Rezensions-Blog 66: Im Todesnebel

Posted Juni 28th, 2016 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

wer bei der Lektüre der folgenden Rezension der Ansicht ist, sie sei doch schon „ein wenig angestaubt“, weil sie 13 Jahre auf dem Buckel hat, der hat nicht Un­recht damit. Dennoch finde ich, hat sie mit einem kleinen bisschen Kommentie­rung nach wie vor ihre Berechtigung, und der besprochene Roman gehört zu denen, die ich von Clive Cussler schon mehrmals gelesen habe.

Romane, die ich im Laufe von zwanzig Jahren mehrmals lese, haben zumeist eine ganz besonders eigenwillige Form von Flair. Das gilt für solche wunder­schönen Fantasy-Abenteuer wie Richard Adams´ „Maia“ oder eben auch für Cusslers „Hebt die TITANIC!“ – dieses Werk hier gehört in dieselbe Reihe, wie ich denke. Und es lohnt ungeachtet seines Alters eine Wiederentdeckung.

Begleitet also mich und Cusslers Helden Dirk Pitt in den Pazifik-Strudel, jenes rätselhafte Schiffsgrab und Herz einer groß angelegten Intrige:

Im Todesnebel

(OT: Pacific Vortex)

von Clive Cussler

Goldmann 8497

256 Seiten, TB

Juli 1990

Übersetzt von Hans Ewald Dede

Die Weiten des Meeres bergen bedrohliche Rätsel, und immer wieder ver­schwinden Schiffe auf Nimmerwiedersehen in ihren Tiefen. Man kennt das be­rüchtigte Bermuda-Dreieck, man hat vielleicht schon vom „Drachen-Dreieck“ vor der chinesischen Küste gehört, doch in diesem Buch ersteht ein drittes un­heimliches Seegebiet und entfaltet seine tödliche Blüte: Pacific Vortex.

Das modernste Atom-U-Boot der Welt, die Starbuck unter Kommandant Du­pree, dem zuverlässigsten und diszipliniertesten Kommandanten der US-Navy, verschwindet während einer Testfahrt im Pazifik spurlos. Sechs Monate später wird ein gelber Zylinder auf Hawaii an Land gespült. In ihm die letzten Aufzeich­nungen Duprees, ein Ausweis schieren Wahnsinns.

Der Mann, der diesen Zylinder birgt, ist tief erschüttert: Dirk Pitt, Sohn eines Se­nators, Angestellter der NUMA, der staatlichen Gesellschaft für Unterwasserfor­schung und passionierter Abenteurer. Anfangs denken sowohl er als auch der Chef der 101. Bergungsflotte, Admiral Leigh Hunter1, dass Dupree verrückt ge­worden sein muss und man das Rätsel des Verschwindens nie lösen wird.

Doch rasch geschehen seltsame Dinge:

Pitt wird in einer Bar, während er mit der Tochter des Admirals redet, von einer hinreißenden Unbekannten angesprochen, die bald darauf versucht, ihn ins Jen­seits zu befördern. Weitere Mordanschläge auf ihn werden unternommen, und Pitt beginnt zu verstehen, dass hinter dieser Angelegenheit weitaus mehr ste­cken muss.

Sein scharfer Verstand sagt ihm, dass die Nachricht gefälscht sein muss, mit der Absicht, die Suchaktion nach der Starbuck abzubrechen. Aber als er schließlich mit dem Bergungsschiff der 101. Flotte sich auf den Weg macht, um das rätsel­hafte Pacific Vortex aufzusuchen und den Schiffsfriedhof zu entdecken, den Eu­kalyptusnebel und schließlich das auf so unbegreifliche Weise untergegangene U-Boot, da befindet sich Dirk Pitt unvermittelt auf dem Weg in ein Reich der Le­genden – zur geheimnisumwitterten Insel Kanoli, deren Bewohner sich einst­mals zu Göttern erklärten und vom Zorn derselben versenkt wurden.

Hier auf Kanoli steht der Abenteurer Pitt dem unberechenbaren und genialen Delphi gegenüber. Und ihm bleiben nur noch Minuten bis zum Untergang…

Clive Cussler, ein inzwischen wallebärtiger Schriftsteller und Seebär, der viel von seiner Vita in seinen Helden Dirk Pitt gelegt hat – kein Cussler-Roman kommt ohne Pitt aus, und so gut wie nichts misslingt dem aus James-Bond-Holz ge­schnitzten Dirk Pitt: er hebt sogar die TITANIC, findet die Bibliothek von Alexan­dria und den gläsernen Sarkophag Alexanders des Großen, um nur ein paar sei­ner Erfolge zu nennen – , schrieb sich in den 70er Jahren in die Bestsellercharts, in die er heute nur noch selten gelangt. Aber damals, muss man ihm attestie­ren, verstand er es ausgezeichnet, Legende und spannende Actionromanhand­lung miteinander zu fusionieren.

Dieser Roman ist nicht sein bester, aber unzweifelhaft packend geschrieben. Im Vergleich zu späteren Werken ist er beinahe halbherzig (und auch etwa halb so dünn). Doch die Zutaten sind schon vorhanden: ein Rätsel im Prolog, in der Re­gel ein spurlos verschwundenes Schiff oder Flugzeug, Tauchexpeditionen und eine nicht selten historisch-mythologische Hinzufügung. Dazu reichlich Verbre­cher, Kämpfe, schöne Frauen, die Pitt oft ohne größere Mühe in sein Bett zie­hen kann.

Doch, Dirk Pitt und James Bond haben eine Menge gemeinsam, und das ist kein Zufall. Das Erfolgsrezept der Bond-Filme hat man hier in geschriebener Version vor sich, mit dem Unterschied, dass bis auf den Kino-Flop „Hebt die TITANIC!“ – das Buch ist ausgezeichnet – keiner der Cussler-Romane jemals erfolgreich ver­filmt worden ist. Es wäre mal einen neuen Versuch wert.2 Und wer gerne bei spannender Lektüre ohne signifikanten Tiefgang, aber manchmal durchaus mo­ralischen Überlegungen entspannen möchte, kann getrost zu den älteren Cuss­ler greifen. Bei manchen neueren rate ich eher ab. Da gibt es diesen schreckli­chen Sahara-Band… den tut euch besser nicht an. Aber sonst: auf ins Vergnü­gen!

© by Uwe Lammers, 2003

Ja, doch, das Abenteuer lohnt sich nach wie vor. Wer James Bond schätzt, zu­mal die frühen Filme mit Sean Connery, der ist hier durchaus recht am Platze und kommt auf seine Kosten.

In der kommenden Woche switchen wir zurück in die Gefilde der Science Ficti­on. Präzise: nach England ins ländliche Rutland nach einer Klimakatastrophe… ja, ihr wisst natürlich, was das bedeutet. Wir begeben uns in das zweite Abenteuer mit dem Mindstar-Veteranen Greg Mandel. Und was es genau mit dem „Mord-Paradigma“ auf sich hat, das erzähle ich euch in sieben Tagen.

Nicht verpassen, Freunde!

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Inzwischen ist mir längst bekannt, dass Cussler hier seinen alten Freund Leigh Hunt ver­ewigt hat, der folgerichtig in diversen Rollen in unterschiedlichsten Romanen auftaucht. Hier ist er eben Admiral.

2 Ein weiterer Versuch wurde dann einige Jahre nach dieser Rezension gemacht… dummer­weise ausgerechnet mit dem von mir gering geschätzten „Sahara“-Roman… aber so stark verändert, dass der Erfolg nahezu unweigerlich ausbleiben musste. Ich sage dazu dann an gegebener Stelle im Rezensions-Blog noch etwas.

Liebe Freunde des OSM,

also, die gute Nachricht zuerst – ich habe die Aufgabe erledigt, die ich schon im Januar schaffen wollte. Was das bedeutet? OSM-Band 1775 ist geschrieben, der nächste so genannte „Schwellenband“. Der folgende wird Band 1800 sein, und nein, natürlich kann ich aktuell noch nicht sagen, in welchem Universum er spielt oder wer seine Protagonisten sein werden.

Die zweite gute Nachricht, denn es gibt tatsächlich deren zwei, lautet: Es war ein ausgezeichneter Monat für Blogartikel. Wenn man von einem Durchschnitts­wert von 8 ausgeht, die im allgemeinen Wochen-Blog bzw. im Rezensions-Blog erscheinen, dann war das Soll im Monat März gewissermaßen übererfüllt: Ich komme auf 16 davon.

Das waren die guten News.

Die nicht ganz so tollen haben mit der gründlichen Umstellung von vergleichs­weise viel freier Zeit (und geringem Einkommen) auf gutes Einkommen und viel fremdbestimmte Arbeitszeit zu tun. Ich kam quasi nur noch nach Hause zum Abendessen und zum Schlafen… dass man da nicht allzu viel nebenher machen kann wie etwa dem Oki Stanwer Mythos zu frönen, ist irgendwie begreiflich. Na ja, ein bisschen was habe ich aber gleichwohl dann doch geschafft, nämlich die­ses hier:

Blogartikel 169: Work in Progress, Part 39

(12Neu 34: Der Gegenschlag)

Blogartikel 174: OSM-Artikel 1 – „Eigentlich sind Vampire langweilige We­sen…“

Erläuterung: Ja, hiermit geht eine neue Subartikelreihe des Blogs los. Wie ihr ja aus dem vergangenen Monat wisst, ist die Subartikelreihe „Der OSM im Bild“ quasi eingestellt, weil „arbeitslos“, aber ich habe schon verschiedentlich er­wähnt, dass das natürlich im Umkehrschluss nicht heißt, es gäbe aus dem OSM nichts mehr zu erzählen. Weit gefehlt, meine Freunde.

In dieser Reihe stelle ich euch in sehr lockerer Folge – so etwa wie bei den Kos­mologie-Lektionen – Hintergrundartikel des OSM vor, von denen ich glaube, dass sie eurem aktuellen Kenntnisstand halbwegs angemessen sind… natürlich gehen sie darüber mitunter deutlich hinaus, aber versteht die Andeutungen dar­in, die noch schleierhaft sein mögen, einfach mal als „Appetizer“. Näheres er­lebt ihr bekanntlich in der nächsten Woche hier.

Blogartikel 175: 175 Wochen Blogartikel – eine Übersicht für meine Leser

Erläuterung: Das hier möchte ich als Serviceleistung verstanden wissen für all jene, die neu auf meine Seite kommen und sich fragen, wie man da wohl konkret durchfinden mag, wo im weiten Feld der vergangenen 175 Wochen die Subarti­kelreihen angefangen haben, wann sie erschienen sind usw. Hier habe ich mir die Mühe gemacht, das mal alles gründlich aufzudröseln, damit ihr eine Schnei­se im Dickicht der OSM-Informationen findet. In zwei Wochen seid ihr schlauer.

(Die magische Waffe – OSM-Story)

(OSM-Wiki)

Blogartikel 172: Die unheimlichen Totenköpfe

(Glossar der Serie „Kampf gegen TOTAMS Dämonen und Schergen“)

(E-Book 34: Als Tiyaani noch ein Kind war…)

Blogartikel 179: Aus den Annalen der Ewigkeit – alt und neu (XII)

(Die automatische Stadt – OSM-Story)

Erläuterung: Ja, ja, ich weiß, ich habe schon viel zu oft angenommen, eine Ge­schichte sei eine „Story“, und anschließend wurde dann eine Novelle daraus oder ein Roman, an dem ich Jahre geschrieben habe… ganz gewiss kann ich das auch bei dieser Geschichte nicht ausschließen. Aber vorläufig denke ich mal, dass sie relativ kurz bleibt. Lasst euch beizeiten überraschen, ob es echt so kommt…

Blogartikel 177: Logbuch des Autors 18 – Flüchtlingsschicksale

Erläuterung: So kurios das auch klingen mag… das hat sowohl etwas mit der eben erwähnten Geschichte zu tun, in der es um Flüchtlinge geht, als auch mit der aktuell immer noch akuten „Flüchtlingskrise“. Das Thema geht natürlich auch an mir nicht spurlos vorbei, das sollte niemand glauben. Aber ich gehe da­mit ein wenig… jenseitiger um, sagen wir mal, als man das auf den ersten Blick vielleicht annimmt.

Blogartikel 183: „Was ist eigentlich der OSM?“, Teil 37

(18Neu 74: Angriff der Höllenritter)

(DSf 63: Strandgut aus der Zukunft)

Erläuterung: Ja, das ist ein ganz frisch angefangener OSM-Band, die direkte Fortsetzung von Episode 55 der Serie. Ich musste einfach ein paar Textpassagen der Planung aus dem Band 55 dorthin auslagern. Irgendwann werdet ihr mit dieser Episode ins so genannte „Saumreich“ der Talather in der Galaxis Della­noor reisen, und ich versichere euch, die Reise lohnt sich. Es kann aber sicher­lich zwei Jahre dauern, wenn ich das aktuelle Schreibtempo einhalte, ehe ich zu dieser Geschichte komme… schade eigentlich.

DSf 55: Fangstricke

Erläuterung: Und dies ist der legendäre Band 1775 des OSM, worin ein ganzes Sternenreich entdeckt wird und ihr die Bekanntschaft mit interessanten Lebens­formen aus verschiedenen Universen macht. Zartans, Allis, Yooner, Ayk… eine richtige Menagerie, kann ich versichern. Und für die beiden Hauptpersonen ist das ziemlich unschön – das sind nämlich alles Feinde…

Tanz im Smaragdwald – Gedicht

Erläuterung: Ja, das ist wieder so ein seltener Fall von OSM-Gedicht, das ich vor vielen, vielen Jahren geschrieben habe. Es skizziert erste, so später aber nicht realisierte Bilder aus früheren Episoden des KONFLIKTS 22 „Oki Stan­wer – Der Schattenfürst“ (DSf).

(14Neu 32: Die Waffenfestung)

Tja, und da war der Monat auch bereits wieder um. Ich habe ja eingangs erzählt, dass ich nicht wirklich richtig weit gekommen bin. Es sieht derzeit auch nicht wirklich danach aus, als würde es in den kommenden Monaten sehr viel besser werden. Gewisslich, mein Kontostand wird sich normalisieren, das steht zu hof­fen… aber es wird halt viel Schreibzeit auf der Strecke bleiben.

Natürlich mache ich mit den Abschriftprojekten weiter, sowohl bei den Gedich­ten als auch diversen OSM-Serien der Vergangenheit und Geschichten der Anna­len. Und ich hoffe auf eine weiterhin regelmäßige Erscheinungsfrequenz der E-Books, die sich allmählich wieder größerer Nachfrage erfreuen.

Alles Weitere schiebe ich aktuell, von den Blogartikeln mal abgesehen, die ja schon bis in die 180er-Ebene hin gediehen sind. Ich bin mal sehr neugierig, wie in ein paar Wochen der nächste Eintrag dieser Reihe lauten wird, wenn ich dann über den Monat April zu berichten habe.

In der nächsten Woche heißt es aber erst einmal: Vorhang auf zu den eigentlich geheimen OSM-Hintergrundberichten. Ich glaube, darauf könnt ihr wirklich äu­ßerst gespannt sein.

Bis dann, mit Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Rezensions-Blog 65: Herr von Valusien

Posted Juni 22nd, 2016 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

vor sechs Wochen machten wir zum zweiten Mal nach Wochen-Blog 17 (22. Juli 2015) einen Ausflug in die Gedankenwelt des 1937 verstorbenen amerikani­schen Fantasy-Autors Robert E. Howard. Hier folgt nun also die Fortsetzung sei­ner hyborischen Abenteuer um den Helden Kull von Valusien. Es ist das unbe­streitbare Verdienst von Eduard Lukschandl, auch diese eher unbekannten Ge­schichten ins Bewusstsein und aus dem großen Schatten des ungleich berühm­teren Conan herausgelöst zu haben. Und wiewohl ich Howards Prosa in dieser Übersetzung durchaus sehr schätze, bin ich, wie ihr sehen werdet, von Hagio­grafie weit entfernt. Das ist mein Ding sowieso nicht.

Doch genug der Vorrede, stürzt euch ins Abenteuer hinein, meine Freunde. Auf geht’s:

Herr von Valusien

(OT: King Kull, 2. Teil)

von Robert E. Howard & Lin Carter

Terra Fantasy Band 29

Rastatt, 1976

146 Seiten, TB

Aus dem Amerikanischen von Eduard Lukschandl

Zeit seines Lebens scheint Robert Howard seinen Helden Kull von Valusien, den einstmaligen Barbaren und späteren König eines durch und durch dekadenten Imperiums, in dem viel von der mondänen Pracht des römischen Reiches durch­schimmert, gering geschätzt zu haben. Das lag zweifellos daran, dass er mit ihm nicht so erfolgreich werden konnte wie mit jener Gestalt, die er gleichsam aus Kulls Blut destillierte – Conan der Barbar, die noch heute dank zahlreichen Neu­auflagen seiner Abenteuer, Comic- und Filmadaptionen bekannt ist. Doch wie schon in der Rezension zum ersten Teil von „King Kull“ (dt. als „Kull von Atlantis“ und eben „Herr von Valusien“) gesagt, ist Kull der nachdenklichere von den beiden Charakteren. Das wird auch in den fünf bzw. sechs Geschichten dieses Bandes deutlich.

Bei „Der König und die Eiche“ handelt es sich um ein Gedicht, das 1939 post­hum veröffentlicht wurde und auch wegen des anderen Übersetzers (Ludwig Rief) etwas aus dem Rahmen der Sammlung fällt. Es liest sich fast wie eine lyri­sche Kurzfassung einer weiteren geplanten Story um Kull, was vielleicht auch die Intention war.

Jagd im Land der Schatten“ ist eine etwas abstruse Geschichte, wie ich finde, und das Ende, das Lin Carter beisteuert, macht sie nicht unbedingt besser (wie im ersten Band die von Carter beendeten Stories durchweg die schwächsten waren, da er einfach kein Gespür dafür besaß, wie man die Geschichten philo­sophisch beenden konnte. Das könnte ein Grund für die Aporie dieser Story ge­wesen sein): Lalaah, die Gräfin von Vanara lässt ihren Ehemann Ka-yanna am Tag der Hochzeit im Stich und brennt mit dem farsunischen Abenteurer Felnar durch, das wird Kull berichtet. Nun interessiert ihn das eigentlich nicht die Boh­ne – bis eine Botschaft von ihm eintrifft: „Teile dem Barbaren mit, der auf Valu­siens Thron sitzt, daß ich ihn einen Schurken, Verbrecher und Thronräuber nen­ne…“ Und er schwört, dereinst mit bewaffneter Macht zurückzukehren, um Kull zu stürzen. Von da an hat er den zornigen Monarchen auf den Fersen. Und die Jagd geht bis ins Land der Schatten am Ende der Welt…

Auch in „Herr von Valusien“ kommt die übergroße Frustration gegenüber den althergebrachten, überkommenen Traditionen zum Vorschein. Als Seno val Dor, ein junger Adeliger, Kull bittet, durch sein Wort die Heirat mit einer Sklavin zu sanktionieren. Doch das valusische Gesetz verbietet das, und Kull kann nichts tun, wie es scheint. Doch dann wird ein Mordanschlag auf den Regenten ge­plant, und ein junges Sklavenmädchen hört davon…

Verrat am König“ präsentiert dasselbe Thema in umgekehrter Reihenfolge: diesmal ist es die junge Adelstochter Nalissa bora Ballin, die den farsunischen Abenteurer Dalgar heiraten möchte. Doch ihr Vater ist strikt dagegen, und bora Ballin ist Kulls stärkste politische Stütze. So scheint diese Liebe zum Scheitern verurteilt zu sein, käme es nicht zu einer Verschwörung, die am Schluss in ei­nem Ruinenfeld blutige Ausmaße annimmt…

Die Spiegel des Tuzun Thune“ ist hingegen ein kleines, versonnenes Stück Phi­losophie und Magie zugleich. Ermattet von den Pflichten des Königtums, ha­dernd mit dem Schicksal und frustriert über den Lauf seines Lebens, sinniert Kö­nig Kull über die Gegenwart. Und da er generell grüblerisch veranlagt ist, wird er so auch anfällig für die Einflüsterung, er solle doch den Zauberer Tuzun Thu­ne aufsuchen, denn „er kennt die Geheimnisse des Lebens und des Todes, der Sterne am Himmel und der Länder unter dem Meer“.

So begibt sich denn Kull in Tuzun Thunes Haus der tausend Spiegel und macht die überraschende Entdeckung, während er vor den Spiegeln meditiert, „daß es Welten hinter den Welten gibt“… und während er dies tut, geht eine unheimli­che Veränderung mit ihm vor sich…

Epilog“ ist, wenn man so will, keine Geschichte. Es handelt sich um einen kurz­en Auszug aus Howards „Mythologie“, wie man es nennen könnte. Der Text „Das hyborische Zeitalter“ umspannt die Rahmenhandlung von Kulls und Conans Welt von der grauen Vorzeit und spannt den Bogen bis in die Zeit der menschlichen Geschichte, bis hinauf zu den Römern und Pikten. Es ist sozusa­gen die historische Erklärungsfolie, wo in der Menschheitsgeschichte das fiktive hyborische Zeitalter einzuordnen wäre.

Und bei der abschließenden Story, „Rotaths Fluch“, ist man unwillkürlich schmunzelnd geneigt, an Indiana Jones zu denken. Weshalb? Nun, als der Zau­berer Rotath stirbt, weigert er sich, ein für allemal zu vergehen. Etwas von ihm soll bestehen bleiben, und sei es auch nur sein Leib. Er verwandelt also seinen Körper, derweil Atlantis und Valusien rings um ihn in Trümmer sinken. Tausende von Jahren später findet ein Abenteurer den dschungelüberwucherten Tempel, in dem der Leichnam liegt. Was dann geschieht, sollte man lieber selbst nachle­sen…

Abgerundet wird das Buch dann durch einen ausführlichen biografisch-schrift­stellerischen Essay Eduard Lukschandls über Howards Leben und die Einflüsse, die sein Schreiben generierten. Dabei gibt es gewisse Momente des Gruselns, wenn er Howards Briefe zitiert, etwa jenes an Farnsworth Wright, den Heraus­geber von WEIRD TALES aus dem Jahre 1931. Schreibt Howard dort doch: „Hin und wieder gibt es einen, dem es zu viel wird, und der sich eine Kugel durch den Kopf jagt, aber auch das gehört wohl zum Spiel.“ Bedenkt man, dass Howard fünf Jahre später selbst diesen Weg wählt, ist Erschauern wohl eine verständliche Reaktion.

Auch sonst erfährt man hier einiges Interessante über Howard, wobei sich in mir freilich ein wenig Skepsis regte, als es hieß, Howards Ahnen, „die Ervins wa­ren ein Clan des schottischen Hochlands…“ Es ist wohl anzunehmen, dass der Clan McErvin geheißen haben dürfte, da meines Gabaldon-gestählten Wissens alle Clans des schottischen Hochlandes die Vorsilbe „Mc“ tragen. Hier wäre also ein wenig mehr Präzision und Nachhaken vonnöten.

Der wechselvolle berufliche Weg Howards dokumentiert einiges, was er auch in seinen Kull-Stories verarbeitet: die Unfähigkeit, sich anderen Menschen unter­zuordnen, sein Aufbegehren gegen bestehende Strukturen und Gesetze, kurz: gegen alles, was ihn irgendwie einschränkte. Deshalb war er auch erwartungs­gemäß weder als Privatsekretär noch als Mitarbeiter in einer Zeitung zu gebrau­chen, ebenso wenig in einem Postamt. Seiner eigenen Aussage nach verlor er diese Stellungen, „weil ich vor meinem Vorgesetzten nicht den ganzen Tag Kotaus machen und ja sagen wollte…“.

Wo Kull steinerne Gesetzestafeln Valusiens zerbricht und erbost brüllt: „Ich bin das Gesetz“, kann man sich lebhaft den temperamentvollen Robert Howard vor­stellen, der von seinen Vorgesetzten schikaniert wird und eines Tages alles ein­fach hinwirft, um seinen Traum des Schriftstellers zu leben.

Und als Nachgeborener muss man sich seufzend fragen, was dieser Mensch wohl noch alles hätte leisten können, wenn er seinem Leben nicht in abgrund­tiefer Verzweiflung im Alter von 30 Jahren durch die Kugel ein Ende gesetzt hät­te. Wahrlich, ein sprühender, temperamentvoller Geist, der schon mit 18 seine ersten Geschichten professionell zu verkaufen imstande war, hätte noch Großes leisten können. Leider werden wir davon nie erfahren, denn dies ist nicht in un­serer Welt geschehen…

© by Uwe Lammers, 2006

Auch in der kommenden Woche verlieren wir an dieser Stelle ein wenig den Bo­den unter den Füßen, selbst wenn das noch kaum zu spüren ist. Ich wandle dann wieder auf den Pfaden des Thrillerautors Clive Cussler, von dessen Wer­ken ihr an dieser Stelle noch viel lesen werdet. Auf eine durchaus interessante Weise hat er es geschafft, eine Art von Krimi-Abenteuer-Parallelwelt zu erschaf­fen – selbst wenn er mit dem Roman der nächsten Woche eher noch auf den Fährten der James Bond-Verfilmungen wandelte.

Ihr werdet es erleben, denke ich. Einfach wieder reinschauen.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Wochen-Blog 172: Die unheimlichen Totenköpfe

Posted Juni 19th, 2016 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

wenn ich meinen Veröffentlichungsplan für das Jahr 2016 einhalten kann – es gibt da derzeit ein paar Turbulenzen, das scheint irgendwie in jedem Jahr der Fall zu sein, von einem konstanten Verlauf meiner Publikationstätigkeit kann bei meinem wechselhaften Lebenslauf zurzeit kaum die Rede sein – , also, wenn ich diesen Publikationsplan einhalten kann, dann sollte zum Zeitpunkt, wo ihr diese Zeilen lesen könnt, meine vierte Storysammlung „Als Tiyaani noch ein Kind war… Phantastische Geschichten von Uwe Lammers“ vorliegen.

In diesem E-Book könnt ihr die Bekanntschaft mit einer Spezies von Wesen ma­chen, die mir schon vor vielen Jahren verschiedentlich den Vorwurf eintrugen, der Oki Stanwer Mythos sei doch recht eigentlich nicht Science Fiction, sondern Horror.

Die Rede ist von den so genannten Totenköpfen.

Lebende Skelette, völlig fleischlos, aber dennoch nicht in ihre Einzelteile zerfal­lend, sondern zusammengehalten, so schien es mir viele Jahr lang, durch den sinistren bösen Willen TOTAMS, vollkommen gnadenlose Geschöpfe, bewaffne­te Kampfmaschinen, morbiden Terminatoren nicht unähnlich (allerdings älter als diese Filmschöpfungen; Totenköpfe tauchen schon in den 70er Jahren in er­haltenen handschriftlichen OSM-Skripten auf).

Ihr wisst, ich bin ein intuitiver Autor, das heißt, meist schreibe ich Dinge, weil ich die tiefe Überzeugung hege, ich MÜSSE so schreiben, ohne indes erklären zu können, WARUM das so ist. Das ist für viele Leser natürlich nicht sehr befriedi­gend, und die Vorstellung an ausweichende Autorenwillkür liegt da nahe. Das ist in diesem Fall allerdings verkehrt. Denn mich selbst treibt ja auch die Warum-Frage um, brennender noch als euch, weil ich sehr viel mehr Überblick über das Gesamtwerk habe. Ich erzähle euch halt nicht irgendeinen Schmu, sondern referiere gewissermaßen, hier ganz Geisteswissenschaftler, meinen ak­tuellen Forschungsstand.

So verhält es sich auch mit den Totenköpfen, zu denen ich heute ein paar einlei­tende Bemerkungen machen möchte – denn da dieses Thema im Kern zu den Kosmologie-Lektionen des OSM gehört, könnt ihr euch vorstellen, dass es dazu sehr viel zu sagen gibt und die Hintergründe komplexer sind, als ich es auf dem knappen Raum eines einteiligen Beitrages ausleuchten könnte. Wir werden uns mit diesen Wesen noch des Öfteren beschäftigen, versprochen.

Die Totenköpfe begegnen euch erstmals in der o. g. Storysammlung, in der Ge­schichte „Heimweh“. Die ist natürlich ein wenig gemein, weil ein Crossover in einen euch unbekannten Kosmos des Oki Stanwer Mythos, nämlich den KON­FLIKT 21, über den ich in der Serie „Oki Stanwer – Fürst von Leucienne“ (FvL) schreibe. Und doppelt unfair ist es deshalb, weil die hier beschriebenen Toten­köpfe ja schon solche in einer Ausnahmesituation sind.

Der arme Oheetir-Totenkopf Shaygül etwa, die Hauptperson der Geschichte, empfindet „Heimweh“ nach seiner Welt Höolyt, und er kann sogar die Rückkehr realisieren. Die klassischen Totenköpfe sind anders gestrickt, deutlich anders – beizeiten werdet ihr sie erleben, etwa in dem Werk „DER CLOGGATH-KON­FLIKT“, mit dessen Publikation ich 2017 beginnen möchte.

Dennoch lassen Shaygüls Worte eine gewisse Hintergrundstruktur erkennen, die hier kurz umrissen werden soll und euch der Genese der Totenköpfe etwas näher bringt (noch mehr erfahrt ihr im Winter 2016 in dem sechsten „Annalen“-Band, der ja den Titel „Mein Freund, der Totenkopf“ tragen wird und eine Men­ge erhellende Information aus der Insider-Position enthält):

Voraussetzung, um ein Totenkopf zu werden, ist der Tod.

Der Protagonist – hier Shaygül – stirbt, doch seine Seele wandert sodann nicht wie erhofft in ein elysisches Jenseits, sondern wird fortgerissen und in einen Schacht aus Feuer geschleudert. So jedenfalls erlebt es Shaygül wieder und wie­der.

Das nächste, was er nach dieser Art von „Fegefeuer“ realisiert, ist, dass er in dem uniformen, knöchernen Totenkopf-Körper aus den schwarzen Kristalltoren auf TOTAM tritt und als automatischer Kampfsoldat in voller Bewaffnung in das Untotenheer eingegliedert wird, um militärischem Drill unterworfen zu werden.

Er ist von nun an Teil der LEGION, TOTAMS ewiger, scheinbar unsterblicher Ar­mee, denn nach jedem „Tod“ oder jeder Vernichtung erscheint er quasi in Null­zeit wieder – nach einem Sturz in den Feuerschacht – auf den Kriegerebenen TOTAMS durch die Kristalltore. Und mit jedem Durchgang wird er immer perfekter als Kampfmaschine gedrillt.

In „Heimweh“ schleicht sich dann das genannte Heimweh-Syndrom als Störfak­tor im Laufe der Zeit in die gedrillten Truppen ein, lässt sie ihre Autonomie und Eigenpersönlichkeit entfalten und macht sie damit letzten Endes für die Macht des Bösen zu unkalkulierbaren Risiken im Einsatz.

Das war, ihr werdet es beizeiten erleben, durchaus nicht immer so, sondern ist ein relativ singuläres Faktum für den KONFLIKT 21. In früheren Zeiten waren To­tenköpfe durchaus knallharte Befehlsempfänger, die ohne Rücksicht auf eigene Verluste ihre Ziele verfolgten – und begreiflicherweise, denn wer WEISS, dass er nur auf Zeit sterben kann und sogleich wieder in den Einsatz geht, der empfin­det aus verständlichen Gründen keine Existenzfurcht mehr, und der sprichwört­liche „Todesmut“ erhält hier eine völlig andere Qualität.

Aber es tauchen natürlich Fragen auf.

Beispielsweise: Wie kam TOTAM auf die Idee, die Totenköpfe zu entwickeln?

Das lässt sich inzwischen auch für euch Leser in Ansätzen beantworten. Ihr braucht euch nur „Annalen 1: In der Hölle“ (2013 als E-Book erschienen) anzu­sehen. Dort werdet ihr, in KONFLIKT 4, dem INSEL-Imperium, Zeugen der Germi­nierung der so genannten Alten Armee, der schrecklichen Monsterarmee, die die INSEL niederwalzt. Dies sind die Vorläufer der Totenköpfe.

Die Totenköpfe selbst tauchen nach meiner Kenntnis vor KONFLIKT 7 auf, aber da das noch ungeschriebenes Neuland ist, kann ich hierüber keine exakten Da­ten liefern. Ich weiß nur, dass die Baumeister die Hohlwelt Hyoronghilaar, den Kampfschauplatz des KONFLIKTS 7, deshalb exakt so bauen, um die Bedrohung durch die Totenköpfe auszuschalten. Das gelingt ihnen auch… aber das heißt natürlich nicht, dass TOTAM nicht darauf entsprechend reagiert.

Nächste Frage: Wie kommt es zu dem Aussehen der Totenköpfe?

Antwort: In der eben erwähnten Geschichte wird angenommen, dass die Psy­chologie des Angegriffenen wesentlichen Einfluss auf die Wahl der Physis der Totenköpfe hat. Das kann stimmen, muss aber nicht. Dass der psychologische Faktor für die Folgezeit essentiell ist, kann aber nicht geleugnet werden.

Ist es dann so, wie der arme Shaygül fürchtet, dass JEDER Tote gewissermaßen automatisch nach TOTAM gelangt und als Totenkopf wiedergeboren wird? Das kann ich inzwischen konsequent verneinen. Das ist nicht der Fall. Es gibt unter­schiedliche Versionen des Nachlebens im OSM, aber wie ihr aus früheren Blog­artikeln zu diesem Thema wisst, gibt es gerade in diesem Punkt noch einiges nachzuarbeiten und zu ergründen. Für KONFLIKT 21, um den es ja in der Story „Heimweh“ geht, kann festgehalten werden, dass dort nur relativ wenige – al­lerdings dicht besiedelte – Galaxien von dem Phänomen des Seelentransfers betroffen sind. Das hat etwas zu tun mit den so genannten „Knochenstraßen“, die im KONFLIKT 14 „Oki Stanwer – Feldherr der Cranyaa“ (FdC) erstmals anno 1984 beschrieben worden sind.

Ja, ihr seht, das Thema ist nicht gerade neu, aber es ist so knifflig, dass ich es noch lange nicht durchdrungen habe.

Und woraus mögen die Totenköpfe bestehen?, fragen sich manche Wesen im OSM. Nun, aus Knochen natürlich, könntet ihr antworten – aber mal im Ernst: wenn ein Totenkopf zerstört wird, zerfällt seine Substanz rückstandslos und ver­brennt in kaltem, schwarzem Feuer, es bleibt allenfalls eine Bodenschwärzung zurück. Sieht so der Zerfall von Knochen aus?

Antwort: Nein. Also ist der Anschein trügerisch. Totenköpfe sehen zwar aus wie lebende Skelette, aber sie sind offensichtlich keine. Und aus Knochen bestehen sie auch nicht. Was die Frage aufwirft, woraus sie dann bestehen. Auch hier wird euch, das sei angekündigt, „Annalen 6“ einer Antwort näher bringen – ei­ner so unglaublichen Antwort, dass ich sie hier und heute nicht vorwegnehmen möchte.

Über die größten Zeiträume im OSM hinweg – und wir reden hier von gut 100 Milliarden Handlungsjahren und zahlreichen verschiedenen Universen und Hun­derten oder gar Tausenden von Galaxien – tut man jedenfalls gut daran, wenn man auf TOTAMS Truppen stößt, damit zu rechnen, dass man es unweigerlich mit Totenköpfen zu tun bekommt.

Bevor den Verantwortlichen der TAA PHESKOO Oki Stanwers in KONFLIKT 21 klar wird, dass sich die Totenköpfe wegen ihres „Heimweh-Syndroms“ nun grundlegend anders als erwartet verhalten, ist der Ruf der Totenköpfe so gräss­lich in den Weiten des Oki Stanwer Mythos, dass ihre bloße Erwähnung paraly­tischen Schrecken hervorruft und Armeen und Völker in die Flucht schlägt.

Die unheimlichen Totenköpfe sind ein zentraler Schrecken des Oki Stanwer My­thos, auf die ihr bislang nur ganz selten getroffen seid. Ihr werdet das „Vergnü­gen“ wieder haben, das kann ich versichern. Und vielleicht beginnt ihr euch dann auch Fragen zu stellen über die Natur dieser rätselhaften Kreaturen. Wenn dem so sein sollte, dann willkommen an Bord, Freunde – dann seid ihr auf der Grübelebene des OSM angelangt, wo ich mich regelmäßig auch heute immer noch einfinde und knifflige Probleme wälze. Eine wunderbare Denkebe­ne, wie ich finde. Und ich würde mich freuen, wenn ihr das selbst genauso sä­het.

Für den Moment soll dies an einleitenden Grübeleien zum Thema der Toten­köpfe alles gewesen sein. Im Blogbeitrag der kommenden Woche berichte ich euch turnusmäßig, wie weit ich kreativ im Monat März 2016 im Oki Stanwer Mythos vorwärts gekommen bin.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Liebe Freunde des Oki Stanwer Mythos,

vor der Sommerpause meines Publikationsprogramms gibt es noch einmal die volle Dröhnung an kreativem Input und Lesestoff für euch. In meinem inzwi­schen 40. erscheinenden E-Book, „Als Tiyaani noch ein Kind war…“ findet ihr dieses Mal drei längere Novellen vor, von denen zwei aus verschiedenen Uni­versen des Oki Stanwer Mythos (OSM) stammen.

Ein kurzer Blick soll genügen, um euch neugierig zu machen.

In der Titelgeschichte, die im „Garten der Neeli“ spielt, inmitten der Archipel-Metropole Asmaar-Len also und im Kreise einer munteren Schar von Mädchen, führt ein unerwarteter Zwischenfall dazu, dass Neugierde auf eine alte Archipel-Legende geweckt wird. Das Mädchen Tiyaani ist die zweite Tochter der Göttin Neeli, und es gilt allgemein als die Schutzpatronin der kleinen tropischen Vögel. Doch warum ist das so? Was ist vorgefallen, dass sie zu ihrer Bestimmung fand? Lest diese Geschichte, und ihr werdet schlauer sein…

Der Platz der Steine“ spielt im KONFLIKT 19 des Oki Stanwer Mythos – ihr habt davon schon Vorgeschmäcker zu lesen bekommen in „Annalen 2: Ian und der Stein der Götter“ (2014) und in der Story „Die Intervention“. Dies hier ist die Fortsetzung des Ian-Romans. Das Mädchen Senyaali, damals gerade geboren, ist jetzt schon quirlige sieben Jahre alt und schrecklich gelangweilt. Als sie einer rätselhaften Fährte folgt, gerät sie unvermittelt in Lebensgefahr…

Heimweh“ führt euch über den zeitlichen Abstand von rund zehn Milliarden Handlungsjahren zwei Universen weiter in die Galaxien Leucienne und Bytharg. Hier stirbt auf der Welt Höolyt ein Käferwesen namens Shaygül, woraufhin sei­ne Mutter gramerfüllt den Verstand verliert. Aber das ist erst der Anfang der Story, und der Tod ist durchaus nicht das Ende, sondern der Beginn von etwas sehr viel Ungeheuerlicherem…

Gerade die letzte Geschichte ist eine gute Vorbereitung auf Dinge, die in Bälde als E-Book auf euch zukommen werden, nämlich im Winter 2016 in Gestalt des nächsten Bandes der Reihe „Aus den Annalen der Ewigkeit“. Mehr möchte ich da noch an dieser Stelle gar nicht verraten.

Ergänzt wird diese Storysammlung durch ein kombiniertes OSM-Archi­pel-Glossar, weitere Namen und Begriffe werde ich auf meine Website in die OSM-Wiki so rasch als möglich einspeisen.

Das E-Book „Als Tiyaani noch ein Kind war…“ ist ab sofort zum Preis von 3,49 Euro auf Amazon-KDP erhältlich. Der Gratisdownload ist einmalig am 22. Juni 2016 möglich.

Ich wünsche euch angenehmes Lesevergnügen.

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Rezensions-Blog 64: Leila. Ein bosnisches Mädchen

Posted Juni 14th, 2016 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

Krieg ist eine grässliche Geißel der Menschheit, das ist heutzutage in den Köp­fen der meisten klugen Menschen fest verankert. Zumal in jenen Ländern, die selbst schon seit Jahrzehnten keinen Krieg mehr erlebt haben, beispielsweise in Deutschland.

Doch die Wogen des Krieges berühren uns immer wieder und spülen das menschliche Strandgut dieser Konflikte an unsere Gestade. Flüchtlinge wie jene, die aktuell aus dem Nahen Osten in großer Zahl über den Balkan nach Zentraleuropa gelangen. Opfer nicht zuletzt einer von Großmachtinteressen und Kurzsichtigkeit geleiteten Weltpolitik, die dilatorisch wirkt und zu oft denkt, was weit weg von uns geschehe, das sei irrelevant für die Gesellschaft vor Ort. Dies ist ein tragischer Irrtum. Und selbst wenn Friedensschlüsse Konflikte vor­geblich abschließen, führt dies durchaus nicht immer zu so etwas wie Gerech­tigkeit.

Es gibt so etwas wie bittere, vergiftete Friedensschlüsse, und solche histori­schen Zäsuren übersehen nur zu gern das Leid und die Schrecken, die die zivilen Opfer erlitten haben und die dann dem Vergessen anheimfallen. Ein solches Beispiel möchte ich euch mit dem nachfolgenden Buch gern vorstellen, weil ich es für sehr wichtig halte.

Folgt mir in einen Alptraum der jüngsten europäischen Geschichte:

Leila. Ein bosnisches Mädchen

Von Alexandra Cavelius

Ullstein-Buch

244 Seiten

Wie schmal ist der Grat zwischen Normalität und Monstrosität? Sehr schmal. In diesem Buch ist beides so eng miteinander verflochten, dass der Leser manch­mal an seinem Verstand zweifelt. Und wenn er die letzten Seiten hinter sich ge­bracht hat und fragt, was für Folgen sich daraus ergeben, was die Weltgemein­schaft tut, um dem Recht wieder zur Geltung zu verhelfen, der muss erschüttert erfahren, dass… dies alles vergessen worden ist. Dass man die Würde der Opfer nachträglich mit Füßen tritt und die Verbrecher belohnt.

Doch vielleicht sollte ich vorne beginnen.

Die Geschichte spielt in Europa, soweit man den Balkan dazu zählen möchte (was die Politiker heute mehrheitlich tun, manche möchten diese Länder sogar gerne in absehbarer Zeit in die Europäische Union aufnehmen, wovon ich vor­erst noch eindringlich abraten will.1 Die Gründe werden aus dem Folgenden er­sichtlich sein). Sie spielt nicht vor fünfzig oder sechzig Jahren, zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges, sondern gewissermaßen „gestern“.

Das Leben der Hauptperson Leila beginnt am 17. September 1976, womit sie fast zehn Jahre jünger ist als der Rezensent. Und doch fühlt sie sich nach eige­nen Angaben „oft wie eine Großmutter“, und sie fährt fort: „Es ist lange her, dass ich als normales Mädchen ein normales Leben geführt habe. Meine Ver­gangenheit sieht man mir nicht an. Manche Leute behaupten sogar, dass ich schön wie Schneewittchen sei. Weiße Haut, schwarze Haare und Augen wie Kohle. Groß und schlank. Wie oft habe ich mir gewünscht, hässlich zu sein. Viel­leicht wäre mir manches erspart geblieben…“

Kryptische Worte zu Beginn?

Nicht mehr lange.

Leila wird in eine muslimische Familie in Bosnien hineingeboren, doch ihre Mut­ter flüchtet noch, als Leila ein relativ kleines Kind ist, vor ihrem brutalen Mann zu einem befreundeten Kroaten, den sie später heiratet. Das schockiert zwar die konservativen muslimischen Kreise, allerdings nur im Heimatdorf. In größe­ren Städten sind gemischte Ehen völlig normal.

Bis zum Jahre 1992.

In diesem Jahr beginnt der von Slobodan Milosevic angezettelte Krieg im einsti­gen Jugoslawien, ursprünglich der Kampf um serbische Hegemonie, doch das gerät rasch außer Kontrolle. Die seit Jahrzehnten von der kommunistischen Par­tei zusammengehaltenen Völkerschaften des Vielvölkerstaates entwickeln sich auseinander, Nationalismus grassiert, Nationalstolz wuchert aus dem Boden wie ein ungesunder Pilz.

Aus all dem macht sich Leila nichts, die sich in all ihrer Eitelkeit und Leichtlebig­keit ein Leben als künftiger Star vorstellt. Vielleicht, so denkt sie, geht sie zum Theater, wird Mannequin, Schauspielerin, Sängerin… sie schwärmt für Madon­na, Michael Jackson und westliche Popmusik, trägt moderne Mode und interes­siert sich nicht im Mindesten dafür, ob jemand ihrer Nachbarn Serbe, Kroate, Bosniake oder Moslem ist. Der Krieg ist etwas Fernes, Seltsames, er geht sie nichts an. Sie leben doch völlig normal in B. 2, nicht wahr? Der Krieg ist sicher nur von kurzer Dauer, er geht vorüber, solche Zeiten sind doch längst vorbei…

Aber sie irrt sich.

Seit September 1991 hält sich Leila in der Stadt K. auf, um vier Jahre Mittelschu­le zu absolvieren. Dort feiert Leila auch ihren 15. Geburtstag. Es ist der letzte, den man normal nennen kann. Der letzte für lange Zeit, an den sie überhaupt DENKT.

In K. gefällt es ihr ausgezeichnet, die Verwandten dort sind sympathisch, doch der Krieg holt sie hier furchtbar schnell ein. Ihre Nachbarstadt Bihać wird bom­bardiert und eingekesselt. Und dann gerät die Stadt K. unter Beschuss. Das ist jedoch nicht das Schlimmste: der Krieg in den Köpfen ist viel entsetzlicher – auf einmal konvertieren selbst Leilas Mitschülerinnen zu fanatischen Serbenhassern und werden von dem Sog der Ideologie völlig vereinnahmt.

Leila versteht noch immer nicht. Sie ist so naiv, wie jeder von uns es wäre.

Als die Angriffe vorübergehend eingestellt werden, kommt aus der Nachbar­stadt Velika Kladuša ihre Tante Nermana vorbei, eine rund dreißigjährige Frau, die Leila einlädt, doch mal bei ihr vorbeizuschauen. Arglos, wie das Mädchen ist, willigt es ein.

Während Leila sich bei der Tante befindet, setzen die Kämpfe wieder ein. Sie sitzt bei ihr fest. Und dann werden sie beide bei einer Polizeidurchsuchung aus der Wohnung gezerrt und ins Polizeirevier geschleppt – wo Nermana jählings behauptet, Leila nicht zu kennen. Während Nermana kurze Zeit später wieder zurückkehren kann, wird Leila verhört und schließlich beschuldigt, eine Spionin zu sein. Ehe sie versteht, was passiert, schlägt diese Ungeheuerlichkeit in bruta­le Gewalt um:

Als mich der Polizist über die Türschwelle schob, fragte ein fetter Wächter: ‚Warum ist die denn hier?‘… Der Polizist antwortete: ‚Das ist eine Spionin.‘ Mit voller Wucht schlug mir der Fettsack ins Gesicht. Dann packte er mich an mei­nen langen Haaren und schlug meinen Kopf mehrmals an einen eisernen Ofen. Danach spürte ich nichts mehr…“

Und das ist erst der Anfang.

Wenig später findet sich die nur noch spärlich bekleidete Leila in der so genann­ten „Putenfarm“ wieder, einem von Paramilitärs eingerichteten Konzentrations­lager in einer alten, stillgelegten Lagerhalle, die einst für Geflügelzucht diente. Hier werden viele Frauen und Mädchen unter erbärmlichen Umständen festge­halten, äußerst kärglich verpflegt, schikaniert und… vergewaltigt.

Leila befindet sich, ohne dass irgendwer davon weiß, in einem der berüchtigten Vergewaltigungslager der Serben3, und hier verliert sie ihre Unschuld unter den brutalen Wächtern, die sich einen zynischen Spaß daraus machen, ihre Opfer zu foltern und zu quälen. Wie ihre hohlwangigen, teilnahmslosen Gefährtinnen stumpft Leila schnell ab und hofft bald nur noch, dass dieser Alptraum irgend­wann ein Ende hat. Ja, sie sehnt sich sogar herbei, dass man sie endlich auf den Hof hinauszitiert, wo die Soldaten „Russisches Roulette“ mit ihren verzweifelten Opfern spielen (wobei manche wirklich durch Kopfschüsse ums Leben kommen; andere Mithäftlinge verschwinden spurlos).

Als Velika Kladuša drei Jahre später, im August 1995, befreit wird, fragen Leilas Verwandte natürlich voller Angst sofort nach, was denn aus Leila geworden ist. Aber Nermana behauptet, sie sei niemals bei ihr angekommen, sondern auf dem Weg entführt worden. Niemand glaubt das, aber das Gegenteil lässt sich nicht beweisen: wie so viele Menschen ist Leila in den blutigen Wirren des Bür­gerkrieges spurlos verschwunden.

Für ihren Verrat wird Nermana niemals belangt werden.

Was aber geschah mit Leila?

Sie blieb vier lange, schreckliche Monate auf der Putenfarm und hoffte immer­zu darauf, dass sie in die Freiheit zurückkehren könne, glaubte noch immer an eine bizarre Form von Justizirrtum. Als schließlich der oberste Lagerkomman­dant Iuvuz Begić anreist, nimmt sie an, das Schicksal werde sich bessern. Sie wird „zum Verhör“ auf die schwarze Festung mitgenommen, doch die Freund­lichkeit ihr gegenüber ist nur vorgetäuscht.

Anstatt in die Freiheit zu gelangen, wird Leila von neuem vergewaltigt und als private Gefangene gehalten. Und am fünften Tag kommt Begić zu ihr und sagt: „Es tut mir leid, Leila, aber ich muss dich umbringen.“

Der Tod wäre ein Geschenk für Leila gewesen, ohne Zweifel. Aber das Schicksal ist manchmal ein grausamer Weggenosse – sie wird nicht getötet. Stattdessen verschachert Begić sie für zwei Stangen Zigaretten an die Schwarze Legion, und in den folgenden Monaten wandert Leila gezwungenermaßen durch die Betten vieler Soldaten und durch zwei Bordelle. Sie gibt zu, dass sie sich bis heute an diese Monate nicht mehr klar erinnern kann: „Mir fehlen ganze Stücke. Oft wer­fe ich alles durcheinander. Mich würgt die Erinnerung. In dieser Zeit habe ich nicht mehr gehofft und nicht mehr phantasiert. Diese Kerle hatten meine Seele zerstückelt…“

Während all dieser Zeit – und das kommt gut in den ständig eingestreuten (und manchmal durch Druckfehler falsch datierten) Tagebucheinträgen ihrer Mutter zum Vorschein – versucht die Mutter, ihre Lieblingstochter Leila zu finden. Sie bangt um sie, und die Sorge macht sie jeden Tag kränker. Während sie evakuiert wird, ihr Mann die Arbeitsstelle verliert, während sie aufgrund ihrer gemischt konfessionellen Familie Probleme mit der Rationszuteilung hat, ist und bleibt Leila verschwunden, als hätte der Erdboden sie verschlungen.

Leila geht unterdessen durch ihre ganz eigene Hölle, durch die Schattenwelt hinter den Linien des Krieges, von der man normalerweise nichts zu sehen und zu hören bekommt. Sie wandert als Sklavin, als Eigentum, als Armeehure durch die Ortschaften und Städte. Sie verliert jede Vorstellung für die Zeit, jeder Tag scheint gleich zu sein, ein elendes Vegetieren, ein stumpfsinniges Existieren ein­fach nur für die Lust der Männer. Und schließlich, vermutlich im April 1994, als Leilas Alptraum schon rund zwei Jahre währt, macht sich die Armeeeinheit, in der sie „dient“, auf den Weg „nach Hause – nach Kladuša“. Dorthin darf Leila nicht mit, schließlich könnte sie ja, vielleicht, irgendwann über das reden, was man ihr angetan hat. Also beschließen die Soldaten, sie zu erschießen und im Wald zu verscharren.

Vielleicht wäre auch das eine Gnade gewesen.

Doch der Soldat, der das tun soll, macht etwas anderes. Er rettet sie und ist un­gewöhnlich fürsorglich. Statt Leila zu töten, nimmt er sie mit zu sich – auf eine serbische Polizeistation. „Er grüßte die Soldaten, die am Tisch fläzten“, erzählt Leila. „Sie glotzten mich an, als käme ich von einem fremden Planeten. Ein bar­füßiges und verdrecktes Skelett in Uniform stand vor ihnen…“

Auf eine schreckliche, entmenschlichte Weise ist sie erwachsen geworden, bis zum Scheitel angefüllt mit Selbsthass, grauenerfüllt von ihrem Spiegelbild. Das könne sie nicht sein, redet sie sich ungläubig und schockiert ein, nicht dieses Wrack…

Leila will eigentlich nur noch, dass alles endlich zu Ende geht, aber sie ist noch lange nicht dort angekommen, wo ihr Leidensweg schließlich aufhören wird. Bis dahin kommt noch der Irrweg in die serbische Feldküche, durch die Frontlinien, der Marsch tief nach Serbien hinein… ja, und dann ist da schließlich noch Rat­ko, durch deren Bekanntschaft sich ihr Leben auf eine ganz eigenwillige Weise wandelt. Doch ob man das Glück nennen mag…

Das Leben meint es nicht gut mit Leila, so oder so betrachtet. Und ihre Seele hat bis heute keine Ruhe, selbst wenn sie es geschafft haben sollte, im Jahre 2000 vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag auszusagen, doch das ist fraglich…4

Das Abkommen von Dayton schuf im Jahre 1995 die Grundlagen für einen fragi­len Frieden im ehemaligen Jugoslawien. Slowenien, das wohl vom Krieg am we­nigsten berührte Land, wurde 2004 in die Europäische Union aufgenommen, Bosnien, Kroatien und Serbien bemühen sich darum, ebenfalls in diese Gemein­schaft zu gelangen. Viele Menschen, die aus berechtigten Gründen heraus aus Jugoslawien geflohen waren und Zuflucht beispielsweise in Deutschland such­ten, sind in den vergangenen zehn Jahren repatriiert worden, viele zwangswei­se. Die Begründung lautete leider immer sehr ähnlich: es herrsche Frieden in ih­rer Heimat, der Krieg wäre vorbei, der Ausbruch neuer Gewalttätigkeiten sei nicht zu erwarten. Also bestehe kein Grund mehr dafür, die Flüchtlinge in Deutschland zu halten, wo sie (was man so laut nicht sagte) nur dem Steuerzah­ler auf der Tasche lägen.

Doch was erwartet die Rückkehrer? Und was erwartet jene, die durch die Bür­gerkriegswirren hindurch daheim blieben – was immer „daheim“ heute heißen mag (auch davon erzählt Leilas Mutter, sie selbst erst recht)? Die Arbeitslosen­quote ist erschreckend hoch. In Bosnien und Serbien, so schrieb es einmal die ZEIT, erhalten ausschließlich jene Männer Arbeit, die „im Krieg“ waren. Diejeni­gen, die sich dem Kriegsdienst verweigerten, und sei es aus moralischen Grün­den heraus, die Menschen also, die sich weigerten, das Hab und Gut fremder Leute zu verwüsten, die sich weigerten, Menschen abzuschlachten, die nur fälschlich die verkehrten Namen oder die falsche Religion besaßen, jene Män­ner also, die sich weigerten, Mädchen und Frauen – wie Leila – in Vergewalti­gungslager einzusperren (die durchaus übrigens nicht nur auf der serbischen Seite bestanden, was gerne verschwiegen wird) und dort monatelang zu miss­brauchen… diese anständigen Männer werden nun bestraft.

Ist das eine Form von Moral? Wer im Krieg amoralisch wird und mit den Wölfen heult, wird nachträglich von den Siegern dafür belohnt, dass er mordete, be­trog, vergewaltigte und zerstörte? Und die, die anständig blieben, werden be­straft? Im Krieg und nach dem Krieg?

Der gesunde Menschenverstand sträubt sich dagegen, das zu glauben. Doch im einstigen Jugoslawien ist dieses Unrecht an der Tagesordnung. Niemand geht dagegen vor, denn die heutigen Gesetzgeber waren vor zwölf Jahren selbst Tä­ter. Ein Schweigekartell verhindert die Aufarbeitung des Krieges. Weil man nur verlieren könnte.

Doch was ist mit Leila?

Sie kehrte aus dem Krieg mühsam zurück, an der Seite eines ihren Eltern frem­den Mannes, mit einem kleinen Kind, doch ihre Seele ist noch immer brandzer­narbt, wund und wird womöglich nie wieder völlig heilen. Von ihren Vergewalti­gern ist niemand gefasst und verurteilt worden. Von den Mördern ihrer Mithäftlinge in der Putenfarm und den Bordellen ist, soweit bekannt, niemand jemals belangt worden. Viele von ihnen leben als „anständige Bürger“ in jenen Städten, die sie plündern geholfen haben, deren Bewohnerinnen sie miss­braucht und ermordet haben, und aus schierer Angst heraus wagt es kaum je­mand, etwas zu sagen. Heute spielen sie „anständige Nachbarn“ ihrer Opfer.

Um in Den Haag aussagen zu können, muss man Geld und gute Kontakte besit­zen, man muss imstande sein, den psychischen Alptraum, der jedes Wort in der Kehle ersterben lässt, noch einmal zu durchleben. Viele Frauen sind dazu außer­stande, haben keine Kraft mehr, hassen ihren Körper und vielleicht auch jene Kinder, die auszutragen sie gezwungen wurden. Und als wäre das noch nicht schlimm genug, gibt es auch viele in ihren eigenen Volksgruppen und eigenen Familien, die ihnen offen vorwerfen, sie hätten das doch bereitwillig getan, sei­en gerne zu Huren geworden. Oder wenn nicht das, so werden sie in Schimpf und Schande gemieden und aus der Gesellschaft ausgestoßen, wo sie doch der Fürsorge und des Mitgefühls viel eher bedürfen! Wen wundert es, dass viele dieser Frauen sich inzwischen umgebracht haben, weil sie es nicht ertragen konnten, ausgestoßen worden zu sein, weil sie arglos Opfer fremder Gewalt wurden?

Redet hier irgendwer von Gerechtigkeit?

Ja, es ist ohne Zweifel wichtig, sich an die Opfer des Holocaust vor sechzig Jah­ren zu erinnern, an die ausgemergelten KZ-Opfer, die dieses Grauen überlebten. Doch es scheint viel wichtiger und bedeutsamer zu sein, dieselbe Aufmerksam­keit auch jenen TAUSENDEN und ZEHNTAUSENDEN von Männern und Frauen entgegenzubringen, die vor nicht einmal fünfzehn Jahren Opfer bestialischer Gewalt wurden und deren Peiniger bis heute nahezu alle auf freiem Fuß sind und sich ungeachtet ihrer Taten einer geradezu höhnisch zu nennenden Ge­sundheit und Hofierung erfreuen. Es scheint, als habe man aus der Behandlung Nazideutschlands nichts gelernt. Wie hätten wir denn reagiert, wenn die Alliier­ten alle Nazigrößen wieder freigelassen und sogar in die Ämter zurückbefördert hätten? Mit Gleichmut? Oder mit Empörung und Hysterie?

So etwas geschah auf dem Balkan, vor gut zehn Jahren, vor den Augen der Weltöffentlichkeit. Es geschieht noch immer.

Konzentrationslager gab es nicht nur in Deutschland, es gab sie nicht nur vor sechzig Jahren, sondern sie existierten auch in Bosnien, in Serbien und in Kroatien. Wie es falsch ist, nur auf die Serben und Slobodan Milosevic einzuprügeln, so falsch ist es, den jeweils anderen Kriegsparteien eine weiße Weste zu attes­tieren. Wie es die Autorin und freie Journalistin Alexandra Cavelius, die Leilas Geschichte wiedergibt, gegen Schluss richtig festhält: „Das Schicksal dieses jun­gen Mädchens spiegelte den ganzen Wahnsinn des Krieges auf dem Balkan wi­der. Feindbilder verschwanden. Alle waren schuldig. Egal, ob Moslems, Serben oder Kroaten. Doch unter den Bösen gab es immer auch Gute.“

Das Leben zeigt sich beharrlich resistent gegen vereinfachende Vorurteile und nationalistische Ideologien. Das Schicksal Leilas und ihres serbischen Lebensret­ters Ratko zeigt das nachdrücklich.

Natürlich, und das sei als Problem dieses Buches nicht verschwiegen, muss man vorsichtig sein, was den Glauben angeht. Leila – und Cavelius – sagen überein­stimmend, dass die Erinnerungen schwankend, manchmal nicht vorhanden sind. Dass vieles durcheinandergeht und es durchaus sein kann, dass Leila Dinge mit ihrer Lebensgeschichte vermengt hat, die nicht Teil davon waren. Gleichzei­tig scheint aber ebenso klar, dass vieles nicht erzählt wurde, vielleicht nicht er­zählt werden konnte, dass die Demütigungen und Qualen jedes vorstellbare Maß übersteigen. Die ganze Wahrheit ist vermutlich so schlimm, dass Leila sie bei klarem Verstand nicht ertrüge.

Leila, das fünfzehnjährige Mädchen, das in dem Sumpf des Krieges beinahe un­terging, kehrte als zwanzigjährige, junge Mutter zurück, einen Meter achtzig groß, aber nur 42 Kilogramm schwer, ungeachtet ihrer Eingangsworte für immer vom Krieg gezeichnet. Und, vergessen wir das nicht, sie hatte GLÜCK. Die weitaus meisten Frauen im jugoslawischen Vielvölkerkrieg hatten das nicht, von den meisten hat man nie wieder etwas gehört.

Sind die Mörder von Srebrenica jemals belangt worden? Sind die Massenverge­waltiger in den jugoslawischen Teilrepubliken je vor Gericht gestellt worden? Zehntausende oder gar Hunderttausende haben sich an diesen Verbrechen beteiligt. Kann man zulassen, dass diese Menschen unbehelligt weiterleben, zum Teil Seite an Seite mit ihren Opfern?

Wer garantiert, dass es nicht wieder beginnt? Heute oder morgen?

Wenn die Gerechtigkeit, wie immer man sie definieren mag, nicht zumindest ein Stück weit durchgesetzt wird (und damit ist nicht nur die oberste Führungs­ebene gemeint), dann schwelt die Saat der blutigen Ideologie weiter und immer weiter.

Der Balkan bleibt unter diesen Bedingungen ein Pulverfass. Die Ermordung mancher Kriegstreiber wie des berüchtigten Arkan helfen da nur bedingt weiter. Es bedarf grundlegenderer Klärungsprozesse und umfassender gerichtlicher Vergeltungsmaßnahmen zugunsten der Opfer.

Und die Schuld gegenüber den weiterlebenden Opfern tragen auch wir Europä­er. Es wird Zeit, dass wir diesen Krieg dem Vergessen entreißen und zur Hilfe schreiten.

Leila und ihre Gefährtinnen würden es uns danken.

© by Uwe Lammers, 2005

Harter Stoff, meine Freunde? Ja, selbstverständlich. Aber ich bin der Auffas­sung, dass es auch Bücher wie dieses, die den Leser – gleich mir – zutiefst er­schüttert und fassungslos zurücklassen und leider keineswegs in den Raum der reinen Fiktionalität projiziert werden können, es absolut wert sind, dem Verges­sen entrissen zu werden. Geschichte fand nicht nur in zurückliegenden Jahrhun­derten statt, sie ist auch Teil unserer Gegenwart, und wie ich oben schon beton­te: so wichtig es ist, an die Opfer der fernen Vergangenheit zu denken, so darf uns das nicht blind für die Schrecken der Gegenwart machen.

Ich halte dieses Buch für eine wichtige Schrift, und ich traue es euch zu, diese Rezension ebenso durchzustehen wie das Buch selbst, das es wahrscheinlich nur noch antiquarisch gibt.

In der kommenden Woche mache ich dann wieder deutlich weniger Worte, und dann begeben wir uns zurück in die Welten des amerikanischen Fantasy-Autors Robert E. Howard. Schaut einfach wieder rein, Freunde.

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Man merkt an dieser Stelle, dass die historische Wirklichkeit die Aktualität der Rezension überholt hat: Während Slowenien schon am 1. Mai 2004 Teil der Europäischen Union wur­de, ist dies Kroatien erst am 1. Juli 2013 gelungen. Bosnien, Serbien und Montenegro sind seit 2010, 2012 bzw. 2008 Beitrittskandidaten, das Beitrittsverfahren ist aber m. W noch nicht sehr weit gediehen.

2 Nahezu alle Ortsnamen und auch viele Personennamen sind geändert bzw. gekürzt. Wer das Buch liest, wird das rasch verstehen, wenngleich das vom historischen Standpunkt aus betrachtet auch bedauerlich ist.

3 Wer sich einen kleinen Eindruck davon verschaffen möchte, wie Frauenrechtsorganisatio­nen schon im November 1993, als also dieses Grauen gerade erst begonnen hatte, schon auf dieses Problem aufmerksam machten, halte sich an Alexandra Stiglmayer (Hg.): „Mas­senvergewaltigung. Krieg gegen die Frauen“, Fischer 12175, November 1993. Die Aufsatz­sammlung sensibilisiert auf erschütternde Weise für dieses Thema.

4 Wer das Nachwort gelesen hat, wird das verstehen, es soll hier nicht vorweggenommen werden.

Liebe Freunde meiner E-Books,

nicht verdutzt sein – zwar begann im vergangenen Monat mit dem Band 16 der Serie „Oki Stanwer und das Terrorimperium“ (TI), also dem E-Book „Abenteu­rerherz“, ein Vierteiler der OSM-Serie, und natürlich erwartet ihr jetzt den zweiten Teil… stattdessen kommt also ein „Annalen“-Roman. Aber wie ihr schon dem Titel „Heiligtum der Shonta“ entnehmen könnt, bleiben wir ganz in derselben Welt, in der gleichen Zeit und am identischen Ort.

Was anders ist, ihr werdet es beim Reinlesen schnell entdecken, ist die Perspek­tive. Während der Shonta-Vierteiler mehrheitlich aus der Shonta-Perspektive er­zählt wird, habt ihr es nun mit dem Innenblick der „Göttin“ zu tun, von der der junge Shonta Abenteurerherz bislang so geschwärmt hat.

Eine alte Bekannte ist dies zudem, wie ihr feststellen könnt.

In gewisser Weise überschneiden sich „Annalen“ 4 und sowohl TI 16 als auch TI 17… aber ich würde sagen, und da gehe ich durchaus mit manchen Lesern, die dieses Werk schon bei der Erstveröffentlichung auf Amazon durchgeschmökert haben, die Perspektive in diesem Roman gibt euch einen gewissen Mehrwert an Informationen, die den Lesern, die sich ausschließlich auf die Serie konzentrie­ren, langfristig fehlen wird.

Es ist also durchaus lohnend, auch diese Geschichte ergänzend zu lesen… nein, natürlich kein zwingendes „Muss“. Wer gern die „Annalen“-Bände links liegen lässt, der wird sich eben noch ein paar Wochen zu gedulden haben, ehe die Serie weitergeht.

Alle aber, die nun neugierig geworden sind, empfehle ich guten Gewissens die Lektüre von „Heiligtum der Shonta“. Der Roman ist ab sofort im EPUB-For­mat zum Preis von 3,49 Euro auf www.beam-ebooks.de erhältlich.

Ich wünsche euch eine angenehme Lektüre!

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Wochen-Blog 171: Sommerpause

Posted Juni 11th, 2016 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

gestern hatte ich wieder ein Aha-Erlebnis, das mich in einem Entschluss be­stärkte, der seit ein paar Wochen in mir gereift ist. Lasst mich davon mal an die­ser Stelle erzählen, das ist vielleicht ganz interessant für die Allgemeinheit mei­ner zahlreichen Leser.

Wie schon so häufig fand in dieser Woche ein Event des Vereins KreativRegion e.V. in Braunschweig statt, diesmal ging es um das Kreative Handwerk, und der wechselnde Veranstaltungsort befand sich im Rebenpark Braunschweig, bei ei­nem StartUp namens „Protohaus“. Da war ich noch nie, und folgerichtig, weil ich stets neugierig auf neue Kontakte bin, nahm ich an diesem Event teil und lernte ein paar sehr interessante Leute kennen.

Unter anderem wurde mir der Vorschlag einer Lesung gemacht – und ihr wisst, dass ich stets auf der Suche nach Lesungsorten bin. Da rannte dieser Vorschlag bei mir natürlich offene Türen ein. Aber in dem Trubel des Events gab es nicht die Ruhe, über diese Angelegenheit näher nachzudenken.

Gestern nun war ich zufällig in der Nähe des „Protohauses“ und machte eine Stippvisite dort, um den Kontakt zu verstetigen… und erneut traf ich faszinie­rende neue Leute und ließ mich in ein Gespräch verwickeln, das deutlich länger wurde als angenommen. Aber ich ließ mich sehr gern darauf ein. Es war eine schöne Abwechslung zu dem, was ich sonst so mache, mal wieder über meine kreativen Welten und mein E-Book-Segment zu sprechen.

Ohne hier in die Details zu gehen, was wir genau dort beschlossen haben – das wird sich womöglich erst im Jahr 2017 auswirken – , möchte ich einen Punkt der Diskussion hervorheben, der für den aktuellen Blogeintrag konstitutiv ist. An ei­ner Stelle des Gesprächs kam ich nämlich eher beiläufig auf den monatlichen Publikationscharakter meiner E-Books zu sprechen.

Das löste doch einige Fassungslosigkeit aus.

Ich habe diese Fassungslosigkeit schon öfters beobachtet, wenn ich über meine Publikationstätigkeit berichtete. Aber vielleicht kam mir tatsächlich erst gestern zu Bewusstsein, wie unglaublich engagiert und konzentriert ich bei der Sache bin.

38 E-Books innerhalb von gerade einmal 3 Publikationsjahren zu veröffentli­chen, das ist doch, wenn man das mal aus einer distanzierten Perspektive be­trachtet, irgendwie verdammt viel. Es macht mich selbstverständlich stolz… zu­gleich geht aber während des Arbeitsprozesses das Gespür sowohl für die Zeit als auch für den Arbeitsaufwand verloren. Und vor allen Dingen – das betonte ich gestern Abend besonders – habe ich ja die Hintergrundfolie der schon ge­schriebenen OSM-Werke. Es sind wirklich weit mehr als 1.500… die unpubliziert in meinen Ordnern hier vor sich hinschlummern.

Ich dachte also immer: rascher Erscheinungstakt ist wirklich dringend vonnöten, immerhin werde ich im Oktober 2016 schon 50 Lenze alt, und im Gegensatz zu bestimmten Personen in der Literatur bin ich eben nicht unsterblich, und meine Leser erst recht nicht.

Dennoch leuchtete mir gestern Abend endgültig ein, dass es vollkommen sinn­voll ist, zwischendrin mal eine Pause zu machen. Um Energie zu tanken. Um Ab­stand zu gewinnen. Um Seelenruhe und Balance jenseits des durchaus manch­mal hektischen Publikationsalltags wieder zu finden.

Ich meine, die Universität macht im Sommer auch zu. Die Schulen machen Som­merferien. Selbst die KreativRegion setzt im Sommer die Veranstaltungen aus. Warum, zum Teufel, sollte ich mich als Nonstop-Schreibmaschine verstehen? Das ist doch zumindest ein seltsamer Gedanke, nicht wahr? Und langfristig wo­möglich ein schädlicher.

Gleichwohl fällte ich die Entscheidung für eine Sommerpause nicht leichten Herzens, weil ich mich halt an den monatlichen Erscheinungstakt so gewöhnt habe, und ihr eben auch. Aber Faktum ist ebenfalls, dass ich in den letzten Wo­chen und Monaten nur sehr selten zum Schreiben gekommen bin und der Vor­sprung der schon verfassten Texte sehr schmal geworden ist. Es ist also auch aus rein praktischen Gründen nötig, hier eine Erscheinungslücke eintreten zu lassen.

Ich nehme aktuell an, sie wird nur den Monat Juli umfassen und nicht auch den Monat August… aber das kann ich hier und heute noch nicht sagen. Wie ich je­doch im Internet-Newsletter ESPost geschrieben habe – natürlich erscheinen weiterhin meine beiden Blogserien am Sonntag und am Mittwoch, und ich werde auch mit der Publikation auf www.beam-ebooks.de und www.xinxii.com wie üblich fortfahren.

Gönnt mir also die Sommerpause, Freunde, und macht selbst ein paar Tage Ur­laub. Wir hören voneinander!

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

PS: Und wer sich derzeit wundert, dass entgegen meiner Ankündigung, am 11. Juni würde das nächste Beam-E-Book online gehen, dort noch nichts zu sehen ist… es gibt akute Hochladeprobleme, die ich weder verstehe noch selbsttätig beheben kann. Und der Support hat noch nicht geantwortet. Sobald diese Komplikationen behoben sind, bekommt ihr die Neuerscheinung zu Gesicht. Versprochen!

Rezensions-Blog 63: Mindstar 1: Die Spinne im Netz

Posted Juni 7th, 2016 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

also, es gibt Krimileser, und es gibt Science Fiction-Leser, und üblicherweise ist die Schnittmenge zwischen beiden relativ überschaubar. Das heißt: klein. Völlig unterschiedliche Sujets, könnte man da jetzt sagen und das für ganz normal hal­ten. In vielerlei Hinsicht ist daran vermutlich etwas Wahres. Und womöglich bin ich, der ich ja beispielsweise Clive Cussler schätze – was auf klare Thrillerroma­ne hinausläuft, zumeist mit kriminalistischen Zutaten – , derweil ich aber auch sehr klare Präferenzen für SF habe, eine Ausnahmeerscheinung.

Manchmal gelingt es indes, beide Genres zu verschmelzen. Ich brauche nicht zu betonen, dass dabei vieles schief gehen kann… Leute, die Krimis schreiben kön­nen, verhauen sich grässlich in SF-Sujets, und umgekehrt können lupenreine Phantasten womöglich beim besten Willen keinen Krimi strukturell erschaffen.

Aber, wie gesagt, es gibt Ausnahmen.

Eine solche liegt uns mit dem unten rezensierten Buch vor. Gregory Mandel ist ein Detektiv der nahen, man könnte sagen: postapokalyptischen Zukunft. Und Peter F. Hamilton ist wirklich jemand, der sich in unterschiedlichste Sujets ein­denken kann und der gerne und ausgiebig in Symbiosen denkt. Das hatte er ja schon in seinem „Armageddon-Zyklus“ unter Beweis gestellt… könnte man denken.

Allerdings ist dies eine Verkehrung der Umstände, denn die MINDSTAR-Romane sind eigentlich das frühere Werk. Man merkt jedoch auch hier schon, wie ge­schmeidig er lange Geschichten erzählen kann. Selbst wer wie ich zunächst mit „Armageddon“ anfängt und sich danach in die drei MINDSTAR-Romane ein­gräbt, kommt voll auf seine Kosten… selbst wenn man anfangs einen ordentli­chen Schock erleidet.

England am Ende des 20. Jahrhunderts und nach der Klimakatastrophe ist schon ein rechter Schocker. Und doch für den Autor lediglich der Rahmen, in dem dann die eigentliche Handlung spielt.

Also, Vorhang auf für:

MINDSTAR 1: Die Spinne im Netz

(OT: Mindstar Rising)

von Peter F. Hamilton

Bastei 23202

576 Seiten, damals 14.90 DM

Übersetzt von Thomas Schichtel

Heutzutage braucht der englische SF-Autor Peter F. Hamilton keinen mehr, der ihn vorstellt – sein weltbekannter „Armageddon-Zyklus“ hat ihn zum Bestsel­ler-Autor gemacht. Doch im Jahre 1993, als Hamilton gerade einmal begann, ernsthaft Bücher zu verfassen, da musste man ihn mit Worten anpreisen wie: „Lange musste die SF auf einen Autor wie Hamilton warten. Bei ihm verbindet sich auf geniale Weise die Tradition der Space Opera mit den modernsten Ent­wicklungen in der SF…“

Bombastische Worte? Nun, man ist dergleichen von anderen Lobeshymnen auf Umschlägen von phantastischen Werken gewöhnt (man entsinne sich nur des geradezu hysterischen Lobes von Stephen King gegenüber Dan Simmons auf dem Cover von „Ilium“ und „Olympos“!). Man mag also hier auch skeptisch sein. Seid es – und lest den Roman innerhalb von vier Tagen, wie es mir ging. Ich schrieb einer Brieffreundin kürzlich, der Roman habe mich eingefangen und nicht wieder losgelassen… ein Charakteristikum für gute Bücher, wie mir scheint. Und das alles widerfuhr mir in dieser Welt:

Wir befinden uns als Leser mitten in den späten Jahren des 21. Jahrhunderts, in England, natürlich, also der Heimat des Autors, und sein Wohngebiet Rutland kommt selbstverständlich intensiv zum Vorschein. Doch dieses England ist so gründlich anders als das, was wir aus der Gegenwart kennen, dass wir ständig blinzeln und uns die Augen reiben und fragen, ob wir jetzt in einem Alptraum gelandet sind. Die Fahrten der Hauptperson Gregory Mandel durch das postso­zialistische England sind ein ständiger Slalomkurs voller Überraschungen.

Äh, postsozialistisch? Moment mal…

Bananenplantagen in England, die Schilder mit „SVP-freie Zone“ tragen? Eine Hafenstadt, die sich in ein ausgedehntes Sumpfbecken verwandelt hat, über­krönt von einer neuen heranwachsenden Techno-Metropolis, umlagert von Slums, die auch in Bangladesch oder an der indischen Küste stehen könnten? Monsunregen über England? Mandarinenbaumpflanzungen? Mangobäume in voller Blüte?

Tja, das sind nur ein paar der seltsamen, äußerst skurrilen Erscheinungen, die wir im England nach der globalen Klimakatastrophe vorfinden: die Polkappen sind geschmolzen, die alten Industrienationen offenbar mehrheitlich den Bach runtergegangen. Europa wird von Kombinaten (richtig gelesen!) beherrscht, und zehn Jahre lang hatte Präsident Armstrong von der Sozialistischen Volks­partei (SVP) England unter seiner Knute, privatisierte Industrien, prügelte mit seinen Volkspolizisten (!!!) den Widerstand nieder, errichtete Wohnkommunen und ruinierte fast alle Unternehmen.

Und dann kam der imperialistische Gegenschlag, sollte man meinen. Die Speer­spitze davon waren zwei wichtige Protagonisten dieses Romans: der Milliardär Philip Evans und sein High-Tech-Unternehmen Event Horizon, das auf Fabrik­schiffen in internationalen Gewässern Waren herstellte und über den Schmugg­lerring des Kendric di Girolamo nach England schmuggeln ließ, wobei das hier­bei freiwerdende Geld das Land verließ und in den Produktionskreislauf zurück­kehrte.

Präsident Armstrong schäumte, konnte aber nichts machen. Und die Massen­waren führten schließlich, zusammen mit militärisch operierenden Banden, den Trinitys, und dem geheim aufgebauten MINDSTAR-Bataillon dazu, dass die SVP bis nach Schottland zurückgetrieben wurde. MINDSTAR, eine Armee-Einheit mit Soldaten, die durch eine Drüsenoperation über verschiedenartige parapsychi­sche Fähigkeiten verfügen, wurde schließlich aufgelöst, die Leute kehrten ins zi­vile Leben zurück, während Philip Evans und di Girolamo weiterhin versuchten, den Rest der SVP, der sich in Schottland beharrlich an der Macht hielt – Dow­ning Street 10, wo Armstrong residiert hatte, war durch einen Sprengkopf dem Erdboden gleichgemacht worden. Allgemein wird der SVP in Schottland jetzt nur noch eine Lebensdauer von wenigen Monaten gegeben.

Das ist der Ausgangspunkt dieses Romans, und es ist vielleicht gut für den Leser, das als Vorabwissen zu besitzen, um nicht wie der Rezensent anfangs mehrere hundert Seiten alles mühsam selbst zusammenklauben zu müssen.

Greg Mandel ist also ehemaliger MINDSTAR-Soldat. Seine Fähigkeit ähnelt der Telepathie (der Klappentext erzählt hier übrigens Nonsens, also ignorieren). Er hat, was ganz passend ist, eine Detektei aufgemacht und verdient damit gutes Geld, wenn auch eher wenig – in dem postsozialistischen England sind vermö­gende Leute sehr rar, entsprechend sieht seine Wohnung dann auch aus.

Doch auf einmal zieht er den ganz großen Fisch an Land – niemand Geringeres als Philip Evans von Event Horizont kommt auf ihn zu und bietet ihm einen Auf­trag an. Auf der Orbitalfabrik Zanthus von Event Horizont scheint jemand Sabo­tage zu verüben und die Produktion zu verpfuschen. Und dies gerade zu dem Zeitpunkt, wo Evans mit der Regierung über ein wichtiges Projekt verhandelt, das die gesamte Energietechnik der Menschheit revolutionieren kann – den Gi­galeiter. Die Gewinne, die daraus erwachsen, sind, wenn der Plan gelingt, irr­witzig hoch.

Da es Greg rasch gelingt, die Sabotage zu durchleuchten, kehrt schnell wieder Ruhe ein… aber es ist die Ruhe vor dem Sturm, denn diese Attacke ist nur der erste Teil eines weitläufigen, hochgefährlichen Planes eines bösartigen Gegners, der wie eine Spinne im Netz hockt und sich als brandgefährlich entpuppt – für den alten, schwachen Philip Evans und seine siebzehn Jahre junge Enkelin Julia. Und schließlich schlagen die Wogen des sinistren Intrigenpools auch über Greg zusammen und konfrontieren ihn mit den Gespenstern der Vergangenheit…

Mit dem Romanerstling MINDSTAR RISING hat Peter F. Hamilton einen äußerst rasanten Thriller geschrieben, der sich sehr lange Zeit dezent mit Action zurück­hält. Der Leser hat auch so genug zu tun und zu denken, denn die doch äußerst fremdartige Welt, die ihm hier an den Kopf geschmettert wird, hat es überall in sich. Es wimmelt von bizarren Details wie den Netzjockeys oder den Trinitys. Wassermenschen tauchen auf und Plantagen auf dem Grund von Stauseen. Genmanipulierte und technisch zu Kampfmonstern hochgerüstete Panther. High-Tech-Drogen. Präkognition. Straßengangs, zerfallende Straßennetze Eng­lands und verwitternde, heruntergekommene Stadtkerne. Medienmogule, Schmugglerköniginnen, Teenager mit Hormonkomplexen… und das Beste an der ganzen Geschichte ist vielleicht, dass man selbst als jemand der die Intuiti­on eines Sherlock Holmes anzuwenden versucht, so mustergültig aufs Glatteis geführt wird, dass man am Ende mit offenem Mund dasitzt.

Wirklich wahr, der Leser ist platt, ich war’s wenigstens. Und das will was heißen, selbst bei Peter F. Hamilton. Mich bringt so rasch nichts aus der Balance. Hier hat’s geklappt. Was ein klasse Effekt ist.

Es gibt an diesem gesamten Buch nicht viele Wermutstropfen. Die meisten sind banaler Natur und werden leicht überlesen, kleine Schnitzer etwa wie die Sache mit den „Wir haben noch 40 Minuten“ und „Jetzt sind es noch 20 Minuten“, während doch keiner eine Uhr dabei hat, usw. Doch einen kann man einfach nicht übersehen, ganz bestimmt nicht, wenn man Hamilton-belesen ist: das Buch ist einfach zu kurz! „Kein Vertun“, um eine Redewendung von Greg zu be­nutzen, die ich einfach köstlich finde. Das Buch besitzt 44 Kapitel und keine 600 Seiten! Zum Vergleich: Der Roman „Die unbekannte Macht“ (Armageddon 1) besitzt 864 Seiten und nur 18 Kapitel!

Immer dann also, wenn der Leser ruft: Mehr Details, Hamilton, mehr Details!!!!, immer dann endet bei „Mindstar Rising“ das Kapitel und eine Blende kommt. Ich kann mir das nur so erklären, dass ihm der Verlag für den Erstling einfach ein Seitenlimit vorschrieb, um das Risiko gering zu halten, eine Investition in den Sand zu setzen.

Nun, die Leute haben sichtlich das Potential dieser Welt, die Hamilton hier non­chalant aus dem Boden stampft, nicht gesehen. Sowohl die Charaktere als auch die Handlung selbst geben Stoff für einen erheblich umfangereicheren Zyklus her. Und das Schöne ist – es gibt ja noch zwei MINDSTAR-Romane, und jeder ist ähnlich umfangreich. Wenn das mal nicht eine schöne Überraschung ist…

Falls Hamilton irgendwann mal auf die kluge Idee kommen sollte, diesen Zyklus grundlegend zu erweitern und zu überarbeiten, wäre ich sicherlich einer der ersten, der die Neuversion kauft. Es gibt so vieles über dieses düstere Post-SVP-England zu erzählen und über die MINDSTAR-Veteranen…

Insgesamt ist und bleibt es ein Buch voller wunderbarer Möglichkeiten. Welche genau Hamilton davon realisiert hat und welche man sich selbst als Leser nur ausmalt, davon sollte man sich am besten selbst ein Bild machen. Bereuen wird man es gewiss nicht – und die Lesezeit werdet ihr gar nicht spüren, verspro­chen!

© by Uwe Lammers, 2006

Tja, das war dann der erste der drei MINDSTAR-Romane. Gibt ja noch, wie oben angedeutet, zwei weitere, auch wenn man sie heute wohl nur noch antiqua­risch bekommen kann. Das lohnt sich, und ich sage in den nächsten Wochen zu diesen Romanen auch noch etwas.

In der nächsten Woche müsst ihr euch wieder warm anziehen, Freunde, dann kommt ein Sachbuch aus der Wirklichkeit, das euch Heulen und Zähneklappern beschert und vielleicht auch zu Tränen rührt wie mich, als ich dieses unfassliche Werk mit tiefer Bestürzung las. Dann reisen wir nach Südosteuropa in die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts.

Das solltet ihr, die ihr wachen politischen Verstand besitzt, nicht entgehen las­sen.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Liebe Freunde des OSM,

wie vor so vielen Wochen versprochen, kümmere ich mich heute um das Jahr 2000, bezogen auf die Werke, die unter dem Label „Aus den Annalen der Ewig­keit“ realisiert werden konnten. Das wird eine ernüchternde Angelegenheit. Ich habe schon vor Monaten, als ich in der Subreihe „Was ist eigentlich der OSM?“ des Blogs dasselbe Jahr generalisierend untersuchte, erzählt, dass das Jahr 2000 wirklich nicht sehr rege war.

Wir erinnern uns: Im Jahr 2000 steckte ich noch mitten in den Schlusswehen meines Geschichtsstudiums und investierte darin eine Menge Zeit und Energie. Zum anderen war ich nach wie vor Chefredakteur des Fanzines „Baden-Würt­temberg Aktuell“ (BWA) im Science Fiction-Club Baden-Württemberg, und auch das kostete jede Menge Energie und Power. Es musste vieles organisiert werden, beispielsweise Themenausgaben unseres Fanzines, und ich war dabei, einen Ro­man des Oki Stanwer Mythos (OSM), in Etappen in BWA zu publizieren.

Es handelte sich dabei um den zweiten Roman der Edward-Norden-Saga, „Der Herrscher von Arc“, dessen vollständige Überarbeitung ich am 16. Januar 2000 abschloss. Dieser Roman erschien sodann in zehn Teilen zwischen Februar 1999 und Februar 2000.1

Dann herrschte gähnende Leere für den Rest des ersten Halbjahres 2000 – weil mich der gigantische Archipel-Roman „Christinas Schicksal“ so vollständig absorbierte. Er wurde am 19. Juli fertig und umfasste unfassliche 1.134 andert­halbzeilige Druckseiten.

Ihr versteht vermutlich, dass ich danach kreativ so platt war, dass ich auf keinen grünen Zweig mehr kam… jedenfalls nicht mehr in diesem Jahr. Und schon gar nicht im Oki Stanwer Mythos. Denn im gleichen Monat und kurz vor der Fertig­stellung dieses riesigen Romans huschte mir ein zerlumptes, unbekanntes Mäd­chen in einem Urwald über die Füße und verleitete mich, ihm zu folgen… ein ge­heimnisvolles Kind namens Rhonda, das mich in das nächste turbulente Archi­pel-Abenteuer hineinriss, für das ich wirklich nicht bereit war.

Es handelte sich dabei um den Roman „Rhondas Weg“, von dessen Ausmaß ich beim besten Willen keine Vorstellung entwickeln konnte. Es war doch nur ein kleines Mädchen, nicht wahr? Was konnte da schon viel passieren…?

Tja, heute bin ich natürlich schlauer, aber vor sechzehn Jahren war ich völlig blauäugig.

Das Jahr 2000 war also für den OSM gelaufen, und auch für die „Annalen“. Wie also entwickelten sich die Dinge im darauf folgenden Jahr 2001 weiter?

Zunächst rutschte ich fast automatisch in den nächsten Archipel-Roman hinein, nämlich in „Abenteuer im Archipel“. Dabei handelte es sich grundsätzlich um die direkte Fortsetzung von „Christinas Schicksal“, und mir schwante schon von Anfang an: Das wird wieder ein ziemlicher Klotz… Christina, meine golde­ne Prinzessin, ist eben nicht wirklich ein einfaches Wesen. Und zwei Archipel­werke parallel zu entwickeln, klang nach einer echten Schnapsidee (und das von einem Antialkoholiker! Man höre und staune!).

Ich konnte dennoch nichts dagegen tun. Romane, die geschrieben werden WOL­LEN, die WERDEN eben auch geschrieben, Vernunft hin oder her. Und die Konsequenz bestand dann darin, dass etwas krass an die Wand gedrückt wurde. Dreimal dürft ihr raten, was das wohl war.

Der Oki Stanwer Mythos, richtig.

Da ich außerdem a) in diesem Jahr massiv meine Magisterarbeit in Angriff nahm und viele Tage des Jahres mit Archivrecherchen füllte und b) Geschmack daran zu finden begann, kurze Archipel-Stories zu verfassen, schrumpfte das für den OSM verfügbare Zeitkontingent noch weiter in sich zusammen. So ähnlich, als hätte ich mich zu lange im kalt werdenden Badewasser aufgehalten.

Unschön, um es behutsam zu formulieren.

Eine Schreibmaschinenreparatur versetzte meinem Schreibdrang im Juli 2001 einen weiteren Dämpfer. Ich bekam sie rasch wieder zurück, rasch genug jeden­falls, um mit „Der Feuersucher“ am Ende des Monats den zweiten Roman um den begabten Xin Shorex’uss fertigstellen zu können.2 In dieser Geschichte geht der Handlungsstrang des Romans „Der Feuerspürer“ weiter. Der sehr rasch heranwachsende und seinen Altersgenossen deutlich überlegene Shorex versucht zu ergründen, wie er Informationen erhalten kann, um seine sehr rege ausgeprägten, bohrenden Fragen zu beantworten. Dabei stößt er auf die unschöne Erkenntnis, dass sein Zentralkollektiv ebenso wie die erwachsenen Xin vor ihm Geheimnisse haben und Halbwahrheiten verbreiten.

Aber so etwas schreckt einen Shorex natürlich nicht ab…

Bei der Fertigstellung dieses Romans handelte es sich allerdings nur um so eine Art von mattem Aufflackern. Die meiste Schreibzeit des Jahres investierte ich auch weiterhin in die närrischen, süßen, unglaublichen Abenteuer der kleinen Rhonda in der Archipel-Metropole Asmaar-Len. Ich lernte den Makler Panjit al Choor kennen, seine Haushälterin Carina, die ganze Mädchenschar in seinem Garten, mit der sich Rhonda flugs anfreundete, und es gab ganz unwahrscheinli­che Konfusionen, vergnügliche Missverständnisse und soviel zu lernen… ich war gründlich abgelenkt.

Erst, als ich am 1. Oktober 2001 den Roman „Rhondas Weg“ dann vollenden konnte – mit ganz unglaublichen 1.876 anderthalbzeiligen Schreibmaschinensei­ten! – , erst da lockerte sich der stramme Klammergriff des Archipels und ließ mir wieder Luft zum Durchatmen.

Allerdings gestehe ich, dass ich völlig groggy war.

Zwischendrin wurde die Weltgeschichte durch den Terroranschlag vom 11. Sep­tember 2001 gründlich durchgeschüttelt, und wir wissen alle, dass sie sich bis heute davon nicht erholt hat. Randphänomene wie Osama bin Laden oder Al-Qaida rückten jählings ins Zentrum der Wahrnehmung und schufen ein Klima der Verstörung und Furcht weltweit, und eine grimmige Gegenwoge von Zorn und erbitterter Feindschaft. Glaube niemand, das ging an mir spurlos vorbei, ganz im Gegenteil.

Doch für den Oki Stanwer Mythos vermochte ich diese Emotionen kurzfristig nicht nutzbar zu machen, wie es eigentlich ein guter Literat vermögen sollte. Ich stürzte mich stattdessen in ein völlig anderes Abenteuer, das die Leser meiner E-Books schon kennen – in die Novelle „Hüter des Shanna Djannir“, die pünkt­lich noch zum 30. Dezember 2001 fertig gestellt werden konnte…3 die Geschich­te des „Hauses ohne Anfang und Ende“ des Landoktopodenmädchens Shinyi aus dem Volk der Thusii, die nach anfänglicher und sehr begreiflicher Furcht zur neuen Hüterin des Shanna Djannir geformt und ernannt wird.

Aber damit war dann auch schon die Luft raus aus dem Oki Stanwer Mythos für das Jahr 2001. Ich sagte ja eingangs – glorreich war das nicht, weil der Archipel soviel Zeit und Energie gebunden hat.

Wie ging das alles im Jahr 2002 weiter? Nun, davon erzähle ich euch beim nächsten Mal.

In der nächsten Woche gibt es aus aktuellem Anlass mal eine überraschende Meldung aus der Gegenwart. Ich glaube, das solltet ihr nicht verpassen.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Die entsprechenden Ausgaben des Fanzines BWA waren die Nummern 185-197. Wer irri­tiert ist: BWA 190 war eine Katzen-Sonderausgabe, da fehlte der Fortsetzungsroman, Nr. 192 war eine Christel-Scheja-Sonderausgabe, auch dort fehlte der entsprechende Teil, und die Nr. 196 war eine Sonderausgabe „Phantastische Bibliotheken“, da war es ebenso.

2 Ihr findet dieses Werk bei Interesse auf der Website des Science Fiction-Clubs Baden-Württemberg (SFCBW) unter der Adresse: www.sfcbw-online.de. Es handelt sich dabei al­lerdings nur um die vorläufige Version. Sobald sie für das E-Book-Format beizeiten aufbe­reitet wird, muss sie noch gründlich ausgearbeitet werden.

3 Diese Story ist Teil meiner zweiten E-Book-Storysammlung „Ein Passagier der R.M.S. TITANIC und andere phantastische Geschichten“, erschienen im Januar 2015.