schockierende Erkenntnisse über die Ab­fallwirtschaft der Staaten. Das führt unter anderem dazu, dass er fortan Mine­ralwasser aus der Schweiz einfliegen lässt. Schweineteuer, klar, aber wenn man wie er erst mal erfahren hat, was alles so in den Wasserreservoirs von New York passiert…

Wer zwischen einzelnen Bundesstaaten der USA mit dem Flugzeug unterwegs ist, sollte wirklich gut daran tun, die zahllosen Sozialhilfeempfänger gut zu be­handeln. Warum? Nun, einige davon sind möglicherweise ihre eigenen Piloten. Findet Moore schockiert heraus, als er mit einem Piloten ins Gespräch kommt. Manche der Piloten verdienen so wenig, dass sie noch nebenher zum Sozialamt gehen müssen. Bis die Fluggesellschaften das verbieten!

Land der Freien? Amerika? Wohl ein Witz, hm? Der streitbare Moore weist mit teilweise abenteuerlichen Fallstudien nach, dass es offensichtlich völlig egal ist, wie man heißt oder wo man sich aufhält, wenn die Polizei mal einen Verdacht gefasst hat, dass man schuldig zu sein hat. Da kann es sein, dass Haustüren auf­gebrochen und gehbehinderte Schwarze vor dem Fernseher fassungslos über den Haufen geballert werden, weil sich die Beamten in der Hausnummer geirrt haben; da kann es geschehen, dass Drogenkonsumenten eingesperrt werden und die Dealer frei rumlaufen und sogar noch Steuererleichterungen bekommen oder Leute verhaftet und verurteilt werden, weil sie Dokumente unterschreiben, die sie nicht gelesen haben…

Willkür pur, und es ist egal, meint Moore (mit Beleg guter Gründe), ob Demo­kraten oder Republikaner das Land regieren. Die beiden Parteien ergänzten sich so glänzend, sie könnten eigentlich zusammengehen. Und die 90 Prozent der Amerikaner, die von dieser Doppelpartei nicht repräsentiert würden, könnten dann die dritte, neu zu gründende wählen…

Das alles und noch viel mehr aus dem realen Alptraum aus Absurdistan USA be­kommt der zunehmend fassungsloser dreinschauende Leser hier geboten, von Moore alles schön mit Anmerkungen versehen, damit man auch ja seine Quel­len kontrollieren kann. Das Buch hat nicht umsonst binnen von anderthalb Jah­ren 39 (!) Auflagen erlebt (diese Ausgabe war die mir vorliegende. Es ist gut möglich, dass das Buch inzwischen 75 oder mehr Auflagen erlebt hat).

Ich denke, wer immer einen etwas präziseren und vielschichtigeren Einblick in die amerikanische Seele erleben möchte, ob es dabei nun um Regierungspolitik, Verbraucherschutz, Umweltaktivisten, Wirtschaft, Militär, Polizei, Rassenpolitik usw. geht, könnte sich hier Informationen aus erster Hand verschaffen – und dabei noch so manches ungläubige Kichern erleben.

Moore ist bissig, ja, er neigt auch zu Tiefschlägen, ja. Aber er ist nicht nur de­struktiv, sondern hat durchaus Lösungen zu bieten. Und die können sich eben­falls sehen lassen.

Das Buch ist nicht umsonst ein Bestseller geworden.

Lest es.

© by Uwe Lammers, 2006

Also, ich finde, dieser Leseempfehlung lässt sich nur recht wenig anfügen. Man mag vielleicht Anstoß an der Gegenwart von Moores Lebensführung nehmen, von der ich kursorisch mal gehört habe, aber das ändert durchaus nichts daran, dass dieses Buch kritisch, höchst lesenswert und unterhaltsam ist und eine Menge Informationen enthält, die man auf anderem Wege nur schwerlich ge­boten bekommt. Eine erstklassige Möglichkeit jedenfalls, eindimensionale Kli­schees im Kopf zu entrümpeln. Und wie ich stets zu sagen pflege: Wir leben in dem Zeitalter, in dem es uns beispiellos leicht möglich ist, umfassende Informa­tionen zu erlangen. Jedes frühere Zeitalter hätte uns darum beneidet. Wer so dumpfbackig ist, dass er Information für Anstrengung hält und sich lieber von solchen Quellen fernhält, der muss sich nicht wundern, wenn er ideologisch vernagelt wird und die Welt völlig falsch versteht.

Informiert euch, Freunde, und ich denke, ihr habt einen enormen Vorteil davon.

In der kommenden Woche hüpfen wir wieder zurück in einen opulenten Ro­man, und der fängt an in einem buchstäblich revolutionären Jahr: 1968. Aber dabei bleibt es nicht.

Mehr dazu am kommenden Mittwoch.

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 By the way: im Irak hat diese Politik nach den Angaben des Deutschlandfunks bis Mitte Juli 2005 zu 39000 zivilen Todesopfern geführt, inzwischen dürfte die Zahl die 50000 deut­lich überschreiten, von mehr als 2000 amerikanischen Soldaten einmal ganz zu schweigen. Über Afghanistan liegen mir keine Verlustzahlen vor.

2 Vgl. auch Rezension zu Michael Moore & Kathleen Glynn: „Hurra Amerika! Adventures in A TV Nation“. Die Rezension ist in Vorbereitung für den Rezensions-Blog.

Liebe Freunde des OSM,

sind tatsächlich schon wieder sieben Wochen vergangen, seit wir uns hier in der Sache „Historie des Oki Stanwer Mythos“ getroffen haben? Augenscheinlich ja. Nun, die Wochen und Monate fliegen einfach so dahin… ihr merkt das ständig alle 4 Wochen in der Rubrik „Work in Progress“, und der OSM blüht und entwi­ckelt sich, derweil er mehr und mehr das Licht der Öffentlichkeit erblickt. So et­was hätte ich mir vor vier Jahren noch nicht einmal erträumen können.

Heute wollen wir aber weiter meinen biografisch-literarischen Pfaden folgen, und da ich so redselig bin, gehe ich am besten gleich wieder daran, den Faden dort aufzunehmen, wo ich ihn vor sieben Wochen fallen ließ.

Wir waren derweil im Jahre 2007 angelangt. Ich war Chefredakteur des BWA (wieder einmal), schrieb für das Fanzine die Artikelreihe „25 Jahre im Dienst der Kreativität“, beruflich gondelte ich ständig zwischen Braunschweig und Salzgitter hin und her, um den IG Metall-Aktenbestand der Verwaltungsstelle Salzgitter zu erschließen. Ich hatte also gut zu tun.

Während dieser Fahrten nach Salzgitter und zurück kam ich zu nicht besonders vielen Dingen – namentlich lesen konnte ich jede Menge, und das tat ich auch, indem ich beispielsweise Philip Pullmans Romanzyklus um den „goldenen Kompass“ verschlang. Folgerichtig schrieb ich mehrheitlich Rezensionen. Im September entstand also außer einem reflexiven Hintergrundtext („Gedanken über die Totenköpfe“) nichts weiter zum OSM, was ich fertig gestellt hätte.

Im Oktober überfiel mich eine Inspiration, die zum Non-OSM-Text „Ein Sher­lock Holmes des Roten Planeten“ führte, der erst im damaligen BWA-Mars-Themenband erschien und Jahre später sogar noch einen Wettbewerb gewann. Ihr könnt den Beitrag nachlesen in meiner ersten Storysammlung „Beide Seiten der Medaille und andere phantastische Geschichten“ (2014 erschienen).

Ansonsten schrieb ich zwar an vielen OSM-Werken weiter, aber fertig wurde auch in diesem Monat nur eine kommentierte Episodenabschrift des KON­FLIKTS 17 „Drohung aus dem All“. Der November sah nicht besser aus. Wie gesagt, die Archivarbeit fraß mich ziemlich auf, und die Fahrzeiten reduzierten mein verfügbares Zeitbudget. Es kann fast ein Wunder genannt werden, dass die Chefredaktion des BWA mich nicht vollständig absorbierte.

Auch im Dezember 2007 ging dieses Spiel weiter: Arbeit an zahlreichen Ge­schichten des OSM, von der TI-Serie über den CLOGGATH-KONFLIKT bis zum KONFLIKT 22 „Oki Stanwer – Der Schattenfürst“, aber auch hier gelang mir gerade mal ein – zu diesem KONFLIKT passender – Hintergrundartikel, nämlich „Das Rätsel der Talather“, den ich am 30. Dezember beendete.

Ihr kennt die Talather nicht? Nun, das ist im Stadium der Publikation, in dem sich der OSM derzeit befindet, gewiss keine Bildungslücke. Ich habe ja auch noch keine Episode zu den Talathern geschrieben (nein, obwohl neun Jahre ver­strichen sind seither, hat das immer noch nicht geklappt). Aber das kommt noch, und ich freue mich schon auf dieses Reich mit den transmittierenden Wohntür­men und allem, was dazu gehört… ist ein phantastisches Garn, versprochen, und beizeiten bekommt ihr das mit.

Nun, das Jahr 2007 endete recht trostlos mit gerade mal 135 fertigen Werken, davon mehrheitlich Rezensionen, Fanzineredaktionen und Non-OSM-Werke. Ei­nes der nicht so erfolgreichen Jahre, wie ich finde… aber in Anbetracht meiner starken Beanspruchung durch die Archivarbeit ließ sich das nicht ändern.

Am Jahresende hatte ich dann noch etwas Stress, sehr kurzfristig den ABM-Ver­trag mit dem Stadtarchiv Salzgitter zu verlängern, was buchstäblich im allerletz­ten Moment gelang… und wie ihr euch vorstellen könnt, hatte das dann natürlich die nämlichen Auswirkungen auf das nächste halbe Jahr: immer noch wenig Zeit. Und dementsprechend wenig Gelegenheit, konstruktiv für den OSM tätig zu werden.

Steigen wir also ein ins Jahr 2008.

Es ging gleich gut los, mit Vorarbeiten im Monat Dezember, denn hier konnte ich endlich Band 50 des KONFLIKTS 22 schreiben, die Episode „Oki Stan­wers Auferstehung“. Zu dumm allerdings: dies war der erste Teil eines Zwei­teilers. Und ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass der Folgeband bis heute nicht geschrieben ist. Das ist so ziemlich der weiteste Ausläufer der Serie bislang, seither stockt die weitere Umsetzung.

Weitere fertige OSM-Werke im Januar 2008? Fehlanzeige.

Im Februar rutschte ich wieder in den chaotischen KONFLIKT 28 ab, also in die Serie „Oki Stanwer – Der Siegeljäger“, wo ich mit Band 48 „Das Sirianer-Problem“ beschrieb. Ein Band, der mit 86 Manuskriptseiten beinahe Romanfor­mat erreichte. Und damit war ich schon wieder an einem Serienrand gestrandet, denn der darauf folgende Band 49, der diesen Zyklus eigentlich abschließen soll, ist nach wie vor in Arbeit.

Damit war der Monat Februar auch schon passé. Im Monat März gelang es mir zumindest, den dritten Roman der Edward-Norden-Saga (ENS), „Der Herr­scher von Arc“ aus den Dateien zusammenzubauen und auszudrucken. Er war schon vor Jahren in überarbeiteter Fortsetzung in BWA erschienen, aber nie von mir zu einem zusammenhängenden Manuskript verarbeitet worden. Das gelang mir also jetzt endlich, wo ich sonst zu kaum etwas anderem kam. Und das war dann halt auch schon so ziemlich alles, was ich im Rahmen des OSM auf die Reihe bekam.

Ihr merkt – wenn ich bis Ende März nur insgesamt 24 kreative Werke fertigstel­len kann, und so verhielt es sich, dann habe ich wirklich SEHR wenig Zeit ge­habt.

Im April begann dann das, was ich als ständige Nachrufabfassung bezeichne, und was bis heute leider nicht nachgelassen hat. Hier traf es Sir Arthur C. Clar­ke, zu dem ich für BWA einen Nachruf verfasste. Außerdem wurde mir allmäh­lich qualvoll bewusst, dass ich im OSM vollständig einrostete, und so legte ich mich wenigstens ins Zeug, was die kommentierten Abschriften des KON­FLIKTS 17 anging. Das klappte dann ganz gut, und bis Ende April entstanden drei solche Episoden. Das war’s dann aber leider auch schon wieder.

Zum Teil lag das zweifellos daran, dass ich mich in KONFLIKT 24 „Oki Stan­wer – Der Neutralkrieger“ verlaufen hatte, um endlich im HANKSTEYN-Zyklus vorwärts zu kommen. Wie ihr wisst, wurden diese Episoden ja ebenfalls immer länger. Und NK 53 „HANKSTEYN“, den ich am 12. Mai 2008 beenden konnte (Band 1500 des OSM), der erreichte mit 95 einzeiligen Manuskriptseiten einen neuen Rekord… wohl verstanden – das ist die Episode. In der Ausarbei­tung etwa für das E-Book-Format könnt ihr euch dann später auf 200 Seiten plus einstellen.

Zwei weitere 17Neu-Episoden rundeten den Mai 2008 dann OSM-technisch ab, aber man kann wirklich nicht davon sprechen, dass ich hier sonderlich zufrieden war. Die Archivarbeit hatte mich nach inzwischen 11 Monaten ziemlich ausge­laugt, ich brauchte echt eine Auszeit – und war sehr froh, dass ein Ende der Ar­beit in Sicht war, das könnt ihr mir aber echt glauben!

Im Juni 2008 konnte ich außerdem mit Teil 12 die Artikelreihe „25 Jahre im Dienst der Kreativität“ abschließen und noch eine weitere 17Neu-Episode ver­fassen. Außerdem rutschte ich inhaltlich wieder in den Archipel zurück, was vielleicht ganz unvermeidlich war.

Am 17. Juni 2008 endete dann meine Beschäftigung im Stadtarchiv Salzgitter… und es war ein bisschen unheimlich, diese Hallen hinter mir zu lassen, den lieb gewonnenen Kollegen Adieu zu sagen. Ich bin halt jemand, der sich gern dauer­haft in einem Umfeld verwurzelt und sich dort dann richtig wohl fühlt. Und Ab­schiede, ihr kennt das sicher, fühlen sich immer dämlich und schmerzhaft an. So ging’s mir hier also auch.

Gleichwohl war es auch eine Erleichterung. Ich war nun zwar wieder auf staatli­che Hilfsgelder angewiesen, aber ich hatte eine Sache zurückgewonnen: meine zeitliche Autonomie. Und zugleich streckte ich selbstverständlich meine Fühler zu einer weiteren Arbeitsstelle aus, an der ich schon gearbeitet hatte – zum Lan­deskirchlichen Archiv.

Es sollte noch ein paar Monate dauern, bis ich hier tatsächlich Fuß fassen konn­te, aber damit begann dann ein schönes neues berufliches Abenteuer für mich. Ich nehme an, dazu werde ich in der kommenden Ausgabe dieser Reihe mehr sa­gen können. Für heute möchte ich schließen, um mich dem Juli 2008 und den Folgemonaten nächstes Mal zu widmen.

In der kommenden Woche machen wir erneut einen Abstecher in den Bereich der OSM-Kosmologie. Der Grund dazu sind natürlich die TI-Bände 25 und 26, die dann erscheinen werden. Und ohne viel zu verraten – diesmal geht es dann wirklich ans Eingemachte!

Bis nächste Woche, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Rezensions-Blog 53: Die Rückkehr der Zeitmaschine

Posted April 2nd, 2016 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

heute gibt es mal zur Abwechslung einen richtigen „Shorty“ von mir… ja, damit ihr nicht denkt, ich würde euch immerzu seitenweise vollquasseln (wie, das habt ihr gar nicht gedacht, sondern genießt die Ausführlichkeit meines Blogs? Danke schön, Leute, das tut gut!). Nach den ziemlich gehaltvollen und bisweilen auch etwas schockierenden Beiträgen der vergangenen Wochen dachte ich mir, ich zeige euch mal einen beinahe vergessenen Klassiker der Science Fiction, der ein schrulliges, kurzweiliges Lesevergnügen bietet.

Ihr erinnert euch noch an die Lektüre von H. G. Wells´ „Die Zeitmaschine“? Und da blieben Fragen offen? Nun, ich glaube, die Antworten könnt ihr in dem fol­genden Bändchen finden:

Die Rückkehr der Zeitmaschine

von Egon Friedell

Diogenes 20177

96 Seiten, TB, 1974

Preis damals: 7.80 DM

Ach, hätte ich das doch vorher gewusst! Was wäre mir alles erspart geblieben!

Da musste ich erst mit Stephen Baxter in seinem bizarren Roman „Zeitschiffe“ unendlich weit in die Zukunft der Zeit reisen, um über das Schicksal des namen­losen Zeitreisenden aus H. G. Wells´ Klassiker „Die Zeitmaschine“ unterrichtet zu werden und obendrein noch seinen Namen zu erfahren. Moses, natürlich.

Aber, wie ich inzwischen feststellte, war das alles gar nicht die Wirklichkeit. Bax­ter macht keine Andeutung auf das vorliegende Werk, was zweierlei bedeuten kann: entweder kennt er es nicht (aufgrund der bewiesenen Belesenheit ist das unwahrscheinlich), oder aber, schlimmer, es enthält Dinge, die er gerne sorg­sam verschwiegen hätte. Und da gibt es genug.

Im Jahre 1908 schreibt Egon Friedell, seines Zeichens Fan des Romans „Die Zeit­maschine“, an Mr. Herbert George Wells in London und bittet ihn, ihm doch zu berichten, was mit dem Zeitreisenden geschehen sei. Denn, so legt Friedell plausibel dar, wenn es sich um ein reines Hirngespinst Wells´ gehandelt hätte, hätte er ja keinen Grund, der Welt eine fabulierte Fortsetzung zu ersparen. An­derenfalls aber sei der Zeitreisende eine zwar anonyme, aber gleichwohl reale Person. Dafür spräche, fährt der Wiener Schriftsteller fort, dass ein Brief, den er an „Time Traveller, London“ sandte, von der Post zurückgeschickt worden sei mit der Auskunft „gone on a journey“.

Statt Antwort des Phantasten zu bekommen, erhält er eine barsche, ausufernde Abfuhr von dessen Sekretärin Dorothy Hamilton. Dummerweise verplappert sie sich und gibt den Namen einer Person aus Wells´ Buch wieder, nämlich den des wortkargen Journalisten Mr. Transic.

An den wendet sich Friedell nun, und in der Tat, er weiß erheblich mehr zu be­richten als Wells. Der Zeitreisende kehrte nämlich von seiner Reise zurück, einer schrecklichen Reise, die ihn unter anderem in das schwebende London des Jah­res 1995 (sic!) versetzte und schließlich die Zeit selbst verlieren ließ…

Das Buch des Wiener Theaterkritikers, Schauspielers und freien Schriftstellers Egon Friedell (*1878, +1938), der aus verständlicher Angst vor den Nationalso­zialisten seinem Leben am Tag des österreichischen „Anschlusses“ ein Ende setzte, ist erstmalig in Deutschland posthum 1946 erschienen. Es handelt sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um ein rein fiktives Werk, d. h. auch der anfängliche Briefwechsel darin ist fiktionaler Natur.

Rasch erschließt sich dem Leser, dass es sich um ein durchweg ironisches Werk handelt, das weit weniger auf wissenschaftlichem Fundament steht als durch eher wirre Pseudo-Wissenschaft Wells´ Klassiker persifliert. Das tut dem Buch aber nicht unbedingt schlecht. Solange man Friedell als ironische Fußnote zu Wells´ Werk lesen möchte, kann es für zwei vergnügliche Stunden sorgen. Wohl bekomm’s.

© by Uwe Lammers, 2004

Tja, Freunde, auch solche kleinen Perlen der Überraschung und des Entzückens hält die Science Fiction parat. Grund genug, finde ich, nicht heutzutage nur kurzatmig durch die Buchhandlungen zu hecheln und sich darüber enttäuscht zu zeigen, wie überdimensioniert für relativ neue Genres wie Vampirschmon­zetten, phantastische Jugendbücher oder überdimensionierte Fantasyschinken geworben wird und wie gering doch demgegenüber die ums Überleben kämp­fende SF-Ecke ausgeprägt ist. Die glanzvolle Vergangenheit bietet eine phantas­tische Fülle an Klassikern, und die moderne Zeit macht es eben möglich, sie auch antiquarisch relativ leicht und kostengünstig zu erwerben. Nicht umsonst mische ich in meinem Rezensions-Blog alte und moderne Werke.

In der kommenden Woche geht es wieder um ein vergleichsweise modernes Buch – allerdings handelt es sich dabei nicht um einem Roman, sondern eher um… ja, wie nennt man das? …ein politisches Sachbuch? Am ehesten. Aber der Autor darf als Garant für gute Unterhaltung verstanden werden: Michael Moore.

Wer neugierig geworden ist, schaue kommende Woche wieder rein in ein Aben­teuer ganz besonderer Art. Ich freue mich auf eure Neugierde.

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Liebe Freunde des OSM,

kaum ist der Monat um, ist auch schon wieder Zeit für einen weiteren Blogein­trag der Rubrik „Work in Progress“. Während ich diese Zeilen schreibe, knallen draußen die Feuerwerksböller, die Sirenen der Ambulanzen jaulen leider ebenso, und in Dubai steht, wie ich eben las, ein Hochhaus in Flammen… Glück und Schrecken liegen also auch 2016 wieder sehr dicht beieinander.

Wenden wir uns für den Moment positiveren Dingen zu – wie hat sich der OSM im Monat Dezember 2015 entwickelt?

Ihr könnt euch sicherlich ein, zwei limitierende Faktoren denken, die mich or­dentlich gebremst haben. Ad 1: Weihnachtspost schreiben und Weihnachtsge­schenke besorgen (und glaubt mir, es DAUERT, wenn man 23 Karten und 60 Mails zu schreiben hat! Mich hat das mehrere Tage gekostet… allerdings Tage, die ich gern investiert habe, sollte ich abmildernd hinzufügen).

Faktor 2 war natürlich meine Arbeit für die TU Braunschweig. Da gab es mehre­re Dienstreisen, die in der Regel den ganzen Tag verschlangen, einen Workshop und zahlreiche Telefonate, Recherchen usw. Folgendes habe ich dann aber doch noch auf die Reihe bekommen:

Blogartikel 156: Work in Progress, Part 36

E-Book 25: Audienz bei Quin

Erläuterung: Das war dann eine ganz knappe Geschichte. Ich habe dieses E-Book buchstäblich am allerletzten Tag des Monats beendet. Textlich fertig war es schon seit Wochen, aber ihr wisst ja, dass ich gegen Schluss immer einen Auszug aus dem folgenden Werk bringe – und der war noch nicht fertig. Das habe ich erst gestern Nachmittag geschafft, also Silvester. Uff!

(E-Book 23: Baumeister-Pläne)

(OSM-Wiki)

(DER CLOGGATH-KONFLIKT – OSM-Buch (Abschrift))

Blogartikel 157: Der OSM – Ein Wolkenschloss? Nein!

Blogartikel 155: Logbuch des Autors 16 – Im Dschungel

Erläuterung: Was um alles in der Welt mag DAS nun wieder bedeuten, fragt ihr euch vielleicht… ach nein, vermutlich doch nicht, denn wenn ihr diese Zeilen lest, ist der nämliche Blogartikel ja seit fünf Wochen veröffentlicht. Manchmal komme ich gegen Jahresende schon ein wenig ins Trudeln. Macht euch nichts draus.

(E-Book A 06: Mein Freund, der Totenkopf (Teil 1))

(E-Book A 06: Mein Freund, der Totenkopf (Teil 2/E))

12Neu 32: Totensektor Maran-Ghaal

(DM 64: Der Raumzeitgletscher)

(DM 65: Der Luna-Fehler)

(18Neu 72: Fürst der Weißwelt)

(18Neu 74: Angriff der Höllenritter)

(12Neu 34: Der Gegenschlag)

(18Neu 73: Der Horror-Pakt)

(Die magische Waffe – OSM-Story (Abschrift))

Erläuterung: Zu dieser Geschichte aus dem Jahre 1991 muss ich euch kurz was erzählen. Sie lag seit vielen Monaten hier herum auf einem Stapel von Texten, die ich dringend abschreiben und damit digitalisieren wollte. Gestern habe ich also damit begonnen und fand mich in diesem tippfehlergesättigten Alptraum wieder, den man im Rahmen des CLOGGATH-KONFLIKTES Irland nennt.

Das Irland des Jahres 2123 hat mit dem, wie wir es aus Fernsehsendungen oder Urlaubserinnerungen kennen, rein gar nichts mehr gemein. Das ist so seit „dem Tag“, wie die Exiliren jenen schrecklichen Augenblick im Jahre 2118 nennen, zu dem sie ihre Heimat verloren haben.

Irland ist verbrannte Erde, magisch verbrannte Erde, auf sehr ähnliche Weise, wie ihr es in „Annalen 6“ im Herbst dieses Jahres in einem ganz anderen Uni­versum erleben werdet. Und hier, in der obigen Geschichte, macht sich eine Gruppe von harten Söldnern und Kriminellen auf, in dieser Schreckensland­schaft einen Schatz zu bergen.

Ich schätze, im nächsten Jahr ist dieses Werk abgeschrieben und gründlich überarbeitet, um euch präsentiert zu werden. Dann bekommt ihr eine waschech­te Horrorstory präsentiert. Da schaudert’s mich jetzt schon, Freunde…

(Der Zathuray-Konflikt – OSM-Roman (Abschrift))

Ja, und damit hörte dann brüsk das Jahr 2015 auf. Insgesamt entstanden hier dann 306 autonome Werke, worunter freilich auch gut 100 Blogartikel, Rezen­sionen und Gedichte sowie redaktionell betreute Fanzines gehören. Wenn ich mich nicht sehr verrechnet habe, machte das zusammen rund 12.322 Kreativsei­ten… im Grunde genommen also recht viel. Ich wünschte eben nur, ich hätte auch deutlich mehr OSM-Werke fertig gestellt. Ich nehme mir das mal als Neu­jahrsvorsatz vor.

In der kommenden Woche gleiten wir wieder hinüber in meine kreative Vita, also in die Artikelreihe „Was ist eigentlich der OSM?“. Dort könnt ihr mich in die zweite Jahreshälfte 2007 begleiten und ins Jahr 2008. Spannende Zeiten, glaubt es mir.

Also, nicht versäumen!

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Rezensions-Blog 52: Die Vampire

Posted März 23rd, 2016 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

heute steigen wir mal in ein Leseabenteuer für Neugierige ein, für vielseitig in­teressierte Phantastik-Fans, die umso mehr von dem vorliegenden Roman ha­ben, wenn sie sich in der Realzeit zwischen, sagen wir, 1880 und 1965 solide auskennen. Das bezieht die Realgeschichte ebenso ein wie die literarische Ge­schichte, denn in dem vorliegenden Roman werden munter Personen der Zeit­geschichte mit solchen der Populärkultur gemischt.

Das ist strukturell grundsätzlich reizvoll – sofern der Spagat gelingt und man die fiktiven Elemente harmonisch in die zeitgeschichtlichen Kontexte einzuflechten versteht. Da ich Historiker wie auch Phantast bin und mich in beiden Bereichen, wie ich denke, recht solide auskenne, hatte der vorliegende Roman, der eigent­lich eine ganze Trilogie kompakt vereint, für mich außerordentlichen Reiz. Gleichwohl zögerte ich etwas, mich in dieses Leseabenteuer zu stürzen.

Warum? Nun, weil ich generell leicht gereizt reagiere, wenn das Thema auf Vampire kommt. Ich habe einfach in meiner Heftromanzeit der 80er und frühen 90er Jahre unzählige Romane mit solchen Protagonisten gelesen und konnte sie schließlich echt nicht mehr ausstehen.

Verzeiht also, wenn ich unten dann in der Beurteilung auch sehr kritische Töne anschlage und die Besprechung dieses ansonsten äußerst beeindruckenden Ro­mans ein wenig zwiespältig ausgefallen ist. Dennoch halte ich ihn grundsätzlich für ein vorstellenswertes Werk, und so kommt ihr in den Genuss dieser schon vor Jahren in einem Fanzine mit kleiner Auflage publizierten langen Rezension. Ich wünsche euch viel Lesevergnügen.

Auf ins Abenteuer:

Die Vampire

von Kim Newman

enthält die Romane

Anno Dracula

Der Rote Baron

Dracula Cha-Cha-Cha

Heyne 53296

1280 Seiten, TB

Aus dem Englischen von Thomas Mohr (1./2. Buch)

und Frank Böhmert (3. Buch)

ISBN: 978-3-453-53296-0

Um es vorweg zu sagen, was vielleicht allgemein bekannt ist: ich mag eigentlich keine Vampire. Dennoch habe ich nicht allzu lange gezögert, diesen wirklich „di­cken Schinken“ zu kaufen (okay, könnte man einwenden, vielleicht hatte ich ja nichts mehr zu lesen, und im Antiquariat kann man beim angebotenen Preis von 4 Euro hier wenig falsch machen… und gleichwohl ist auch diese Vermu­tung falsch). Der Grund liegt ein paar Jahre zurück und hat seine Wurzeln in meiner Passion für die historischen Wissenschaften. Das klingt jetzt alles etwas seltsam? Aye, also, hier die Auflösung, ehe ich zu der Besprechung der Bücher selbst übergehe:

Vor über zwanzig Jahren las ich Bram Stokers „Dracula“ in der deutschen Über­setzung und fand ihn, von Struktur wie Duktus her, doch eher etwas anstren­gend. Puristen mögen mir verzeihen. Ich versenkte Stoker und das Vampirgenre darum wieder im Vergessen. Geraume Zeit später wurde mein Interesse an dem historischen Mordfall „Jack the Ripper“ geweckt, und ich habe wirklich einiges dazu gelesen. Nun, und schließlich lief mir Kim Newmans Buch „Anno Dracula“ über die Füße und verband nicht nur beide Themen, sondern auch noch eines meiner historischen Steckenpferde, nämlich die historische Kontrafaktik: was wäre geschehen, wenn…? In solchen kontrafaktischen Geschichten, die eng mit Parallelwelten und Alternativzeitlinien verzahnt sind, läuft die menschliche Ge­schichte mitunter bestürzend anders ab als in der Realität. Und was hatte Kim Newman daraus gemacht? Folgendes als Ausgangspunkt (!) seines Romans „Anno Dracula“: Van Helsing ist gescheitert und getötet worden. Dracula hat sich nach England eingeschifft und das nicht nur überlebt, sondern, schlimmer noch, er hat Queen Victoria geheiratet und ist Herrscher von England… und er breitet den Vampirismus aus!

Ich dachte, ich fall’ vom Hocker.

So wenig ich auch für Vampire übrig habe, dies klang mir nach einer schier wahnwitzigen Konstellation mit hohem literarischem Reiz (ich hatte ja noch gar keine Ahnung!), also kaufte ich mir anno 1999 das Wühltischbuch… und ver­senkte es in meinen Bücherregalen, in denen es wirklich von lesewilligen Bü­chern nur so wimmelte. Und dann stolperte ich Anfang 2010 also über diesen dickleibigen Wälzer und musste mit einer gewissen Fassungslosigkeit verstehen: he, das ist nicht nur EIN einzelner Roman, Newman hat gleich eine ganze TRILO­GIE darüber geschrieben!

Ja, ich zögerte dann doch einen Moment. 400 Seiten Vampire sind eine Sache, dachte ich, die zu lesen, das kriege ich dann wohl noch hin. Aber fast 1300… hrm. Ich blätterte das Buch ein bisschen durch und las auf Seite 465 (Beginn des zweiten Romans) die Titelzeile „Im Westen nichts Neues“1 und wusste dann schlagartig: verdammt, da geht es nicht um irgendeinen Vampirbaron, sondern um DEN Roten Baron. Es geht um den Ersten Weltkrieg (dummerweise noch so ein Steckenpferd von mir)… tja, und da war’s dann ganz vorbei. Vier Euro bezah­len, Buch einstecken und schnell gehen.

Dennoch hat es gedauert, das Lektüreergebnis vorzulegen. Aber ich versichere euch, das Buch hat es wirklich in sich. Fangen wir mal ganz harmlos an…

Buch 1: Anno Dracula („Anno Dracula“)

Es herrscht Vampirwetter in England im Herbst 1888.

Seitdem Graf Dracula Queen Victoria geehelicht hat, ist das Regentenpaar aus der Öffentlichkeit nahezu verschwunden. Die so genannte Karpatische Garde, blutrünstige, grausame Uraltvampire, sind Draculas Leibwache, und sie sind in der Bevölkerung berüchtigt wegen ihrer Exzesse, Morde und ihrer brutalen Be­strafungsaktionen (Pfählen!). Die Finsternis ist über der Insel herabgesunken, und das kann man sehr physisch verstehen. Schlimmer noch: seit sich die Mon­archie so verändert hat, gilt es als sinnvoll, um nicht zu sagen als opportun, sich selbst zum „Neugeborenen“ machen zu lassen und „Blutspaten“ zu suchen, um gesellschaftlich aufsteigen zu können. Vampirhuren, vormalige leichte Mäd­chen, die nun als Untote ihrem ursprünglichen Beruf (freilich etwas scharfzüngi­ger als zuvor) nachgehen, sind ein allgemeiner Anblick. Lokale, in denen Blut ausgeschenkt wird, haben eröffnet… und dann geschieht das vielleicht Undenk­bare: ein Mord.

Nun sind Morde an und für sich nichts Neues, die hat es in der Themsemetro­pole immer schon gegeben. Aber es ist einfach sehr schwer, Vampirdirnen um­zubringen… es sei denn, man hat ein Messer aus Silber, und ein solches verwen­det der Mörder. Der Volksmund – hin und her gerissen zwischen Sympathie, weil man Vampire wirklich nicht schätzt, und Furcht, denn wer sagt, ob das nicht ein Wahnsinniger ist, der sich nach den Vampiren auch die Warmblüter vornimmt? – nennt ihn bald „Silver Knife“. Und da er beim herrschenden Re­gime auch als „Terrorist“ gegen die Vampire wahrgenommen wird, wird bald Or­der ausgegeben, diesen Kerl zu finden und auszuschalten.

Wir haben für diesen „Silver Knife“ einen anderen Namen: Jack the Ripper. Und Kim Newman hat für ihn eine völlig andere Biografie und atemberaubende Be­weggründe für seinen zerstörerischen Hass…

Im Zuge des Romans lernen wir außerdem kennen: die Vampirälteste Geneviè­ve Dieudonné, im Körper einer etwa Sechzehnjährigen hausend, und zwar seit einigen hundert Jahren, eine Vampirin mit erstaunlichem Großmut und einer sehr sozialen Ader, die zusammen mit dem voll und ganz lebenden Dr. Seward in Whitechapel ein Hospital für die Ärmsten betreibt; Inspector Lestrade vom Scotland Yard (der als „Neugeborener“, also als Vampir, auf Seite 18 des Ro­mans für einen ziemlichen Schock sorgte, schließlich ist er eine Romanfigur aus dem Sherlock-Holmes-Kosmos!); Sherlock Holmes (quasi gleich darauf, Seite 25 – wo man erfährt, dass er vom Regime in ein „Konzentrationslager“ verbracht worden sei, weil er „gewisse Differenzen mit der gegenwärtigen Regierung“ ge­habt habe!); die Journalistin Kate Reed, die sich als Frauenrechtsaktivistin und Regierungskritikerin hervortut und damit einige Schwierigkeiten bekommt.

Außerdem erfahren wir, dass Bram Stoker (!) spurlos verschwunden ist (seine Frau ist ebenfalls Handlungsperson), wir machen die Bekanntschaft mit Charles Beauregard (*1853), einem jungen, aufstrebenden Diplomaten, dessen Verlob­te Penelope Churchward sich nun in eine Vampirin verwandeln lässt, was dazu führt, dass er seine Verlobung löst, weil Beauregard nicht vorhat, sich zu ver­wandeln. Prinzipientreue ist nicht eben etwas, was hier gern gesehen wird, und wenn man Beauregard eines zuschreiben kann, dann Prinzipientreue.

Beauregard ist eine der zentralen Figuren des Romans, abgesehen vom Mörder vielleicht die zentralste. Er steht, und das war dann der nächste Schock für mich als Leser, im Dienst des „Diogenes-Clubs“ (auch aus Sherlock Holmes´ Geschich­ten bekannt), und als dann Mycroft Holmes, Sherlocks dickleibiger, hochintelli­genter Bruder und graue Eminenz im Diogenes-Club, in Erscheinung trat, da verblüffte mich das nicht mehr so richtig.

Als der Diogenes-Club Beauregard den Vampir-Gardisten Danny Dravot an die Seite stellt2 und ihn mit dem Fall „Silver Knife“ beauftragt, wird bald klar, dass die Clubführung eine Gratwanderung vollführt: Mycroft hält nichts von Dracula, steht aber loyal zur Königin. Insofern sieht er die Metzeleien von „Silver Knife“ nicht ohne eine gewisse Sympathie, da dieser Mörder nur Vampire tötet. Ja, vielleicht sieht er sogar bestimmte… Möglichkeiten. Das darf natürlich niemand erfahren.

Und Beauregard als Warmblütiger, der bald an der Seite von Geneviève Dieu­donné und Kate Reed gegen Vampirintrigen, menschliches Machtgerangel, Op­portunismus, Wahnsinn und gegen einen offensichtlich geistesgestörten Vam­pirmörder zu kämpfen hat, wendet sich, als rasche Erfolge ausbleiben und im­mer mehr Morde geschehen, fragwürdigen Wissenschaftlern zu, die vielleicht Aufklärung schaffen könnten… zwei Doktoren namens Dr. Jekyll und Dr. Moreau (wie, die kommen bekannt vor? Gut, es sind genau DIESE Herren!).

Was aber in Wirklichkeit hinter dieser ganzen Angelegenheit steckt und vor al­len Dingen, wie der Diogenes-Club vorhat, Jack the Ripper zu instrumentalisie­ren, das kommt erst sehr, sehr spät ans Licht, und der Roman versinkt am Schluss in einem einzigen Sumpf des blutroten Grauens…

Buch 2: Der Rote Baron („The Bloody Red Baron“)

Man schreibt das Jahr 1918, das Morden während des Weltkriegs geht in das vierte Jahr, und noch immer ist kein Ende in Sicht. Die Welt hat sich nicht zum Besseren verändert, seit die Lage in England vor dreißig Jahren entschärft wer­den konnte – es kam damals im Gefolge der Jack-the-Ripper-Morde zum Sturz Graf Draculas und zu der Vertreibung des Karpaters mitsamt seiner Garde ins Ausland.

Leider beendete das nicht das Ausbreiten des Vampirismus – daran konnte schon Leuten wie dem damaligen Premierminister Lord Ruthven nicht gelegen sein, der selbst zu einem geworden war und sich nach Draculas Sturz hartnäckig für die Ernennung von König Viktor stark machte. So kam es, dass Vampire wei­terhin in der Regierung blieben und zahllose Menschen auch in den drei Jahr­zehnten nach Draculas Sturz die „Neugeburt“ anstrebten. Lord Ruthven regierte als Premierminister auch noch 1918 Großbritannien, und er verfolgte die Karrie­re des Obervampirs mit Argusaugen.

Dracula floh zunächst nach Russland, wo er die Romanow-Familie in seinen Bann zog. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde er dann aber gezwungen, zu flüchten und wurde auf der Yacht „Hohenzollern“ des Regenten Wilhelm II. von Deutschland anno 1905 gesichtet. Der deutsche Herrscher gab Dracula nicht nur Obdach, sondern einen deutschen Grafentitel und politische Ämter. Im Raum der Mittelmächte wurde daraufhin der Vampirismus salonfähig, und als Dracula seit 1914 Oberbefehlshaber des deutschen Heeres wurde, konnte der nächste Alptraum beginnen: der Erste Weltkrieg.

Diesmal wurde es ein Krieg, in dem Lebende und Vampire miteinander rangen, und dennoch war es ein Gemetzel, das sich ganz wie in unserer Welt in Nord­frankreich in einem Schützengraben-Stellungskrieg festfraß und eigentlich seit Herbst 1914 verloren war. Der vermeintlich auf 4 Wochen bemessene Waffen­gang währte nun schon vier Jahre und hatte die halbe Welt in Flammen gesetzt. Es betraf nicht länger nur Deutsche, Russen, Franzosen, Belgier und Engländer, sondern inzwischen waren die Türken im Krieg, der Balkan brannte, Rumänien, Teile Afrikas befanden sich im Kolonialkrieg, und die Amerikaner und Australier mischten sich inzwischen ein. Und hinter den Kulissen des aktuellen Krieges tobte natürlich auch der unerklärte, geheime Krieg im Hintergrund.

Federführend für diese Art der Kriegsführung ist, ganz wie im ersten Roman, der „Diogenes-Club“, noch immer geleitet von dem inzwischen schwer kranken Mycroft Holmes. Sein loyalster Mitarbeiter ist nach wie vor Charles Beauregard, der eigentlich an den Ruhestand denkt, weil er auf das 65. Lebensjahr zugeht und nach wie vor warmblütig ist. Dank einiger Blutauffrischungen, die er Gene­viève Dieudonné zu verdanken hat und die sein Leben verlängert haben, ahnt voraus, dass die Deutschen an der Westfront irgendeine finstere neue Sache ausbrüten. Es gibt vage Gerüchte über eine bevorstehende „Kaiserschlacht“ und eine dabei zum Einsatz kommende „Geheimwaffe“, die im von Deutschen besetzten, frontnahen „Chateau de Malinbois“ entwickelt wird. Genaues ist nicht bekannt.

Beauregard schickt seinen verdienten jungen Mitarbeiter Edwin Winthrop ins Feld, der sich als warmblütiger Pilot dem alliierten „Geschwader Condor“ an­schließen soll. Hier dienen sowohl Vampire als auch Warmblüter als Soldaten, das ist ganz ähnlich wie im Heer, und der Tonfall ist rauh, aber herzlich.

Chateau de Malinbois erweist sich tatsächlich als Brutstätte des Bösen: das deutsche Oberkommando hat hier eine Reihe von verdienten Ärzten – Dr. Cali­gari, Dr. Mabuse und Dr. Murnau (wer diese oder auch weitere erwähnte Na­men zu kennen meint, hat Recht – Newman verknüpft auch hier auf abenteuer­liche Weise Roman- und Filmfiguren mit der zeithistorischen Handlung auf eine geradezu aberwitzige Weise) – zusammengezogen, die unter der Anleitung des Arztes Dr. tenBrincken sinistre medizinische Experimente mit den Fliegern des Jagdgeschwaders 1 (JG 1) vollführen.

Und dieses Jagdgeschwader gab es ja wirklich, ebenso wie die in Folge auftre­tenden Fliegerasse Ernst Udet, Erich von Stalhein, Hermann Göring (!) sowie Lo­thar und Manfred Freiherr von Richthofen. Letzterer gilt aufgrund seiner zahlrei­chen Abschüsse und seiner scheinbaren Unbesiegbarkeit als „Roter Baron“ und ist damit die Titelfigur dieses Romans.

Es wäre gar zu verräterisch, fürchte ich, sehr in die Details des notwendig bruta­len und blutrünstigen Romans zu gehen, aber es sei darauf hingewiesen, dass es bei dem Geheimnis von Chateau de Malinbois um eine ganz ungeheuerliche Form der Flugtechnik geht und die Schrecken des Krieges hierin sowohl in sozia­ler wie in politischer und physischer Realität äußerst drastisch geschildert wer­den. Personen wie Mata Hari und der brave Gefreite Schwejk haben ihre Auf­tritte als Vampire, zum Erschrecken und zur Bestürzung des Lesers tauchen Leu­te wie Franz Kafka, Edgar Allan Poe (!) und Hanns Heinz Ewers nicht nur unbe­dingt am Rand auf, sondern die beiden letzten, Vampire durch und durch und einfach unglaublich individuell geschildert, agieren über weite Teile des Ro­mans.

Haarsträubend ist dann auch, zu erleben, dass der Generalstab auf der alliierten Seite fast flächendeckend aus – sehr prominenten – Vampiren besteht: Winston Churchill (!), General Jack Pershing (!) und Douglas Haig (!). Den graugesichti­gen, alten und warmblütigen Charles Beauregard dabei zu sehen, der sich im­mer noch prinzipientreu weigert, ein Vampir zu werden, tut schon fast weh. Aber es lässt natürlich den Respekt vor ihm wachsen.

Ähnlich ist es mit der verstörenden Wandlung, die mit Edwin Winthrop vor sich geht, der zwischendurch im Niemandsland strandet und eine wahre Alptraumodyssee durchmacht, die zu den schrecklichsten Passagen des Buches gehört. Nun, und dann ist da selbstverständlich noch „Miss Maus“, die Journalistin Kate Reed, seit dreißig Jahren untot und kein bisschen weniger renitent als zuvor, im­mer noch unbequem und am Rande des Hochverrats balancierend.

Als dann die „Kaiserschlacht“ beginnt, wird rasch klar, dass beide Seiten sich verkalkuliert haben. Das Blutvergießen eskaliert, und die Monster werden los­gelassen…

Buch 3: Dracula Cha-Cha-Cha („Dracula Cha Cha Cha“)

Der Zweite Weltkrieg und all seine Schrecken liegen hinter uns – und im späten Charme des Italiens gegen Ende der Fünfziger Jahre hat sich in der Welt eine neue Gesellschaft etabliert, die inzwischen relativ liberal mit der Allgegenwart der Vampire – sowohl der Ältesten als auch der Neugeborenen – umzugehen gelernt hat.

Was spielt es für eine Rolle, dass sich die Sowjetunion und die USA unter dem drohenden Banner der Nuklearwaffen belauern? Wen kümmert es schon groß­artig, dass die Welt schnelllebiger geworden ist und alle Welt auf Miniröcke, Rock’n Roll, Vespas, südländische Partys und glamouröses Filmbusiness schielt, auf den ständigen Wettbewerb zwischen dem römischen Cinecittá einerseits und Hollywood andererseits?

Für die Ältesten der Vampirfamilien scheint die Welt gleichsam versteinert zu sein, etwa für Graf Dracula, der beide Weltkriege überstanden und, reich ge­worden durch die Investition in die moderne Kunst, inzwischen auf Schloss Otranto vor den Toren Roms seinen Ruhesitz gefunden hat. Die Welt hat ihren Frieden mit den Vampiren gemacht, so will es scheinen… die Welt…? Nun, viel­leicht.

Als im Juli 1959 das Gerücht Substanz annimmt, dass Graf Dracula ein weiteres Mal zu heiraten gedenkt, diesmal Asa Vajda, eine untote moldawische Prinzes­sin (und bekanntlich liegt Moldawien, Teil Rumäniens, zu diesem Zeitpunkt hin­ter dem Eisernen Vorhang und wird vom warmblütigen Nicolae Ceausescu re­giert!), reagieren viele Leute mit Neugierde darauf, nicht nur Älteste, sondern auch Geheimdienste in West und Ost. Journalisten treffen hier ein, beispiels­weise die sattsam bekannte Kate Reed, die schon in den ersten beiden Roma­nen eine zentrale Rolle spielte.

Sie hat aber eigentlich nicht Graf Dracula zum Ziel – sie möchte dem Mann, den sie immer begehrt hat, aber nie zu halten vermochte, noch einmal einen Be­such abstatten: Charles Beauregard, der in Rom lebt und hier in hohem Alter (er ist inzwischen 105 Jahre alt und immer noch warmblütig!) von seiner Langzeit-Geliebten gepflegt wird, Geneviève Dieudonné, die für immer und ewig seit dem 14. Jahrhundert in ihren schönen 16jährigen Leib eingesperrt ist.

Ehe Kate die beiden erreicht, wird sie allerdings schon Zeugin eines Doppelmor­des an Vampirältesten, direkt am Trevi-Brunnen, und um ein Haar findet sie da­bei selbst ebenfalls den Tod. Doch der Mörder, eine clowneske Hünengestalt, verschont sie. Und wer ist dieses blassgesichtige Mädchen, das Kate als einzige am Tatort entdeckt und das gleich darauf verschwunden ist…?

Man entdeckt schnell, dass Charles, wiewohl steinalt und gebrechlich, doch noch über einen scharfen Verstand verfügt und viele Verbindungen in die selt­samsten Kreise. Und er empfängt, sehr gegen Genevièves Wünsche, immer noch Gäste – beispielsweise einen smarten britischen Vampir-Agenten namens Hamish Bond (unschwer zu erraten, wer da wohl Pate stand, und man sieht un­weigerlich den jungen Sean Connery vor sich, ebenso unbekümmert in seinen Leinwandliebeleien wie in seinen Leinwandmorden im Dienst Ihrer Majestät). Wir treffen auf mechanische Killerwesen und einen nicht minder mordlüster­nen Golem, auf einen Smersh-Agentenchef, den man „den Kater“ nennt (und ja, es ist wirklich ein Schock, in einer Agentenzentrale dann einen Mann in Mao-Uniform zu sehen, der ein weißes Kätzchen auf dem Arm trägt und es streichelt… wer da nicht an Blofeld denkt, hat keine Ahnung!3).

Nun, und als wenn das alles noch nicht reichen würde, ist dann da auch noch die Frage von Lord Draculas Hochzeit. Warum ausgerechnet Prinzessin Vajda? Was will Dracula mit dieser Heirat erreichen? Und wer, um alles in der Welt, ist dieser wahnsinnige Vampirmörder, der ausschließlich Älteste meuchelt?

Uns läuft im Palast des uralten Vampirs ein menschlicher Bediensteter über die Füße, ein charmanter, junger Amerikaner namens Tom, der schon mal einen Vampir kurzerhand massakriert und das als Unfall getarnt hat (ich musste un­weigerlich an Tom Ripley von Patricia Highsmith denken, weiß aber nicht, ob der Roman anno 1959 spielt, ich habe ihn noch nicht gelesen… verblüffen wür­de es mich nicht). Dann machen wir einmal mehr die Bekanntschaft von Pene­lope Churchward, der früheren Verlobten von Charles Beauregard anno 1888, von der er sich löste, nachdem sie sich für die vampirische Neugeburt entschied – diesmal ist sie gewissermaßen die Gouvernante von Draculas Haushalt.

Oder wie ist es mit Orson Welles, der als Zauberkünstler, Filmschauspieler und Dramaturg mit einem Zauberschwert in Erscheinung tritt (dass Kate mit diesem Schwert nachher einen Kopf kürzer gemacht werden soll, sei hier nur angedeu­tet… die Szene ist absolut grotesk, nicht zuletzt wegen der Erdbeermarmelade!). Der Leser kann auch Leute wie Kirk Douglas, Sophia Lo­ren, Andrej Gromyko, Edgar Allan Poe und zahllose weitere in Gastrollen erle­ben… doch die wahre Hauptfigur ist der rote Henker und das Wesen, das hinter ihm steht und einen Plan verfolgt, der absolut tödlich ist – nicht zuletzt für eine lebende Legende namens Dracula selbst…

Der letzte der drei Romane dieser Trilogie steuert zwar zu dem gesamten Hand­lungsensemble noch einiges Amüsante und einiges Unterhaltsame bei, garniert – insbesondere gegen Schluss – mit einer Menge interessanter und fast philoso­phischer Reflexionen, erweist sich aber im Gesamtbild bei genauer Betrachtung in gewisser Weise als… nun… blutleer. Eine nett arrangierte Hülle, in der jede Menge Bühnenzauber entfaltet wird. Es gibt eine Menge Geballere, Action, spektakuläre Todesfälle, rätselhafte Wesen, die auftauchen und wieder ver­schwinden, theatralische Beichten und rauschende Festinszenierungen… und doch hat man von Anfang an das dunkle Gefühl, als wenn der Roman eine Aura der Dekadenz und des Zerfalls ausatmet.

Die Ära der alten Vampire, so klingt es ganz zum Schluss, scheint sich dem Ende zuzuneigen. Die menschlichen wie die unmenschlichen Protagonisten verlieren im Räderwerk der modernen Welt ihre Funktion, haben sich gewissermaßen überlebt und sind atavistisch geworden. Und damit fällt dann der Vorhang über die Szenerie. Ja, und so liest sich die Geschichte dann auch, fast ein wenig weh­mütig-fatalistisch. Ein wenig ziellos.

Natürlich, manche Hauptpersonen bestehen weiter, und prinzipiell könnte Kim Newman eine Fortsetzung ausarbeiten. Aber ich bin der Ansicht, dass dies ein Fehler wäre, aus mehrerlei Gründen. Einmal macht er am Ende dieses Romans Dracula tatsächlich den Garaus, auf eine endgültige Weise. Die Ära Dracula ist definitiv vorbei. Zum zweiten berichtet der Autor davon, dass sich die Ältesten an den Takt der modernen Zeit nicht anzupassen wissen, dass sie vom Fort­schritt buchstäblich überholt und links liegen gelassen werden. Die Zukunft ge­hört jenen Vampiren und warmblütigen Menschen, die imstande sind, sich an­zupassen, neu zu erfinden und sich den Herausforderungen der Gegenwart letztlich gewachsen zeigen.

Es gibt aber noch einen dritten Grund, und er kristallisiert sich im Laufe der ge­samten 1280 Seiten immer stärker heraus: Kim Newman ist dem Mythos Dracu­la nicht gewachsen. Dieser Gedanke, der mich im zweiten Band immer stärker überraschte, ist im dritten nicht mehr zu übersehen. Er lässt sich folgenderma­ßen formulieren:

Die Ära der Vampire, das macht er an vielen Stellen deutlich, ist zentral mit dem Namen von Vlad Tepes, also Graf Dracula, verknüpft. Als er im ersten Band sei­nen Widersacher van Helsing überwältigt und tötet (da das schon passiert ist, als der Roman beginnt, muss man das gewissermaßen in Parenthese setzen), um dann Queen Victoria zu ehelichen und sein Terrorregime in England aufzu­richten, ist er es, Dracula, der den Vampirismus salonfähig macht. Seit diesen Tagen der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts ist der Aufstieg des Vampirismus weltweit unaufhaltsam. Selbst die KZs der Nazis, in die die Vampire eingesperrt wurden, hat sie nicht vernichten können. Gleichwohl, in „Anno Dracula“ taucht der Fürst der Finsternis erst ganz zum Schluss auf, mehr als eine Form von Schreckensvision denn als Handlungsfigur. Und kaum ist er aufgetaucht, ist er auch schon wieder fort, wie ein Gespenst.

Im Ersten Weltkrieg – also im zweiten Roman des Zyklus – wird der Schrecken des Krieges zentral eigentlich an der „Normalität“ des Krieges demonstriert. Auch hier steht Dracula nur als Menetekel, als Name im Hintergrund. Er selbst taucht niemals auf (das sind dann nur nachher seine Double wie Bela Lugosi), im gesamten Roman nicht. Hier ist er gewissermaßen eine Nicht-Hauptfigur. Sehr auffallend, wie mir schien.

Erst im letzten der drei Romane kommt Dracula dann wieder zum Vorschein – aber auf was für eine Weise! Obwohl sich offiziell der gesamte Roman zentral um Draculas neue Hochzeit dreht, ist der Bräutigam doch im Grunde genom­men bis ins hintere Viertel des Romans abwesend, und er spricht kein einziges Wort (wer bis dorthin gelesen hat, wird verstehen, warum Dracula selbst dann nicht spricht, als er physisch auftaucht!). In diesem Roman wird, statt die Inkar­nation des Bösen angemessen in Szene zu setzen, der Dracula-Mythos zentral zerlegt und demontiert.

Das geschieht auf interessante, aber eher doch intellektuelle Weise. Vergleicht man die Trilogie darum mit einer Art von Cocktailreihe, so nimmt die Ge­schmacksintensität vom ersten zum dritten Band kontinuierlich ab, und abgese­hen von einigen launigen Höhepunkten auf den letzten paar hundert Seiten liest sich der dritte Roman dann etwa so, wie Spülwasser schmecken dürfte.

Gut also, dass der Gesamtroman nicht den Titel „Draculas Vampire“ oder so ge­tragen hat, sondern sehr allgemein „Die Vampire“ hieß. Das passt durchaus und ist, wie oben schon gesagt wurde, nicht ohne Reiz. Dennoch denke ich mir, hät­te sich Kim Newman den letzten Band besser erspart. Er bietet, bei allem Re­spekt und handwerklicher solider Schreibkunst, doch zu wenig Eigenständiges und Substantielles, und ein Epilog von vierhundert Seiten ist dann doch etwas schauerlich. So ähnlich verhält es sich hierbei leider. Mit irgendwelchen Sequels hierzu verhielte es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit recht ähnlich. Der erste Roman war – wie das meist so ist – der eigenständigste und interessanteste, da­nach wird die Geschichte fortwährend verwässert.

Wer also Vampir-„Fan“ ist, kommt mit diesem dicken Schinken ohne Zweifel voll auf seine Kosten. Skeptiker wie ich hingegen sollten sich nach diesem Buch sa­gen: okay, der Rest des Vampir-Hype kann auch weiterhin ohne mich stattfin­den…

© by Uwe Lammers, 2011

Ja, meine Freunde, ich weiß, das war wieder einer der sehr langen Beiträge. Da­für werde ich euch in der kommenden Woche mit etwas SEHR kurzem und vor allem sehr Kurzweiligem beschäftigen. Da geht es dann um Zeitmaschinen… wenn ihr neugierig seid, schaut einfach rein.

Bis nächste Woche,

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Eine direkte, gezielte Anspielung auf Erich Maria Remarque, es gibt noch viele solche Fälle bei Kapitelüberschriften in allen drei Romanen.

2 Ich gestehe, bei der Lektüre habe ich halb und halb immer gehofft, Danny Dravot würde sich als Pseudonym eines vampirisierten Sherlock Holmes entpuppen, aber diese Hoff­nung wurde enttäuscht…

3 Und WER an Blofeld denkt, wird goldig überrascht – wie ich beim Lesen auch!

Liebe Freunde des OSM,

und schon wieder sind zehn Wochen ins Land gestrichen… man staunt wirklich als kreativer Phantast, wie flink das geht. Aber wir sind zugleich in dieser Subar­tikelreihe meines Blogs schon bis zum Anfang des Jahres 1997 vorgestoßen. Da wollen wir mal keine Zeit vergeuden, denn Zeit und Platz habe ich hier stets zu wenig.

Das Jahr 1997 lässt sich sehr schnell abhandeln, aus einem ganz einfachen Grund – für die Geschichtensammlung „Aus den Annalen der Ewigkeit“, um die es uns hier zentral geht, ist dieses Jahr nahezu ereignislos.

Ja, zwar schloss ich am 23. März 1997 die 20. OSM-Ebene, also die Serie „Oki und Cbalon – Das Ewigkeitsteam“ (OuC) ab, an der ich seit 1984 gearbeitet hat­te, und am 14. Juni konnte ich auch den vermeintlichen Band 1100 des OSM schreiben (es handelt sich, nur so informationshalber, um Band 27 des KON­FLIKTS 22 „Oki Stanwer – Der Schattenfürst“ (DSf), Eigentitel: „TVESTHIL oder Das Blut der Matrix“), der dann leider ebenfalls wegen eines Zählfehlers zu Band 1102 wurde. Ihr kennt das von dem jüngst erwähnten Roman „Inferno in Arc“ schon.

Also, das bekam ich zwar hin, ja. Aber das Studium in Braunschweig nahm mich so sehr in Anspruch, zusammen mit Pflichtpraktika, die ich ableistete, dass ich keine Konzentration für Annalen-Werke aufbringen konnte. So stellte ich denn auch erst am 18. August den Roman „Kämpfer gegen den Tod“ fertig, den ich schon verschiedentlich kursorisch in den Blogartikeln erwähnte. Es soll­te das einzige Werk für die Annalen in diesem Jahr bleiben.

Kämpfer gegen den Tod“ fängt mit dem Tod der Hauptperson an und ist aus genau diesem Grund bis heute paradigmatisch für mich und spannend zu lesen. Der Geschäftsmann Alan Bannister, der bei einem Verkehrsunfall auf der Erde stirbt, muss nämlich die verstörende Erfahrung machen, dass seine atheistische Perspektive nicht korrekt ist.

Von wegen: Man stirbt, Licht aus, und das ist es dann gewesen.

Nein, Alan Bannister findet sich auf einer fremden Welt wieder, ausgespien von einem schwarzen Kristallmonolithen, einem so genannten HEIMATSTÜCK. Und er steckt im Körper eines lebenden menschlichen Skeletts, das einen schwarzen, kristallenen Brustpanzer trägt.

Er ist ein Totenkopf geworden, Teil von TOTAMS ewiger Armee.

Soweit wäre das für den OSM-Leser vertraut. Aber dann gibt es Dinge, die nicht ganz zusammenpassen – Bannister besitzt beispielsweise die Standardbewaff­nung nicht, die Totenköpfe normalerweise aufweisen. Er bekommt bald mit, dass er einen mentalen Parasiten in sich trägt, der ihn zeitweilig völlig kontrol­liert. Und, noch schlimmer, die schwarzen Monolithen sind Trümmerstücke des Planeten TOTAM, der Heimat.

Auf der Suche nach Erklärungen und Lösungen springt Bannister von Welt zu Welt und von Galaxis zu Galaxis und hat bald das grässliche Gefühl, dass die Dinge immer schlimmer werden und Mächte ihr Unwesen treiben, die man fast überhaupt nicht mehr verstehen kann…

Ich habe Jahre der Arbeit an dieser Geschichte gebraucht, um zu kapieren, in welchem Universum sie eigentlich spielt, ohne Witz. Aber gegen Schluss wusste ich dann Bescheid… aktuell schreibe ich diese Geschichte gerade ab, um sie in naher Zukunft als E-Book in der „Annalen“-Reihe zu publizieren. Dann könnt ihr euch persönlich direkt ins Abenteuer stürzen, und ich versichere euch, das lohnt sich echt.

Tja, damit war dann das Jahr 1997 auch schon wieder Vergangenheit. Schauen wir ins Jahr 1998.

Am 11. Januar 1998 schloss ich, das erwähne ich nur der Vollständigkeit halber, weil das in meinen Statistikheften eigens hervorgehoben ist, mit „Zusammen­hänge“ den dritten Teil meines Buch-Projekts „DER CLOGGATH-KON­FLIKT“ ab. Allein dieser Teil erreichte – in damals noch nicht redseligen Zei­ten! – satte 799 Seiten, es ist also begreiflich, warum das jahrelang soviel Ener­gie gebunden hat.

Dann ist die nächste Zäsur für den OSM der 24. Mai 1998, als ich den KON­FLIKT 16 „Oki Stanwer – Der Mann aus dem Nichts“ (DMadN) beendete, an dem ich seit Ende 1983 geschrieben hatte… wahrlich, es wurde wirklich Zeit da­für.

Die nun freiwerdenden kreativen Energien verwendete ich auf den 11. Oki Stan­wer-Roman „Schatten der Vergangenheit“, der am 10. Juli vollendet wurde. Ich habe ja jüngst schon erzählt, dass in dieser Romanreihe Oki Stanwer in der Galaxis Milchstraße des 75. Jahrhunderts Maske machte, um in der Identität des verschollenen menschlichen Milliardärs Eon Seggar den Versuch zu machen, die völlig zerstreuten Kräfte der galaktischen Völker gegen TOTAM zu einer Allianz zusammenzuschmieden. In diesem Band geht es nun wesentlich darum, dass, nachdem die Komplikationen auf dem Planeten Mira Ceti – Eon Seggars Heimatwelt – ausgestanden sind, die erste Expedition zu Bündnisvölkern gestartet wird.

Die FRATERNITÉ, Eon Seggars alte, von den Okis optimierte Raumyacht, dringt in den Spiralarm III vor, den Herrschaftsraum der uralten pflanzlichen PSI-Intelligenzen, die inzwischen schon längst einen Feldzug gegen die zersplit­terte Menschheit führen und einen Schattenplaneten namens „Schrecken“ auf Kollisionskurs mit der verlassenen Erde gebracht haben.

Und natürlich ereignet sich gleich eine zweifache Katastrophe…

Nur 18 Tage nach Abschließen dieses Romans vollendete ich dann den ersten Roman des Archipels, „Die drei Strandpiratinnen“, der mit mehr als 300 Ma­nuskriptseiten unglaublich viel länger war als der obige OSM-Roman. Und wäh­rend ich hier noch in den Endarbeiten steckte, dämmerten auch schon Bildse­quenzen eines weiteren Archipel-Romans empor, der dann am 2. August 1998 unter dem Titel „Evi und Petra“ begonnen werden sollte.

Mir war zu diesem Zeitpunkt natürlich überhaupt noch nicht klar, was ich hier entdeckt hatte und was für unglaubliche kreative Höhenflüge mir diese un­scheinbare tropische Welt entlocken sollte. Aber, wie ihr euch das denken könnt, diese Ableitung kreativer Energien hatte selbstverständlich Konsequenzen für meine Arbeiten am Oki Stanwer Mythos.

Ein Schreibmaschinenschaden im August 1998 warf mich dann wochenlang weiter zurück und führte dazu, dass ich im Jahresrückblick nur auf 103 Werke im gesamten Jahr kam – und kein einziges „Annalen“-Werk mehr dabei war.

Werfen wir noch ein paar Blicke ins Jahr 1999, das auch nicht witziger aus­schaute, sondern eher noch trüber. Das Jahr fing schon unschön am 9. Januar an, als mich ein erneuter Schreibmaschinendefekt völlig lahmlegte. Da ich seit 1998 auch die Chefredaktion für das Fanzine „Baden-Württemberg Aktuell“ (BWA) des Science Fiction-Clubs Baden-Württemberg innehatte, das ja im Monatstakt erschien, könnt ihr euch gut denken, dass ich hier nun auf eine völlig ungewohn­te Weise wieder beansprucht wurde.

Zeit wurde zu einer echt knappen Ressource.

Außerdem hatte ich ja parallel dazu vor, mein Studium allmählich beenden zu wollen. Ich befand mich inzwischen im 9. Semester. Die Regelstudienzeit bei Historikern beträgt 8 Semester, und selbst wenn ich mich damit trösten konnte, durch drei Praktika schon eine Menge Zeit „verloren“ zu haben, was die Über­ziehung rechtfertigte, war mir doch klar, dass ich jetzt allmählich Gas geben sollte.

Ihr seht, jede Menge Ablenkung von den „Annalen“, leider.

Und dann war da eben auch noch die frisch entdeckte Welt des Archipels, die mich immer stärker umschlang und mit Beschlag belegte.

Da kam ich auch zuallererst weiter – am 16. April vollendete ich „Evi und Pe­tra“, auch ein Wälzer von mehr als 300 Manuskriptseiten, atemberaubend, wie ich fand. Richtig zur Ruhe kam ich auf dem Sektor jedoch nicht, wie ich eigent­lich halb und halb gehofft hatte. Im Gegenteil. Ein offener Handlungsstrang des ersten Archipel-Romans um die schöne Blondine Christina brachte mich im Mai dazu, mit dem nächsten Archipelwerk, „Christinas Schicksal“ zu beginnen.

Was ich da eigentlich begonnen hatte, ahnte ich nicht im Traum. Ich werde dazu später noch kommen.

Dass ich im Oki Stanwer Mythos wirklich vorankam, brauchte tatsächlich bis zum Oktober dieses Jahres. Am 6. Oktober entstand mit „Der Feuerspürer“ ein vollkommen singulärer OSM-Roman, der eine ganz neue Persönlichkeit einführ­te, nämlich den Feuerspürer Shorex’uss aus dem Volk der Xin.

Ich hatte die Xin bereits in KONFLIKT 20 „Oki und Cbalon – Das Ewigkeits­team“ kennengelernt, dort aber nicht wirklich viel über sie erfahren. Die Xin waren außerdem in KONFLIKT 24 „Oki Stanwer – Der Neutralkrieger“ (NK) unterwegs, dort in der sterbenden Galaxis Feuerrad, und von dort kam auch die Inspiration, über dieses rätselhafte Volk zu schreiben.

Die Xin sind Kollektivwesen mit einer höchst eigenartigen Genese und einer vielleicht noch seltsameren Wahrnehmungsweise der Umwelt. Und der kleine Shorex’uss ist der eigentümlichste von ihnen. Bevor er sehen kann, wird sein wachsender Geist bereits von unbegreiflicher Pein heimgesucht, den so genann­ten „Feuerschmerzen“ – und dies sind Ausstrahlungen kosmischer Phänomene, die in Feuerrad ganze Sonnensysteme auslöschen. Shorex wird schon von frühes­ter Kindheit deshalb essentiell wichtig für sein Heimatschiff und sein Mutterkollektiv, ohne dass er verstehen könnte, was ihn eigentlich peinigt und ihn zu einem Außenseiter seiner eigenen Gesellschaft macht.

Der erste Shorex-Roman – es gibt inzwischen eine ganze Reihe davon, und mehrere sind in ihrer Ursprungsgestalt auf der Homepage www.sfcbw-online.de des Science Fiction-Clubs Baden-Württemberg nachzulesen – ist darum der Auf­takt einer biografischen Forschungsreise in einer fremden Spezies und insofern reichlich singulär.

Man merkt hier übrigens, das sollte ich andeuten, ein faszinierendes Crossover zwischen meinen historischen Leidenschaften und meinen phantastischen Aus­prägungen in eigenen Geschichten: Ende der 90er Jahre begann ich mich mehr und mehr für Biografiegeschichte zu begeistern. Während ich nach einem pas­senden Thema für meine Magisterarbeit zu suchen begann, entstanden überall biografische Geschichten. Die obigen Archipel-Romane sind ganz in diesem Kontext zu verstehen, ebenso die Shorex-Romane oder auch solche Stories wie „Alles wandelt sich“ oder „Edgars Sorgen“, die ich hier nicht weiter behandelt habe, weil sie autonom sind und mit dem OSM nichts zu tun haben.

Über das Jahr 2000, wo der OSM noch tiefer ins Nirgendwo abrutschte, schreibe ich dann in der nächsten Ausgabe dieser Artikelreihe. Für heute sollen meine Er­örterungen erst mal genügen.

Nächste Woche an dieser Stelle findet ihr meinen Bericht, wie sich mein kreati­ve Output für den Dezember 2015 entwickelt hat.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Rezensions-Blog 51: Das Wing-4-Syndrom

Posted März 16th, 2016 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

vor sechs Wochen machte ich euch auf eine der beunruhigendsten Dystopien der Science Fiction aufmerksam, die meiner Meinung nach zu Unrecht in den Dämmer des weit gehenden Vergessens gerückt wurde. Mit „Wing 4“ schrieb Jack Williamson einen bestürzenden Roman über den Kampf zwischen roboti­scher Perfektion und menschlicher Unvollkommenheit.

Wer den Roman inzwischen gelesen hat – eine äußerst lohnende Lektüre, lasst euch das noch einmal ins Stammbuch schreiben – , der wird sich vielleicht fra­gen: Wie ist es auch nur denkbar, dass es davon eine Fortsetzung geben kann?

Das habe ich mich ebenfalls gefragt, als ich das vorliegende Buch entdeckte. Aber ihr werdet, wenn ihr euch dieses ebenfalls recht dünnleibige Werk einver­leibt (dünnleibig, gemessen an den dicken Täuscher-Schwarten, die heutzutage den Buchhandel dominieren), schnell entdecken können, dass dünnleibig nicht mit gehaltlos gleichgesetzt werden kann. Das Gegenteil ist der Fall. Mit den Welten Malili und Kai im Sonnensystem der „Katze“ lernt ihr zwei Welten wie Tag und Nacht kennen, aufregende Protagonisten – und, ja, eine alte, Furcht er­regende Bedrohung.

Die Humanoiden von Wing 4. Die Herrscher der Galaxis.

Und wie die Konfrontation ausgeht, möchte ich nicht vorwegnehmen. Schnup­pert erst mal ins Thema rein:

Das Wing-4-Syndrom

(The Humanoid Touch)

von Jack Williamson

Moewig Science Fiction 3617

240 Seiten, TB (1983)

Übersetzt von Heinz Nagel

Sie sind doch nur eine Legende. Ein Kinderschreck. Etwas, womit sich der Schutztrupp wichtig machen möchte, um die alte Macht zurückzuerlangen, nicht wahr? Wer auf den Schiffsdecks von Kai glaubt denn noch an diese uralten Mythen von den schrecklichen Humanoiden?

Das ist die Hypothek, mit der der junge Keth Kyrone aufwächst, das einzige Kind des Schutztruppführers Kyrone, der zusammen mit seiner zweiten Frau Cyra Sair der letzte ist, der die einstmals machtvolle Organisation des Schutztrupps darstellt, der einst gegründet wurde, um die Menschen des Planeten Kai vor je­ner unermesslichen Gefahr zu warnen, die in den Tiefen des Kosmos drohte: vor den Humanoiden des Planeten Wing 4. Aber tausend Jahre sind eine lange Zeit, und das Gedächtnis der Menschen ist so schrecklich kurz…

Wir erinnern uns: in der fernen Zukunft der Menschheit, in der die Erde längst der Vergessenheit anheim gefallen war, stiegen neue Sternenreiche zu beschei­dener Blüte auf, zerfressen vom Gift der Rivalität und der ewig alten Geißel des Krieges. Ein genialer Wissenschaftler namens Warren Mansfield entwickelte in jenen Tagen voller Verzweiflung einen perfekten Roboter, den so genannten Humanoiden, auf dem Planeten Wing 4, wo ein rhodomagnetisches Gehirn mit überlichtschnellen Impulsen die Maschinen fernsteuerte. Sein erstes Gesetz be­sagte, dass die Humanoiden die Menschen vor Gefahren und Selbstzerstörung schützen und ihnen Glück bringen sollten. Sie sollten vor allen Dingen das menschliche Unglück und Leiden auslöschen. Später taten sie das mit einer Dro­ge namens Euphorid. Doch die Maschinen waren zu perfekt, und ihre unbarm­herzige Fürsorge entpuppte sich als entsetzliche Diktatur, die jede Freiheit er­stickte. Mansfields eigener Versuch, die Roboter aufzuhalten, war zum Schei­tern verurteilt.

Schließlich erreichten die Humanoiden auch jene Welt, auf der der unglückliche Wissenschaftler Clay Forester lebte, der selbst den Rhodomagnetismus ent­deckt hatte und dicht davor stand, Wing 4 mit rhodomagnetischen Geschossen zu zerstören. Auch er scheiterte, das maschinelle Friedensimperium der Huma­noiden dehnte sich nach seiner Niederlage immerzu weiter aus und erreichte sogar schon die Nachbargalaxis Andromeda.1

Doch die Sklaverei, die letzten Endes sogar imstande war, menschliche Mutan­tengehirne fernzusteuern, hatte offensichtlich Lücken. Denn lange nach dem ersten Erscheinen der Roboter gelang es Lance Mansfield, dem Enkel des unse­ligen Warren Mansfield, der unter der Obhut der Humanoiden leben musste, sein Schiff „Deliverance“ zu bauen und zu flüchten. Die Menschen der „Deliver­ance“ strandeten im Doppelsonnensystem der „Katze“, wo der Planet Malili von dem kleineren und kälteren Kai umlaufen wird. Doch während Malili zwar para­diesisch, aber wegen des Virus der Blutfäule unbewohnbar war, mussten sich die Raumfahrer auf Kai einrichten, wo sie große, bunkerartige Städte errichte­ten, deren interne Gliederung nach den Schiffsdecks vorgenommen wurde. Führende Organisation war der Schutztrupp, denn es war allen klar, dass die fürsorglichen Humanoiden irgendwann ihre Spur finden würden, dann musste man bereit sein.

Jahrhunderte vergingen.

Die Städte zerstritten sich, nukleare Kriege wurden geführt, Hunger, Armut und Degeneration breiteten sich aus. Schließlich gingen die Ressourcen zur Neige, und voller Verzweiflung griffen die Bewohner von Kai nach Malili aus, sterilisier­ten mit Neutronenwaffen Teile der Planetenoberfläche und versuchten hier, un­ter Lebensgefahr, Rohstoffe abzubauen. Dabei war es ihnen völlig gleichgültig, dass sie damit den Lebensraum einer anderen humanoiden Rasse zu zerstören begannen – der wilden, nackten Leleyo, die von einem ganzen Netz kryptischer Geheimnissen umwittert waren.

Und fern im All lauerten und lauschten die Humanoiden. Sie fingen die Emissio­nen der Neutronenexplosionen auf und sandten schließlich ihre gebirgshohen Schlachtschiffe aus, um den kriegerischen Menschen ihren Segen des ultimaten Friedens zu bringen. Doch als sie erschienen, gab es, wie gesagt, nur noch weni­ge, die überhaupt daran glaubten, dass sie mehr als ein ferner Schatten der Le­gende waren. Und die Schutztrupp-Angehörigen befanden sich auf der Flucht, des Mordes bezichtigt.

Denn es waren über tausend Jahre vergangen. Und die Humanoiden hatten ge­lernt. Unter anderem gelernt, dass Lüge nicht im Widerstreit mit dem Ersten Gesetz stand…

Mit „The Humanoid Touch“ – sehr unglücklich, wenn auch sehr durchsichtig mit „Das Wing-4-Syndrom“ übersetzt – kehrt Jack Williamson auf spektakuläre Wei­se zurück in jenes Universum seines monströsen Robotersterns Wing 4. Wenn­gleich das auch nicht nach „30 Jahren“ geschieht, wie der Klappentext groß­sprecherisch behauptet, sondern nach 18 (der Roman wurde 1980 geschrieben, der Ursprung war, wie gesagt, 1962). Leider ist die Übersetzung auch reichlich mit Druckfehlern gesättigt, darüber hilft auch das – zu viel verratende – Nach­wort von Hans-Joachim Alpers nicht hinweg. Das schmälert dann den Lesege­nuss durchaus.

Da die Roboter erst recht spät im Roman auftauchen, konzentriert sich die Schilderung der Handlung zunächst auf die miteinander verflochtenen Völker der Menschen von Kai und der Leleyo von Malili (unübertroffen sanft und ero­tisch die Schilderung der Leleyo Nera Nyin!). Und hier gibt es vieles zu entde­cken.

Wenn man den leider sehr kurzen Roman langsam und behaglich liest, wie es sich gehört – er ist einfach zu gut, um ihn rasch zu verschlingen, dabei gingen viele Anspielungen schlicht verloren – , dann stellt man faszinierende Dinge fest. Die fest gefügte, hierarchische Gesellschaft von Kai, die sehr von militaristi­schen Traditionen und Militärhochschulen geprägt ist, kommt ausgesprochen schlecht weg. Parallelen zu Militärakademien wie West Point in den USA sind hier so deutlich, dass man Williamson wegen der Tiefgründigkeit seiner Gedan­ken wirklich bewundern muss. Noch heute führt solche Glorifizierung von solda­tischer Ehre dazu, dass junge Menschen dermaßen verbogen und ihre Möglich­keiten beschnitten werden, bis aus ihnen mörderische Soldaten und, im schlimmsten Fall, Kriegsverbrecher werden. Gesellschaften, die so geprägt sind, das strahlt der Roman überdeutlich aus, sind in sich krank und ungesund.

Das Gegenbild ist die krass „natürliche“ Gesellschaft von Malili, jene Gesell­schaft, die die Menschen von Kai gerade zu vernichten im Begriff sind. Hier übertreibt Williamson zwar ein wenig, aber gleichzeitig thematisiert er sowohl Erstkontakt als auch die Vernichtung indigener Kulturen und der Natur an sich, wie sie auf unserer Welt im Spannungsfeld von „Erster Welt“ und „Dritter Welt“ nach wie vor auf der Suche nach Ressourcen unablässig vorkommen. Auch hier ist Williamson extrem zeitgemäß und kritisch, und selbst nach 20 Jahren, die seit dem Erscheinen dieses Buches inzwischen verstrichen sind, hat die reale Menschheit nicht gelernt, dieser Selbstdestruktion vorzubauen. Bedauerlich genug.

Und dann die Humanoiden.

Mein Gott, die Humanoiden.

Als zum ersten Mal die schnurrenden Maschinenstimmen sagen: „Zu Ihren Diensten“, da läuft es dem wissenden Leser eisig den Rücken herunter, und er spürt den erbarmungslos-freundlichen Griff dieser schwarzmetallenen Amei­sen, die allgegenwärtig sind, nie schlafen müssen und nie in ihrer Aufmerksam­keit nachlassen. Durch einen Humanoiden verhört zu werden, dessen starre Miene man nie durchschauen kann, ist einer der größten Alpträume, die Wil­liamson je erdacht hat, und man kann ihn in diesem Roman erleben.

Am Schluss, als sich alles auf die Frage zuspitzt, ob die Humanoiden alles Leben im System der Katze unterwerfen werden, da muss man sich ernstlich fragen, ob das alles so schrecklich ist, wie es scheint. Denn die Menschen von Kai sind so offensichtlich wahnsinnig, dass eine Nervenheilanstalt der richtige Ort für sie ist.

Nur muss er dann von schwarzen Robotern geführt werden?

Der Schauder bleibt bestehen. Und der Leser denkt sich: Manche Alpträume enden wahrhaft nie.

Dennoch ist der Roman eine der wichtigsten Dystopien der SF, ebenso wie sein Vorgänger, und es ist schade, dass er heute allgemein so sehr vergessen ist. Er ist vielleicht aktueller, als man glauben mag…

© by Uwe Lammers, 2005

Ja, es ist in der Tat inzwischen mehr als ein Jahrzehnt her, dass ich diesen Ro­man rezensiert habe – und dennoch empfinde ich ihn nach wie vor als ein fun­kelndes Schmuckstück in meiner umfangreichen Buchsammlung. Sehr lesens­wert und nachdenklich stimmend, nicht zuletzt in Zeiten eines scheinbar un­endlichen „Krieges gegen den Terror“ und des Hasses gegen alles Andersartige, wie wir es vielerorts in unseren Tagen erleben können.

In der kommenden Woche kümmern wir uns um einen Alptraum völlig anderer Art. Dort gehen Zeitgeschichte, fiktive Personen aus Detektivromanen und rein phantastische Zutaten eine mehrhundertseitige Symbiose ein, die mich in ihren Bann zog, auch wenn ich das Zentralthema normalerweise gar nicht schätze… Vampire...

Mehr dazu in einer Woche an dieser Stelle.

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Dies ist Thema des ersten Romans „Wing 4“, erschienen im Jahre 1962. Vgl. dazu auch den Rezensions-Blog 45 vom 3. Februar 2016.

Liebe Freunde des Oki Stanwer Mythos,

wer von euch der Serie „Oki Stanwer und das Terrorimperium“ (TI) langfristig geduldig gefolgt ist, der wird vielleicht allmählich nervös geworden sein ange­sichts dessen, was gegen Ende von Band 15 „Die Macht der Liebe“ angedeutet wurde. Ich möchte das noch mal kurz resümieren, weil dieser Band ja nicht ge­rade gestern erschienen ist:

Die yantihnischen Raumfahrer der GHANTUURON-Mission, gerettet aus dem Hexenkessel des Sonnensystems „Sianlees Rast“, fanden sich auf der Dschungel­welt Shookash wieder, in der „Obhut“ der reptiloiden Allis. Und diese „rätsel­haften Retter“ wiederum handelten auf höheren Befehl – sie selbst stammten nicht einmal aus der Galaxis Twennar, sondern waren Angehörige einer interga­laktischen Streitmacht, die sich als Interventionstruppe verstand und den Vor­marsch eben jenes Feindes aufhalten sollte, mit dessen Vernichtungsmaschinen die Yantihni von der GHANTUURON schon konfrontiert worden waren.

Und der Verkünder Jodaarin signalisierte, dass die Yantihni bald Besuch von ei­nem so genannten „Baumeister“ bekommen würden, der ihnen Näheres erläu­tern würde.

Kommandant Ghaynor und seine Begleiter kannten keine Baumeister, und sie reagierten naturgemäß völlig falsch. Ihr seid inzwischen durch die Kenntnis von solchen Geschichten wie „Die Intervention“ schon deutlich klüger und habt vielleicht ob dieser Frechheit, mit der Ghaynor über diese Ankündigung hinweg­ging, nach Luft geschnappt, so ähnlich wie die Allis.

Ein Baumeister… das ist nicht einfach irgendwer.

Und dieser Baumeister, der nun den Planeten Shookash besucht und sich den Yantihni offenbart, das ist erst recht nicht irgendjemand.

Sein Name ist Nogon, und er hat einen Schock für die weit gereisten Raumfah­rer im Gepäck, den sie beim besten Willen nicht erwarten. Und erst recht kön­nen sie sich nicht vorstellen, dass sie nun an der Schwelle zu einem neuen Zeit­alter stehen.

Die neue Zeit beginnt in TI 24 „Gelüftete Schleier“, dem ersten Band einer neu­en Trilogie. Und es ist kaum übertrieben, zu sagen, dass binnen dieser drei Bän­de die Welt der Yantihni gründlich auf den Kopf gestellt wird.

Zum Guten hin? Zum Schlechten? Das könnt ihr ab sofort zu ergründen begin­nen. Heute ist der neue Band der Serie „Oki Stanwer und das Terrorimperium“ erschienen, „Gelüftete Schleier“. Er ist zum Preis von 1,49 Euro wie üblich auf Amazon-KDP erhältlich. Der einmalige Gratisdownload ist am 22. März 2016 möglich.

Ich wünsche euch angenehmes Lesevergnügen.

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.