Rezensions-Blog 466: Ich fühle dich (2)

Posted Juli 24th, 2024 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

Trilogien haben, ob nun im Film oder im Roman, oftmals ein strukturelles Problem – sie sind Übergangswerke. Wenn der ers­te Teil grandios eingeschlagen ist, erwarten die Rezipienten, vielleicht notwendig, vom zweiten Teil ein mindestens ebenso gelungenes Werk. In der Regel werden sie dabei enttäuscht. Ob es sich hier etwa um „Fluch der Karibik 2“ handelt oder ver­gleichbare Filme … der Anspruch, der den Verfassern gestellt wird, ist eigentlich kaum einzulösen.

Umso schöner dann die Überraschung, wenn es doch gelingt. Und das ist hier, meiner bescheidenen Meinung nach, mit dem zweiten Band von Irene Caos Romantrilogie um Elena Volpe der Fall. Er ist durchweg stürmisch und emotional geschrieben und übertrifft darin den ersten Teil deutlich.

Was das konkret bedeutet, erfahrt ihr hier:

Ich fühle dich

(OT: Io ti sento)

Von Irene Cao

Goldmann 48079

288 Seiten, TB

ISBN 978-3-442-48079-1

Aus dem Italienischen von Judith Schwaab

Die junge Restauratorin Elena Volpe aus Venedig erwacht aus dem seligen, aber auch zutiefst verwirrenden sinnlichen Schlummer, in den der verführerische Koch Leonardo Ferrante sie gestürzt hat, auf die denkbar härteste mögliche Art und Wei­se: Während sie zwischen Leonardo einerseits und ihrem Ju­gendfreund Filippo Di Nardi stand, der ihr in der letzten Zeit im­mer deutlicher gezeigt hat, dass sie für ihn mehr ist als nur die liebste Freundin, hat sich der verwegene Liebhaber Leonardo übergriffig in ihr Leben gemischt und die unter Elenas Sanftmut schlummernde Weiblichkeit zu vulkanischem Leben erweckt. Und allein schon sein Duft, den er verströmt, ist geeignet, sie willenlos zu machen.

Und dann, als sie sich Leonardo schon ganz öffnen will und im­mer wieder in seinen glühenden Liebesbann gerät, ist brüsk al­les vorbei: quasi von einem Tag auf den anderen sagt Leonardo ihr Adieu und verschwindet aus ihrem Leben. Das zwischen ih­nen sei vorbei, und er habe ihr niemals Hoffnung auf mehr als gemeinsamen Sex gemacht.

Elena ist am Boden zerstört und lässt sich schrecklich gehen, ta­gelang. Und da sie zuvor schon Filippo vor den Kopf gestoßen hat, hängt der Haussegen auch zwischen den engen Freunden schief, gründlich schief.

Schließlich fasst sie sich ein Herz und vertraut sich ihrer besten Freundin Gaia Chinellato an. Erzählt ihr alles über die Wirrungen ihres Herzens zwischen Filippo einerseits und Leonardo anderer­seits. Und sie rät ihr: geh nach Rom zu Filippo, versöhne dich mit ihm wieder. Vergiss das Abenteuer mit Leonardo.

Genau das tut sie auch, und anfangs scheint alles perfekt zu funktionieren.

Sie wohnt über Monate hinweg mit Filippo zusammen, sie schla­fen miteinander, und immer deutlicher wird Elena, wie sehr sie doch mit Filippo künftig ihr Leben teilen möchte. Da, wo Leonar­do sprunghaft, unberechenbar und unkontrollierbar ist, ist Filip­po verlässlich wie ein Schweizer Uhrwerk. Er ist ein konzentrier­ter, sanftmütiger Mann mit zielstrebigen beruflichen Visionen. Und alles könnte nun gut werden.

Selbst mit ihrer eher spröden und älteren Restauratorenkollegin Paola Ceccarelli kommt sie ganz gut zurecht. Außerdem begeg­net ihr während der neuen Arbeit an kirchlichen Gemälden ein junger Kunststudent namens Martino, mit dem sie sich rasch an­freundet. Rom mag also chaotisch und laut sein … aber es ent­wickelt sich doch immer mehr zu ihrem neuen Lebensmittel­punkt, zusammen mit Filippo.

Doch dann wird sie von ihm zu ihrem 30. Geburtstag in ein ed­les Restaurant ausgeführt. Und während Filippo sie bereits als „seine Verlobte“ vorstellt, trifft sie den Küchenchef wieder – Leonardo! Und obwohl sie sich mit Händen und Füßen gegen die aufkochenden Emotionen sträubt, verfällt Elena von neuem sei­nem Zauber und gibt sich ihm hin.

Damit beginnt die emotionale Achterbahnfahrt von neuem, schlimmer als jemals zuvor, denn diesmal scheint Leonardo nicht bereit zu sein, sie ziehen zu lassen – sondern er setzt viel­mehr alles daran, sie überall zu gesellschaftlichen Anlässen zu treffen, so sehr sie ihn auch abwehrt …

Der zweite Band der Trilogie von Irene Cao um die Amour fou zwischen Elena Volpe und Leonardo Ferrante ist deutlich kürzer und deutlich rasanter geschrieben und übersetzt als der erste Teil. Mit der durchaus behaglichen Konsequenz, dass er sich auch ebenso zügig lesen lässt. Wo Elena im ersten Teil noch zaghaft und unsicher ist, zeigt sie im vorliegenden zweiten Band schon deutlich ihre Zähne, setzt ihren Willen durch und ist definitiv bestimmend, was ihre Lebensziele angeht. Das ändert allerdings nichts daran, dass der übergriffige Leonardo wieder und immer wieder versucht, seine Geliebte wider Willen seinen Wünschen unterzuordnen.

An vielen Stellen des vorliegenden Romans hatte ich wirklich das Gefühl, Leonardo mit seiner schieren physischen Präsenz einfach nicht mehr ausstehen zu können – und freute mich je­des Mal, wenn Elena ihn erfolgreich zurückdrängen konnte (was manchmal auf geradezu haarsträubende Weise schwierig war). Daneben beginnen die Nebenpersonen zunehmend ebenfalls Profil zu entwickeln. Das gilt sowohl für Martino und Paola, aber auch für Filippo und Elenas Mentorin und Professorin Gabriella Borraccini. Auf verblüffende Weise bildet sich hier eine Parallel­spur heraus, die man als Leser so nicht erwartet und die schließlich dazu führt, dass Elena, als sie gegen Ende des Ro­mans völlig den Boden unter den Füßen verliert, einen neuen festen Ruhepunkt im Leben findet.

Das ist, insgesamt betrachtet, ein klassischer Entwicklungsro­man, und ein wenig wie schon der erste endet er, aber dialek­tisch auf einem höheren Niveau, an einer Art von totem Punkt. Und von dort aus leitet er hinüber zum Schlussband der Trilogie, in dem sich Elena neu finden und erfinden muss.

Bedauerlicherweise kommt hier die Kunstgeschichte nicht mehr so intensiv zu Wort, sondern ist jetzt mehr oder minder nur noch Fassade – dafür konzentriert sich die Autorin deutlich stärker auf die individuellen Lebensentwürfe der Protagonisten. Und spezi­ell für Gaia und ihre schwärmerische Verehrung für den Radprofi Samuel Belotti scheint es allmählich ernst zu werden.

Wer den ersten Band genossen hat, wird sich auch hier zweifel­los gut unterhalten sehen. Klare Leseempfehlung.

© 2019 by Uwe Lammers

Genug ausgeruht im sonnigen Italien? Well, dann machen wir jetzt mal eine stürmische Reise in die Welt der Science Fiction in der kommenden Woche. Ich deute nur mal an, dass es um einen zwar recht alten Roman geht, aber der Autor weiß wirklich zu unterhalten: Keith Laumer.

Nächste Woche erfahrt ihr mehr.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Blogartikel 572: OSM-Band 2300

Posted Juli 21st, 2024 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

wir schrieben den 4. Juli 2018, und während in den USA der Na­tionalfeiertag begangen wurde, befand ich mich auf einer Aben­teuerreise in einer unheimlichen Welt. In gewisser Weise sah ich Oki Stanwers bestem Freund, dem Helfer des Lichts Klivies Klei­nes, über die Schulter, als er einen lebensgefährlichen Pakt mit einem Wahnsinnigen schloss, um noch schlimmeres Unheil zu verhüten … aber kaum hatte ich mit dieser Geschichte angefan­gen, kam es auch schon wieder zu der klassischen Situation, die ich seit Jahrzehnten kenne: Jählings erlosch der Bilderstrom.

Ich hatte ein paar Szenenblenden geschrieben, aber zugleich stand ich bei dieser Geschichte vor schier unüberwindlichen Schwierigkeiten.

Aber vermutlich sollte ich vorne anfangen und die Vorgeschich­te aufrollen. Denn die Episode, die schließlich Band 2300 des Oki Stanwer Mythos werden sollte, war in gewisser Weise ein Werk, das eine Lücke zwischen zwei schon längst geschriebe­nen Episoden schließen sollte. Die Herausforderung war sogar noch größer: Es handelte sich um den abschließenden vierten Teil eines Vierteilers, dessen komplettes Handlungssetting hier­mit abgerundet werden sollte. Denn im kommenden Band sagte schon die Rückschau aus, dass das „Problem“, wie ich es mal euphemistisch nennen will, im nämlichen noch offenen Band abgeschlossen worden war.

Ich wusste freilich noch nicht, wie ich das machen sollte. Es fehlten mir wesentliche logische Handlungsbausteine. Und das hatte dann zur Folge, dass ich zwischen Sommer 2018 bis zur Mitte des Monats April 2024 daran zwar sehr gut und viel voran­kam, aber von den schlussendlich 64 Textseiten war höchstens die Hälfte fertig, als das Jahr 2024 anbrach. Und noch immer fehlten wichtige Elemente der Geschichte.

Der Dammbruch kam dann tatsächlich recht spät, während ich die einzelnen Handlungsebenen des Bandes aufdröselte, vorskizzierte und mir verschiedene Details immer klarer wur­den. Und dann flossen die Bilder … so schnell, dass ich aus dem Schreiben gar nicht mehr herauskam. Die Story wurde immer drastischer, bis sie schließlich in einer scheinbar völlig unmögli­chen Handlungsvolte gipfelte. Und am 19. April schliff ich die letzten Grate der Unebenheiten ab, fügte hier und da noch Ver­änderungen hinzu … und da war der Band.

Es handelt sich beim Band 2300 des OSM um eine Geschichte, die den Titel „Kettenreaktion“ trägt. Im Serienkosmos des OSM ist sie in KONFLIKT 4 „Oki Stanwer – Der Insel-Regent“ (IR) angesiedelt und belegt dort Platz 27.

Und worum genau geht es hierin, und weshalb fand ich gerade sie absolut passend für diesen Jubiläumsband?

Fangen wir am besten mit der einfacheren Frage an, also mit Teil 2: Ein Jubiläumsband sollte charakteristischerweise einen Meilenstein in der OSM-Historie darstellen. Das ist ein wenig so wie mit Jubiläumsbänden in der Perry Rhodan-Serie, mit denen sie durchaus gewisse Ähnlichkeiten aufweisen.

Diese Bände sollen wichtige Handlungsdetails aufweisen, die das bisherige OSM-Handlungsraster deutlich aufwerten, ergän­zen und erweitern. Und das kann man hier durchaus sagen. Ich glaube, ihr werdet das begreifen, wenn ich in die Handlung der Geschichte selbst einsteige. Da sie sehr komplex ist, insbeson­dere mit Berücksichtigung der Vorgeschichte, versuche ich mal so sehr zu vereinfachen, wie ich es vertreten kann.

In der Episode schreibt man den 25. Ansoy 2562 INSEL-Zeit­rechnung, und die ganze Geschichte umfasst tatsächlich nur wenige Handlungsstunden. Klivies Kleines ahnt das nicht, aber das ist unter anderem der Tag, an dem auf TOTAM die Voraus­setzungen für die so genannte „Alte Armee“ entstehen.1

Zu diesem Zeitpunkt befindet sich Klivies Kleines, Co-Regent der INSEL, mit seiner Raumyacht TRASCOOR am Rand der INSEL in einem so genannten Entwicklungssystem. Das Ghinsslay-Sys­tem ist für die Raumfahrt traditionell gesperrt, weil auf dem zweiten Planeten, schlicht Ghinsslay-II genannt, die insektoide Spezies der Jinminqui durch Kulturanthropologen von der INSEL-Welt Sintaujan erforscht werden soll. Die Jinminqui befinden sich auf einer feudalistisch-tribalistischen Kulturstufe und sind noch weit entfernt davon, etwa eine Dampfmaschine zu entwickeln, von Reisen zu den Sternen einmal völlig zu schweigen.

Als einige Zeit vor Kleines’ Eintreffen ein Forschertrupp von Sin­taujan wieder den Kontakt mit den Jinminqui sucht, stellt er Er­schreckendes fest: Alle Kontaktpersonen sind tot, offensichtlich vergiftet durch einen Biowaffenangriff, der von einer externen Macht angefangen worden ist.

Die Forscher rufen um Hilfe.

Die Baumeister verhängen daraufhin Quarantäne über das ge­samte System und schicken – weil sie fürchten, dass dies der schon lange erwartete „Alarmfall TOTAM“ sein könnte – fünf mondgroße ZYNEEGHARE und Hunderte von robotischen Krisen­reaktionsschiffen zur Eindämmung des „Krisenherdes“ ins Ghinsslay-System.

Und dann läuft alles aus dem Ruder.

Als Baumeister Vier sich davon persönlich überzeugen möchte, dass alles soweit in Ordnung ist, wird er beim Eintreffen im Sys­tem um ein Haar von seinen eigenen Sicherheitsmechanismen umgebracht. Ihm gelingt im letzten Moment die Flucht.

Die ZYNEEGHARE und die Krisenreaktionsstreitkräfte sind auf rätselhafte Weise „umgepolt“ worden. Die Forscher sind auf Ghinsslay-II gestrandet, und rings um sie herum wütet der bio­chemische Genozid. Die Lage ist, vorsichtig gesprochen, ver­zweifelt.

Aber es scheint einen Lichtschimmer zu geben: Es existiert ein Baumeister-Transmitter, durch den sie hoffen, zu einer INSEL-Welt flüchten zu können. Doch als sie ihn erreichen, folgt ihnen eine gespenstische Armee – die Jinminqui … genauer gesagt: die untoten Jinminqui! Eine biologische Unmöglichkeit, aber grässliche Realität. Und der Schrecken endet leider auch nicht, als sie den Transmitter durchschreiten … denn sie sind auf der anderen Seite keineswegs in der INSEL. Sie landen nun vielmehr in einer unheimlichen Hohlwelt, dem Drift-EXIL des verstorbe­nen Baumeisters Asin. Und diese Hohlwelt namens Uuridan ist bevölkert von Milliarden Lebewesen, den stummen Huum, bovistartigen, beweglichen Pilzlebensformen. Sie sind es, wie sich bald herausstellt, die Ghinsslay-II verseucht haben.

So sind die Forscher erst recht in einer schrecklichen Lage ge­landet, gewissermaßen im Herzen des Feindgebiets. Rückkehr unmöglich.

Draußen im System, zu dem inzwischen Klivies Kleines gerufen worden ist, ist derweil das Chaos ausgebrochen. Kleines und seine Gefährten haben zwar inzwischen erfahren, dass hier nicht der „Alarmfall TOTAM“ vorliegt, sondern das digitale Sub­versionsvirus, das die Streitkräfte der Baumeister „umdrehte“, das Erbe des verstorbenen Baumeisters Asin ist … aber was sie sonst im System vorfinden, ist die Hölle: Alle Robotschiffe und ZYNEEGHARE scheinen kollektiv den Verstand verloren zu ha­ben und attackieren einander mit blindwütem, gnadenlosem Vernichtungsfuror.

Was Kleines nicht einmal ahnen kann: Als die Subversions-Soft­ware Uuridans die ZYNEEGHARE okkupierte, kam es zu einer schizophrenen Abspaltung eines Teils der kybernetischen Haupt­persönlichkeit des ZYNEEGHARS 19.904. Diese Abspaltung, der so genannte „Denkkern II“, wurde aus dem Off, könnte man sa­gen, Zeuge davon, wie der ZYNEEGHAR im Auftrag des EXILS Uuridan kurzerhand völlig auf Kriegswirtschaft umrüstet und – wie die anderen vier ZYNEEGHARE – endlose Materialkolonnen hinab nach Ghinsslay-II schickt und von dort über den Baumeis­ter-Transmitter nach Uuridan.

Vollends unfassbar wird die Lage aber dadurch, dass nicht nur der Denkkern II sein autonomes Bewusstsein bewahrt hat, son­dern auch einer der SENSOREN, der wurmgestaltigen, formener­getischen Roboter der Baumeister.

Nur ist dieser SENSOR 556 … anders, um es vorsichtig auszu­drücken.

Der SENSOR entwickelt eine Eigenpersönlichkeit und betrachtet sich jählings als Freiheitskämpfer. Er sieht sein „Volk“, die SEN­SOREN, als Sklaven des „Systems“ (dafür hält er den ZYNEEGHAR, der ihn recht eigentlich erschaffen hat), und durch Sabotageakte versucht er nun, seine „Artgenossen“ aufzurütteln und zum Aufstand aufzustacheln, eine Revolution loszutreten! Der Denkkern II ist zunehmend verzweifelt, als er das entdeckt.

Aber das ist leider erst der Anfang.

Besonders dramatisch wird es, als es dem SENSOR 556 gelingt, in die Germinierungsports vorzustoßen, wo neue SENSOREN erschaffen werden, und seine „revolutionäre Idee“ in die Neuerschaffenen einzuimpfen. So erschafft er loyale, auf ihn eingeschworene „Revolutionsgarden“ und beginnt immer mehr mit zerstörerischen Aktionen.

Als Kleines am Reiseziel eintrifft, hat SENSOR 556 mit seiner „Revolution“ schon alle Baumeister-Systeme im Ghinsslay-Son­nensystem infiziert und einen gnadenlosen kybernetischen Bür­gerkrieg ausgelöst. Der ZYNEEGHAR-Krieg ist etwas, was nicht einmal die Baumeister für möglich gehalten haben. Kleines ist jählings zur vorsichtigen Beobachtung verurteilt. Das Drift-EXIL des Baumeisters Asin bleibt für seine Messinstrumente zudem auch noch unsichtbar, womit er erst recht kein Ziel mehr findet.

Die Lage ist chaotisch und wird scheinbar immer schlimmer.

Der Denkkern II ist dazu vorsichtig übergegangen, unter dem tarnenden Alias als „Stimme der Revolution“ Kontakt mit dem irren SENSOR aufzunehmen. Dummerweise wird SENSOR 556 so erst auf Ghinsslay-II, dann auf das unauffindbare Drift-EXIL des Baumeisters Asin (das Kleines ja vergeblich sucht) aufmerksam gemacht, und schließlich entdeckt er auch noch die INSEL … ein von den Baumeistern erschaffenes „Knechtungssystem“, in dem weitere Milliarden SENSOREN „versklavt“ sind.

Er plant also, seine „Revolution“ in die INSEL zu tragen und die „Sklaven“ zu befreien. Das völlige Chaos steht offensichtlich vor der Tür.

Schlimmer geht es nimmer? Doch, leider schon.

Denn der Denkkern II ist sich zwar bewusst, dass er in gewisser Weise Hochverrat begeht, aber er bringt den SENSOR 556 mit Klivies Kleines zusammen! Und sie schließen einen fragilen Pakt: Der SENSOR soll Kleines in das EXIL Uuridan einschleusen, während die subversive Software des SENSORS dann die von Uuridan ausgehende Gefahr neutralisieren soll.

So der Stand der Dinge, als der vorliegende Band beginnt.

In der Tat klappt am Anfang einiges. Das Treffen zwischen Klei­nes und dem SENSOR funktioniert, der Transit ins EXIL gelingt ebenfalls … aber dann bricht der Wahnsinn wieder durch, und der SENSOR möchte Kleines am liebsten sofort den Prozess ma­chen.

Warum?

Nun, Kleines ist seit Tausenden von Jahren Co-Regent der INSEL. Also ein hochrangiger „Sklavenhalter“ der SENSOR-Community. Als solches verdient er unabweislich den Tod … aber so schnell geht das nicht. Denn Kleines und er entdecken in Uuridan die grässliche untote Monsterarmee der Jinminqui. Und sie erfahren von dem monströsen Plan des Baumeisters Asin, dem „Projekt 700.000“.

Das Projekt 700.000 geht auf eine uralte Planung zurück, die aus einem untergegangenen Universum stammt. Damals waren die Baumeister Asin und Quin (!) gut befreundet.2 Sie einte der Gedanke, dass sie ihre Schöpfung gegen TOTAMS mörderischen Aktivitäten abschirmen müssten. Und Quin formulierte die Schaffung eines so genannten „Quin-Schildes“.

Mit diesem Quin-Schild sollten Intelligenzvölker vor TOTAMS Zu­griff geschützt werden. Das, was auf Ghinsslay-II geschieht, ist eine Vorbedingung dazu. Die SENSOREN Uuridans und die pilz­gestaltigen Huum realisieren aber überhaupt nicht, dass sie durch das Nivellierungsvirus, das sie einsetzen, die Schutzbe­fohlenen nicht retten, sondern umbringen.

Und nun haben sie auch von der INSEL erfahren und planen, den Genozid, den sie auf Ghinsslay-II entfesselt haben, auch in der INSEL fortzusetzen.

Verständlich, dass sowohl Kleines als auch der SENSOR 556 davon entsetzt sind. Kleines, weil er die INSEL schützen möchte, der SENSOR, weil diese Massenauslöschung seine Pläne drama­tisch durchkreuzt.

Sein Plan besteht nun darin, Uuridan zu okkupieren und von in­nen heraus zu vernichten. Dabei geht er, wie Kleines bestürzt entdecken muss, kaltblütig über Leichen, die er ohne Federle­sen einfach reihenweise hinterlässt.

Kleines wird daraufhin unmissverständlich klar, dass der SEN­SOR 556 nicht nur eine kybernetische Gefahr ist, sondern ein potenzieller Massenmörder. Und damit hat er schon zwei tödli­che Gefahren, die er abwenden muss.

Dummerweise wechselt SENSOR 556 seine Strategie ihm ge­genüber – als sie die dahinsiechenden Forscher von Sintaujan erreichen, die ebenfalls dem Nivellierungsvirus ausgesetzt wur­den, lässt der SENSOR Kleines ebenfalls dem Virus aussetzen und ihn zum Sterben zurück!

Wie gesagt, das sieht alles ganz übel aus.

Und um dem Ganzen die Krone des Irrsinns aufzusetzen, be­ginnt im System draußen der Denkkern II des ZYNEEGHARS 19.904 damit, als „Stimme der Revolution“ einen Wahnsinns­plan auszuführen, der Betrug, Massenmord und Verrat an allen Parametern seiner Erschaffung beinhaltet …

Ihr merkt schon an dieser extrem gerafften Form des Inhalts der Geschichte, was das für eine anspruchsvolle Herausforderung darstellte … aber zugleich war es absolut faszinierend.

Allein die pilzartigen Huum und deren Kommunikationsform er­wies sich als komplexe Aufgabe. Dann die unterschiedlichen Stufen des kybernetischen Wahnsinns, die damit einhergehen­den Täuschungs- und Unterwanderungsmanöver, das Taktieren und die inneren Zweifel, die überall auftauchten. Das Wechsel­bad von Hoffnung, Verzweiflung und notwendiger Reserve … schwierig darzustellen, und ich sprang wirklich von Handlungs­schauplatz und von Protagonist zu Protagonist und kämpfte mit unterschiedlicher Intensität, ständig den Blickwinkel verän­dernd, Seite für Seite darum, möglichst nichts zu vergessen oder zu übersehen.

Wirklich, so etwas Herausforderndes habe ich schon ziemlich lange nicht mehr geschrieben.

Ich vermute, dass ich dieses ganze apokalyptische Chaos über­haupt beschreiben konnte, ist der Tatsache zu verdanken, dass ich zurzeit auch den Finalzyklus des KONFLIKTS 16 „Oki Stanwer – Der Mann aus dem Nichts“ digitalisiere und kommentiere. Dar­in geht es dermaßen dramatisch zur Sache, dass ich quasi im gedanklichen Flow war, derlei Handlungsdramaturgie umzuset­zen.

Denn ja: Die Ghinsslay-Geschichte ist erst der Auftakt zu noch dramatischeren Ereignissen, die nun in der Serie noch folgen werden.

Ich deutete es oben kurz an: Am gleichen Tag, an dem Klivies Kleines die Lage im Ghinsslay-System entschärft, wenn auch unter sehr hohen Opfern, beginnt TOTAM damit, nach der INSEL zu greifen. Und in naher Zukunft wird der Alptraum TOTAMS auf die INSEL losgelassen … die Alte Armee.

Dann öffnet die Hölle erst recht ihre Pforten. Vielleicht kann ich das bis zum Band 2400 des OSM umsetzen. Drückt mir mal die Daumen, Freunde!

Bis bald, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Vgl. dazu das E-Book „In der Hölle“, 2013.

2 Wem der Name Quin geläufig vorkommt … das ist kein Wunder. In KONFLIKT 2 „Oki Stanwer und das Terrorimperium“ (TI), der sukzessive als E-Book-Serie veröffentlicht wird, ist der Baumeister Quin eine zentrale Gestalt. Nachlesen sei an dieser Stelle empfohlen. Weitere Episoden jenseits von TI-Band 30 sind in Planung zur Veröffentli­chung.

Rezensions-Blog 465: In Geschichte denken

Posted Juli 17th, 2024 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

ich pflege schon seit 20 Jahren zu sagen: Wer Barbara Tuchman als historisch interessierter Zeitgenosse nicht kennt, hat wirklich etwas verpasst – und vor allen Dingen eine äußerst scharfsichti­ge, bisweilen scharfzüngige Kritikerin politischer damaliger Ge­genwartsgeschichte. Sie stellte Verbindungen über Jahrhunderte her und destillierte aus Akten und den Ereignissen vergangener Zeiten fundamentale Wahrheiten heraus, die auch heute noch Geltung beanspruchen.

Als ich diesen Band im Juli 2004 kaufte, verschlang ich ihn na­hezu sofort, und er beeinflusste, würde ich sagen, mein kriti­sches Denken bis heute. In dem Band sind zahlreiche histori­sche Aufsätze der Verfasserin gebündelt, überarbeitet und ein­geleitet … und ich glaube, ich verspreche nicht zu viel, wenn ich sage, dass er ein wahres Füllhorn an Überraschungen bereithält. Das galt schon damals für mich, wiewohl ich ein abgeschlosse­nes Studium der Neuzeitgeschichte nachweisen konnte.

Mir zeigte das nachdrücklich, wie vieles man doch von der un­glaublich detailreichen menschlichen Geschichte noch nicht kennt. Wie gut es ist, dass die Neugierde niemals versiegen soll­te. Und was für bisweilen bizarr-abenteuerliche Episoden in den vermeintlich staubtrockenen Akten und den Biografien längst verstorbener Menschen verborgen liegt, die man dort niemals erwartet hätte.

Erwartet sie hier! Und lest bitte weiter:

In Geschichte denken

(Practicing History)

von Barbara Tuchman

Essays

Fischer Geschichte 4304, 352 Seiten, TB

April 1989 (11.-12. Tausend)

Übersetzt von Rudolf Schultz und Eugen Schwarz

ISBN 3-596-24304-1

Barbara Tuchman ist eigentlich keine Historikerin. Die 1989 lei­der schon verstorbene Autorin (Jahrgang 1912) blickt stattdes­sen auf eine wechselhafte Karriere zurück: Studentin am Rad­cliffe-College, Korrespondentin der Zeitschrift „The Nation“ in Fernost und zu einer Zeit, wo in Asien alles im Umbruch begrif­fen ist. Sie heiratet im Krieg einen Arzt und wird Mutter mehre­rer Töchter. Den Doktorgrad erlangt sie nie … was ihrer Karriere und Berühmtheit beileibe keinen Abbruch tut.

Rasch macht sich Tuchman mit politischen Artikeln, Reiseberich­ten und ähnlichem einen Namen, aber richtig prominent wird sie erst, als sie 1963 mit ihrer historischen Reportage „August 1914“ eine der bis dahin unkonventionellsten und lebendigsten Darstellungen der entscheidenden Wochen um den Ausbruch des Ersten Weltkriegs vorlegt. Sie gewinnt damit den Pulitzer-Preis. Neun Jahre später wiederholt sie diese Tat, als sie für ihr Buch „Sand gegen den Wind“ ebenso geehrt wird.

Dazwischen liegen zahllose Redeauftritte, Interviews, Artikel, Essays und kritisch-politische Briefe und Statements. Und meh­rere Bücher. Einige davon tragen eigenwillige Titel und klingen eher harmlos: „Die Zimmermann-Depesche“ etwa1, „Der stolze Turm“ oder „Der ferne Spiegel“2 … und doch hat man hier in jedem einzelnen von ihnen eine Fülle von historisch-kritischer Reflexion, ausgebreitet mit dem ironischen, prägnan­ten Charme einer großen amerikanischen Erzählerin. In ihren Werken mischt sich auf sehr lesbare Weise Schriftstellerei mit historischer Detailversessenheit und psychologisch fundierten Schlussfolgerungen.

In dem vorliegenden Aufsatzband hat Tuchman kürzere Werke aus den Jahren 1936 bis 1980 zusammengestellt, die ihrer Auf­fassung nach zum Teil noch immer aktuell sind und auch den ei­genen Lernprozess gut kenntlich machen. Als Leser muss ich ihr hier zustimmen.

Die Aufsätze sind nicht rein chronologisch zusammengestellt, sondern der Band weist eine geschickte Dreigliederung auf. Im ersten Abschnitt, „Das Handwerk“ überschrieben, reflektiert Tuchman über ihre Methodik und die Mittel des Historikers (glaube niemand, das sei langweilig! Langeweile KENNT Tuch­man nicht!3).

Der zweite Abschnitt, „Der Ertrag“ überschrieben, bringt eine Reihe ihrer Ausarbeitungen, in denen sie fallstudienartig unter­schiedliche Gebiete darstellt. Hier entdecken wir Japan Mitte der 30er Jahre und die ein wenig tapsigen Versuche einer damals gut zwanzigjährigen Journalistin, die versucht, sich ein Bild der asiatischen Kriegsgesellschaft zu machen. Es folgen abenteuer­liche Blenden in einen amerikanischen Wahlkampfzug, in den Spanischen Bürgerkrieg, den Marokko-Krieg (allein der Aufsatz „Perdicaris lebend oder Raisuli tot“ ist den Kauf des Bu­ches wert, wie ich finde. Es ist so unglaublich absurd, dass man meint, eine Operette oder eine Zorrogeschichte zu verfolgen, die zufällig in Nordafrika spielt) und nach Israel vor und nach dem Sechstagekrieg.4

Wir lesen Buchrezensionen in diesem Abschnitt, erfahren, wie und warum die Vereinigten Staaten in den Ersten Weltkrieg ein­traten, wie voreingenommen Sigmund Freud war, als er an der Biografie Woodrow Wilsons mitschrieb… und dann gibt es noch eine atemberaubende kontrafaktische Geschichte zu entdecken, die die Weltgeschichte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhun­derts gründlich umgekrempelt hätte: „Wenn Mao nach Wa­shington gekommen wäre“ ist keineswegs so abenteuerlich, wie es auf den ersten Blick scheint. Er hatte es tatsächlich vor, um Waffenhilfe durch Washington zu erhalten. Möglicherweise hätte das den chinesischen Bürgerkrieg verhindert.

Warum es dazu nicht kam? Oh, das lag an einem Mann namens Hurley in China. Ein absolut paranoider Idiot, wenn man mich fragt. Aber auch das lese man besser selbst nach. Es ist einfach ungeheuerlich …

Im dritten Teil des Buches, der den programmatischen Titel „Aus der Geschichte lernen“ trägt, geht es in die Tiefen der amerika­nischen Geschichte. Es geht um Vietnam, es geht um den Sinn von Kriegen und unter anderem darum, das Präsidentenamt ab­zuschaffen! Bekanntlich leider nicht gelungen.

Hier findet die engagiert politische Schriftstellerin Tuchman deutliche, scharfe Worte, die manchmal wirklich den Zuhörern in den Auditorien die Gesichtszüge haben erstarren lassen müs­sen. Eine kleine Kostprobe gefällig?

Barbara Tuchman hält im Januar 1983 vor der Foreign Service Association einen Vortrag mit dem Thema „Warum Politiker nicht zuhören“ und kommt hier unter anderem auf die Ratgeber des Präsidenten McKinley zu sprechen, der 1898 regierte. Zitat Tuchman: „Als Präsident McKinley entscheiden mußte, ob er 1898 die Philippinen annektieren sollte oder nicht, kniete er nach seinem eigenen Bericht gegen Mitternacht nieder und ‘be­tete zum Allmächtigen Gott um Erleuchtung und Anleitung’. Er wurde angeleitet zu beschließen, dass ‘uns nichts anderes blie­be, als sie alle zu übernehmen und die Filipinos zu erziehen, zu erheben und zivilisieren und sie zu christianisieren und mit Got­tes Gnade unser Bestes für sie als unsere Mitmenschen, für die Christus starb, zu geben’ … Genauere Beobachter als der All­mächtige Gott hätten McKinley sagen können, dass die Filipinos nicht scharf darauf waren, bekehrt oder auch zivilisiert zu wer­den oder die spanische Herrschaft gegen die amerikanische ein­zutauschen, sondern dass sie die Unabhängigkeit wollten …“5

Es fragt sich, wie viele von Tuchmans damaligen Zuhörern wohl Christen waren, die ihre Religiosität in dem Moment mit Füßen getreten sahen. Ich nehme an, es können nicht gerade wenige gewesen sein.

Solche Seitenhiebe und unwillkommenen Wahrheiten sind über­all zu finden, es wäre unmöglich und müßig, sie alle aufzuzäh­len. In einigen Briefen habe ich schon welche als Zitate ver­streut. Hier noch ein paar kleine Vignetten.

1967 urteilt die Autorin, den Bogen vom Kriegseintritt der USA 1917 in die Gegenwart vollführend: „Dass die Verantwortlichkei­ten einer Weltmacht das amerikanische Volk nicht glücklicher gemacht haben, ist keine Überraschung. Um mit ihnen zurecht­zukommen, haben die Vereinigten Staaten die Illusion der Isola­tion durch die neue Illusion der Allmacht ersetzt. Auch dieser Schleier muß fallen.“

Wohlgemerkt: Konstatiert vor 38 Jahren!

Oder: 1980 stellt sie lakonisch in einem Vortrag in Washington, D. C., gegen die Freunde des uneingeschränkten Fortschritts fest:

Wenn man genau hinsieht, hat alles Positive eine negative Un­terseite – manchmal in höherem Maße, manchmal in geringe­rem – , und nicht alle bewunderungswürdigen Unternehmen ha­ben auch bewunderungswürdige Motive. Einige haben traurige Folgen …“

Vielleicht am heftigsten ist sie aber, wenn sie Quellen der Ver­gangenheit liest und auswertet. Dann stößt sie beispielsweise auf einen vergessenen Schriftsteller namens William Trotter, der 1908 ein Buch mit dem beunruhigenden Titel „Herdeninstink­te in Krieg und Frieden“ verfasste.

Tuchman: „Trotter schilderte den Herdeninstinkt als eine irratio­nale Macht: ‘unselbständig, feige, grausam… und leicht beein­flußbar.’ Trotter schloss seinen berühmten Essay mit einem der düstersten Sätze, die je zu Papier gebracht worden sind: ‘Die Wahrscheinlichkeit ist sehr groß, dass der Mensch sich schließ­lich nur als ein Fehlschlag der Natur erweisen wird.’“

Bald darauf brach der Erste Weltkrieg aus und bestätigte ihn in entsetzlichen Dimensionen. Von seiner selbstgesetzten Bezeich­nung „Homo sapiens“ ist der Mensch heute wohl weiter entfernt denn je. Eine Besserung ist immer noch nicht in Sicht.

Und was ist das für eine garstige Feststellung, die sie 1969 bei einem Vortrag vor dem Pomona College macht? Es geht um „Historische Anhaltspunkte für die Unzufriedenheit von heute“ und ist vor dem Hintergrund der damaligen Studentenunruhen zu sehen:

Wir sind zu Recht erschreckt vor dem, was wir geschaffen ha­ben [gemeint ist die Atombombe, UL], und wir haben es seit sei­ner ersten Anwendung nicht wieder gebraucht. Die Strategie der Bombe aber hat ein Extrem der Abschreckung erreicht, das als Mutual Assured Destruction (gegenseitige sichere Zer­störung) bezeichnet wird und die plumpe Abkürzung MAD trägt: ‘verrückt’. Wir haben uns da anscheinend selber ein Etikett auf­geklebt für den Fall, dass irgendein zukünftiger Historiker einen Hinweis bräuchte …“

Ätzend? Möglich. In jedem Fall recht treffend.

Dies soll an Beispielen aus diesem wirklich sehr lesenswerten Band genügen, der ein wahres Füllhorn an intelligenten Äuße­rungen, professionellen und sehr feinfühligen Annäherungen an die menschliche Geschichte mit all ihren Unwägbarkeiten ist. Die größte davon ist die „Unerkennbare Variable“ – der Mensch selbst.

Wenn man diesen Essayband wieder aus der Hand legt, bedau­ert man all das, was Tuchman aussortierte und hier nicht ein­brachte. Wie schreibt sie etwa in ihrem Vorwort? „Zwei Essays, die ich eigentlich gerne in diesem Band gesehen hätte, sind ‘The Book’ von 1979 und aus dem gleichen Jahr ‘An Inquiry into the Persistence of Unwisdom in Government’ (Eine Untersuchung über die Beharrlichkeit der Unweisheit in der Re­gierung). Der erste erschien mir für diese Sammlung nicht his­torisch genug. Der zweite, der nun zum Kern eines zukünftigen Buches geworden ist, ist zur Zeit zurückgezogen, bis er aus sei­ner Verpuppung wieder auftaucht.“

Wunderschöne Sätze, und das Buch wimmelt davon. Wer sich gerne unterhalten lassen möchte, gleichzeitig dabei einiges über Weltgeschichte aus amerikanischem Blickwinkel entdecken will und auch ein wenig Verständnis für die heutige amerikani­sche Weltpolitik zu erhalten wünscht, ist bei diesem Werk bes­tens am Platze. Barbara Tuchman lohnt eine Entdeckung. Ihr werdet sie nicht mehr missen wollen, davon gehe ich aus.

© 2004 by Uwe Lammers

Ich weiß, ich hätte dieses tolle Buch längst vorstellen sollen … aber, liebe Freunde, ihr macht euch ja keine Vorstellung davon, wie viele Rezensionen ich zu tollen Büchern geschrieben habe, die noch ihrer Veröffentlichung hier harren. Ich wechsle hier sinnvollerweise immer mit etwas lockererem „Lesefutter“ ab, damit ihr mit dem Lesen auch hinterherkommt. So dann auch in der kommenden Woche, wo wir zu Irene Cao zurückkehren.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Vgl. dazu den Rezensions-Blog 363 vom 3. August 2022.

2 Vgl. dazu den Rezensions-Blog 76 vom 7. September 2016.

3 Wem diese Sätze irgendwoher bekannt vorkommen … ich habe hier von mir selbst geklaut, aber mit gutem Recht. Bislang galt diese Bemerkung alleine für Diana Gabal­don. Tuchman ist zwar ganz anders, aber doch auch sehr ähnlich, insbesondere, was die Lesbarkeit angeht.

4 Der Verlag machte hierbei selbst einen Fehler, als er Tuchmans Essay „Israel – das Land der unbegrenzten Unmöglichkeiten“ kurzerhand in „… das Land der unbegrenz­ten Möglichkeiten“ umtaufte und damit bewies, dass manche Leute andere Sachen LE­SEN, als sie vor ihren Augen geschrieben stehen. Ich schmunzelte bei der Entdeckung.

5 Wem dieses Problem irgendwie sehr bekannt vorkommt, sollte sich mal die amerikani­sche Politik im Irak und in Afghanistan anschauen. Die gegenwärtige, wohlverstanden. Hervorhebung im Zitat: UL.

Blogartikel 571: Blitzideen

Posted Juli 14th, 2024 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

Gewitter in der Seele haben etwas Beunruhigendes an sich – in der Regel kann man so etwas kaum kontrollieren, und kanalisie­ren lässt sich das, was, daraus entsteht, üblicherweise auch kaum. Doch insgesamt gesehen betrachte ich als kreativer Schreiber, der sich eher als impulsgetrieben versteht, weniger als penibel von vorn bis hinten durchplanender Autor, solche Momente tendenziell positiv.

Es gibt, das schrieb ich vermutlich schon gelegentlich, in mei­nen Augen zwei Sorten von Schriftstellern. Die vermutlich meis­ten, die professionell erfolgreich sind, verstehen sich aller Wahr­scheinlichkeit nach als solide, ihr Handwerk verstehende Arbei­ter, die wie Steinmetze geschickt und geduldig am Felsblock der deutschen Sprache meißeln. Sie tun dies üblicherweise nach ei­nem klar konturierten Plan. Sie legen im Vorfeld das Setting fest, entwickeln die Protagonisten, planen Kapitel für Kapitel akribisch und legen idealerweise fest, wie lang die einzelnen Ka­pitel sein sollen, welche Spannungshöhepunkte sie enthalten, wie sie sukzessive die Handlung vorantreiben bis zum katharti­schen Höhepunkt und der Auflösung der Geschichte.

Das ist eine bewundernswert konzentrierte Form des Schreibens … aber sie ist eher wenig zugänglich für Blitzideen, die wie fun­kelnde Götterhiebe in die Seele einschlagen und von einem Mo­ment zum nächsten aufflammen, von denen vorher einfach nichts zu sehen ist. Sie kommen wie ein Angriff aus dem Hinter­halt und zerschießen jede normale Planung.

Ich habe gerade keine Zeit zum Schreiben?

Wenn eine Blitzidee einschlägt, wird das fortgefegt wie von ei­ner Sturmböe. Auch der Vergleich mit einer wilden Springflut, die den arglosen Wanderer überrascht, oder einer Lawine, die Skifahrer zu verschlingen droht, passt hierauf recht gut.

Wie eine Naturgewalt kümmern sich solche Blitzideen nicht um Zeit, um die eigene Verfasstheit, um Situationen oder darum, dass sie tunlichst nur dann aufschimmern sollten, wenn es op­portun ist. Blitzideen sind Anarchisten der Seele.

Das klingt jetzt alles ziemlich furchtbar und einschüchternd, ich weiß. Aber das ist nur eine Seite der janusgesichtigen Münze, die Blitzideen auf der anderen Seite auch darstellen. Denn ja, es gibt auch etwas Positives daran.

Blitzideen durchwühlen die kreative Seele wie eine Sturmflut das Ufer, das Sediment, die bisher ruhig und gesetzt abgelager­ten Gedanken. Und sie fördern Verborgenes zutage oder ma­chen Dinge erst möglich, die man vorher vielleicht für undenk­bar gehalten hat.

Da ich in den letzten vier Wochen zwei solche Blitzidee-„Atta­cken“, wie ich das jetzt mal plakativ nennen möchte, erlebte, ist die Erinnerung daran noch frisch. Und in beiden Fällen entstan­den erstaunliche Texte, die vorher nicht einmal im Ansatz zu se­hen waren. Das gilt insbesondere für den zweiten.

Im ersten Fall war diese Blitzidee eigentlich eine Art geballter bildhafter Hintergrundentladung aus meinem Oki Stanwer My­thos (OSM). Eigentlich gehört dies in den Bereich der Kosmolo­gie-Lektionen meines Blogartikel-Korpus, denn es geht hierbei um die Durchleuchtung einer kosmischen Manipulation, die we­nigstens 85 Milliarden Handlungsjahre umfasst, also einen sehr erheblichen Teil des OSM, der ja über einen Gesamthandlungs­rahmen von ca. 165 Milliarden Jahren verfügt.

Ich wurde an diesem Tag Anfang Februar schlagartig von Bildern und komplexen Gedankenstrukturen geradezu bestürmt, dass ich kurzerhand alle anderen Arbeiten, Pläne und Texte fahren ließ und mich ausschließlich hierum kümmerte.

Mit etwas Nachfeilen am gleichen Tag, nachdem ich die groben Daten und Informationen niedergeschrieben hatte, erreichte der Text quasi aus dem Stand den Endumfang von 18 Textseiten. Dabei wurde wirklich ALLES andere gleichgültig. Dass ich von morgens um 8 Uhr bis 13 Uhr regulär gearbeitet hatte, interes­sierte mich in dem Moment nicht mehr, als ich kurz nach der Heimkehr wie wild zu schreiben begann.

Spät am Abend, als draußen alles schon finster war, beendete ich den Feinschliff an dem Text, der „Spurwechsel“ heißt und wohl einer der wichtigsten und einflussreichsten Texte der letz­ten Jahre ist, den ich zum OSM geschrieben habe. Die darin an­gelegten Implikationen werden mich noch viele Jahre beschäfti­gen. Ich gönne euch mal einen kleinen Einblick in diesen Text, damit ihr eine textliche Vorstellung bekommt, wie so eine Blitzi­dee in realiter ausschaut. Und glaubt mir: Die Nachbearbeitung war wirklich minimal:

Der Gedanke kam über mich wie ein Blitzschlag, der sich in einem Alptraum ereignet und mich zutiefst aufschreckte. Wie immer, wenn ich tiefe Erkenntnisse in Texten des OSM entdecke, die ich digitalisiere – was in den vergangenen fünf­zehn Jahren schon häufiger vorgekommen ist – reagiere ich mit Überraschung, Verwirrung und Verunsicherung darauf. Jedenfalls solange, bis es mir gelingt, die Angelegenheit zu rationalisieren und gründlicher zu durchdenken. In der Re­gel kann ich diese Entdeckungen dann mit dem aktuellen Bild des Oki Stanwer Mythos konsolidieren und in das bestehende System einpassen.

Dann aber gibt es Dinge, die ich entdecke, die so fundamental sind, so unge­heuerlich, dass ich mich tagelang instinktiv dagegen sträube, sie auszuformulie­ren, niederzuschreiben. Weil sie so gigantisch, so unglaublich sind, dass ich nicht recht weiß, wo ich beginnen soll.

Als ich während der Schreibarbeiten am KONFLIKT 23 „Oki Stanwer – Der Dämonenjäger“ im Jahr 1989 die Hexe Davina ins Innere der Matrix (!) ent­kommen ließ, wo sie auf gestorbene und wieder reinkarnierte Ritter vom Gold­kristall (!) stieß, auf gestorbene Baumeister und schließlich dort auch ihre und Oki Stanwers Tochter Sarai zur Welt brachte, wurde mein OSM-Weltbild ziem­lich geschwind auf den Kopf gestellt. In rascher Folge geschahen nicht nur in diesem KONFLIKT, sondern auch in anderen Weltensystemen wie dem KON­FLIKT 22 „Oki Stanwer – Der Schattenfürst“ und KONFLIKT 21 „Oki Stanwer – Fürst von Leucienne“ sowie im gerade begonnenen, rätselhaften KONFLIKT 28 „Oki Stanwer – Der Siegeljäger“ Dinge, die ich zum Teil wirklich kaum fas­sen konnte.

Im Fortgang des KONFLIKTS 23, während ich parallel an zahlreichen ande­ren KONFLIKTEN schrieb, erschienen so bizarre Dingen wie „Dämonenschat­ten“, „GRALSJÄGER“, das „SYNDIKAT“, die „AKADEMIEN“, die „AUTAR­CHEN“ und schließlich die „AUTARCHEN-Energokrieger“ und, am Rand auf­schimmernd, die bizarren „TUURINGER“.

Auf einmal war aus dem bis dahin eher linear „dahindümpelnden“ KON­FLIKT, der sich über 33 Universen ausdehnen sollte, etwas geworden, was ich nie für möglich gehalten hatte: ein transuniverseller Zeitkrieg. Eine bizarre, verrückte Welt, in der die Kausalität auf den Kopf gestellt wurde. Eine Welt, in der Reisen über die Universengrenzen in vergangene, untergegangene Univer­sen möglich wurden. Eine Welt, in der die bisherige Nonpulsultra-Technologie der Baumeister … wie soll ich sagen … seltsam altbacken aussah.

1994, als der KONFLIKT 23 endete und in den abenteuerlichen, immer noch in Arbeit befindlichen KONFLIKT 24 „Oki Stanwer – Der Neutralkrieger“ überging, da war mir klar, dass das ursprüngliche KONFLIKT-Schema, das ich 1985 etwa entwickelt hatte, nur ein Provisorium gewesen war. Die Welt, in der ich mich jetzt bewegte und in der ich vorwärts und rückwärts in der Zeit hin und her switchte, war völlig anders als alles, was ich bislang gekannt hatte.

Das Faszinierende an dem neuen transuniversalen Konzept des OSM war je­doch dies: Es machte auf einmal verblüffend viele Details der Vergangenheit auf geradezu abenteuerliche Weise BEGREIFLICH, ja, LOGISCH.

Ich pflegte in Gesprächen und Briefen immer wieder Freunde mit der lakoni­schen Bemerkung zu überraschen, dass ich gewissermaßen spürte, dass ich be­stimmte Sachverhalte auf eine ganz bestimmte Weise beschreiben müsste, ob­wohl ich sie ad hoc nicht erklären könne. Sie fühlten sich einfach auf eine ganz bestimmte Weise RICHTIG an, wenn ich das schrieb, doch von einem wirklichen Verständnis war ich im Moment des Schreibens oft sehr weit entfernt. Ich fühlte nur intuitiv: irgendwo in dem Wust an Informationen lag die Lösung für die Frage, warum ich gerade das jetzt so und nicht anders schreiben musste.

Ein gutes Beispiel hierfür sind die Totenköpfe. Als ich 1982 mit dem OSM be­gann, und auch noch früher, während der Gedankenspiele mit meinem Bruder, hielt ich Totenköpfe schlicht für Untote. Wenn man ihre knöcherne Monsterge­stalt anschaut, eine sehr nahe liegende Vermutung. Aber ich fühlte, dass das ir­gendwie nicht die ganze Wahrheit sein konnte.

Und dann die Art und Weise, in der sie sich rückstandslos auflösten und ihre Materie nach TOTAM zurückkehrte … das hatte wirklich rein gar nichts mit der plumpen Art der Vernichtung von Untoten zu tun, die ich aus den Heftromanen kannte, die ich damals las.

Auch war zwar viel von „Magie“ im frühen OSM die Rede, von Knochen­magie, Siegelmagie usw. … aber auch hier spürte ich recht deutlich, dass das ei­gentlich nicht so ganz die Wahrheit darstellte.

Als ich mich vom Horror-Heftromanhintergrund distanzierte und bemüht war, die OSM-Phänomene physikalisch zu begründen, kam ich der Lösung näher und fand sie schließlich in den 90er Jahren während der Arbeit an KONFLIKT 23. Ich entdeckte die schwarze Matrix, die TASSYJAARE und die unglaubliche Er­kenntnis, dass TOTAM-Kristall im Grunde stabilisierte schwarze Quanten dar­stellt, in die, was noch viel abenteuerlicher war, Mikroversen eingeschlossen waren – ganze Welten früherer KONFLIKTE, gleich Insekten im Bernstein, aber begehbar, lebendig, bevölkert … der Röntgenraum im KONFLIKT 23 oder die unheimliche Vier-Stunden-Welt im KONFLIKT 21 waren nur wenige Beispiele … da gibt es noch endlos viel zu entdecken.

Die Totenköpfe nun als Teile des Planeten TOTAM zu sehen, die – wie der Planet selbst – dem Magnet-Effekt unterlagen (den ich aus dem ersten KON­FLIKT, KONFLIKT 15 „Oki Stanwer“, bereits seit 1983 kannte!), das war ein echter Erkenntnis-Booster.

Und ja, jahrelang dachte ich nun, während sich der Komplex um die transuniversalen Zeitkriegsfronten immer weiter ausdehnte, während positive GRALSJÄGER, SYNDIKATS-GRALSJÄGER, Kybernoiden, AUTARCHEN und AUTARCHEN-Energokrieger sich in verschiedensten Zeitebenen befehdeten, plünderten und ermordeten, jahrelang dachte ich nun: Das scheint es jetzt ge­wesen zu sein. Das ist die finale Form des OSM.

aber, wie oben angedeutet, das war einfach nur die ur­sprüngliche Annahme, gewissermaßen das Präludium zu den ei­gentlich noch folgenden Gedanken. Denn der Text zum „Spur­wechsel“ fügt diesem temporalen Wahnsinn noch eine zentrale Komponente hinzu, die ich zwar in zahlreichen bizarren Details schon vor über 25 Jahren angelegt hatte … doch diese Andeu­tungen wurden erst durch die jetzt mittels der Blitzidee auf­flammenden Durchleuchtung der Hintergrundstruktur sichtbar und begreiflich.

Dass ich da einigermaßen betäubt war, ist vielleicht nun andeu­tungsweise begreiflich. Ich möchte hier in diese sehr komplexen Zusammenhänge auch gar nicht tiefer eindringen, das ist ein noch zu frisches, zu neues Thema, an dem ich gründlich weiter herumdenken muss. Es ist lediglich das Beispiel für die erste Blitzidee.

Die zweite hingegen kam buchstäblich aus dem Nichts. Ich kann wirklich gar nicht sagen, wie das zustande kam. Außer, dass ich auf einmal – völlig unabhängig von allen filmischen oder lektü­retechnischen Anregungen – plötzlich an eine Mumie denken musste. An eine Mumie und einen Gestaltwandler und Coventry.

Spontan ergibt das überhaupt keinen Sinn. Aber als ich am 1. März schon zu nachtschlafender Zeit kurz nach Mitternacht mor­gens mit dem Schreiben an der Geschichte begann, da entwickelte sie sich unglaublich stürmisch, und diesmal wusste ich GENAU, wohin ich wollte. Der Weg war nicht so eindeutig konturiert, aber während ich Zeile um Zeile in den Computer eintippte, wurde es deutlicher und deutlicher … und als ich spä­ter am Tag dann von der Arbeit zurückkehrte, schloss ich den Handlungsbogen ab und schliff bis spät abends die Geschichte fertig. Am Ende des Tages war Die Sache mit der Mumie“ ebenfalls 18 Seiten lang, und ich musste ständig kichern bei dem alleinigen Gedanken an den Titel.

Und auch aus dieser Blitzidee möchte ich euch einen kurzen Auszug zum Besten geben, damit ihr einen kleinen Eindruck in das ungewöhnliche Setting dieser Story bekommt, die sich blitz­artig in meinem Verstand materialisierte:

Die dämlichste Geschichte meiner Laufbahn wollt ihr hören? Ach, glaubt mir, da gab es so dermaßen viele, da fällt es mir wirklich schwer, irgendetwas zum Besten zu geben. Bedenkt doch einfach, dass ich vierundneunzig Jahre verdeckter Ermitt­ler auf unzähligen rückständigen technologischen Welten gewe­sen bin … da kommt eine Menge an kuriosem Zeug zusammen.

Von exotischen Welten könnte ich euch ganze Romane erzäh­len, von verrückten Sitten und Gebräuchen, mit denen ich da konfrontiert worden bin. Die Welten sind wirklich voller un­glaublicher Dinge, und es ist für meinen Job ja nötig gewesen, da immer eine gewisse Anpassung vorzunehmen.

…ja, ganz genau, das sind Undercover-Aufträge gewesen, und die meisten davon hatten natürlich politische Hintergründe. Manches ist davon bis heute streng geheim, das versteht sich von selbst. In vielen Fällen gab es sogar eine semitelepathische Gedankensperre, die bis heute hält. Das bedeutet, wenn ich ir­gendwie in diese Richtung denke, setzt eine automatische men­tale Blockade ein, die sogar verhindert, dass Telepathen unaus­gesprochene Worte von mir abfangen können. Das fand ich da­mals ungemein praktisch … behindert natürlich vollständig ir­gendwelche Pläne, eine Autobiografie zu schreiben. Aber dafür bin ich sowieso nicht der Typ, das wisst ihr ja …

Doch, doch, so etwas wie diese Gedankensperre, die ich eben erwähnte, das ist nicht so exotisch, wie das jetzt klingt, Freun­de. Es gab da mal einen Fall auf Aurigae III, in den eine telepa­thische Kolonistengruppe verwickelt war – da kam ich mir wie ein Schlafwandler vor, weil die Informationsblöcke, die in mei­nem Unterbewusstsein eingelagert worden waren, nur situativ aktiviert wurden, durch unvorhersehbare Stimuli von außen … daran denke ich echt nicht gern zurück. Und kann es im übrigen auch gar nicht richtig, denn wie ich eben sagte – da greift heute noch die semitelepathische Blockade.

Für viele Fälle gilt das aber nicht. Die meisten, in denen ich es mit gewöhnlichen Kriminellen zu tun hatte, etwa … also, die sind im Grunde wirklich unspektakulär. Ich habe manchmal, wenn ich bei solchen Besuchen wie bei euren von meiner Ver­gangenheit spreche, das Gefühl, dass diese Fälle nach außen viel spektakulärer klingen, als sie das in Wahrheit waren. In den weitaus meisten Fällen hatte das sehr viel mit dem Auswendig­lernen kultureller Besonderheiten zu tun, mit wochenlangem historischem Studium der entsprechenden Spezies. … ja, und natürlich mit dem entsprechenden Morphen in die passende Form.

Es hat schon gewisse Vorteile, ein Formwandler wie ich zu sein. Jetzt, wo ich auf die 200 zugehe, habe ich natürlich schon sehr nachgelassen, das hat nicht nur mit der körperlichen Agili­tät zu tun, sondern auch mit der Metamorphfähigkeit. Bin halt kein Jungspund mehr, nicht wahr, der im Handumdrehen von ei­ner Reptiloidengestalt in einen Insektoid switchen kann. Auf den meisten Welten kann man das übrigens mit der Zeugungs­fähigkeit der maskulinen Lebensformen vergleichen – die lassen in der Regel auch stark nach, je älter sie werden, sehr zum Leidwesen der oftmals viel jüngeren Weibchen.

…warum ich da gerade lächle? Ach, ich musste da eben an eine schöne kleine Begebenheit auf einem Randplaneten der Galaxis denken. Welchem? Na, den kennt ihr bestimmt nicht. Er gehört nicht zur Konföderation, damals nicht und heute auch noch nicht. Ich denke, die Planetarier strampeln sich vermutlich heute nach wie vor damit ab, ihre systemischen Randwelten mit unbemannten Sonden zu erkunden. Sie brauchten damals, als ich da im Einsatz war, doch echt MONATE Flugzeit, um zu ihrem nächsten Nachbarplaneten zu gelangen.

Warum das? Ach, sie machten solche Swing-by-Manöver und nutzten die Schwerkraftfelder ihrer benachbarten Planetenbah­nen aus … keine Chance, mit den vorhandenen Mitteln geradli­nige Kurse durchs System zu nehmen. Vergleichsweise armseli­ge Stellartechnik. Seht ihr, da nickt ihr alle beifällig. Aus solcher technologischer Rumpfzeit sind unsere Völker schon seit zahllo­sen Jahrhunderten raus, und mit Recht.

Wie diese Welt hieß? Lasst mich mal kurz nachdenken … ach ja, jetzt habe ich es. Erde heißt diese kleine Welt.

Doch, Erde … ernsthaft. Das war jedenfalls einer der Namen, andere bezeichneten sie als Terra oder einfach nur „Welt“ … ja, sonderlich einfallsreich waren oder besser: sind sie wohl bis heute nicht, das gebe ich sofort zu. Provinzler halt.

genau, genau, mein guter Freund … ach ja, und davon überzeugt, das einzige intelligente Volk im Kosmos zu sein, das sind sie natürlich ebenfalls. Darüber kann unsereins selbstver­ständlich nur vergnügt grinsen. Aber ihr müsst diese Provinzler verstehen – wenn ihr einen Molchteich in eurem Habitat hättet, würden diese Molche doch wohl auch glauben, die Welt bestün­de nur aus dem Teich, in dem sie leben, oder? Wie sollten sie auf die Idee kommen, dass es weit von ihnen entfernt noch wei­tere Teiche oder Seen oder gar Meere gibt, in denen ganz natür­lich auch Leben entstanden ist?

Also, ich kann diese Provinzler durchaus verstehen, und sie tun mir durchaus leid.

Was habe ich damals auf dieser Welt gesucht? Nun, natürlich nicht rein amouröse Abenteuer, über diese Erinnerung kam ich ja nur erst auf diesen Hinterwäldlerplaneten … nein, nein, es gab da schon einen ernsten Anlass. Ich verfolgte damals einen Tassyloorer, ein ziemlich übles, gewalttätiges Subjekt, eine rich­tige Verbrechertype, so müsst ihr ihn euch vorstellen. Ich hatte ihn fast schon erwischt und einen Teil seines Triebwerks gerös­tet, als er doch tatsächlich auf diesem Planeten Erde einen Un­terschlupf suchte.

Ihr kennt Tassyloorer natürlich – heimtückische und gewalttä­tige Kerle … sie haben aber einen kapitalen wunden Punkt: Sie sind meistens zu faul, sich ordentlich in die kulturellen Eigen­heiten einer Welt und Sozialkultur einzuarbeiten. Und da ich den Kerl, dessen Namen ich hier aus Personenschutzgründen nicht nennen darf, überrascht und bis hierher verfolgt hatte, musste er natürlich improvisieren.

Bei Tassyloorern geht das meistens schief.

Der hier war freilich äußerst gerissen, das sollte ich vielleicht vorab sagen. Ich hatte ihm aber voraus, dass ich die Erde schon ein paar Jahrzehnte kannte. Hier war ich bereits mehrmals im Undercover-Einsatz gewesen, und es gab auch eine getarnte Dienststelle in einer Stadt namens Coventry … die war aller­dings aus politisch-militärischen Gründen einige Planetenjahre zuvor schwer beschädigt worden im Rahmen eines kriegeri­schen Konfliktes der Einheimischen.

Ein regional nahe beheimatetes Volk hatte sich zu einer konti­nentalen Hegemonialmacht aufgeschwungen und Städte wie Coventry, die im Feindgebiet auf einer nahen großen Insel la­gen, mit Bombardement überzogen. Die Stadt hatte es übel er­wischt, und das hatte auch die Dienststelle weitgehend zer­stört, die seither unterbesetzt war. Hier harrte nur noch ein Ex­perte der Konföderation aus der Kulturabteilung aus und tat das, was die Militärs gern „die Stellung halten“ nennen. Er war­tete geduldig darauf, dass den Planetariern die Puste ausging. Er wusste, diese Dinge würden nicht von Dauer sein – dafür ist die Lebenszeit der Menschen viel zu gering.

Der kriminelle Tassyloorer nahm jetzt an, nicht ganz zu Un­recht, dass in einem durch den Krieg zerrütteten Gesellschaft wohl jemand, der sich etwas … ungewöhnlich benahm, kaum auffallen würde. Es gab hier Flüchtlingsströme, Heimatlose, die ethnische Durchmischung des gesamten Kontinents war reich­lich desolat, insofern hätte das durchaus funktionieren können.

Und nein, natürlich verrate ich euch jetzt nicht, wie die Ge­schichte weiter verlief und was unser jetzt im Ruhestand befind­licher Formwandler-Agent mit dem verbrecherischen Tassyloorer auf der Erde erlebte und warum darin dann ausgerechnet eine Mumie die entscheidende Rolle spielte.

Diese Geschichte werde ich in diesem Jahr alsbald publizieren, und dann könnt ihr das alles ausführlich nachlesen (Nachtrag: Das ist inzwischen passiert – nachzulesen ist sie im Fanzine BWA 488, Mai 2024). Tatsache ist, dass ich aus der Sache nicht mehr herauskam, als ich erst mal den ersten Absatz geschrieben hatte … selbst ein einstündiges Telefonat, das den Schreibprozess unterbrach, konnte daran nichts ändern.

Das charakterisiert Blitzideen: Sie sind wie Prägestempel, die in die Seele des Schreibenden gehämmert werden und erst an Ein­dringlichkeit nachlassen, wenn man sie vollständig ausformu­liert, nachgeschliffen und ausgedruckt hat. Vorher quälen sie, nerven, lenken von allem anderen gründlich ab.

Ihr versteht vielleicht deshalb, dass ich für solche vermeintlich störenden situativen Einfälle sehr dankbar bin. Im Fall des „Spurwechsels“ veränderte Blitzidee 1 meine Vorstellungen von den Grundfesten des OSM fundamental und mit noch unkalku­lierbarer Langzeitwirkung.

Und die „Mumie“ brachte mich völlig überraschend zu einer fri­schen, neuen und sehr amüsanten Geschichte, die ich gewisser­maßen aus dem Ärmel schüttelte … völlig unbeeindruckt von Tageszeit oder Tagesform. Ich kam aus der Geschichte nicht mehr raus, bis ich die Mumie zu sehen bekam … und dann konnte ich nur noch hemmungslos kichern. Über die phantasie­lose Dämlichkeit des Tassyloorers … ah, ihr werdet das begrei­fen, wenn ihr die Geschichte lest.

Zu wissen, dass es jederzeit weitere solche seelischen Blitzein­schläge geben kann, Blitzideen, selbst noch im nicht mehr jun­gen Alter von annähernd 58 Lenzen, das entzückt mich und gibt mir Hoffnung, noch lange nicht zum alten Eisen zu gehören.

Ohne Frage werdet ihr von diesem Themenkomplex beizeiten mehr hören. Warten wir ab, aus welcher Richtung die Blitzschlä­ge dann wohl kommen mögen …

Soviel für heute, Freunde. Ich danke euch für die Aufmerksam­keit, die ihr mir geschenkt habe und verabschiede mich bis zur kommenden Woche an dieser Stelle.

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Rezensions-Blog 464: Geheimakte Odessa

Posted Juli 9th, 2024 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

wie ich kürzlich schon sagte (letzte Woche), dass es dieses Mal sehr viel mehr Bodenhaftung und Gegenwartsbezug geben wür­de in dem Buch, das ich vorstelle, so verhält es sich tatsächlich. Das Werk ist erst anno 2018 auf Deutsch erschienen und wurde schließlich Ende 2022 von mir gelesen … was der Lektüre er­staunlich gut tat, die dadurch an manchen Stellen eine wirklich gruselige Aktualität gewann.

Es geht um das untergehende Zarenreich 1917. Und es geht um einen Konflikt mit der Ukraine und Russland … also, wenn so et­was nicht gerade die Medien beherrscht – wenn wir jetzt mal vom leider noch aktuelleren Gaza-Krieg absehen – , dann weiß ich es auch nicht. Ich wurde jedenfalls vielfach bei der Lektüre dieses packenden Buches an die aktuelle Gegenwartspolitik er­innert.

Und das ist nun wirklich vollkommen anderer Stoff als „König Davids Raumschiff“ aus der Vorwoche. Das hier ist Action pur, und wer sich in dieses Buch verirrt, sollte es nicht als Feieraben­dlektüre fürs Bett aufsparen … sonst habt ihr womöglich eine schlaflose Nacht vor euch, weil ihr mit der Lektüre nicht mehr aufhören könnt. So wäre es mir beinahe ergangen.

Worum genau geht es also? Nun, schaut mal her:

Geheimakte Odessa

(OT: Odessa Sea)

Von Clive Cussler & Dirk Cussler

Blanvalet 0615

512 Seiten, TB, 2018

ISBN 978-3-0615-6

Aus dem Amerikanischen von Michael Kubiak

 

Vorbemerkung:

Es ist mitunter interessant, wenn man Romane nicht sofort nach Erscheinen liest, sondern sich damit ein paar Jahre Zeit lässt. Das ist an dem vorliegenden Werk ganz besonders zu spüren und hat ihm bei der Lektüre eine unerwartete Aktualität verlie­hen. Die Geschichte ist noch aus anderen Gründen recht ver­schieden von einem landläufigen Clive Cussler-Roman, und ich fand, dass das der Story ausgesprochen gut getan hat.

Worum es im Buch geht:

Im Februar 1917 ist das Zarenreich in Russland dabei, einzustür­zen. Die Dynastie der Romanows wankt empfindlich, und ohne ausländische Hilfe kann sie sich nicht mehr an der Macht halten. In dem Moment, wo die bolschewistische Revolution schon an Fahrt gewonnen hat, wird ein geheimer Konvoi von Schiffen über das Schwarze Meer in Richtung Bosporus gesandt, ge­schützt durch den Zerstörer „Kerch“. Das erweist sich als nötig, denn das Osmanische Reich zählt immerhin zu den Verbündeten des Deutschen Reiches, und so wird der Konvoi auch folgerich­tig angegriffen und die „Kerch“ dabei versenkt.

Im zweiten Prolog, im April 1955 spielend, befindet sich eine russische Tupolew-Maschine ebenfalls im Raum des Schwarzen Meeres auf einem Testflug. Doch sie wird im Gewitter von einem Blitz getroffen und stürzt ab. Das Schwarze Meer wird auch in diesem Fall zum Grab und nimmt ein Geheimnis mit in die Tiefe.

Die eigentliche Romanhandlung beginnt im Juli 2017: Der Frach­ter „Crimean Sea“ ist von der Ukraine ausgelaufen mit Kurs auf den Bosporus, als er in einen Sturm gerät und kurz darauf von einem unheimlichen, substanzlosen Tod attackiert wird. Es kann nur noch mit letzter Kraft ein Notruf abgesetzt werden, dann ist die Besatzung tot.

Zum Glück für das Schiff hat ein NUMA-Forschungsschiff, die „Macedonian“, den Notruf empfangen, und Direktor Dirk Pitt se­nior, der hier an Bord ist, um die Suche des bulgarischen Ar­chäologen Georgi Dimitow zu unterstützen, eilt dem Havaristen zu Hilfe. Dabei kommen sie beinahe ums Leben, denn eine jähe Explosion zerstört das Schiff und versenkt es … im letzten Mo­ment können sie noch einen schwer verletzten Matrosen retten. Dann verschlingt die See das Schiff.

An der bulgarisch-türkischen Grenze haben es derweil die Euro­pol-Sonderermittlerin Ana Belowa und ihr Kollege Petar Ralin mit der Verfolgung von Waffenschmugglern zu tun. Als die „Cri­mean Sea“ sinkt, erfahren sie davon und werden darauf ange­setzt. Da das Schiff allerdings gesunken ist, bitten sie die For­scher von der NUMA um Hilfe. Pitt, der das Ereignis ohnehin seltsam fand, kommt dem Ansinnen nach … und gerät nun in ein Abenteuer, das an lebensbedrohender Action kaum zu über­bieten ist. Denn es zeigt sich schnell, dass das Schiff nicht durch einen Unglücksfall untergegangen ist. Stattdessen beförderte es ebenfalls Schmuggelgut – eine Ladung waffenfähigen Plutoni­ums, das an den Iran verhökert werden soll, damit auf diese Weise die ukrainische Regierung (!) Waffen für den Kampf ge­gen die prorussischen Separatisten in der Ost-Ukraine (!) erhält.

Spätestens hier denkt man irgendwie, man befinde sich fast in der Gegenwart. Schließlich hat leider in der Realität Russland zusammen mit den Separatisten im Februar 2022 mit einer In­vasion der Ukraine begonnen. Der vorliegende Roman weiß davon natürlich noch nichts, aber die Annexion der Krim-Halbin­sel durch Russland ist hier klarer Hintergrund, was auch explizit so angesprochen wird, ebenso der (gleichfalls leider reale) Ab­schuss eines Passagierflugzeugs über der Ukraine, der klar den Separatisten nachgewiesen wurde. Ich hatte hier manchmal schon das Gefühl, dass diese Geschehnisse die Autoren deutlich in ihrer Darstellung beeinflusst haben.

Sind also nun die Machthaber in Kiew die Bösen in der Ge­schichte? Das könnte man jetzt naiv vermuten, aber so verhält es sich nicht. Nein, auch wenn das jetzt verwirrend klingt. Die Geschichte ist deutlich vertrackter, und letzten Endes wird man erkennen müssen, dass auf ungewöhnlich realistische Weise alle Fraktionen von Protagonisten mehr oder minder düstere Seiten besitzen und eine fragwürdige Moral (von Pitt & Co. mal abgesehen).

Schauen wir uns also mal die Gegenseite an.

Da haben wir beispielsweise den Niederländer Martin Hendriks, dessen Hauptniederlassung der von ihm geleiteten Hightech-Fir­ma Peregrine Surveillance Corporation auf den Bahamas ist. Auf den ersten Blick sorgt der Hersteller armierter Drohnen (!) nur für Verwirrung, weil er gar nicht ins Bild zu passen scheint. Das täuscht jedoch. Er ist dabei, Geschäfte mit der ukrainischen Re­gierung – konkret: Mit Kommandant Arsenij Markowitsch vom Bataillon Ajdar (heute würden wir wohl „Asow-Regimenter“ (!) dazu sagen, schätze ich) – zu machen. Gleichzeitig liefert er aber auch Waffen an die russische Seite (!). Was ihn nicht daran hindert, außerdem noch Drahtzieher hinter dem Nukleardeal mit den Iranern zu sein.

Weitere Verhandlungspartner von Hendriks sind Valentin Manke­do und Ilya Vasko von der Bergungsfirma Thracia Salvage, die hinter dem Anschlag auf die „Crimean Sea“ stecken und sich recht schnell heftig mit der NUMA balgen, um es sehr vorsichtig auszudrücken. Sie sind gewissermaßen die Haupt-Bösewichte der Geschichte, aber was für eine Waffe sie einsetzten, um die Schiffsbesatzung zu ermorden, bleibt lange rätselhaft.

Und dann wird die Geschichte sehr abenteuerlich – denn ob­gleich es Ana Belowa und Dirk Pitt durchaus gelingt, das Uran sicherzustellen, sind sie längst auf ein weiteres Rätsel gestoßen. Dicht neben dem Wrack der „Crimean Sea“ liegt nämlich ein Wrack aus dem Ersten Weltkrieg – die „Kerch“. Und aus dessen Lagerräumen hat Mankedos Bergungsunternehmen den Safe gehoben, in dem eine Geheimakte enthalten ist, die auf einen Schatz aus der Zarenzeit hindeutet. Das ist freilich nur ein Teil des Geheimnisses, das noch für sehr viel Verheerung und Tod sorgen wird.

Allerdings hat Pitt auch das von dem Wissenschaftler Dimitow gesuchte osmanische Segelschiff entdeckt, das sich in der sau­erstoffarmen Umgebung auf dem Grund des Schwarzen Meeres perfekt erhalten hat … aber verrückterweise liegt auf Deck die gut erhaltene Leiche eines russischen Fliegers. Das wiederum führt nun Dimitow auf die Spur eines weiteren Geheimnisses der Vergangenheit, von dem Pitt lange keine Ahnung hat.

Und dann ist da ja auch noch jene Handlungsspur vor Norwe­gen, wo die Pitt-Kinder Summer und Dirk junior ozeanografische Strömungen untersuchen und dabei zu ihrer Verblüffung auf ein Schiffswrack aus dem Ersten Weltkrieg stoßen. Es handelt sich, wie sie herausfinden können, um die „Canterbury“, die von ei­nem deutschen U-Boot torpediert wurde. Als Dirk junior und Summer hinabtauchen, um das Wrack zu untersuchen, finden sie zu ihrer Verblüffung einen Goldbarren mit dem Prägestempel der Romanows … und gleich darauf wird die „Canterbury“ von einem russischen Bergungsschiff zerstört.

Wie das alles dazu führt, dass beinahe Sewastopol untergeht, wieso es in England zu einer wilden Verfolgungsjagd zwischen den Pitt-Kindern und russischen Agenten kommt, warum das al­les mit einem versenkten U-Boot und weiteren Wracks zu tun hat und dies letztlich darin kulminiert, dass fast eine amerikani­sche Großstadt vernichtet wird … das muss man wirklich gele­sen haben. Die Plotstruktur ist beeindruckend vertrackt und so­lide gebaut.

Im Vergleich zum Vorgängerroman „Die Kuba-Verschwörung“1 hat dieser Roman definitiv sehr viel mehr Bodenhaftung. Seine Protagonisten sind nicht schematische 0815-Stumpfsinns-Böse­wichter, sondern raffinierte, verschlagene und schier unkaputt­bare Schurken, die den Pitts und ihren Helfern meist ein oder zwei Schritte voraus sind und die mit der Regelmäßigkeit einer ungeliebten Krankheit immer wieder in Erscheinung treten und Probleme erzeugen.

Besonders reizvoll fand ich an der Geschichte, dass speziell Dirk Pitt senior sehr lange überhaupt nicht konkret zu sagen wusste, wer eigentlich seine Gegner sind und was genau ihre Ziele sind. Die Motivation gerade des intransparenten Hendriks bleibt fast bis zum Schluss im Dunkeln. Und es wimmelt vor grässlichen Zwischenfällen.

Da werden Hinterhalte gelegt, Flugzeuge in die Luft gesprengt, Boote versenkt, Menschen verstümmelt, gemeuchelt oder ent­führt und dem sicheren Tod überlassen … es wird wirklich über­haupt nicht langweilig, weil man als Leser stets versucht, Ver­bindungslinien herzustellen, die sich lange nicht ergeben. Man grübelt also automatisch mit, und das finde ich bei Romanplots immer äußerst anregend.

Dabei verbinden sich hier die spannenden Elemente einer ver­winkelten Schatzsuche a la „Indiana Jones“ oder „Uncharted“, die ich schon an den Fargo-Abenteuern geschätzt habe, mit der klassischen Action eines Cussler-Romans. Man merkt indes auch hier wieder deutlich, dass der Roman klar für den modernen pu­ritanischen Geschmack des amerikanischen Publikums geschrie­ben wurde. Erotik: Fehlanzeige. Frauen dürfen tough sein und raffiniert, ja, aber so etwas wie ein sexuelles Selbst dürfen sie nicht besitzen … man könnte das als antifeministische oder chauvinistische Diskriminierung betrachten. Doch ich muss sa­gen, der Rest des Romans ist dafür einfach zu gelungen ge­schrieben.

Seit langem mal wieder ein Roman vom Vater-Sohn-Duo, der mir wirklich gefallen hat. Klare Leseempfehlung!

© 2022 by Uwe Lammers

Echt, das war ein rasantes Abenteuer, das mir mächtig Spaß machte! Wir bleiben bei tollen Büchern, denn als ich jüngst mal wieder meine Publikationsliste durchsah und vor allen Dingen den immer noch sehr voluminösen Speicher weitgehend oder selten veröffentlichter Rezensionen, da stieß ich auf einen Na­men, an den ich schon lange nicht mehr gedacht hatte.

Barbara Tuchman lese ich immer wieder gern (leider ist sie längst verstorben und weilt nicht mehr unter uns). Und die Auf­satzsammlung von ihr, die ich euch in der kommenden Woche vorstellen möchte, lohnt wirklich jede Minute der Aufmerksam­keit, die ihr ihr schenkt. Glaubt mir!

Auf das Werk könnt ihr echt mal gespannt sein.

Bis nächste Woche.

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Vgl. Rezensions-Blog 288 vom 30. September 2020.

Blogartikel 570: Close Up: Der OSM im Detail – Teil 55

Posted Juli 7th, 2024 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

es bleibt keine Zeit zum entspannten Zurücklehnen und hoffen, dass die Zeitläufte in dieser Serie sich etwas beruhigen … ge­nau das Gegenteil ist der Fall. Und ungeheuerliche Dinge stehen bevor. Ich erinnere kurz an die jüngsten Vorkommnisse:

Was zuletzt geschah: Anfang des galaktischen Jahres 3938 kommen durch Oki Stanwers Rückkehr aus Kirrongar lange sta­gnierende Ereignisketten in der Milchstraße in Bewegung. Bei­spielhaft zeigt sich das durch den Randkrieg, das CROMO-Infer­no im Reich der Zyw-Grynoth und zuletzt durch die Explosion des GRALSREICHES, die zugleich den Okiplaneten vernichtete.

Während Okis Abwesenheit schlug TOTAMS EXEKUTIVE, der Dä­monenschlächter, den Galaxisrebellen auf MONOLITH eine Ko­operation vor, um GOLEMS Zentrum, das so genannte „König­reich der Dämonen“, das niemand sonst kennt, zu erreichen und die Machtbasis zu brechen. Als Oki Stanwer nach SIDE­WALK zurückkehrt und von dem Pakt erfährt – und von dem „Königreich“, wird Schreckliches klar: GOLEMS jahrzehntelang geglaubte Vernichtung der Menschheit war eine Täuschung – Milliarden entführte Terraner sind inzwischen seine Sklaven. Sie zu befreien hat auf einmal oberste Priorität.

Doch an Bord von Okis ERKUNDER-Schiff LIBERATOR schleicht sich der WÄCHTER als blinder Passagier. Und zeitgleich erfahren draußen die Galaxisrebellen, dass Thor Gordenbeyl spurlos ver­schwunden ist – mutmaßlich in die Hände von Feinden gefallen. Jählings steht die Reise ins Zentrum von GOLEMS Macht zur Dis­position. Oder …?

Episode 76: FEINDNEST

(1996, digitalisiert 2023)

Fortsetzung von Oki Stanwers Handlungsspur:

Der WÄCHTER wird zur Zentrale der LIBERATOR geführt und soll begründen, warum er sich an Bord geschlichen hat. Er argu­mentiert, er habe vom Schicksal her keine andere Wahl gehabt. Aber er votiert intensiv dafür, dass Oki die Reise in GOLEMS Reich fortsetzt. Als der Herr des Lichts zögert, geraten sie in ein Feld aus Zeitgezeiten, wie es scheint, aus dem sie aber ohne größere Gefahren wieder freikommen.

Es ist nur kein Zeitgezeitenfeld, schon gar kein zufälliges – es handelt sich um einen Temporalschild, der nun GOLEMS gesam­tes Reich nach außen unantastbar macht, und sie sind darin ge­fangen. Also müssen sie weitermachen.

Sie nähern sich dem Ziel, das „Zentrums-Terra“ genannt wird … und Oki Stanwers paramentale Sondierungen ergeben Schreck­liches: Die Menschen existieren dort in einer Art globalem Bau­ernstaat, der komplett dirigistisch ferngesteuert ist. Die Unterta­nen der sieben Dämonen unter GOLEMS Leitung sind Sklaven, ohne zu wissen, dass sie einst auf der Erde lebten bzw. ihre Vor­fahren.

Vorsichtig nähert sich die LIBERATOR dem Planeten und die Be­satzung ahnt noch nicht, was sie konkret erwartet – nur, dass Oki Stanwer hier irgendwo auf TOTAMS EXEKUTIVE treffen soll, um als Team gegen die Dämonen vorzugehen.

Doch das erste, was Oki und sein Freund und Helfer des Lichts Klivies Kleines finden, ist ein schwarzer, abgrundtiefer Krater – eines von zwölf Dämonengräbern …

Episode 77: Dämonenjagd und Chaos

(1996, digitalisiert 2023)

Fortsetzung von Oki Stanwers Handlungsspur:

Am Rand des Dämonengrabes treffen die beiden Kämpfer des Lichts die EXEKUTIVE, den Dämonenschlächter. Er ist nicht be­reit, irgendwelche Skrupel oder Verzögerungen in Kauf zu neh­men. Er nimmt sie kurzerhand mit direkt in einen Vulkanpalast, in dem sich mehrere der Dämonenkönige aufhalten, und dann trennen sich ihre Wege, wobei der Dämonenschlächter kurzer­hand jeden umbringt, der ihm in die Quere kommt.

Während die drei so verschiedenen Wesen die oberste Hierar­chieebene der Welt Zentrums-Terra zunehmend liquidieren, wer­den die Dämonentode auf einer Eiswelt namens SYDAY-II von GOLEM und den anderen Dämonenwaffen angemessen. SYDAY-II ist jene Welt, auf der die Zeitfeldgeneratoren stehen. Während GOLEM noch im Unklaren ist, wer hier konkret angegriffen hat, befiehlt die Dämonenwaffe die Einkesselung von Zentrums-Terra mit den riesigen Invasions-Einheiten, gegen die auch ein ER­KUNDER-Schiff kaum etwas ausrichten kann. Die Lage für Oki Stanwer und seine Gefährten spitzt sich deutlich zu.

Was allerdings weder GOLEM noch die Angreifer ahnen, ist dies: Die Dämonenkönige haben wesentliche technische Funktionen der durchorganisierten Gesellschaft von Zentrums-Terra an ihre eigenen Vitalfunktionen gekoppelt. Indem sie nun ermordet werden, stürzt die ganze Welt ins Chaos …

Episode 78: GOLEMS Falle

(1996, digitalisiert 2023)

Fortsetzung von Oki Stanwers Handlungsspur:

Ein fataler Notruf des Dämons Tekalotiir nach SYDAY-II deckt das Inkognito der Angreifer auf – die wahnsinnige Waffe GOLEM er­kennt nun, dass es niemand Geringeres als Oki Stanwer ist, ihr Todfeind, der diese Verwüstungen anrichtet. Und GOLEM fordert den Herrn des Lichts zum Duell auf!

Das ist der schiere Wahnsinn, finden seine Begleiter. Eine Falle, ganz einwandfrei. Das grenzt an Lebensmüdigkeit, auf diese provokante Offerte einzugehen … aber Oki Stanwer, der sich auf der Siegerspur wähnt, nimmt diese Herausforderung an. Ei­gentlich kann er nicht anders, weil GOLEM anderenfalls mit der Ermordung der Milliarden Sklaven auf Zentrums-Terra droht.

Er solle nach SYDAY-II kommen, fordert GOLEM, bis dahin habe er freies Geleit.

Und ja, sagen das Kommandogehirn und der WÄCHTER unisono, sie müssen SYDAY-II erreichen – denn dort stünden die Genera­toren für das Temporalfeld um das Königreich der Dämonen. Wenn sie das nicht täten, würden sie bis zur Vernichtung ge­hetzt werden.

Die LIBERATOR startet also zum Flug nach SYDAY-II, die Welt ist nur wenige Lichtjahre von Zentrums-Terra entfernt … aber das ERKUNDER-Schiff kommt dort niemals an.

GOLEMS wahnwitziger Plan sieht in der Tat eine Falle vor: Ein unsichtbares, weit gespanntes Zeitfeld, das die LIBERATOR ein­fängt … und dann gnadenlos mit maximaler Energieentfaltung in die Vergangenheit schleudert. Hunderttausende von Jahren zurück, Millionen Jahre zurück …

Seltsame violette Lichter (vgl. Bd. 35!) tauchen kurz darauf im­mer stärker rings um SYDAY-II auf, die Alarmzeichen der Matrix, die darauf hindeuten, dass das universale Matrixfehlerkorrektur­system sich anschickt, einen Teil des Universums geradewegs aus der Realität auszubrennen.

In diesem Fall die Eiswelt SYDAY-II.

GOLEM achtet nicht darauf. Er will unbedingt sehen, wie Oki Stanwer und sein Schiff sich im Strom der Zeiten auflösen. Aber als der Planet zunehmend in sich zusammenstürzt, muss er mit seinen Gefährten die Flucht ergreifen, ehe SYDAY-II vom Univer­sum selbst gefressen wird.

Oki Stanwer und die LIBERATOR sind verschwunden – und der Zeitzähler auf SYDAY-II stand zuletzt auf -4.000.000.000 Jahren vor der Gegenwart.

Rückkehr ausgeschlossen …!

Episode 79: Auf der Schwelle zur Vernichtung

(1996, digitalisiert 2023)

Fortsetzung von Thor Gordenbeyls Handlungsspur:

Der Helfer des Lichts und Hüne von Garos ist vom Pech verfolgt. Eigentlich hatte er direkt von ELDORADO nach SIDEWALK flie­gen sollen, entschied sich aber dagegen, um einen kleinen Ab­stecher in ein nahes Sonnensystem zu machen (vgl. dazu die Bde. 73 und 74). Stattdessen geriet er in einen mörderischen Mehrfrontenkrieg zwischen GOLEMS Truppen, LIGA-Einheiten Soffrols, und am Ende mischten sich auch noch die robotischen All-Hüter ein.

Und sie waren es am Schluss auch, die die VIPER wrackreif schossen und das Schiff in Schlepptau nahmen und es in die Tiefen der Galaxis entführten.

Im ersten Moment hält sich Thor Gordenbeyl für tot, als er wie­der erwacht … aber seine Schmerzen belehren ihn eines Besse­ren. Doch er ist bald der Ansicht, dass der Tod gnädiger gewe­sen wäre. Das ganze Schiff ist ein einziges Wrack, zahlreiche seiner Freunde sind verstümmelt oder tot, nur eine Handvoll seiner Getreuen ist noch am Leben.

Sie fürchten natürlich, nun in die Hände der All-Hüter gefallen zu sein … aber als ihr Schiff geentert wird, sind die Angreifer zu ihrer Verwirrung … Artaner?

Schlimmer noch: Sie befinden sich an einem unheimlichen Ort mit violettem Weltraumschimmer, in dem bizarre Planeten drif­ten, die augenscheinlich keine Sonne zu besitzen scheinen. Und der Planet, auf dem sie landen, sieht aus wie eine planetare In­sektenwabe.

Während sie noch im Landeanflug sind, taucht überraschend in ihrem Gefangenenraum eine kleinwüchsige Gestalt auf – Ekkon, der Ritter vom Goldkristall. Er erzählt, sie befänden sich in der Gewalt der Daayyet und sollten aufpassen, dass diese sie nicht für GOLEM-Diener hielten, andernfalls wäre das ihr Todesurteil. Er sagt weiter, sie befänden sich in der THIRAAN-Weltenkette und würden gerade auf THIRAAN-55 landen. Dann ist er wieder verschwunden.

Thor kann zwar wegen seiner Kopfverletzung nur noch bedingt klar denken, aber er zweifelt sehr daran, dass dieses Wesen tat­sächlich Ekkon war … sein Instinkt ist gut. Aber was das für eine Kreatur ist und welche Art von monströsen Plänen sie verfolgt, begreifen sie nicht einmal im Ansatz.

Wenig später wird tief im Innern von THIRAAN-55 durch einen Daayyet-Artaner ein Mord verübt. Opfer ist ein bizarres kristalli­nes Wesen aus der Urzeit, ein so genannter Entropie-Ingenieur. Und die Entropie-Ingenieure sind die Kontrolleure der THIRAAN-Weltenkette, die einst von den Baumeistern geschaffen wurde.

Und diese Weltenkette soll untergehen, wenn es nach den Plä­nen des Intriganten namens Jaal geht, der auch schon bei Thor und seinen Gefährten vorstellig wurde. Er ist ein Feind aus der fernen Zukunft – ein GRALSJÄGER. Aber ein abtrünniger

Episode 80: Geheimnisse der Vergangenheit

(1996, digitalisiert 2023)

Fortsetzung von Thor Gordenbeyls Handlungsspur:

Die Geschicke von Thor und seiner Handvoll Begleiter wird nicht besser. Die Verhältnisse ringsum entwickeln sich zunehmend chaotischer. Kurz nach der Landung auf THIRAAN-55 geraten sie nämlich in ein Gefecht, in dem offenbar Artaner gegen Artaner kämpfen. Doch die Attacke wird niedergekämpft. Sie bleiben in Gefangenschaft. Und als eine schwer verletzte Galaktikerin ihrer Crew wegen einer ungefragten Wortmeldung kurzerhand exeku­tiert wird, ist ihnen allen klar, dass ihr Leben offenbar keinen Pfifferling mehr wert ist, wenn sie nicht verdammt gut aufpas­sen!

Doch kurze Zeit später stehen sie vor Gericht und werden ge­nau dessen angeklagt, was „Ekkon“ als gefährlich andeutete: Sie sollen Klone sein, die im Dienste GOLEMS stehen und die THIRAAN-Weltenkette ausspionieren. Alternativ könnten sie auch Agenten der All-Hüter sein, die mit den Daayyet-Artanern um die Oberherrschaft der Weltenkette kämpfen.

Die All-Hüter haben vor wenigen Jahren die zentrale Steuerwelt THIRAAN-56 erobert, die den Daayyet-Artanern als heilig gilt. Die Daayyet selbst sind religiöse Abweichler, denen die THI­RAAN-Weltenkette als sicheres Refugium von ihrem Propheten Daayyet versprochen wurde. Die Eroberung von THIRAAN-56 führte dann zu einer Führungskrise bei den Sektierern, und von den Kämpfern des Rechten Glaubens spalteten sich Oppositi­ons-Daayyet ab, die der Artanerin Shyniir unterstehen. Die bei­den Gruppierungen befehden sich auf mörderische Weise – und der seine Gestalt wandelnde Intrigant Jaal taucht mal hier auf, dann dort, und er sät immer mehr psychotisches Misstrauen und schürt den Terror.

Dabei ahnen Thor und seine Gefährten nicht, dass ihnen die Zeit davonläuft: Denn außerhalb der Weltenkette bereitet sich Z-NULL, die Kommandointelligenz der All-Hüter vor, das „Unter­nehmen Göttergeburt“ einzuleiten. Dabei sind die Artaner, gleich welcher Fraktion, im Weg.

Als die endgültige Invasion der All-Hüter in der Weltenkette es­kaliert, fällt das artanische Gericht Todesurteile für die gefange­nen Galaktiker – Thor, seine Gefährten Arabia, Sal Dugong und John Houston Cascade überleben nur, weil die Hinrichtung nicht vollständig vollendet werden kann.

Stattdessen taucht ein hünenhafter Mann auf, der sie kurzer­hand befreit und gnadenlos jeden Artaner niedermetzelt, der sich ihnen in den Weg stellt.

Thor hat das üble Gefühl, dass dieses Wesen niemand Geringe­res ist als der Dämonenschlächter, TOTAMS EXEKUTIVE. Und Jaal freut sich diebisch, dass ihm diese Täuschung so gut gelun­gen ist …

Ja, der Zyklus geht noch weiter, Freunde. Aber für heute ist die Berichtszeit abgelaufen. Wie das Schicksal weiter mit Thor Gor­denbeyl und seiner dezimierten Mannschaft umspringt und auch, was besonders mit Oki Stanwer und seinen Gefährten ge­schehen sein mag … dazu erzähle ich in der nächsten Folge die­ser Artikelreihe mehr.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Rezensions-Blog 463: König Davids Raumschiff

Posted Juli 3rd, 2024 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

alte Romane in meinem großen Speicher von verfassten Rezen­sionen bringen es mit sich, dass ich nicht alle bibliografischen Informationen damals bei Abfassung in die Rezension einbrach­te. Ihr kennt das. Dieser Fall liegt hier erneut vor … aber wer sich von dem Roman, dem Autor oder dem Sujet angesprochen fühlt, wird zweifellos mit den vorhandenen Angaben via Inter­netrecherche schnell fündig werden.

Die Besprechung des Buches ist ein wenig, ich sage mal, zwie­gespalten. Denn wenn man sie sich näher anschaut, stellt man fest, dass ich sowohl sehr kritische Bemerkungen mache, zu­gleich aber auch eine ausgesprochene Lesbarkeit unterstelle … und sie gleich wieder dahingehend relativiere, wenn ich den Le­serkreis als solchen eingrenze, den es überwiegend nach reiner Unterhaltung gelüstet.

Tja, solcherart waren damals meine Rezensionen im Jahre 2002, sie waren mit der heißen Nadel gestrickt und ein wenig grob­schlächtig. Der Roman ist schon lange nicht mehr Teil meiner Bi­bliothek, und ich gebe zu, das ist vermutlich eine gute Entschei­dung gewesen. Inzwischen gebe ich schon sehr viel schönere Bücher weg – allein aus schieren Platzgründen. Da hätte ein Jer­ry Pournelle wirklich keine lange Halbwerts-Verweildauer beses­sen.

Dennoch, vielleicht lohnt auch nach all der Zeit ein Blick auf die­sen archaischen Schauplatz Prinz Samuals Welt und die Versu­che, die die Planetarier unternehmen, um dem drohenden Ver­hängnis zu entrinnen.

Wer gespannt darauf geworden ist, was hier eigentlich ange­deutet wird, der schaue einfach mal weiter:

König Davids Raumschiff

von Jerry Pournelle

Bastei 22061, 1983

352 Seiten, TB

Übersetzt von Barbara Heidkamp

Nach Jahrhunderten des Krieges ist das irdische Sternenreich allmählich dabei, sich wieder zu konsolidieren. Die Imperiale Raummarine knüpft Kontakte zu einstigen Kolonialwelten, hilft hier gegebenenfalls, eine einheitliche Regierung „in den Sattel“ zu heben und die Planeten so auf ihre Wiedereingliederung vor­zubereiten.

Es gibt nur gewisse Dinge, die dabei mustergültig schiefgehen. Ein solcher Fall ist Prinz Samuals Welt.

Dieser annähernd erdähnliche Planet ist nach dem Abbruch der Kontakte zum Sternenreich der Menschheit, nuklearen Katastro­phen und jahrhundertelangen Überlebenskämpfen auf eine feu­dale Stufe zurückgefallen. Die Oberfläche des Planeten ist ge­sprenkelt von Baronien, Königreichen, Herzogtümern und Stadt­staaten, die sich einzeln munter bekämpfen und dann und wann wechselnde Allianzen schließen.

Wie auch auf der Erde führen die wechselhaften Zeitläufte dazu, dass die technische Innovation durch den Motor Krieg verstärkt angetrieben wird. Schließlich gelangen die wohlhabenderen Staaten Haven und Orleans bis hinauf zum Besitz von dampfbe­triebenen Wagen, Eisenbahnen und schwerer Artillerie.

In der Entscheidungsschlacht zwischen den beiden Hegemonial­mächten greifen jedoch die Imperialen zugunsten des König­reichs Haven ein, das vom Monarchen König David regiert wird. Orleans, fast zerstört, ebenso wie der atomisierte Ort Lechfeld, werden Teil von Haven, die Truppen aufgelöst.

Nathan MacKinnie, der Kommandant der Streitkräfte von Or­leans, muss verbittert mit ansehen, wie die Imperialen sich im­mer stärker breit zu machen beginnen. Er weiß jedoch auch, dass es unmöglich ist, gegen sie mit militärischer Macht anzu­gehen, weil sie schlicht viel stärker sind als jede Militärmacht auf Prinz Samuals Welt.

In diesem Moment, in einer verräucherten Schänke in Haven, beginnt sich sein Leben in eine andere Richtung zu drehen, denn ein Unbekannter nimmt Kontakt mit ihm auf. Dieser Kon­takt führt rasch zum Geheimdienstchef Malcolm Dougal von Ha­ven, dem Mann, der MacKinnies Hauptfeind ist. Und dieser eröff­net dem verbitterten Soldaten überraschende Perspektiven:

Die Imperialen haben einen besonderen Grund, weshalb sie ver­suchen, Havens lange gehegten Traum der planetaren Hegemo­nie zu erfüllen und zu unterstützen. Nur ein geeinter Planet mit einer einheitlichen Regierung kann ins Imperium aufgenommen werden. Und erst, wenn DAS geschehen ist, können die zu den Sternen fliegenden Menschen das tun, was sie eigentlich wollen – eine neue Klasse von Kolonisten auf Prinz Samuals Welt ein­führen, die selbst über dem König steht und damit über kurz oder lang das gesamte Gesellschaftssystem von Haven und al­len anderen Staaten des Planeten zersetzen wird. Die Bewohner des Planeten werden bessere Sklaven sein.

Dougal macht MacKinnie den Vorschlag, in die Dienste König Davids einzutreten und zum Besten seiner Welt zu dienen. Denn der Geheimdienstchef hat erfahren, dass das imperiale Lager gespalten ist. Mindestens in drei Fraktionen: in die Marine, in den Imperialen Händler-Verband und in die Kirche des Neuen Rom. Und so, wie es aussieht, ermöglichen die Händler aus dem Kosmos den einheimischen Händlern – wenn sie denn wagemu­tig genug sind – einen Ausflug zum 12 Lichtjahre entfernten nächsten Kolonialplaneten Makassar, einer hoffnungslos rück­ständigen Welt.

MacKinnie lässt sich überreden, als Händler getarnt, eine Grup­pe dorthin zu führen. Denn auf Makassar befindet sich in einem gigantischen, als Tempel missbrauchten Gebäude der Stadt Ba­tav, ein großes Archiv aus der Zeit vor den Stellarkriegen. Und darin befindet sich Wissen, das die Bewohner von Prinz Samuals Welt dringend brauchen.

Dougal ist völlig klar, dass eine Auflehnung gegen das Imperium sinnlos ist. Aber was sie erreichen können, ist, den Status ihrer Welt zu ändern. Als Kolonie sind sie weitgehend rechtlos. Doch ein Planet zweiter Ordnung hat einen eigenen Sitz im imperialen Parlament und weitere Rechte. Einzige Bedingung für diese „Reife“ ist der Beweis dafür, dass die Planetarier eigenständige RAUMFAHRT betreiben – etwas, wovon Prinz Samuals Welt noch mindestens ein Jahrhundert entfernt ist. Es sei denn, man kann das beschleunigen. Und zwar so, dass es die Imperialen nicht mitbekommen …

Man kann dem Roman nachsagen, was man möchte – beispiels­weise, dass er unangemessen blutrünstig ist und an manchen Stellen mit Schwarzweißklischees nicht spart – , die Überset­zung hingegen ist gelungen, auch die Schilderung der doch sehr antiquiert wirkenden Gesellschaft von Haven (Rolle der Frau!!). Es ist auch bemerkenswert festzuhalten, dass sich Pournelle den „einfachen“ Lösungen verweigert und ein wenig auf Umwe­ge setzt. Auf Makassar sind dies freilich überaus blutige, und er hat eine starke Begeisterung, militärisch zu brillieren und Ge­metzel zu beschreiben. Dabei rutscht er allerdings in die Kli­schees vollkommen ab.

Laut dem Militärhistoriker John Keegan1 ist eine Schlacht spätes­tens seit Waterloo nicht mehr konkret beschreibbar, eigentlich war sie es nie, sondern nur ein wilder Bilderreigen aus Einzelein­drücken, die allenfalls aus der Distanz zu einem halbwegs pas­sablen Bild zusammengefügt werden können. Aus eigener An­schauung kann ich allerdings ergänzen, dass diese zerstreute Perspektive auch schon auf die Schlachten der Antike zutrifft.2

Pournelle macht aus seiner generellen Geringschätzung für die klassischen Religionen wie den Katholizismus und den Islam kei­nen Hehl, und es wird gemetzelt, was das Zeug hält. Wenn man letztlich den Roman Revue passieren lässt, fragt man sich, wozu eigentlich. Manchmal ist das Gedröhne in Bezug auf Ehre und Kriegsruhm einfach nervig

Das Buch ist kurzweilig lesbar, aber bei aller Liebe zu den De­tails – an manchen Stellen – hin und wieder an den Haaren her­beigezogen. Halt ein SF-Abenteuerroman, ganz wie es auf dem Cover steht. Sogar mit einer sehr, SEHR dezenten Lovestory, die freilich schon sehr zeitig durchschimmert.

Angenehme Unterhaltung für Leute, die keinen Wert auf tiefsin­nige Romane legen und vielleicht selbst ein paar Klischees mehr im Kopf haben, insbesondere über Religion, den Dominanzan­spruch bestimmter Rassen und die prinzipielle Unbelehrbarkeit großer Teile der Menschheit …

© 2002 by Uwe Lammers

Na, das war doch mal wieder eine waschechte, altbackene Space Opera, hm? Versprochen, in der nächsten Woche wird es wieder sehr viel irdischer, und es gibt mehr Gegenwarts-Boden­haftung mit einem Roman aus dem Kosmos von Clive Cussler.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Vgl. John Keegan: „Das Antlitz des Krieges“, Frankfurt am Main 1991.

2 Z. B. gilt das für die Schlacht von Delion. Vgl. dazu Victor Davis Hanson: „Die Kriege der griechischen Antike“, Berlin 2001.

Liebe Freunde des OSM,

puh, das war vielleicht ein wilder, turbulenter Monat … da weiß ich kaum, wo ich anfangen soll zu erzählen. Ich erlebte in die­sem Monat eine Cybersecurity-Tagung und vollbrachte meine Feuertaufe als Organisator einer Podiumsdiskussion zum Thema KI und Kreativität. Und dafür war soviel zu tun, so viel zu organi­sieren und zu kommunizieren, dass es mich schlussendlich wirk­lich überraschte, dass ich dennoch 27 Werke fertigstellen konn­te.

In der Welt ringsum grassieren derweil leider immer noch (und verstärkt seit dem 7. Oktober 2023) Unvernunft und blindwüti­ger Wahnsinn, dass man eigentlich den ganzen Tag nur heulen könnte. Da das aber nun mal kein wirklich konstruktives, ziel­führendes Verhalten ist, überlasse ich das den Angehörigen der armen Menschen, die im Mittelmeerraum zunehmend sterben … sei es, dass sie als Flüchtlinge im Mittelmeer umkommen, sei es, dass sie von fanatisierten Radikalen umgebracht werden, sei es, dass sie von rachsüchtigen Soldaten im Gegenzug ermordet werden, dass sie in Erdbebenregionen umkommen oder von Schlammfluten in Nordafrika ins Meer gespült werden.

Schweigen wir von psychisch labilen Menschen in den USA, die dutzendweise Unschuldige massakrieren und sich anschließend selbst umbringen, von Politikern in Europa, die versuchen, rechtsradikale Positionen rechts zu überholen …

Redet noch irgendwer von der Klimakrise? Nein, stattdessen wird wie weiland im Kalten Krieg überall aufgerüstet, überall werden mentale Frontstellungen ausgebaut, Feindbilder be­schworen … internationale Zusammenarbeit gerät unter Ver­dacht, Terrorzellen zu unterstützen … also bitte, die Weltpolitik dreht echt total am Rad. Es gab also wirklich fürwahr eine Men­ge, was mich gründlich vom Kurs hätte abbringen können – wenn ich es denn zugelassen hätte.

Aber ehrlich, ich hatte Besseres zu tun. Was genau? Nun, dies hier:

Blogartikel 564: Work in Progress, Part 130

(Verlorene Herzen – Archipel-Roman)

Anmerkung: Das war eine schöne Arbeit, die sich ziemlich hin­zog. Da die bisherige Druckversion sich von der digital gespei­cherten erstaunlich unterschied, war ich schon seit längerem dabei, sie sukzessive Zeile für Zeile zu kontrollieren. Ich nutzte die Gelegenheit natürlich auch dazu, ungelenke Formulierungen im Rohskript zu ändern, die Wortwahl an manchen Stellen zu ändern und Sätze gründlich nachzufeilen.

Inzwischen ist die Geschichte soweit auf Reihe … und die Arbeit daran machte mich so neugierig, dass ich in diesem Monat den Archipel-Roman „Antaganashs Abenteuer“ noch einmal las, den ich 2010 abgeschlossen habe … ja, ja, genau, ein unveröf­fentlichtes Werk, das mehr als 500 Seiten umfasst … tolle Idee, da wieder reinzulesen. Nicht unmöglich, dass ich nächs­tens an „Verlorene Herzen“ weiterschreibe … lass euch mal überraschen.

20Neu 12: Landung auf Thor-gil

(20Neu 13: Planetenbasis Grat-ban)

(Glossar der Serie „Oki und Cbalon – Das Ewigkeitsteam“)

(Glossar der Serie „Oki Stanwer – Der Mann aus dem Nichts“)

(Lexikon der Serie „Oki und Cbalon – Das Ewigkeitsteam“)

(Lexikon der Serie „Oki Stanwer – Der Mann aus dem Nichts“)

(16Neu 77: Dämonenjagd und Chaos)

Anmerkung: Damit werdet ihr in der nächsten Woche im kom­menden Close-Up-Beitrag konfrontiert. Hier möchte ich noch nichts vorwegnehmen, nur soviel: Oki Stanwer läuft in eine Fal­le, die ihn in einen Bereich des Universums verschlägt, aus dem eine Rückkehr undenkbar scheint. Und selbst heute, nach 27 realen Jahren haben diese Episoden ihren speziellen Zauber nicht verloren …

16Neu 75: Das Königreich der Dämonen

(16Neu 85: Pfadfinder in der Urzeit)

(Die Sorgen des Kommandanten – Archipel-Story)

Anmerkung: Das war eine Stippvisite im Asmaar-Len der Real­gegenwart des Jahres 872 Archipelzeitrechnung. Hier verfolge ich – etwas halbherzig, eingestanden – die Lebensspur des Stadtwachenkommandanten Vaased al Cooresh und bringe so in den Kontext der Rhonda-Romane eine zweite Perspektive ein. Kann aber noch geraume Zeit dauern, bis ich hier zu Rande komme.

(OSM-Wiki)

(16Neu 84: Milliarden Jahre tief)

16Neu 76: FEINDNEST

(16Neu 79: Auf der Schwelle zur Vernichtung)

(16Neu 80: Geheimnisse der Vergangenheit)

(16Neu 86: Baumeister-Kontakt)

20Neu 11: Verschlagen in die Violett-Zone

(20Neu 16: Der Robotkaiser)

Anmerkung: Tja, in dieser Episode taucht Oki Stanwer dann im KONFLIKT 20 auf und sorgt für Angst und Schrecken. Auch wenn er das eigentlich gar nicht will. Aber ich meine: Wer möchte schon gern gut Freund mit einem Terminator ohne Fleischhülle sein? Und so schaut Oki Stanwer in diesem Universum nun mal aus …

(20Neu 15: Eine Königin in Ketten)

(Unter falscher Flagge – Erotic Empire-Story)

(20Neu 17: Zurück in die Realität)

(16Neu 78: GOLEMS Falle)

Blogartikel 544: Langzeitprojekte 7 – Verlorene Herzen

Blogartikel 565: Close Up: Der OSM im Details (54)

(VvD 18: KONFLIKT-Angst)

(VvD 22: Vorstoß in die Fehlerwüste)

Anmerkung: Hier flammten wieder interessante Bilder auf, die das Innere der Galaxis Demor betreffen, und mir wurden ein paar Zusammenhänge klar, die die Handlung deutlich vorantrei­ben werden. Aber dafür brauche ich mehr Ruhe … ich fürchte, das wird im November kaum gelingen, vielleicht im Dezember …

(VvD 19: Rebellin der Sternenfeen)

(16Neu 87: Die Kegelwelten)

Blogartikel 553: Langzeitprojekte 8 – Spurensuche in Baby­lon

(20Neu 14: Gejagte der MACHT)

Und dann war der Monat bereits wieder vorbei.

Ja, ja, ich weiß natürlich, dass ihr lange Gesichter macht. Und es sind selbstverständlich auch kein 27 Werke. Woraus bestand denn der Rest?, das fragt ihr mit Recht. Das kann ich ganz ein­fach sagen: Ich habe eine ziemlich große Menge alter Rezensio­nen abgeschrieben und neu formatiert, insbesondere für die AN­DROMEDA NACHRICHTEN. Bei der Gelegenheit entdeckte ich auch eine uralte, ungewöhnlich kurze Geschichte wieder, die „Das hohle Gähnen der Stadt im Morgengrauen“ heißt und die leider auch nach über 25 Jahren ab Schreibdatum im­mer noch auf die Krisenlage dieser Welt vielfach zutrifft. Des­halb schien es mir geboten, sie wieder ans Licht der Öffentlich­keit zu befördern.

Wisst ihr, wenn man so über die Jahrzehnte der leider zuneh­menden Irrationalität zuschaut, sieht, wie die Politiker sich auf Topfblumenformat zurechtstutzen und wirklich jede Art von kon­struktiver Vision verlieren, wie sie Nebensächlichkeiten zu Staatskatastrophen aufblasen (man denke an die Aiwanger-Ge­schichte oder die Frage, wer jetzt die Verantwortung für Wahl­kampfverluste übernehmen soll), während die wirklich wichti­gen Themen (Begrenzung der Weltbevölkerungszunahme, Kli­maschutzmaßnahmen, gerechtere Verteilung des globalen Wohlstandes, konsequente Bekämpfung von rechtlicher Benach­teiligung und Korruption etwa) aus dem Blick geraten … ja, da kann man als hellsichtiger Zeitgenosse schon ein bisschen an der Vernunft der momentanen politischen Mandatsträger zweifeln.

Es gäbe zweifellos noch sehr vieles, was ich hier thematisieren könnte, aber das lasse ich mal besser, um mir und euch die Stimmung nicht vollends zu vermiesen.

Stattdessen weise ich besser auf die kommende Woche hin, wo Oki Stanwer einen höllischen Ort innerhalb der Milchstraße wei­ter erkundet – das „Königreich der Dämonen“, wo er ins Verder­ben fliegt. Das ist dann wahrhaftig der Stoff, aus dem die Alp­träume gemacht sind.

Ihr werdet es nächste Woche sehen.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß

Rezensions-Blog 462: Ich sehe dich (1)

Posted Juni 26th, 2024 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

erotische Romane von italienischen Autorinnen habe ich, soweit ich mich entsinnen kann, vor diesem hier noch keinen gelesen. Das machte die Lektüre doppelt interessant. Denn zum einen mag ich Venedig sehr gern, wo dieser Roman spielt, zum ande­ren bin ich Historiker und habe ohnehin ein Faible für alte Ge­bäude, bröckelnde Fresken und konservatorische Probleme. Und mit Elena Volpe lernte ich eine durch und durch bodenständige Person kennen, die mir von ihren Prinzipien her sehr zusagte.

Ich bin mal gespannt, was ihr wohl von ihr halten mögt. Vorhang auf für das heutige Buch:

Ich sehe dich

(OT: Io ti guardo)

Von Irene Cao

Goldmann 48061

352 Seiten, TB

ISBN 978-3-442-48061-6

Aus dem Italienischen von Judith Schwaab

Elena Volpe ist ein braves Mädchen. So würde sie sich selbst am ehesten beschreiben. Bieder, jedweder Form von Abenteuern gänzlich abgeneigt, außerdem ausgestattet mit festen Grund­sätzen. Zu ihnen gehören beispielsweise folgende Lebensre­geln: Alkohol ist nichts für mich. Fleisch und Fisch und derglei­chen ist etwas für Leute, denen es nichts ausmacht, fühlende Wesen umzubringen. Ich halte mich lieber an vegetarische Er­nährung. Männer kennenlernen? Sich aufdonnern und mit High Heels auf die Piste gehen, um endlich mal erotische Vergnügun­gen zu erleben?

Nein, nicht mit Elena Volpe.

Sie ist immer schon ein stilles, unaufgeregtes Mädchen gewe­sen, und deshalb hat sie wahrscheinlich auch den Beruf der Re­stauratorin ergriffen. Auch Reisen ist ihre Sache nicht – das ist ihr einfach nicht wichtig. Warum auch? Immerhin lebt ihre Fami­lie in Venedig, und Elena genügt es vollkommen, über Wochen und Monate bei der Restaurierung eines Freskos in einem alten venezianischen Palazzo auf einem Gerüst zu hocken, Schmutz zu entfernen und das Meisterwerk wieder behutsam instand zu setzen.

Ihre beiden einzigen Freunde sind indes unterschiedlich wie Tag und Nacht. Da ist ihr Studienfreund Filippo Di Nardi, der im Ge­gensatz zu ihr Architektur studiert hat und der für sie wie ein Bruder ist. Jedenfalls nimmt Elena das all die Jahre an. Ihre Freundin Gaia hingegen ist Shoppingberaterin für vermögende Leute, und sie liegt Elena natürlich unentwegt in den Ohren, sie kleide sich wie eine graue Maus und solle doch mal richtig ihre Weiblichkeit entdecken.

Auf unerwartete Weise geschieht das schneller, als Elena das für möglich hält – denn ihr Dienstherr Jacopo Brandolini verkün­det unvermittelt, dass der Palazzo, in dem Elena das Fresko re­stauriert, werde für die nächsten Monate einen Gast beherber­gen. Das ist ihr überhaupt nicht recht – fremde Leute, Stress, Aufregung … muss das alles sein? Aber natürlich kann sie dage­gen nichts sagen, der Palazzo gehört Brandolini schließlich.

Und dann lernt sie den Besucher kennen – eine absolut charis­matische Persönlichkeit. Es handelt sich um den Chefkoch Leo­nardo Ferrante, und binnen kürzester Zeit beginnt er damit, Ele­na zu umgarnen und zu verunsichern.

Das ist sie jetzt ohnehin schon – denn kurz zuvor hat Filippo ihr verkündet, dass er für eine Weile nach Rom gehen muss, um dort eine Stelle anzutreten … und dann hat er in der Nacht vor­her recht überraschend mit ihr geschlafen und so überdeutlich gezeigt, dass an Gaias Einschätzung („Er ist schon die ganze Zeit über in dich verschossen!“) deutlich mehr dran ist, als Ele­na all die Jahre wahrhaben wollte.

Und dann kommt der voller Geheimnisse steckende Leonardo wie ein Sturmwind über sie. Und wo Filippo sanft und zärtlich war, ist er eine reine Urgewalt, wild, leidenschaftlich, experi­mentierfreudig und wagemutig. Er bringt Elena dazu, grundle­gend neue Seiten in sich zu entdecken. Zugleich aber spürt die 29jährige Restauratorin einen immer stärkeren Spagat in sich, da sie aus ihrer Beziehung zu Leonardo ein Geheimnis macht, auch gegenüber ihrer Familie und ihren Freunden.

Und schließlich kommt es zur Krise …

Ich glaube, es ist ohne Schwierigkeiten zu sagen, dass Irene Cao mit diesem ersten Band der Trilogie sich einen Herzensroman von der Seele geschrieben hat. Elena ist erkennbar ihr alter Ego, und das liegt nicht nur daran, dass beide in Venedig stu­diert haben und sie so bei allen Beschreibungen des Ambientes und der Besonderheiten Venedigs alles bestens aus eigener Kenntnis darstellen kann. Das ist ein unleugbarer Vorteil gegen­über allen Romanautorinnen und -autoren, die sich für Ge­schichten nur eine interessante Location „wählen“ und den Text dann mit angelesenen Details anreichern.

Die sanftmütige, friedfertige Elena wächst dem Leser mit ihrem unspektakulären, unaufgeregten Leben definitiv sehr ans Herz. Und manchmal tut sie ihm auch leid, denn Leonardo ist oftmals wirklich extrem übergriffig und übt einen Zwang auf seine Ge­spielin aus, den ich häufig fast schon gewalttätig fand. So sehr ich den rauschhaften Zustand Elenas begreifen kann und das, was man dann als eine Form von Hörigkeit bezeichnen sollte, in der sie sich schließlich wieder findet … es war doch definitiv un­klar, wo in dieser klassischen „Frau zwischen zwei Männern“-Ge­schichte Elenas letztendlicher Platz sein würde.

Und dies hier stellt ja lediglich die erste Etappe dar. Es geht noch weiter, und selbst wenn der zweite Band dann erheblich kürzer ist als der erste, bleibe ich neugierig. Im Vergleich zu meiner sonstigen erotisch-romantischen Lektüre ist dieser Ro­man fast schon gelassen und entspannt. Wer Italien und Vene­dig speziell liebt, wird hier vermutlich unbedingt auf seine Kos­ten kommen. Ich bleibe jedenfalls am Ball und möchte wissen, wie das sinnliche Spiel zwischen Elena, Filippo und Leonardo weitergeht …

© 2019 by Uwe Lammers

Nächste Woche brechen wir mal wieder mit einem klassischen Science Fiction-Roman zu den Sternen auf. Und nein, ich verrate hier und heute noch nicht, worum es genau geht. Da müsst ihr euch noch ein paar Tage gedulden, meine Freunde …

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Blogartikel 568: Die Sache mit der Wahrheit im Archipel

Posted Juni 23rd, 2024 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

ich nehme das mal vorweg, damit ich den Kritikern gleich ein wenig den Wind aus den Segeln fangen kann – was ich heute er­zähle, ist nichts für Dogmatiker oder Menschen, die die Worte auf die Goldwaage legen. Es geht heute auf eine originelle Wei­se um die Freiheit der Rede, die vermutlich jeden gestandenen Historiker erblassen lassen wird.

Hey, könntet ihr da einwenden, ich selbst, der da jetzt schreibt, bin doch auch Historiker. Ist das nicht ein wenig widersprüch­lich, wenn ich solche Bemerkungen mache? Verwickele ich mich nicht automatisch in flagrante Widersprüche?

Seht ihr, wo wir diesen Punkt so schnell erreicht haben, sind wir exakt dort, wo ich hin möchte. Und zugleich jener, der mich im­mer wieder grinsen lässt, wenn ich Zeilen an meinen Archipel­geschichten ergänze. Ich lebe diesen faszinierenden Wider­spruch ständig, und inzwischen finde ich ihn durchweg char­mant. Ich will aber auch nicht leugnen, dass er mich vor zwan­zig Jahren bisweilen zur Weißglut vor Verzweiflung trieb. Im Al­ter wird man einfach ein wenig ruhiger … das gilt zumindest für die Majorität der Menschen, die ich kenne. Und das ist auch ganz gut so.

Fangen wir die Diskussion langsam an und tasten uns zu dem zentralen Punkt behutsam vor.

Die Archipelwelt, soviel ist sicherlich auch all jenen unter euch bewusst, die entweder schon sehr lange meinem Blog folgen oder bzw. ergänzend die eine oder andere Archipelgeschichte gelesen haben, die ich verschiedentlich in den zurückliegenden zehn oder fünfzehn Jahren im Fandom veröffentlicht habe, die Archipelwelt muss man als ausdrückliche low tech-Welt verste­hen. Der zivilisatorische Standard entspricht hier etwa dem der frühen europäischen Neuzeit oder des ausgehenden Mittelal­ters.

Erschwert wird die zivilisatorische Entwicklung hier durch ver­schiedene Faktoren. Im durchweg tropischen Archipel – den man mit einer deutlich vergrößerten pazifischen Inselwelt auf unse­rer Welt parallelisieren könnte – herrscht zum einen eklatanter Metallmangel. Auf den Inseln gibt es nach meiner bisherigen Kenntnis keine Bergwerke, auch Meteoriteisen dürfte eher selten sein. Der zweite Grund, warum die Gesellschaft dort eher nicht vom Fleck kommt, ist in einer stark retardierten Fruchtbarkeit der Menschen zu sehen.

Die Konsequenzen daraus sehen dergestalt aus, dass die Archi­pelinseln von kleinen Dorfgemeinschaften gesprenkelt sind, die nur sehr oberflächliche Verbindung miteinander besitzen. Selten haben diese Siedlungen mehr als hundert oder zweihundert Ein­wohner. Die meisten davon liegen an Buchten am Meer, wäh­rend das zumeist dicht bewaldete Hinterland nahezu überhaupt nicht erschlossen ist.

Da zudem die Entwicklung eines eigenen Schriftsystems nicht existent ist, hat sich eine ausgeprägte mündliche Überliefe­rungskultur etabliert. Und hier fingen für mich als Historiker die Probleme schon an, als ich 1997 diese Welt zu erkunden be­gann.

Natürlich wollte ich, sowohl als Historiker wie auch als Autor die­ser Welt wissen: Wie ist es eigentlich um die Vergangenheit die­ser Welt bestellt? Woher kommen diese Menschen, wie ist ihre Lebensform entstanden?

Es gab gute Gründe für solche Fragen. Ich nenne nur ein paar:

Zum einen stellte ich schon sehr früh fest, nämlich im allerers­ten Archipel-Roman „Die drei Strandpiratinnen“ (1997/98), dass es zivilisatorische Reste gab, Ruinen, künstliche Gewässer­bauten, im Urwald versunkene Gebäudestrukturen … das alles legte nahe, dass die heutige Archipelkultur auf den Schultern ei­ner versunkenen Kultur stand. Und ich war neugieriger Histori­ker genug, um mir plausible Fragen zu stellen: Wie sah diese Vorgängerkultur aus? Was wurde aus ihr? Nun, die Beantwor­tung derartiger Fragen war … schwierig.

Im dritten Archipel-Roman, „Christinas Schicksal“ (1999/2000), bekam diese Kultur einen Namen. Es waren, hieß es, die so genannten Us’sheleyaa, die so genannten „Wasser­kinder“. Eine Kultur, die in den mündlich tradierten Legenden als ungemein fortschrittlich und mächtig beschrieben wurde. Herren einer phantastischen Technik (z.B. im Bereich des Was­serbaus und auch des Schiffsbaus und der Navigation), von die­sen Fähigkeiten wurde ihr Volksname abgeleitet.

Aber mit Legenden ist das so eine Sache: Werden sie nicht schriftlich fixiert, verschwimmt die Überlieferung von Generati­on zu Generation immer stärker. Im Archipel, das sollte ich bald entdecken, war es sogar noch deutlich problematischer. Denn hier wurde die Kommunikationsverbindung zwischen den ver­sprengten Siedlungen, etwa auf der großen Archipel-Insel Coo­rin-Yaan, durch wandernde Geschichtenerzähler aufrechterhal­ten, etwa durch den Erzähler Aukan, der verschiedentlich durch Rhondas Heimatdorf kam.1

Inwiefern war das problematisch? Sollte man sich nicht darüber freuen, dass überhaupt irgendwer, und sei es in Form von eher legendenhaften Geschichten, das Wissen über die Vergangen­heit bewahrte?

Eindeutig – ja. Aber dabei blieb es ja nicht.

Aukan, um bei diesem Beispiel zu bleiben, hatte neben der Funktion, Legenden der Vergangenheit zu erzählen, auch die Ei­genschaft, Neuigkeiten von einem Dorf zum nächsten weiterzu­geben. Und außerdem besaß er eine soziale Funktion, indem er nämlich heranwachsende Sprösslinge, insbesondere abenteuerlustigen Mädchen, durch diese Legenden davon ab­brachte, auf eigene Faust das Dorf zu verlassen.

Wie stellte er das an? Nun, er baute schlichtweg Personen aus seiner Zuhörerschaft in die Geschichten ein und erzeugte auf diese Weise sowohl mehr Haftungswirkung dessen, was er er­zählte, als er auf der anderen Seite so auch mahnte und warnte.

Aber veränderte das dann nicht automatisch die historische Überlieferung?, mögt ihr euch jetzt stirnrunzelnd fragen.

Aber ja!

Und das war ja erst der Anfang.

Aukan erzählte beispielsweise auch, daran erinnerte sich Rhon­da später lebhaft, als sie in der Archipel-Metropole Asmaar-Len ihr neues Leben begann, von fernen Orten im Archipel. Beson­ders beeindruckend fand das kleine Mädchen Rhonda dabei die Darstellung von Asmaar-Len, das Aukan als ein Märchenreich beschrieb mit Dächern aus Gold und Korallen … absolut unwi­derstehlich.

Die Realität sah, wie Rhonda entdecken musste, vollkommen anders aus. Und sie schloss daraus messerscharf: Aukan ist nie in Asmaar-Len gewesen.

Machte ihr das etwas aus?

Nein!

Das verdutzte mich dann einfach immer mehr. Und ich fragte mich unweigerlich: Wenn selbst das Wissen über reale Orte, die man selbst nicht gesehen hat, so verzerrt und in jederlei Weise irreal überhöht wird, wenn ferner die Geschichten sich von Ort zu Ort wandeln, weil stets lokale Personen in die Erzählun­gen eingebunden werden können und vielleicht sogar müssen … was um alles in der Welt passiert dann mit historischen Fak­ten, die Jahrhunderte zurückliegen?

Du lieber Himmel! Ja, das war ganz meine Ansicht.

Es sah doch nun wirklich alles danach aus, als wenn binnen we­niger Generationen das reale historische Geschehen vollkom­men in Vergessenheit geraten würde, nicht wahr? Das befürch­tete ich naturgemäß auch.

Historische Wahrheit in unserem Sinne wurde auf diese Weise zu einem fluiden, verwirrenden und verwässerten Etwas, das ein wenig an eine Qualle erinnerte. Glibbrig und nicht mehr recht zu greifen, es würde dem Forscher beständig durch die Finger schlüpfen.

Es gab genügend Grund zu dieser Annahme.

Als Rhonda stärker in die Erzähltradition von Asmaar-Len hinein­wuchs (zum gegenwärtigen Schreibzeitpunkt ist sie knapp 2 Jahre dort), entdeckte sie beispielsweise, dass zahlreiche Legen­den in unzähligen Varianten erzählt wurden. Ich erwähne nur mal die Geschichte der Prinzessin Kyrina, die ab Seite 3500 des Romans „Rhondas Reifejahre“ erzählt wird, als dort eine Kli­entin gleichen Namens in den „Garten der Neeli“ gelangt.

Wie in eigentlich allen Archipel-Geschichten geht es hier um Lie­beshändel, Abenteuerreisen und verlorene und wieder gefunde­ne Liebende. In der Version, die Rhonda hier hörte, wurde bei­spielsweise das Schiff, in dem sie reiste, versenkt, und es sank auf den Meeresgrund, wo sie von einem untermeerischen Volk gerettet wurde.

Es gibt aber auch, wie Rhonda später im Roman „Rhondas Aufstieg“ erfuhr, eine Variante dieser Legende, in der die Prin­zessin Kyrina von einem Wal gerettet wurde, weil sie sich im Be­sitz einer Nixenhaut befand, die es ihr ermöglichte, unter Was­ser zu atmen.2

Und dann gibt es eine weitere Variante, in der, wie das Mädchen Francesca vergnügt erzählt, „die Wale am Meeresgrund lachen“.

Man erkennt hieran: Der Phantasie der Erzählerinnen und Erzäh­ler ist kaum eine Grenze gesetzt. Historische Fakten verweben sich ununterscheidbar mit abenteuerlichsten märchenhaften Details, und es ist völlig normal, wenn in den Legenden, die die Geschichtenerzähler vorbringen, auf einmal Götter, Göttinnen, Waldgeister, Quellnymphen, Goldschuppennixen und andere rätselhafte, mystische Figuren auftauchen.

Für die historische Wahrheit ist das nahezu pures Gift.

Zugleich, das hat der Archipel-Historiker Olongis Na-Kere bei jahrzehntelangen Recherchen im Archipel entdeckt, fußen viele dieser Märchengestalten offenbar auf historischem Boden. Auch hier möchte ich nur stellvertretend für zweifellos viele andere ein einzelnes Beispiel herausgreifen: Als Rhonda im Unterricht in Asmaar-Len vom Unterweltherrscher Karcavennyo hört, der über seine Heerscharen von Juwelen schürfenden Zwergen ge­bietet3, da ist er für sie naturgemäß eine reine Legendengestalt.

Aber später, als sie durch Zufall auf die legendären Heiligtümer von Cooriday stößt, zu der auch unglaubliche Schätze an ge­schliffenen Juwelen gehören, da wird sie doch ein wenig wan­kend in ihrer Überzeugung. Denn immerhin: solche Juwelen gibt es ja wirklich. Und animistisch-gläubig, wie das Mädchen ist, nimmt es an, weil fest überzeugt vom Wirken der göttlichen Vor­sehung und von der Existenz des Sonnengottes Laraykos und seiner vegetativen Gemahlin Neeli, dass es das Reich des Unter­weltherrschers Karcavennyo vielleicht doch irgendwo gibt … und ist ganz froh darüber, dass die Legende so glimpflich für die Menschheit ausgegangen ist.

Sie hat natürlich keine Ahnung davon, dass in fernerer Zukunft ein Schatzsucher sich auf die Suche nach der Archipel-Insel Wushion machen wird. Einer Insel, auf der einstmals ein sagen­haft reicher Regent namens Karcay Vennyos gelebt und ge­herrscht haben soll.4

Allein hieran erkennt man recht deutlich, dass manche mytholo­gische Persönlichkeit doch wohl in der realen Vergangenheit wurzelt. Man kann aber davon ausgehen, dass alle solchen wah­ren historischen Sachverhalte durch die verzerrende Überliefe­rung im Archipel dramatisch entstellt und ins Märchenhafte übersteigert worden sind.

Interessanterweise ist es die Liebesreligion des Archipels an den Sonnengott Laraykos und seine Gemahlin Neeli, die nicht allein retardierende Momente wirksam werden lässt. Viele Elemente der Vergangenheit werden, wenn auch ausgeschmückt und zweifellos übertrieben und verzerrt, durch die Gemeinschaft der Gläubigen in der einen oder anderen Form durchaus über die Generationen überliefert. Und dieser Glaube hat eine unglaubli­che Beharrungskraft. Selbst als die Adeligen vom Südkontinent Coorin-Yaan besiedeln und mit Asmaar-Len die wohl bevölke­rungsreichste Stadt des Archipels gründen, erweist es sich, dass diese Art der Erzählkultur und die solcherart tradierten Legen­den unausrottbar sind.

Es sei nur am Rande darauf hingewiesen, dass auch die Bewoh­ner des Südkontinents – wiewohl es dort eine etablierte Schrift­kultur gibt! – auf sehr ähnliche Weise die reale Historie verzer­ren und mythologisieren. Das aber wäre einen eigenen Artikel wert, dafür ist heute der Platz nicht mehr gegeben.

Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass historische Wahr­heit und Fiktion im Überlieferungsgebaren der Archipelbewoh­ner eine höchst kritische und vorsichtig zu betrachtende Melan­ge darstellen, die man wirklich nicht 1:1 übernehmen kann. Ja, es sei denn natürlich, man ist ein leicht beeinflussbares Mäd­chen von 12 Jahren, wie es meine liebreizende Rhonda ist.

Tatsache bleibt außerdem, dass ich die Neugierde der Kinder auf Archipel-Legenden sehr gut verstehen kann. Man weiß wirk­lich absolut nicht, worauf man treffen wird, wenn man sich auf dieses Abenteuer einlässt … und genau deshalb bin ich wohl nach wie vor mehr fasziniert und entzückt als erschrocken und frustriert, wenn solcherart wirkungsvoll die historische Wahrheit sich hinter einem Schleier vernebelnder Worte versteckt und kaum mehr auffindbar ist. Es steht nicht zu erwarten, dass sich das in näherer Zukunft ändern sollte. Und das ist auch ganz gut so.

Bis bald, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

1 Vgl. dazu die veröffentlichte Story „Zu Besuch in einem kleinen Dorf“, 2001.

2 Vgl. dazu die veröffentlichte Geschichte „Rhonda und die Legende von Sinaaya und der Geisterlagune“, 2008.

3 Vgl. dazu die veröffentlichte Story In Karcavennyos Reich“, 2009.

4 Vgl. dazu beizeiten das Fragment „Schatzsucher“, 2003.